3 Durchschauen Sie die Masken der Menschen
Das Gesetz des Rollenspiels
M enschen neigen dazu, die Maske zu tragen, die sie im bestmöglichen Licht erscheinen lässt: bescheiden, selbstbewusst, gewissenhaft. Sie sagen die richtigen Dinge, sie lächeln und scheinen an unseren Gedanken interessiert zu sein. Sie lernen, ihre Unsicherheit und ihren Neid zu verbergen. Wenn wir dieses Auftreten für bare Münze nehmen, werden wir niemals ihre wahren Gefühle kennen, und irgendwann werden wir von ihrem plötzlichen Widerstand, ihrer Abneigung oder ihren manipulativen Handlungen überrascht. Zum Glück hat diese Maske Risse. Wahre Gefühle und unbewusste Wünsche äußern sich in nonverbalen Signalen, die sich nicht vollständig kontrollieren lassen: Mimik, Veränderung der Stimmlage, körperliche Anspannung und nervöse Gesten. Wenn Sie ein versierter Leser von Männern und Frauen werden wollen, müssen Sie diese Sprache beherrschen lernen. Mit diesem Wissen ausgerüstet, können Sie die richtigen Verteidigungsmaßnahmen treffen. Da das äußere Auftreten andererseits das Kriterium ist, nach dem Ihre Mitmenschen Sie beurteilen, müssen Sie ebenfalls lernen, wie Sie sich möglichst vorteilhaft präsentieren und Ihre Rolle so spielen, dass Sie eine maximale Wirkung erzielen.
Die zweite Sprache
Eines Morgens im August 1919 erwachte der siebzehnjährige Milton Erickson, künftiger Pionier der Hypnotherapie und einer der einflussreichsten Psychologen des 20. Jahrhunderts, und stellte erschrocken fest, dass er einige Körperteile nicht mehr bewegen konnte. Über die nächsten Tage breitete sich die Lähmung aus. Schon bald erhielt er die Diagnose: Polio oder Kinderlähmung, die damals eine große Epidemie war. Als er im Bett lag, hörte er, wie seine Mutter im Nebenzimmer mit zwei Spezialisten sprach, die die Familie bestellt hatte. Weil einer der Ärzte annahm, dass Milton schlief, sagte er: »Der Junge wird die Nacht nicht überleben.« Seine Mutter betrat sein Zimmer und versuchte sichtlich, ihre Trauer zu verbergen; sie wusste nicht, dass ihr Sohn das Gespräch belauscht hatte. Milton bat sie immer wieder darum, die Kommode, die neben seinem Bett stand, mal hierhin und mal dorthin zu rücken. Sie dachte, er sei im Fieberwahn, doch er hatte gute Gründe: Er wollte sie einerseits von ihrer seelischen Not ablenken, und er wollte andererseits, dass der Spiegel auf der Kommode genau richtig positioniert war. Sollte er allmählich das Bewusstsein verlieren, könnte er sich auf den Sonnenuntergang konzentrieren, der im Spiegel zu sehen war, und versuchen, sich möglichst lange an diesem Bild festzuhalten. Die Sonne kehrte immer wieder zurück; vielleicht würde auch er zurückkommen und den Ärzten beweisen, dass sie sich irrten. Nach einigen Stunden fiel er ins Koma.
Milton kam drei Tage später wieder zu sich. Er hatte den Tod überlistet, doch jetzt hatte sich die Lähmung über seinen gesamten Körper ausgebreitet. Selbst seine Lippen waren gelähmt. Er konnte sich weder mimisch noch gestisch äußern oder in irgendeiner Weise mit seiner Familie kommunizieren. Das Einzige, was er noch bewegen konnte, waren seine Augäpfel, die es ihm ermöglichten, den engen Bereich seines Zimmers zu scannen. Er verbrachte seine Quarantäne in dem Haus auf der Farm im ländlichen Wisconsin, wo er aufgewachsen war, und seine einzige Gesellschaft waren seine sieben Schwestern, sein Bruder, seine Eltern und eine Pflegekraft. Für jemanden mit einem so wachen Geist war die Langeweile unerträglich. Doch eines Tages hörte er, wie sich seine Schwestern miteinander unterhielten, und ihm fiel etwas auf, was er noch nie zuvor bemerkt hatte: Während des Gesprächs machten ihre Gesichter alle möglichen Bewegungen und ihr Tonfall schien ein Eigenleben zu haben. Eine Schwester sagte: »Ja, das ist eine gute Idee«, verwendete dabei aber eine monotone Stimme und setzte ein sichtlich spöttisches Lächeln auf, welches das genaue Gegenteil zu sagen schienen. Offenbar konnte ein Ja in Wirklichkeit Nein bedeuten.
Milton begann, auf diese Kleinigkeiten zu achten. Es war ein spannendes Spiel. Im Lauf des nächsten Tages zählte er sechzehn verschiedene Formen von Nein , die eine unterschiedlich starke Entschlossenheit zum Ausdruck brachten und jeweils von verschiedener Mimik begleitet wurden. Einmal bemerkte er, wie eine Schwester etwas bejahte, dabei aber den Kopf schüttelte. Es war sehr subtil, aber er registrierte es. Wenn jemand Ja sagte, aber Nein meinte, zeigte sich das in der Mimik und Körpersprache. Ein anderes Mal beobachtete er aus dem Augenwinkel heraus, wie eine Schwester einer anderen Schwester einen Apfel anbot, aber die Anspannung in ihrem Gesicht und die verkrampfte Armhaltung deuteten an, dass sie den Apfel nur aus Höflichkeit anbot und ihn eigentlich lieber behalten hätte. Dieses Signal entging der Empfängerin, doch für Milton war es offensichtlich.
Weil er nicht an Gesprächen teilnehmen konnte, beschäftigte er sich damit, die Handbewegungen seiner Familie zu beobachten, das Runzeln ihrer Augenbrauen, die Tonhöhe, den Tonfall und das plötzliche Verschränken ihrer Arme. Ihm fiel zum Beispiel oft auf, dass die Halsschlagadern seiner Schwestern hervortraten, wenn sie an seinem Bett standen, was ein Zeichen für die Nervosität war, die sie in seiner Gegenwart spürten. Ihre Atemmuster beim Sprechen faszinierten ihn, und er entdeckte, dass bestimmte Rhythmen ein Zeichen für Langeweile waren und normalerweise von einem Gähnen gefolgt wurden. Haare schienen für seine Schwestern eine wichtige Rolle zu spielen. Ein sehr sorgfältiges Zurückkämmen einzelner Strähnen wies auf Ungeduld hin – »Ich habe genug gehört; sei jetzt still.« Aber ein schnelleres, eher unbewusstes Streichen konnte gefesselte Aufmerksamkeit bedeuten.
Weil er nicht aufstehen konnte, schärfte sich Miltons Gehör. Er konnte jetzt Gespräche im Nebenzimmer belauschen, in dem seine Familienangehörigen sich nicht darum bemühten, ihm etwas vorzumachen. Und schon bald nahm er ein merkwürdiges Muster wahr: Wenn sich zwei Menschen miteinander unterhielten, waren sie selten direkt. Eine Schwester konnte minutenlang um den heißen Brei herumreden und nur Andeutungen über das fallen lassen, was sie wirklich wollte, zum Beispiel ein Kleidungsstück leihen oder eine Entschuldigung hören. Ihr geheimer Wunsch machte sich in ihrer Tonlage bemerkbar, die bestimmten Worten eine gewisse Note verlieh. Sie hoffte, dass andere diese Andeutung verstehen und von sich aus anbieten würden, ihren Wunsch zu erfüllen. Doch oft wurden die Anspielungen ignoriert, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihr Anliegen unumwunden vorzutragen. Ein Gespräch nach dem anderen ließ dieses wiederkehrende Muster erkennen. Schon bald machte Milton ein Spiel daraus, in möglichst wenigen Sekunden zu erraten, worauf seine Schwester hinauswollte.
Es war beinahe so, als wäre ihm durch seine Lähmung plötzlich ein zweiter menschlicher Kommunikationskanal bewusst geworden – eine zweite Sprache, mit der die Menschen ihre wahren Gedanken und Gefühle zum Ausdruck brachten, manchmal ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Was würde geschehen, wenn er irgendwie lernen könnte, die Feinheiten dieser Sprache zu beherrschen? Wie würde sich seine Wahrnehmung der Menschen verändern? Konnte er diese Fähigkeit auf die beinahe unsichtbaren Gesten ausweiten, die andere mit ihren Lippen, ihrer Atmung oder der Anspannung ihrer Hände machten?
Mehrere Monate später saß Milton in einem Lehnstuhl, den seine Familie für ihn gebaut hatte, sah aus dem Fenster und beobachtete, wie sein Bruder und seine Schwestern draußen spielten. (Er hatte die Bewegungsfähigkeit seiner Lippen wiedererlangt, aber sein Körper blieb gelähmt). Er hätte sich ihnen gerne angeschlossen. Als hätte er seine Lähmung für einen Augenblick vergessen, stand er in Gedanken auf, und für den Bruchteil einer Sekunde spürte er, wie ein Muskel in seinem Bein zuckte – das war das erste Mal seit seiner Erkrankung, dass sich sein Körper in irgendeiner Weise bewegt hatte. Die Ärzte sagten seiner Mutter, dass er niemals wieder gehen würde, aber sie hatten sich schon vorher geirrt. Diese Muskelzuckung ermutigte ihn, ein Experiment zu wagen. Er konzentrierte sich auf einen bestimmten Beinmuskel, erinnerte sich an das Gefühl, das er vor seiner Lähmung hatte, richtete seine gesamte Willenskraft auf diese Bewegung und stellte sich dabei vor, dass sein Bein noch funktionierte. Seine Pflegerin massierte den Bereich, und langsam, mit sporadischen Erfolgserlebnissen, spürte er ein minimales Zucken des Muskels. Es dauerte quälend lange, aber er lernte schließlich, ohne fremde Hilfe aufzustehen, einige Schritte zu gehen, sich in seinem Zimmer zu bewegen, vor die Tür zu gehen und langsam immer größere Strecken zurückzulegen.
Indem er seine Willens- und Vorstellungskraft aktivierte, konnte er seinen körperlichen Zustand verändern und seine vollständige Bewegungsfähigkeit wiedererlangen. Milton Erickson erkannte, dass Körper und Geist auf eine Weise zusammenarbeiten, die noch kaum erschlossen war. Weil er dieses Phänomen näher untersuchen wollte, beschloss er, eine medizinische und psychologische Laufbahn einzuschlagen, und Ende der 1920er Jahre begann er, in verschiedenen Krankenhäusern als Psychiater zu arbeiten. Er entwickelte schon bald eine eigene Methode, die sich völlig von den Techniken unterschied, die seine Kollegen anwandten.
Fast alle praktizierenden Psychiater konzentrierten sich auf das Verbale. Sie brachten Patienten dazu, vor allem über ihre frühe Kindheit zu sprechen. Auf diese Weise hofften sie, mehr über das Unterbewusstsein der Patienten zu erfahren. Erickson konzentrierte sich hingegen überwiegend auf die körperliche Präsenz der Menschen und betrachtete diese als Zugang zu ihrer Psyche und ihrem Unterbewusstsein. Wörter werden oft als Schleier benutzt, um zu verbergen, was wirklich passiert. Wenn er seine Patienten dazu brachte, sich zu entspannen und wohlzufühlen, entdeckte er Anzeichen für versteckte Spannungen und unerfüllte Wünsche, die sich in der Mimik, Stimmlage und Körperhaltung äußerten. Als er dies tat, drang er immer tiefer in die Welt der nonverbalen Kommunikation ein.
Seine Devise lautete: »Beobachten, beobachten, beobachten.« Zu diesem Zweck führte Erickson ein Notizbuch und schrieb all seine Beobachtungen auf. Ein Element, das ihn besonders faszinierte, war das Gangbild von Menschen, was möglicherweise seine eigenen Schwierigkeiten widerspiegelte, wieder gehen zu lernen. Er beobachtete Passanten in verschiedenen Stadtteilen. Er achtete darauf, wie fest sie auftraten: Es gab den beherzten Schritt jener, die energisch und entschlossen waren, den leichten Schritt der eher Unentschlossenen, den schlurfenden, vorgebeugten Gang jener, die eher faul waren, den gewundenen, s-förmigen Gang der Personen, die in Gedanken versunken waren. Er beobachtete genau den übertriebenen Hüftschwung oder den stolzierenden Gang, der den Kopf zu heben schien und Ausdruck für ein großes Selbstbewusstsein war. Es gab noch den Gang der Leute, die eine Schwäche oder Unsicherheit zu verbergen suchten – den übertrieben männlichen Gang, das nonchalante Schlendern des rebellischen Jugendlichen. Er achtete auf plötzliche Veränderungen im Gangbild, die auf Aufregung oder Nervosität hinwiesen. All das gab ihm eine Fülle von Informationen, die etwas über die Stimmung und das Selbstbewusstsein der Menschen aussagten.
In seinem Büro stellte er seinen Schreibtisch ans andere Ende des Zimmers, damit die Patienten einige Schritte auf ihn zugehen mussten. Er bemerkte, inwiefern sich ihr Gang vor und nach der Sitzung veränderte. Er beobachtete genau, wie sie sich auf den Stuhl setzten, die Spannung in ihren Händen, als sie die Stuhllehnen fassten, in welchem Winkel sie sich im Gespräch ihm zuwendeten – und binnen weniger Sekunden hatte er bereits einen guten Eindruck von den Unsicherheiten und Spannungen seiner Patienten, die in ihrer Körpersprache klar abzulesen waren, ohne dass auch nur ein Wort gesprochen wurde.
Im Laufe seiner Karriere arbeitete Erickson einmal in einer Anstalt für psychisch Kranke. Die Psychologen vor Ort taten sich mit einem Patienten besonders schwer, einem ehemaligen Geschäftsmann, der ein Vermögen verdient und in der Weltwirtschaftskrise alles verloren hatte. Der Mann weinte ständig und bewegte seine Hände auf Brusthöhe vor und zurück. Niemand konnte sich erklären, warum er diesen Tick hatte oder wie man ihm helfen konnte. Es war nicht leicht, ihn zum Reden zu bringen, und kein Gesprächsversuch war erfolgreich. Doch in dem Moment, als Erickson den Mann sah, verstand er dessen Problem: Mit seiner Geste drückte er körperlich seine vergebliche Bemühung aus, im Leben voranzukommen, und die Verzweiflung, die er dabei empfand. Erickson trat an ihn heran und sagte: »In Ihrem Leben gab es viele Höhen und Tiefen«, und um diesen Worten Nachdruck zu verleihen, hob und senkte er seine Arme. Den Mann schien diese neue Bewegung zu interessieren, die sein neuer Tick wurde. Erickson arbeitete mit einem Therapeuten vor Ort, legte zwei Blöcke Sandpapier in die Hände des Patienten und legte ein Stück unbehandeltes Holz vor ihn. Bald war der Mann vom Holzschleifen und dem dabei entstehenden Geruch fasziniert. Er hörte auf zu weinen, besuchte Schreinerkurse, schnitzte filigrane Schachspiele und verkaufte sie. Indem sich Erickson ausschließlich auf die Körpersprache des Mannes konzentriert und seine körperliche Bewegung verändert hatte, konnte er den Mann aus seinem inneren Gefängnis befreien und ihn heilen.
Was Erickson außerdem faszinierte, waren die geschlechtsspezifischen Unterschiede der nonverbalen Kommunikation als Ausdruck für eine andere Denkweise. Ihm fielen besonders die weiblichen Eigenheiten auf, was vielleicht auf die vielen Monate zurückzuführen war, die er damit verbracht hatte, seine Schwestern zu beobachten. Er konnte jede Nuance ihrer Körpersprache analysieren. Einmal kam eine hübsche junge Frau in sein Büro und sagte, dass sie bereits verschiedene Psychiater aufgesucht habe, mit denen sie aber nicht zurechtgekommen sei. Ob vielleicht Erickson der Richtige wäre? Während sie redete und niemals auf ihr eigentliches Problem zu sprechen kam, beobachtete Erickson, wie sie eine Fluse von ihrem Ärmel entfernte. Er hörte zu, nickte und stellte einige relativ belanglose Fragen.
Plötzlich, völlig unvermittelt, sagte er mit dem Brustton der Überzeugung, dass er der richtige und vielmehr der einzige geeignete Psychiater für sie sei. Sie war von seiner arroganten Einstellung verblüfft und fragte ihn, warum er dies dachte. Er sagte, dass er ihr nur eine weitere Frage stellen müsse, um ihr den endgültigen Beweis zu liefern: »Wie lange«, fragte er, »tragen Sie schon Frauenkleidung?«
»Woher wussten Sie das?«, fragte der Mann überrascht. Erickson erklärte, dass er es an der Art und Weise bemerkt hatte, wie er die Fluse entfernt hatte, nämlich ohne den üblichen Bogen um den Brustbereich. Er hatte diese Bewegung viel zu oft gesehen, um sich täuschen zu lassen. Außerdem war der Ansatz, Erickson erst auf die Probe stellen zu wollen, noch dazu in einem stakkatoartigen Rhythmus vorgetragen, ein sehr maskuliner Zug. Alle anderen Psychiater waren auf das äußerst feminine Erscheinungsbild des jungen Mannes und die Stimme, die er so sorgfältig trainiert hatte, hereingefallen. Doch der Körper lügt nicht.
Bei einer anderen Gelegenheit kam Milton Erickson in sein Büro und traf dort eine neue Patientin an, die bereits auf ihn wartete. Sie erklärte, dass sie sich von ihm behandeln lassen wolle, um ihre Flugangst zu heilen. Erickson unterbrach sie. Ohne nähere Erklärungen bat er sie darum, das Büro zu verlassen und noch einmal den Raum zu betreten. Sie schien verärgert, willigte aber ein, und er beobachtete ihren Gang und ihre Körperhaltung, als sie sich auf den Stuhl setzte. Er bat sie dann darum, ihr Problem zu erläutern.
»Mein Mann und ich fahren im September ins Ausland und ich habe eine Todesangst davor, in ein Flugzeug zu steigen.«
»Werte Frau«, sagte Erickson, »wenn eine Patientin einen Psychiater aufsucht, muss sie mit offenen Karten spielen. Weiß Ihr Mann von Ihrer Affäre?«
»Nein«, sagte sie verblüfft, »aber wie sind Sie darauf gekommen?«
»Ihre Körpersprache verriet es mir.« Er erklärte, dass sie ihre Beine sehr eng übereinanderschlug und sich ein Fuß vollständig um das andere Fußgelenk legte. Seiner Erfahrung nach verschloss jede verheiratete Frau, die eine Affäre hatte, ihren Körper auf ähnliche Weise. Und sie hatte eindeutig und zögerlich »a-broad« (ein Weib) statt »abroad« (Ausland) gesagt, als ob sie sich schämte. Und ihr Gangbild deutete darauf hin, dass sie sich in komplizierten Beziehungen gefangen sah. In den folgenden Sitzungen brachte sie ihren ebenfalls verheirateten Liebhaber mit. Erickson bat darum, die Frau des Liebhabers kennenzulernen, und als sie kam, nahm sie genau dieselbe verschlossene Sitzposition ein, mit dem Fuß um das Fußgelenk.
»Sie haben also eine Affäre«, sagte er.
»Ja, hat Ihnen das mein Mann gesagt?«
»Nein, aber Ihre Körpersprache. Jetzt weiß ich, warum Ihr Mann chronische Kopfschmerzen hat.« Bald behandelte er alle Beteiligten und verhalf ihnen aus ihren verfahrenen und leidvollen Positionen.
Im Laufe der Jahre weitete sich Ericksons Beobachtungsgabe auf kaum wahrnehmbare Elemente der nonverbalen Kommunikation aus. Er konnte die geistige Verfassung seiner Patienten an ihren Atemmustern erkennen, und indem er diese Muster spiegelte, konnte er sie in eine hypnotische Trance versetzen und ein Gefühl des tiefen Rapports herstellen. Er konnte unterschwellige und subvokale Rede lesen, also wenn jemand ein Wort oder einen Namen kaum merklich aussprach. Auf dieselbe Weise verdienen Hellseher, Wahrsager und manche Bühnenmagier ihren Lebensunterhalt. Er wusste, wann seine Sekretärin ihre Tage hatte, weil er dies an ihrem Schreibmaschinenanschlag erkannte. Er konnte den Beruf einer Person aus ihren Händen, ihrem Gangbild, ihrer Kopfhaltung und ihrem stimmlichen Tonfall erschließen. Patienten und Freunde hatten den Eindruck, dass ­Erickson hellseherische Fähigkeiten besaß, aber sie waren sich einfach nicht der Tatsache bewusst, wie lange und intensiv er die zweite Sprache studiert und beherrschen gelernt hatte.
Interpretation: Seine plötzliche Lähmung öffnete Milton Erickson die Augen nicht nur für eine andere Form der Kommunikation, sondern auch für eine völlig andere Art, mit Menschen in Beziehung zu treten. Als er seinen Schwestern zuhörte und neue Informationen aus ihrer Mimik und ihren Stimmen aufnahm, registrierte er dies nicht nur mit seinen Sinnen, sondern er spürte auch einen Teil von dem, was in ihrem Geist stattfand. Er musste sich vorstellen, warum sie Ja sagten, aber Nein meinten, und musste dabei für einen kurzen Augenblick einige ihrer widersprüchlichen Wünsche spüren. Er musste die Spannung in ihrem Nacken sehen und als Spannung im eigenen Körper wahrnehmen, um zu verstehen, warum sie sich in seiner Gegenwart plötzlich unwohl fühlten. Er entdeckte, dass die nonverbale Kommunikation nicht einfach durch Denken und die Übersetzung von Gedanken in Worte erfahren werden kann, sondern körperlich gespürt werden muss, indem man sich mit der Mimik oder steifen Körperhaltung anderer Menschen auseinandersetzt. Es ist eine andere Form von Wissen, die mit dem animalischen Teil unserer Natur in Zusammenhang steht und unsere Spiegelneuronen betrifft.
Um diese Sprache zu beherrschen, musste er sich entspannen und den ständigen Drang kontrollieren, mit Worten zu interpretieren oder das zu kategorisieren, was er gerade sah. Er musste sein Ego herunterregeln – weniger darüber nachdenken, was er selbst sagen wollte – und seine Aufmerksamkeit vielmehr nach außen, auf die andere Person richten und sich auf ihre unterschiedlichen Befindlichkeiten einstellen, die sich in ihrer Körpersprache äußerten. Er stellte fest, dass ihn eine solche Aufmerksamkeit veränderte. Sie machte ihn sensibler für die Signale, die Menschen ständig aussenden, und verwandelte ihn in einen hervorragenden sozialen Schauspieler, der in der Lage war, eine Verbindung zum Innenleben anderer herzustellen und größeren Rapport herzustellen.
Im Laufe von Ericksons Transformation bemerkte er, dass die meisten Menschen die entgegengesetzte Richtung einschlugen: Sie beschäftigten sich von Jahr zu Jahr immer mehr mit sich selbst und wurden unaufmerksamer. Er sammelte gerne Anekdoten aus seinem Berufsleben, die dies veranschaulichten. Er bat zum Beispiel einmal eine Gruppe von angehenden Ärzten in dem Krankenhaus, in dem er arbeitete, eine ältere Frau zu beobachten, die zugedeckt im Bett lag, bis sie etwas erkannten, das eine mögliche Diagnose für ihre Bettlägerigkeit war. Sie beobachteten sie drei volle Stunden, ohne eine Erklärung zu finden. Keiner von ihnen bemerkte die offensichtliche Tatsache, dass sie keine Beine mehr hatte. Leute, die Ericksons öffentliche Vorlesungen besuchten, pflegten zu fragen, warum er nie den seltsamen Zeigestock verwendete, den er während seines Vortrags in der Hand hielt. Sie hatten sein offensichtliches Hinken und die Notwendigkeit für einen Gehstock schlichtweg nicht bemerkt. Erickson vertrat die Auffassung, dass die Widrigkeiten des Lebens die meisten Menschen zu einem Rückzug nach innen zwingen. Ihnen fehlt der geistige Freiraum für einfache Beobachtungen, und die zweite Sprache entgeht ihnen überwiegend.
Sie müssen Folgendes verstehen: Wir sind das vorherrschende soziale Tier auf dem Planeten und sind auf unsere Fähigkeit angewiesen, mit anderen zu kommunizieren, um zu überleben und Erfolg zu haben. Schätzungen zufolge sind über 65 Prozent der gesamten menschlichen Kommunikation nonverbaler Natur, doch Menschen greifen nur ungefähr fünf Prozent dieser Information auf und verinnerlichen sie. Stattdessen richten wir nahezu unsere gesamte soziale Aufmerksamkeit auf verbale Äußerungen, die in der Regel dazu dienen, unsere wahren Gedanken und Gefühle zu verbergen. Nonverbale Signale sagen uns, was die Menschen mit ihren Worten zu betonen versuchen, und den Subtext ihrer Botschaft, also die Nuancen der Kommunikation. Diese Signale verraten uns, was sie aktiv verbergen, ihre wahren Wünsche und Sehnsüchte. Sie spiegeln auf unmittelbare Weise die Emotionen und Stimmungen der Menschen wider. Wenn wir diese Informationen nicht zur Kenntnis nehmen, bedeutet das, dass wir blind operieren, Missverständnissen Tür und Tor öffnen und zahlreiche Gelegenheiten verpassen, unsere Mitmenschen zu beeinflussen, weil wir nicht registrieren, was sie wirklich wollen oder brauchen.
Ihre Aufgabe ist einfach: Erstens müssen Sie Ihren Zustand der Selbstversunkenheit erkennen und wie wenig Sie tatsächlich beobachten. Mit diesem Verständnis werden Sie motiviert sein, Ihre Beobachtungsgabe weiterzuentwickeln. Zweitens müssen Sie – so wie Milton Erickson – die Anders­artigkeit dieser Kommunikationsform verstehen. Sie müssen Ihre Sinne schärfen und die Menschen auf einer körperlicheren Ebene wahrnehmen, ihre körperliche Energie aufnehmen und nicht nur ihre Worte. Sie beobachten nicht nur ihre Mimik, sondern registrieren sie von innen heraus, sodass der Eindruck bei Ihnen bleibt und kommuniziert. Wenn Sie in dieser Sprache einen größeren Wortschatz erlangen, werden Sie in der Lage sein, Gesten mit möglichen Emotionen zu korrelieren. Mit wachsender Sensibilität werden Sie immer mehr Dinge bemerken, die Ihnen zuvor entgangen sind. Mit dem stärkeren sozialen Einfluss, den Sie dadurch erlangen, werden Sie außerdem die Kommunikation mit Ihren Mitmenschen vertiefen können.
Wer also erwartet, dass in der Welt die Teufel mit Hörnern und die Narren mit Schellen einhergehen, wird stets ihre Beute oder ihr Spiel sein. … Hinzu kommt aber noch, dass im Umgange die Leute es machen, wie der Mond und die Bucklichten, nämlich stets nur eine Seite zeigen, und sogar Jeder ein angeborenes Talent hat, auf mimischem Wege seine Physiognomie zu einer Maske umzuarbeiten, welche genau darstellt, was er eigentlich sein sollte, und die, weil sie ausschließlich auf seine Individualität berechnet ist, ihm so genau anliegt und anpasst, dass die Wirkung überall täuschend ausfällt. Er legt sie an, so oft es darauf ankommt, sich einzuschmeicheln. Man soll jedoch auf dieselbe so viel geben, als wäre sie aus Wachstuch.
Arthur Schopenhauer
Schlüssel zur menschlichen Natur
Wir sind hervorragende Schauspieler. Wir lernen schon früh, von unseren Eltern das bekommen, was wir wollen, indem wir einen herzerweichenden Blick aufsetzen. Wir lernen, wie wir vor unseren Eltern oder Geschwistern unsere wahren Gedanken und Gefühle verbergen, um uns in verletzlichen Momenten zu schützen. Wir werden gut darin, jenen zu schmeicheln, die wir für uns gewinnen müssen – beliebte Altersgenossen oder Lehrer etwa. Wir lernen, wie wir uns in eine Gruppe einfügen, indem wir dieselbe Kleidung tragen und dieselbe Sprache sprechen. Wenn wir älter werden und unsere Karriere aufbauen, lernen wir, die richtige Fassade zu errichten, um den Job zu bekommen und in die Gruppenkultur zu passen. Ob wir nun Manager, Professor oder Barkeeper werden – wir müssen uns stets entsprechend verhalten und diese Rolle spielen.
Stellen Sie sich jemanden vor, der niemals diese schauspielerischen Fähigkeiten entwickelt hat, der sein Gesicht sofort verzieht, wenn ihm nicht gefällt, was er hört, oder der ein Gähnen nicht unterdrücken kann, wenn er sich langweilt. Jemanden, der immer seine Meinung sagt, der mit seinen Ideen und seiner Art immer seinen eigenen Weg geht, der sich immer gleich verhält, ob er nun mit seinem Vorgesetzten spricht oder mit einem Kind. Eine solche Person würde zweifellos ausgegrenzt, verspottet und verachtet werden.
Wir sind alle so gute Schauspieler, dass wir nicht einmal merken, wenn dies passiert. Wir glauben, dass wir bei unseren sozialen Interaktionen fast immer aufrichtig sind, und jeder gute Schauspieler wird Ihnen sagen, dass genau diese Überzeugung das Geheimnis hinter jeder glaubhaften schauspielerischen Darbietung ist. Wir nehmen diese Fähigkeiten als gegeben hin, aber um sie in Aktion zu sehen, sollten Sie versuchen, sich selbst dabei zu beobachten, wie Sie mit verschiedenen Familienmitgliedern, Ihrem Vorgesetzten und Ihren Kollegen interagieren. Sie werden feststellen, dass sich Ihre Wortwahl, Stimme, Gepflogenheiten und gesamte Körpersprache subtil verändern, um sich an jede Person und jede Situation anzupassen. Wenn Sie jemanden beeindrucken wollen, setzen Sie ein völlig anderes Gesicht auf, als wenn Sie jemanden besser kennen, bei dem Sie Ihre Fassade fallen lassen können. Sie tun dies fast immer ohne nachzudenken.
Im Laufe der Jahrhunderte zeigten sich viele Dichter und Denker, die die Menschen von außen betrachteten, von der Theatralik des Soziallebens beeindruckt. Das berühmteste Zitat, das dies zum Ausdruck bringt, stammt von Shakespeare: »Die ganze Welt ist Bühne / Und alle Fraun und Männer bloße Spieler. / Sie treten auf und gehen wieder ab, / Sein Leben lang spielt einer manche Rollen.« Wenn das Theater und Schauspieler traditionell durch das Bild der Masken dargestellt wurden, implizieren Autoren wie Shakespeare, dass wir alle ständig Masken tragen. Manche Menschen sind bessere Schauspieler als andere. Bösartige Gestalten wie Iago in der Tragödie Othello sind in der Lage, ihre feindseligen Absichten hinter einem wohlwollenden Lächeln zu verbergen. Andere können mit mehr Selbstbewusstsein und Mut agieren – sie werden oft Führungspersönlichkeiten. Menschen mit hervorragenden schauspielerischen Fähigkeiten kommen in unseren komplexen sozialen Umgebungen besser zurecht und haben Erfolg.
Obwohl wir alle erfahrene Schauspieler sind, erleben wir die Notwendigkeit, eine Rolle zu spielen, insgeheim als Last. Wir sind das erfolgreichste soziale Tier auf dem Planeten. Unsere steinzeitlichen Vorfahren, die Sammler und Jäger waren, konnten nur überleben, indem sie ständig durch nonverbale Signale miteinander kommunizierten. Deswegen sind die menschliche Mimik und Gestik so expressiv; sie wurden über eine lange Zeit hinweg entwickelt, noch vor der Entwicklung der Sprache. Sie ist tief in uns verwurzelt. Wir haben den ständigen Drang, unsere Gefühle zu kommunizieren, die wir aber gleichzeitig verbergen müssen, um sozial zu funktionieren. Weil diese gegensätzlichen Kräfte in uns toben, können wir nicht vollständig kontrollieren, was wir kommunizieren. Unsere wahren Gefühle sickern ständig in Form von Gesten, Tonlage, Mimik und Körperhaltung durch. Wir werden aber nicht automatisch darin geübt, auf die nonverbalen Signale unserer Mitmenschen zu achten. Aus purer Gewohnheit fixieren wir uns auf die Worte, die wir hören, während wir gleichzeitig darüber nachdenken, was wir darauf entgegnen. Das heißt, dass wir nur einen kleinen Bruchteil der potenziellen sozialen Fähigkeiten nutzen, die wir besitzen.
Stellen Sie sich zum Beispiel ein Gespräch mit jemandem vor, den Sie erst vor Kurzem kennengelernt haben. Indem Sie Ihre Aufmerksamkeit voll und ganz auf seine nonverbalen Signale richten, können Sie seine Stimmungen aufgreifen und diese Stimmungen spiegeln, damit er sich unbewusst in ihrer Anwesenheit entspannt. Im Laufe der Konversation registrieren Sie, ob Ihr Gesprächspartner auf Ihre Gesten reagiert und diese spiegelt. In diesem Fall können Sie einen Schritt weiter gehen und die Verbindung vertiefen. Auf diese Weise können Sie Rapport aufbauen und einen wertvollen Verbündeten gewinnen. Stellen Sie sich umgekehrt eine Person vor, die fast sofort feindselige Signale aussendet. Sie durchschauen ihr falsches, gequältes Lächeln, den gereizten Blick, der über ihr Gesicht huscht, und die Zeichen subtilen Unbehagens in Ihrer Anwesenheit. Wenn Sie all das sofort registrieren, können Sie sich höflich aus der Interaktion zurückziehen, diese Person im Auge behalten und nach weiteren Anzeichen für feindselige Absichten suchen. Sie haben sich möglicherweise eine unnötige Schlacht oder eine hässliche Sabotage erspart.
Unser Studium der menschlichen Natur besteht in diesem Zusammenhang aus zwei Aufgaben: Erstens müssen Sie die Tatsache anerkennen, dass das Leben eine gewisse theatralische Note hat. Aber heben Sie nicht den moralischen Zeigefinger und wettern gegen das Rollenspiel und die Masken, die für ein reibungsloses soziales Miteinander so wichtig sind. Ihr Ziel ist es vielmehr, Ihre Rolle auf der Bühne des Lebens formvollendet zu spielen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sich ins Rampenlicht zu stellen und als sympathischen Helden oder sympathische Heldin in Szene zu setzen. Zweitens dürfen Sie nicht naiv sein und das Auftreten Ihrer Mitmenschen für bare Münze nehmen. Lassen Sie sich von den schauspielerischen Fähigkeiten anderer nicht blenden. Lernen Sie, deren wahren Gefühle zu entschlüsseln, arbeiten Sie an Ihrer Beobachtungsgabe und üben Sie so oft wie möglich im Alltag.
Daher gibt es bei diesem Gesetz drei wesentliche Aspekte: zu verstehen, wie man Menschen beobachtet, einige Grundlagen für die Entschlüsselung nonverbaler Kommunikation zu lernen und die Kunst zu beherrschen, die als Impression-Management bekannt ist und daraus besteht, Ihre Rolle mit maximaler Wirkung zu spielen.
Beobachtungsgabe
Fast alle von uns waren als Kinder großartige Beobachter. Weil wir klein und schwach waren, hing unser Überleben davon ab, das Lächeln und die Stimmlage anderer Menschen zu entschlüsseln. Wir waren oft vom sonderbaren Gangbild der Erwachsenen fasziniert, von ihrem übertriebenen Lächeln und ihrer affektierten Art. Wir machten sie zum Spaß nach. Wir konnten an der Körpersprache erkennen, ob jemand eine Gefahr für uns darstellte. Deshalb sind Kinder der Untergang notorischer Lügner, Betrüger, Bühnenmagier und anderer Leute, die vorgeben, etwas zu sein, was sie nicht sind. Kinder durchschauen schnell ihre Fassade. Mit der Zeit, etwa ab dem fünften Lebensjahr, geht diese Sensibilität verloren und wir fangen an, uns nach innen zu wenden und mehr darüber nachzudenken, wie andere uns sehen.
Sie müssen erkennen, dass es nicht darum geht, sich neue Fähigkeiten anzueignen. Vielmehr entdecken Sie Fähigkeiten neu, die Sie seit Ihrer frühen Kindheit besitzen. Das bedeutet, dass Sie langsam den Prozess der Selbstversunkenheit umkehren und wieder die nach außen gerichtete Sicht und Neugier entwickeln, die Sie als Kind einst hatten. Wie bei jeder Fähigkeit gilt auch hier, dass Sie dafür Geduld brauchen. Durch regelmäßiges Üben vernetzen Sie Ihr Gehirn neu und legen neue neuronale Verbindungen an. Achten Sie darauf, sich nicht gleich mit zu vielen Informationen zu überfrachten. Machen Sie erste Schritte, um kleine, aber tägliche Fortschritte zu sehen. In einer zwanglosen Konversation setzen Sie sich etwa das Ziel, an Ihrem Gesprächspartner ein oder zwei Gesichtsausdrücke zu entdecken, die seinen Äußerungen zu widersprechen scheinen oder Hinweise auf zusätzliche Informationen liefern. Nehmen Sie Mikroexpressionen wahr, etwa kurz aufblitzende Anzeichen für Anspannung oder ein erzwungenes Lächeln (siehe hierzu den nächsten Abschnitt). Sobald Ihnen diese einfache Übung gelingt, wiederholen Sie sie bei einer anderen Person, aber konzentrieren Sie sich immer auf ihr Gesicht. Sobald Sie feststellen, dass es Ihnen leichter fällt, die Mimik anderer zu lesen, versuchen Sie sich auf die Stimme der Person zu konzentrieren und jeden Hinweis auf eine Veränderung der Tonlage oder Sprechgeschwindigkeit zu registrieren. Die Stimme sagt viel über das Selbstbewusstsein und die Zufriedenheit einer Person aus. Später können Sie Elemente der Körpersprache miteinbeziehen, etwa Haltung, Gesten, Beinposition. Halten Sie diese Übungen simpel, setzen Sie sich leichte Ziele. Schreiben Sie Ihre Beobachtungen auf, vor allem die Muster, die Sie erkennen.
Wenn Sie diese Übungen machen, müssen Sie entspannt und offen sein für das, was Sie sehen. Versuchen Sie nicht, Ihre Beobachtungen mit Worten zu beschreiben. Sie müssen am Gespräch beteiligt sein, während Sie weniger reden und gleichzeitig Ihr Gegenüber dazu anregen, mehr von sich preiszugeben. Versuchen Sie, den anderen zu spiegeln, machen Sie Bemerkungen, die auf etwas anspielen, das er gesagt hat und ein Hinweis darauf sind, dass Sie ihm zuhören. Dies wird dazu führen, dass die andere Person sich entspannt, mehr redet und mehr nonverbale Signale aussendet. Doch Ihre Beobachtung anderer Menschen darf niemals offensichtlich sein. Wenn der andere das Gefühl hat, beobachtet zu werden, verkrampft er sich und versucht, seine Mimik oder Gestik zu kontrollieren. Zu viel direkter Augenkontakt wird Ihre wahren Absichten offenbaren. Sie müssen neutral und aufmerksam wirken und Ihrem Gegenüber nur einige wenige schnelle periphere Blicke zuwerfen, um mimische, gestische und stimmliche Veränderungen zu bemerken.
Durch die Beobachtung einer bestimmten Person über einen längeren Zeitraum etablieren Sie den Ausdruck und die Stimmung, die für sie die Norm ist. Manche Menschen sind von Natur aus ruhig und reserviert, und ihre Mimik offenbart das. Einige sind lebhaft und energiegeladen, während wieder andere dazu neigen, sich nervös umzuschauen. Wenn Sie wissen, wie sich jemand normalerweise verhält, können Sie größere Aufmerksamkeit auf eventuelle Abweichungen richten, zum Beispiel wenn jemand, der normalerweise reserviert ist, plötzlich lebhaft wird, oder wenn jemand, der tendenziell ein nervöser Typ ist, einen entspannten Gesichtsausdruck hat. Sobald Sie die Baseline einer Person kennen, wird es für Sie viel leichter sein zu erkennen, ob sie sich unwohl fühlt oder verstellt. Mark Anton im alten Rom galt etwa als joviale Person, die stets lächelte, lachte und mit anderen scherzte. Als er jedoch nach der Ermordung Julius Caesars plötzlich still und nachdenklich wurde, verstand Antonius’ Rivale Octavian (der spätere Kaiser Augustus), dass Antonius etwas im Schilde führte und feindliche Absichten hatte.
In Bezug zu dem Ausdruck, der als Norm etabliert wurde, sollten Sie versuchen, dieselbe Person in verschiedenen Umgebungen zu beobachten und zu prüfen, inwiefern sich ihre nonverbalen Signale verändern, wenn sie mit ihrem Ehepartner, Vorgesetzten oder Angestellten redet.
Eine weitere Übung ist die Beobachtung von Menschen, die kurz davor stehen, etwas Besonderes oder Außergewöhnliches zu tun, wie eine Reise an einen faszinierenden Ort, eine Verabredung mit jemandem, den sie seit einer Weile im Auge haben, oder ein Ereignis, mit dem hohe Erwartungen verknüpft sind. Achten Sie auf erwartungsfrohe Blicke, wie sich die Augen weiten und geöffnet bleiben, ob das Gesicht leicht gerötet und die Mimik lebhaft ist, ob sich ein leichtes Lächeln auf den Lippen abzeichnet, das freudige Erregung ausdrückt. Vergleichen Sie diese Signale mit der Anspannung, die bei einer Person erkennbar ist, die unmittelbar vor einer Prüfung oder einem Bewerbungsgespräch steht. Sie vergrößern Ihren Wortschatz, wenn es darum geht, Emotionen und Mimik zueinander in Bezug zu setzen.
Achten Sie besonders auf gemischte Signale, beispielsweise wenn eine Person erklärt, von Ihrer Idee begeistert zu sein, aber angespannte Gesichtszüge und eine gequälte Stimme hat, oder jemand Sie zu Ihrer Beförderung beglückwünscht, aber sein Lächeln gezwungen und die Mimik traurig wirkt. Solche gemischten Signale sind keine Seltenheit. Sie können sich auch nur in einzelnen Körperbereichen bemerkbar machen. In dem Roman Die Botschafter von Henry James fällt dem Erzähler auf, dass eine Frau, die ihn besucht hat, während des Gesprächs größtenteils lächelte, dabei aber ihren Sonnenschirm krampfhaft festhielt. Nur weil er das bemerkt, nimmt er ihre wahre Stimmung wahr: Unbehagen. Bei gemischten Signalen müssen Sie sich bewusst machen, dass ein Großteil der nonverbalen Kommunikation das Durchsickern negativer Emotionen betrifft, und Sie müssen den negativen Signalen mehr Gewicht beimessen, weil sie die wahren Gefühle einer Person anzeigen. In einem günstigen Augenblick können Sie sie fragen, warum sie traurig ist oder Abneigung empfindet.
Um Ihren Lernprozess weiter zu vertiefen, können Sie noch eine andere Übung ausprobieren: Setzen Sie sich in ein Café oder einen anderen öffentlichen Bereich und beobachten Sie die Menschen, die Sie umgeben, ohne selbst an einer Konversation beteiligt zu sein. Achten Sie auf stimmliche Signale, Gangbilder und die allgemeine Körpersprache. Machen Sie sich falls möglich Notizen. Wenn Sie im Laufe der Zeit Ihr Können verfeinern, können Sie versuchen, die Berufe der Menschen anhand ihrer nonverbalen Signale zu erraten oder anhand ihrer Körpersprache etwas über ihre Persönlichkeit auszusagen. Es sollte ein unterhaltsames Spiel sein.
Mit der Zeit werden Sie in der Lage sein, Ihre Aufmerksamkeit besser aufzuteilen – einerseits aufmerksam auf das zu hören, was jemand zu sagen hat, aber andererseits auch sorgfältig auf seine nonverbale Kommunikation zu achten. Sie werden womöglich Signale registrieren, die Ihnen vorher entgangen sind, und dabei kontinuierlich Ihr Vokabular erweitern. Bedenken Sie, dass alles, was Menschen tun, eine Art von Zeichen ist: Es gibt keine Geste, die nichts aussagt. Sie werden das Schweigen der Menschen zur Kenntnis nehmen, ihre Kleidung, die Anordnung der Dinge auf ihrem Schreibtisch, ihre Atemmuster, die Spannung in bestimmten Muskelpartien (vor allem im Nacken), den Subtext ihrer Konversationen – was nicht gesagt oder was impliziert wird. All diese Entdeckungen sollten faszinierend sein und Sie dazu motivieren, sich weiter mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Während Sie diese Fähigkeit trainieren, müssen Sie sich einige gängige Fehler bewusst machen, die Ihnen unterlaufen können. Wörter drücken eine direkte Information aus. Wir können darüber streiten, was jemand meint, wenn er etwas sagt, aber die Deutungsmöglichkeiten sind relativ begrenzt. Nonverbale Signale sind wesentlich ambivalenter und indirekter. Es gibt kein Wörterbuch, das Ihnen sagt, was dieser oder jener mimische Ausdruck bedeutet. Es hängt vom Individuum und dem Kontext ab. Wenn Sie nicht aufpassen, werden Sie die Zeichen zwar schnell aufgreifen, sie aber schnell so interpretieren, dass Sie Ihren eigenen emotionalen Vorurteilen über Menschen entsprechen – was Ihre Beobachtungen nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich macht. Wenn Sie etwa jemanden beobachten, gegen den Sie ohnehin eine Abneigung haben oder der Sie an eine Person aus Ihrer Vergangenheit erinnert, die Ihnen unsympathisch war, werden Sie dazu neigen, fast jeden Hinweisreiz als ablehnend oder feindselig zu deuten. Das Gegenteil passiert bei Leuten, die Sie mögen. Bei diesen Übungen müssen Sie sich daher bemühen, keine persönlichen Vorlieben und Vorurteile in Ihre Beobachtung einfließen zu lassen.
Damit ist etwas verbunden, was als Othello-Effekt bekannt ist. In dem Theaterstück von Shakes­peare nimmt die Titelfigur Othello an, dass seine Frau Desdemona Ehebruch begangen hat, weil sie nervös reagiert, als sie wegen angeblicher Beweise ihrer Tat zur Rede gestellt wird. In Wirklichkeit ist Desdemona unschuldig, aber Othellos aggressive, paranoide Art und seine bedrohlichen Fragen beunruhigen sie, was er als Zeichen ihrer Schuld deutet. Was in solchen Fällen passiert, ist, dass wir die emotionalen Signale einer Person aufgreifen – Nervosität zum Beispiel – und annehmen, dass sie einer bestimmten Quelle entspringen. Wir ziehen daraus voreilige Schlüsse, die sich mit dem decken, was wir sehen wollen. Aber die Nervosität könnte mehrere Erklärungen haben, es könnte eine temporäre Reaktion auf unsere Fragen oder die allgemeinen Umstände sein. Es wurde also eine richtige Beobachtung gemacht, die dann allerdings falsch entschlüsselt wurde.
1894 wurde Alfred Dreyfus, ein französischer Offizier, fälschlicherweise verhaftet, weil ihm vorgeworfen wurde, für die Deutschen zu spionieren. Dreyfus war Jude und viele Franzosen waren damals antisemitisch eingestellt. Als er zur ersten öffentlichen Befragung erschien, antwortete Dreyfus in einem ruhigen, gefassten Ton, den er sich während seiner Ausbildung zum Bürokraten angeeignet hatte und der das Ergebnis seines Versuchs war, seine Nervosität zu unterdrücken. Die meisten Anwesenden nahmen an, dass ein Unschuldiger lautstark protestieren würde. Sein Verhalten wurde als Zeichen seiner Schuld gedeutet.
Bedenken Sie, dass Menschen aus verschiedenen Kulturen verschiedene Verhaltensregeln für annehmbar halten. Diese sind als Darbietungsregeln (Display Rules) bekannt. In manchen Kulturen gilt es als schicklich, weniger zu lächeln oder mehr Körperkontakt einzugehen. Oder ihre Sprache legt größeren Wert auf die Tonhöhe. Berücksichtigen Sie immer den kulturellen Hintergrund der Menschen, mit denen Sie es zu tun haben, und deuten Sie ihre Signale entsprechend.
Sie sollten auch versuchen, sich selbst zu beobachten. Nehmen Sie zur Kenntnis, wie oft und wann Sie dazu neigen, ein falsches Lächeln aufzusetzen oder körperlich Nervosität zum Ausdruck zu bringen – in Ihrer Stimme, mit trommelnden Fingern, dem Spielen mit den Haaren, bebenden Lippen und so weiter. Indem Sie sich Ihres eigenen nonverbalen Verhaltens bewusst werden, sensibilisieren Sie sich für die Signale anderer und nehmen diese aufmerksamer wahr. Sie werden besser in der Lage sein, sich die Emotionen vorzustellen, die mit dem Signal einhergehen. Und Sie werden auch mehr Kontrolle über Ihr eigenes nonverbales Verhalten erlangen, was sehr wertvoll ist, um in die richtige soziale Rolle zu schlüpfen (siehe letzter Abschnitt dieses Kapitels).
Während Sie Ihre Beobachtungsgabe entwickeln, werden Sie eine körperliche Veränderung an sich selbst und an Ihrer Beziehung zu anderen feststellen. Sie nehmen die veränderlichen Stimmungen anderer viel stärker wahr und antizipieren diese sogar, indem Sie in sich das spüren, was der andere spürt. Indem Sie diese Kunst perfektionieren, können Sie solche Kräfte beinahe hellseherisch erscheinen lassen, so wie es bei Milton Erickson der Fall war.
Dekodierungsschlüssel
Bedenken Sie, dass Menschen generell versuchen, sich nach außen von ihrer besten Seite zu präsentieren. Das bedeutet, dass sie eventuelle antagonistische Gefühle verbergen, etwa ihr Streben nach Macht oder Überlegenheit, ihre Versuche des Einschmeichelns und ihre Unsicherheit. Sie werden Sprache benutzen, um ihre Gefühle zu verbergen und Sie von der Realität abzulenken, indem sie die Fixierung auf Wörter ausnutzen, der wir Menschen normalerweise unterliegen. Sie werden auch eine bestimmte Mimik zeigen, die leicht aufzusetzen ist und nach außen freundlich wirkt. Ihre Aufgabe ist es, über diese Ablenkungen hinwegzusehen und sich jene Zeichen bewusst zu machen, die unabsichtlich durchsickern und etwas über die wahre Emotion hinter der Maske aussagen. Die drei Kategorien der wichtigsten Signale, die es zu beobachten und identifizieren gilt, sind Gefallen/Missfallen , Dominanz/Unterwerfung und Täuschung .
Signale für Gefallen/Missfallen
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Jemand in Ihrer Gruppe kann Sie nicht leiden, entweder aus Neid oder Misstrauen, kann seine Abneigung im Gruppenumfeld aber nicht offen zum Ausdruck bringen, weil man ihn sonst für einen schlechten Teamplayer halten würde. Also lächelt diese Person Sie an, unterhält sich mit Ihnen und scheint sogar Ihre Ideen zu unterstützen. Sie haben hin und wieder vielleicht das Gefühl, dass etwas nicht ganz stimmt, doch die Zeichen sind subtil und Sie vergessen sie, während Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Fassade richten, die die andere Person Ihnen präsentiert. Urplötzlich, scheinbar aus heiterem Himmel, fällt diese Person Ihnen in den Rücken oder verhält sich gemein. Die Maske fällt. Die Konsequenzen für Sie sind nicht nur berufliche oder private Probleme, sondern auch der damit verbundene emotionale Stress, der anhaltende Auswirkungen haben kann.
Ihnen muss Folgendes klar sein: Feindseligkeit oder Widerstand kommt nie aus heiterem Himmel. Es gibt immer Vorzeichen. Es wäre viel zu anstrengend für die andere Person, solche starken Gefühle vollständig zu unterdrücken. Das Problem ist aber nicht nur, dass wir unaufmerksam sind, sondern dass uns der Gedanke an Konflikte oder Unstimmigkeiten unangenehm ist. Wir ziehen es daher vor, nicht darüber nachzudenken und lieber anzunehmen, dass unsere Mitmenschen auf unserer Seite oder zumindest neutral sind. Meist spüren wir, dass etwas mit der anderen Person nicht ganz stimmt, aber wir ignorieren dieses Gefühl. Wir müssen lernen, solchen intuitiven Reaktionen zu vertrauen und nach Zeichen zu suchen, die eine genauere Untersuchung der Beweislage veranlassen sollten.
Menschen bringen durch ihre Körpersprache klar zum Ausdruck, ob sie jemanden mögen oder nicht. Hierzu zählen das plötzliche Zusammenkneifen der Augen nach einer Äußerung, ein böser Blick, zusammengepresste Lippen, die fast nicht mehr sichtbar sind, ein steifer Nacken, Rumpf oder Füße, die sich noch im Gespräch wegdrehen, verschränkte Arme, während der andere versucht, sein Gegenüber von seinem Argument zu überzeugen, sowie eine allgemeine körperliche Anspannung. Das Problem ist, dass Sie solche Zeichen normalerweise nur dann erkennen, wenn der Unmut des anderen so stark geworden ist, dass er sich nicht mehr verbergen lässt. Daher müssen Sie trainieren, auf Mikroexpressionen und andere subtile Zeichen zu achten, die Ihre Mitmenschen aussenden.
Mikroexpressionen wurden erst kürzlich von Psychologen entdeckt, die deren Existenz in Film­aufzeichnungen dokumentieren konnten. Sie währen nicht einmal eine Sekunde. Es gibt zwei Varianten: Die erste tritt auf, wenn man ein negatives Gefühl in sich wahrnimmt und zu unterdrücken versucht, es sich aber für den Bruchteil einer Sekunde den Weg an die Oberfläche bahnt. Die zweite tritt auf, wenn man sich der ablehnenden Haltung seines Gegenübers nicht bewusst ist, sie sich aber trotzdem für einen Moment mimisch oder gestisch abzeichnet. Hierzu zählen Expressionen wie ein kurzes Starren, angespannte Gesichtsmuskeln, geschürzte Lippen, ein einsetzendes Stirnrunzeln, spöttisches Lächeln oder ein verächtlicher Blick, bei dem die Augen nach unten gerichtet sind.
Da wir nun wissen, dass es diese Mikroexpressionen gibt, können wir nach ihnen Ausschau halten. Sie werden überrascht sein, wie oft sie auftreten, weil es nahezu unmöglich ist, die Gesichtsmuskeln zu kontrollieren und die Mimik rechtzeitig zu unterdrücken. Sie müssen entspannt und aufmerksam sein, dürfen nicht offensichtlich danach suchen, sondern sie eher aus den Augenwinkeln heraus erkennen. Sobald Sie anfangen, Mikroexpressionen zu identifizieren, wird Ihnen deren Entdeckung mit der Zeit immer leichter fallen.
Genauso vielsagend sind jene Zeichen, die subtil sind, aber mehrere Sekunden dauern können und Anspannung und Kälte zum Ausdruck bringen. Wenn Sie sich zum Beispiel erstmals jemandem nähern, der Ihnen gegenüber negative Gedanken hegt, könnten Sie eindeutige Zeichen des Missfallens erkennen, wenn Sie unerwartet von der Seite an ihn herantreten, weil er nicht die Zeit gehabt haben wird, um seine Maske aufzusetzen. Er wird nicht besonders glücklich darüber sein, Sie zu sehen, und das wird sich für ein oder zwei Sekunden zeigen. Oder Sie vertreten eine entschiedene Meinung, die die andere Person mit einem Augenrollen quittiert, das sie sogleich mit einem Lächeln zu kaschieren versucht.
Plötzliches Schweigen kann ebenfalls sehr aussagekräftig sein. Sie haben etwas gesagt, das einen leichten Anflug von Neid oder Missfallen auslöst, und die andere Person kann nicht anders und verfällt in Schweigen und Grübeln. Vielleicht versucht sie, ihre Unzufriedenheit mit einem Lächeln zu verdecken, ist innerlich aber am Kochen. Sie werden klare Anzeichen für Gereiztheit erkennen, die einen völlig anderen Eindruck erzeugen, als wenn jemand einfach nur schüchtern ist oder nichts zu sagen hat. In diesem Fall ist es am besten, erst Schlussfolgerungen daraus ziehen, wenn Sie diese Art der Schweigsamkeit mehrmals bemerkt haben.
Die Menschen entlarven sich oft selbst mit einem gemischten Signal, also einer positiven Bemerkung, die dazu dient, Sie abzulenken, aber mit einer eindeutig negativen Körpersprache gepaart ist. Dies verschafft der Person eine kurze Linderung des Drucks, immer umgänglich und nett sein zu müssen. Sie verlässt sich auf die Tatsache, dass Sie sich vermutlich eher auf das Gesagte konzentrieren und über ihre Grimasse oder ihr schiefes Lächeln hinwegsehen werden. Achten Sie auch auf den entgegengesetzten Fall: Jemand entgegnet Ihnen mit einer sarkastischen oder spitzen Bemerkung, lächelt dabei aber und verwendet einen scherzhaften Tonfall, der zu signalisieren scheint, dass das eben Gesagte nicht ernst gemeint ist. Es wäre unhöflich, etwas anderes zu unterstellen. Doch wenn eine Person mehrfach solche Äußerungen macht, sollten Sie auf die Wörter und nicht auf die Körpersprache achten. Es ist ihre unterdrückte Art, ihre feindselige Einstellung zum Ausdruck zu bringen. Achten Sie auf Menschen, die Sie loben oder Ihnen schmeicheln, ohne dass ihre Augen dabei leuchten. Dies könnte ein Zeichen für heimlichen Neid sein.
In dem Roman Die Kartause von Parma von Stendhal erhält Graf Masca einen anonymen Brief mit kompromittierenden Informationen über seine Geliebte, in die er sehr verliebt ist. Als er darüber nachdenkt, wer diese Nachricht geschrieben haben könnte, erinnert er sich an ein Gespräch, das er am selben Tag mit dem Prinzen von Parma geführt hat. Der Prinz sprach davon, wie die Gier nach Macht im Vergleich zu den Freuden der Liebe verblasse, und bei dieser Äußerung bemerkte der Graf ein boshaftes Funkeln in den Augen des Prinzen, das von einem zweideutigen Lächeln begleitet wurde. Daraus schließt er zu Recht, dass der Prinz den Brief geschrieben haben muss. Er konnte seine hämische Freude über das, was er getan hatte, nicht verbergen, und es drang an die Oberfläche. Dies ist eine Variante des gemischten Signals. Die betreffende Person macht zu einem allgemeinen Thema eine relativ starke Aussage, bringt sie dabei aber subtil mit Ihnen in Verbindung.
Ein hervorragender Maßstab für die Entschlüsselung von Animosität ist es, die Körpersprache zu vergleichen, mit der eine Person auf Sie und auf andere reagiert. Sie werden vielleicht feststellen, dass sie anderen Leuten deutlich freundlicher und warmherziger begegnet, während sie bei Ihnen eine höfliche Maske aufsetzt. Im Gespräch blitzen in ihren Augen Ungeduld und Gereiztheit auf, aber nur, wenn Sie reden. Bedenken Sie auch, dass Menschen dazu neigen, ihre wahren Gefühle – vor allem feindselige – zum Ausdruck zu bringen, wenn sie alkoholisiert, müde, enttäuscht, wütend oder gestresst sind. Sie werden im Nachhinein versuchen, dies zu entschuldigen, indem sie das Argument vorbringen, in jenem Augenblick nicht sie selbst gewesen zu sein, doch in Wirklichkeit waren sie dann viel mehr sie selbst als sonst.
Am besten suchen Sie nach diesen Zeichen, wenn Sie die Menschen auf die Probe stellen beziehungsweise ihnen sogar eine Falle stellen. König Ludwig XIV. beherrschte diese Kunst in Vollendung. Er stand an der Spitze des Versailler Königshofs, der sich aus vielen Adligen zusammensetzte, die ihm und der absoluten Macht, die er auszuüben versuchte, feindlich gesonnen waren und ihn verabscheuten. Doch im zivilisierten Umfeld von Versailles galt es, ein hervorragender Schauspieler zu sein und seine Gefühle zu verbergen – vor allem vor dem König. Dieser aber hatte seine eigenen Methoden, um seine Höflinge zu testen. Er suchte sie beispielsweise unangekündigt auf und beobachtete genau ihre spontane Mimik. Oder er forderte Adlige dazu auf, mit ihrer Familie an den Königshof zu ziehen, wohl wissend, dass das Leben in Versailles kostspielig und unangenehm war. Er versuchte, in ihrer Mimik oder Stimme Zeichen für Abneigung zu entdecken. Wenn er etwas Abfälliges über einen anderen Höfling sagte, der ein Verbündeter der betreffenden Person war, achtete er auf ihre unmittelbare Reaktion. Ausreichend viele Anzeichen des Unbehagens deuteten auf eine verborgene Feindseligkeit hin. Wenn Sie den Verdacht haben, dass Sie beneidet werden, erzählen Sie der betreffenden Person von dem letzten positiven Ereignis, das Sie erlebt haben, allerdings ohne dabei zu prahlen. Achten Sie auf Mikroexpressionen der Enttäuschung in deren Gesicht. Nutzen Sie ähnliche Tests, um verborgene Wut und Verstimmungen aufzuspüren und Reaktionen zu provozieren, die sich nicht so schnell unterdrücken lassen.
Im Allgemeinen zeigen Ihre Mitmenschen größeres oder geringeres Interesse an Ihnen oder sind Ihnen gegenüber weitgehend neutral. Sie können sich zwischen diesen drei Zuständen hin und her bewegen, werden aber grundsätzlich in eine Richtung tendieren. Diese wird an der Geschwindigkeit erkennbar, mit der sie auf Ihre E-Mails und SMS antworten, der Körpersprache, wenn sie Ihnen begegnen, und dem allgemeinen Tenor, den sie in Ihrer Anwesenheit zeigen.
Die Entdeckung potenzieller Feindseligkeit oder negativer Gefühle in einem frühen Stadium hat den großen Vorteil, dass Sie Ihre strategischen Optionen erweitern können und mehr Platz zum Manövrieren haben. Sie können einer Person eine Falle stellen, um sie bewusst zu einer aggressiven Handlung zu provozieren, die sie langfristig bloßstellen wird. Oder Sie können Ihre Bemühungen verdoppeln, um die Abneigung der anderen Person zu neutralisieren und sie vielleicht sogar durch eine Charmeoffensive für sich zu gewinnen. Oder Sie können einfach Abstand schaffen – die Person nicht einstellen, sie entlassen, die Interaktion mit ihr verweigern. Letztlich wird sich Ihr Weg viel einfacher gestalten, wenn Sie unerwartete Schlachten und Sabotage vermeiden.
Auf der anderen Seite sinkt grundsätzlich die Notwendigkeit, positive Emotionen vor anderen zu verbergen. Allerdings möchten wir oftmals unsere Freude und übermäßiges Interesse nicht offen zur Schau zu stellen, vor allem nicht im beruflichen Umfeld oder beim Liebeswerben. Die meisten von uns ziehen es vor, nach außen abgeklärt zu wirken. Es ist also sehr nützlich, die Zeichen dafür erkennen zu können, dass jemand in Ihren Bann gerät.
Laut der Forschungsarbeiten von Psychologen wie Paul Ekman, E. H. Hess und anderen werden Menschen, die Ihnen gegenüber positiv eingestellt sind, in ihrer Mimik deutliche Anzeichen für eine Entspannung der Gesichtsmuskeln erkennen lassen, vor allem der Stirnfalten und Mundpartie. Ihre Lippen scheinen voller zu werden und die gesamte Augenpartie weitet sich. Das sind alles unwillkürliche Zeichen für Behagen und Offenheit. Wenn die Gefühle intensiver sind, zum Beispiel wenn jemand verliebt ist, wird das Gesicht besser durchblutet und die Physiognomie wirkt lebhafter. Als Teil dieses Erregungszustands werden sich die Pupillen weiten – eine automatische Reaktion, bei der die Augen mehr Licht aufnehmen. Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sich die Person wohlfühlt und mag, was sie sieht. Neben der Weitung der Pupillen werden sich auch die Augenbrauen heben, wodurch die Augen größer erscheinen. Wir achten in der Regel nicht auf die Pupillen, weil ein intensiver Augenkontakt normalerweise mit einer eindeutigen sexuellen Konnotation behaftet ist. Wir sollten daher üben, einen schnellen Blick auf die Pupillen unseres Gegenübers zu werfen, wenn wir eine Weitung der Augenpartie feststellen.
Bei der Entwicklung Ihrer Fähigkeiten in diesem Bereich müssen Sie lernen, den Unterschied zwischen einem falschen und einem aufrichtigen Lächeln zu erkennen. Wenn wir versuchen, unsere negativen Gefühle zu verbergen, verwenden wir oft das falsche Lächeln, weil es einfach geht und unsere Mitmenschen normalerweise nicht auf die feinen Nuancen des Lächelns achten. Weil die aufrichtige Variante weniger gängig ist, müssen Sie wissen, woran Sie sie erkennen können. Das aufrichtige Lächeln wirkt sich auf die Muskeln aus, die die Augen umgeben und sie weiten, was sich oft als Krähenfüße an den Seiten der Augen bemerkbar macht. Außerdem ziehen sich die Wangen nach oben. Es gibt kein aufrichtiges Lächeln ohne eine deutliche Veränderung der Augen- und Wangenpartie. Manche Menschen versuchen, den Eindruck eines aufrichtigen Lächelns zu erzeugen, indem sie ein breites Grinsen aufsetzen, das die Augenpartie ebenfalls teilweise verändert. Neben den physischen Zeichen müssen Sie aber auch den Kontext betrachten. Das aufrichtige Lächeln folgt in der Regel als unmittelbare Reaktion auf eine Handlung oder Äußerung; es ist spontan. Steht das Lächeln in diesem Fall nicht in direktem Bezug zu den Umständen, wird es durch das Gesagte nicht gerechtfertigt? Bemüht sich die Person in der Situation darum, einen guten Eindruck zu machen oder verfolgt sie strategische Ziele? Kommt das Lächeln leicht verzögert?
Positive Emotionen lassen sich vielleicht am aussagekräftigsten an der Stimme ablesen. Es fällt uns viel leichter, unser Gesicht zu kontrollieren; wir können für solche Zwecke vor dem Spiegel üben. Sofern wir keine gelernten Schauspieler sind, wird es uns aber sehr schwerfallen, unsere Stimme bewusst zu modulieren. Wenn Menschen angeregt sind und sich freuen, mit Ihnen zu reden, können Sie einen Anstieg der Tonhöhe feststellen, die emotionale Erregung zum Ausdruck bringt. Selbst wenn jemand nervös ist, wird der Ton seiner Stimme warm und natürlich klingen und keine gespielt freundliche Qualität haben, die oft bei Handelsvertretern oder Verkäufern erkennbar ist. Ihre Stimme klingt beinahe schnurrend, wie ein gesprochenes Lächeln. Sie werden auch feststellen, dass weder eine Anspannung noch ein Zögern erkennbar ist. Im Gesprächsverlauf werden eine Reihe scherzhafter Bemerkungen gemacht, die in immer kürzeren Abständen folgen und zunehmenden Rapport zum Ausdruck bringen. Eine Stimme, die lebhaft und fröhlich klingt, neigt dazu, uns mit ihrer guten Laune anzustecken und eine ähnliche Reaktion in uns auszulösen. Wir wissen es, wenn wir es spüren, aber wir ignorieren diese Gefühle oft und konzentrieren uns stattdessen auf die freundlichen Worte oder das Verkaufsargument.
Das Lesen nonverbaler Signale ist entscheidend, wenn Sie versuchen, Ihre Mitmenschen zu beeinflussen und zu verführen. Es ist die beste Methode, um herauszufinden, ob und wie sehr jemand in Ihren Bann gerät. Wenn sich Ihr Gesprächspartner in Ihrer Anwesenheit allmählich wohlzufühlen beginnt, wird er näher zu Sie herantreten oder sich in Ihre Richtung lehnen, wobei er seine Arme nicht verschränkt hat oder andere Zeichen der Anspannung offenbart. Wenn Sie einen Vortrag halten oder eine Geschichte erzählen, signalisieren häufiges Kopfnicken, aufmerksame Blicke und ein aufrichtiges Lächeln, dass die Zuhörer Ihnen bei dem, was Sie sagen, recht geben und ihren Widerstand ablegen. Es gibt mehr Blickkontakt. Vielleicht ist das beste und aufregendste Zeichen die Synchronie, also wenn die andere Person Sie unbewusst spiegelt. Beide Gesprächspartner schlagen beispielsweise das rechte Bein über das linke, neigen den Kopf auf ähnliche Weise, lächeln sich gegenseitig an. Auf der tiefsten Ebene der Synchronie werden Sie Milton Ericksons Entdeckung teilen und feststellen, dass sich Atemmuster rhythmisch angleichen, was manchmal zur vollständigen Synchronie eines Kusses führen kann.
Sie können sich nicht nur beibringen, diese Veränderungen zu beobachten, die Ihren Einfluss demonstrieren, sondern sie auch selbst anstoßen, indem Sie positive Signale aussenden. Treten Sie allmählich näher an die andere Person heran oder lehnen Sie sich in ihre Richtung, wodurch Sie subtile Zeichen der Offenheit aussenden. Nicken und lächeln Sie, wenn andere reden. Spiegeln Sie ihr Verhalten und ihre Atemmuster. Halten Sie währenddessen nach Anzeichen für eine emotionale Ansteckung Ausschau und gehen nur dann weiter, wenn Sie ein langsames Nachlassen des Widerstands bemerken.
Geschulte Verführer nutzen in der Regel alle positiven Signale, um den Eindruck zu vermitteln, sie würden sich gerade verlieben; ihr Ziel ist es dabei, ihr Opfer stärker unter ihre Kontrolle zu bringen. Bedenken Sie, dass nur sehr wenige Menschen so schnell so intensive Gefühle zeigen. Wenn die Wirkung, die Sie angeblich auf den anderen ausüben, überzogen und verfrüht scheint, sagen Sie der Person einfach, dass sie einen Gang herunterschalten soll; prüfen Sie daraufhin ihr Gesicht auf Mikroexpressionen der Frustration.
Signale für Dominanz/Unterwerfung
Als komplexestes soziales Tier auf dem Planeten bilden wir Menschen auf der Grundlage von Status, Geld und Macht aufwendige Hierarchien. Wir sind uns dieser Hierarchien bewusst, reden aber nicht gerne explizit über relative Machtpositionen, und wir fühlen uns normalerweise unwohl, wenn andere über ihren überlegenen Status reden. Zeichen der Dominanz oder Schwäche werden viel häufiger nonverbal ausgedrückt. Wir haben diesen Kommunikationsstil von anderen Primaten geerbt, allen voran Schimpansen, die über ein differenziertes Arsenal an Signalen verfügen, um den Rang eines Gruppenmitglieds im sozialen Gefüge zu bestimmen. Bedenken Sie, dass das Gefühl einer höheren sozialen Position Menschen ein Selbstbewusstsein gibt, das sie in ihrer Körpersprache ausstrahlen. Manche spüren dieses Selbstbewusstsein bereits, bevor sie eine Machtposition erreichen, und verhalten sich entsprechend souverän. Diese Souveränität wirkt auf andere anziehend und begünstigt damit das Erreichen der angestrebten Machtposition – eine selbsterfüllende Prophezeiung. Jemand, der ehrgeizig ist, wird vielleicht versuchen, diese Signale zu simulieren, aber er muss überzeugend wirken, denn gespieltes Selbstbewusstsein kann ziemlich abstoßend sein.
Selbstbewusstsein geht normalerweise mit einem größeren Gefühl der Entspannung einher, die eindeutig im Gesicht ablesbar ist. Auch die Bewegungen werden größer und ausladender. Jemand, der Macht hat, nimmt sich das Recht, mehr um sich zu blicken als andere und Augenkontakt mit jeder beliebigen Person herzustellen. Seine Augenlider sind geschlossener, ein Ausdruck für Seriosität und Kompetenz. Er bemüht sich weniger darum, seine Langeweile oder Gereiztheit zu verbergen. Er lächelt seltener, weil häufiges Lächeln ein Zeichen allgemeiner Unsicherheit ist. Er fühlt sich stärker berechtigt, andere anzufassen, beispielsweise in Form eines freundschaftlichen Schulter- oder Armklopfens. Bei einer Besprechung wird eine solche Person dazu neigen, mehr Raum einzunehmen und mehr Distanz zu schaffen. Sie steht aufrechter und ihre Gesten sind entspannt und gelöst. Wichtiger noch, andere neigen dazu, ihren Stil und ihre Verhaltensweisen nachzuahmen. Der Anführer wird auf sehr subtile Weise der Gruppe eine Form der nonverbalen Kommunikation auferlegen. Das macht sich darüber bemerkbar, dass die anderen nicht nur ihre Ideen nachahmen, sondern auch ihre ruhigere oder lebhaftere Energie.
Alphamännchen signalisieren ihre überlegene hierarchische Position auf verschiedene Arten: Sie reden schneller als andere und fühlen sich berechtigt, das Gespräch zu unterbrechen und zu lenken. Ihr Händedruck ist besonders energisch und fest. Wenn sie die Bürofläche betreten, richten sie sich stärker auf und gehen entschlossenen Schrittes; wenn sie sich in einer Gruppe bewegen, folgen ihnen normalerweise die Untergebenen. Wenn Sie Schimpansen im Zoo beobachten, werden Sie beim Alphatier ein ähnliches Verhalten entdecken.
Für Frauen in Führungspositionen bietet sich ein ruhiger, selbstbewusster Ausdruck an, der zwar freundlich, aber geschäftsmäßig ist. Das vielleicht beste Beispiel hierfür ist die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie lächelt sogar seltener als die meisten männlichen Politiker, aber wenn sie ein Lächeln zeigt, ist es umso bedeutungsvoller. Es wirkt nie gespielt. Sie hört anderen mit voller Aufmerksamkeit zu, ihr Gesicht ist dabei meist reglos. Sie neigt dazu, anderen das Reden zu überlassen, während sie den Gesprächsverlauf jedoch stets zu kontrollieren scheint. Sie muss niemanden unterbrechen, um sich bemerkbar zu machen. Wenn sie jemanden angreifen will, tut sie dies mit einem gelangweilten, kühlen oder verächtlichen Blick, niemals mit lauten Worten. Der russische Staatspräsident Wladimir Putin versuchte einmal, sie einzuschüchtern, als er seinen Hund zu einer Besprechung mitbrachte – wohl wissend, dass Merkel einst gebissen worden ist und sich vor Hunden fürchtet. Ihr war die innere Anspannung sichtlich anzumerken, bevor sie schnell die Fassung erlangte und Putin gelassen in die Augen sah. Sie brachte sich damit in eine überlegene Position, weil sie sich nicht auf sein durchschaubares Spiel einließ. Er wirkte im Vergleich zu ihr beinahe kindisch und kleingeistig. Merkel setzt nicht alle Körperhaltungen von Alphamännern ein, ihr Stil ist ruhiger und auf seine eigene Weise extrem kraftvoll. Mit der wachsenden Zahl von Frauen in Führungspositionen könnte dieser unaufgeregte Führungsstil unter Umständen unsere Wahrnehmung einiger Dominanzgebärden verändern, die so lange mit Machtpositionen in Verbindung gebracht wurden.
Es empfiehlt sich, die Führungspersönlichkeiten in Ihrer Gruppe nach Zeichen für Dominanz beziehungsweise mangelnde Dominanz abzuklopfen. Anführer, die in ihrer nonverbalen Kommunikation Spannung und Zögern zum Ausdruck bringen, sind sich ihrer Macht in der Regel unsicher und sehen sie bedroht. Die Anzeichen für eine solche Nervosität und Unsicherheit sind normalerweise leicht erkennbar: Sie reden eher stockend und machen lange Sprechpausen. Ihre Stimmhöhe steigt und bleibt oben. Sie neigen dazu, ihren Blick abzuwenden und ihre Augenbewegungen zu kontrollieren, obwohl sie oft mehr blinzeln. Sie setzen oft ein erzwungenes Lächeln auf und lachen nervös. Statt sich berechtigt zu sehen, andere anzufassen, neigen sie dazu, sich selbst zu berühren, was als Beruhigungsverhalten bezeichnet wird. Um die nervliche Anspannung zu lindern, berühren sie ihre Haare, ihren Nacken oder ihre Stirn. Menschen, die versuchen, ihre Unsicherheit zu kaschieren, machen sich in einem Gespräch bemerkbar, indem sie ihre Stimme erheben. Dabei blicken sie unruhig und mit geweiteten Augen um sich. Oder sie reden auf sehr lebhafte Weise, bewegen ihre Hände und ihren Körper aber kaum, was immer ein Zeichen für Nervosität ist. Sie senden zwangsläufig gemischte Signale aus, und Sie sollten stärker auf die Personen achten, die unterschwellige Unsicherheit signalisieren.
Der ehemalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy (Amtszeit 2007–2012) war jemand, der seine Präsenz gerne durch Körpersprache unterstrich. Er klopfte den Leuten auf die Schulter, gab ihnen Anweisungen, wo sie stehen sollten, fixierte sie mit seinem Blick, fiel ihnen ins Wort und versuchte generell, seine Umgebung zu dominieren. Bei einer Besprechung während der Eurokrise sah Kanzlerin Merkel sein übliches Dominanzgebaren, aber dabei fiel ihr auf, dass er die ganze Zeit unruhig mit dem Fuß wippte. Sein auffällig bestimmender Stil war vielleicht sein Versuch, seine Unsicherheit zu kaschieren. Dies war eine wertvolle Information, die Merkel für sich nutzen konnte.
Menschliche Handlungen weisen oft Signale der Dominanz und Unterwerfung auf. Manche Personen kommen zum Beispiel regelmäßig zu spät zu Besprechungen oder Verabredungen, um ihre – tatsächliche oder vermeintliche – Überlegenheit zum Ausdruck zu bringen: Sie haben es nicht nötig, pünktlich zu sein. Auch Gesprächsmuster offenbaren die relative Position, die jemand seiner Meinung nach einnimmt. Wenn jemand zum Beispiel das Gefühl hat, dominant zu sein, neigt er dazu, mehr zu reden und anderen häufiger ins Wort zu fallen, um sich durchzusetzen. Wenn es einen Streit gibt, der auf eine persönliche Ebene abgleitet, greift er auf das zurück, was als Punktuation bekannt ist – er findet eine Handlung seines Gegenübers, die alles ausgelöst hat, obwohl dies eindeutig Teil des Beziehungsmusters ist. Er unterstreicht seine Auffassung darüber, wer für das Problem verantwortlich ist, mit seiner Stimmlage und bohrenden Blicken. Wenn Sie ein Paar beobachten, werden Sie oft eine Person bemerken, die in der dominanten Position ist. Wenn Sie sich mit den beiden unterhalten, wird der dominante Partner Sie ansehen, nicht aber seinen Partner, und er scheint nur halbherzig zuzuhören, wenn sein Partner etwas sagt.
Lächeln kann auch ein subtiles Signal für Überlegenheit sein, vor allem wenn es sich dabei um ein verkrampftes Lächeln handelt. Es folgt normalerweise als Reaktion auf eine Äußerung und zeichnet sich durch eine Straffung der Gesichtsmuskeln aus, die Ironie und Verachtung für den Sprecher zum Ausdruck bringt, der als unterlegen betrachtet wird. Das Lächeln dient als freundliche Fassade, um negative Gefühle zu verbergen.
Ein letztes, aber sehr subtiles nonverbales Mittel zur Unterstreichung der Dominanz in einer Beziehung ist das sogenannte Symptom . Ein Partner entwickelt plötzliche Kopfschmerzen oder eine andere Krankheit, fängt an zu trinken oder fällt in ein anderes negatives Verhaltensmuster. Damit will derjenige die andere Seite dazu zwingen, nach seinen Regeln zu spielen und sich um seine Schwächen zu kümmern. Es ist das bewusste Erregen von Mitleid, um Macht zu erlangen – und das ist eine extrem effektive Maßnahme.
Nutzen Sie die Erkenntnisse, die Sie aus all diesen Signalen ableiten, um das Selbstbewusstsein Ihrer Mitmenschen einzuschätzen und sich entsprechend zu verhalten. Wenn Sie wissen, dass Sie es mit einem Anführer zu tun haben, den Unsicherheiten plagen, die sich nonverbal bemerkbar machen, können Sie diese großräumig vermeiden und dadurch Macht erlangen. Oftmals ist es aber am besten, sich nicht zu eng an solche Personen zu binden, weil sie langfristig keine gute Figur abgeben und Sie nach unten ziehen werden. Wenn sich jemand als Anführer inszeniert, ohne ein solcher zu sein, sollten Sie Ihre Reaktion von der Persönlichkeit der betreffenden Person abhängig machen. Wenn sie ein aufsteigender Stern ist, an sich selbst glaubt und Sie den Eindruck haben, dass ihr eine große Karriere beschieden ist, könnte es sinnvoll sein, sich an sie zu halten, um gemeinsam mit ihr aufzusteigen. Sie werden solche Typen an der positiven Energie erkennen, die sie umgibt. Wenn es sich allerdings um arrogante Möchtegern-Despoten handelt, sollten Sie diese Typen meiden, weil sie es meisterhaft beherrschen, andere dazu zu bringen, etwas für sie zu tun, während sie selbst nur Lippenbekenntnisse ablegen.
Signale für Täuschung
Menschen sind von Natur aus leichtgläubig. Wir wollen an bestimmte Dinge glauben, beispielsweise daran, dass uns etwas geschenkt wird, dass wir durch einen kleinen Trick unsere Gesundheit oder Jugend wiedererlangen, ja vielleicht sogar den Tod überlisten können, dass die meisten Menschen in ihrem tiefsten Inneren gut und vertrauenswürdig sind. Täuscher und Manipulatoren nutzen diese Überzeugung schamlos aus. Es wäre sehr vorteilhaft für die Zukunft unserer Spezies, wenn wir nicht so leichtgläubig wären, aber wir können die menschliche Natur nun einmal nicht verändern. Wir können allerdings eindeutige Zeichen für einen Täuschungsversuch erkennen lernen und unsere Skepsis bewahren, während wir die Indizien prüfen.
Das eindeutigste und geläufigste Zeichen äußert sich darin, dass der Blender eine besonders lebhafte Fassade hat. Wenn er viel lächelt, extrem freundlich scheint und vielleicht sogar unterhaltsam ist, lassen wir uns eher in seinen Bann ziehen und senken unseren Widerstand gegen seinen Einfluss. Wenn Lyndon B. Johnson versuchte, einem anderen Senator etwas vorzumachen, pflegte er seine physische Präsenz auszuspielen, ihn im Aufenthaltsraum des US-Senats anzusprechen, anzügliche Witze zu machen, ihn am Arm zu berühren, mit aufrichtigem Blick anzusehen und das breiteste Lächeln aufsetzen, zu dem er fähig war. In ähnlicher Weise gilt: Wenn jemand versucht, etwas zu verschleiern, wird er sich besonders energisch, rechtschaffen und gesprächig zeigen. Er nutzt den Überzeugungsfehler (Conviction Bias, siehe Kapitel 1): Wenn man etwas leugnet oder mit voller Überzeugung behauptet und sich dabei als Opfer inszeniert, fällt es anderen schwer, dies anzuzweifeln. Wir neigen dazu, vehement vorgetragene Äußerungen für die Wahrheit zu halten. Wenn also jemand übertrieben energisch versucht, seine Ideen zu vertreten oder sich zu verteidigen, sollten Sie argwöhnisch werden und Ihre Antennen ausfahren.
In beiden Fällen, bei der Verschleierung sowie der subtilen Vereinnahmung, will der Blender von der Wahrheit ablenken. Obwohl eine lebhafte Mimik und Gestik durchaus ein Ausdruck purer Lebensfreude und aufrichtiger Freundlichkeit sein können, müssen Sie wachsam sein, wenn diese Signale von jemandem stammen, den Sie nicht gut kennen oder der vielleicht etwas zu verbergen haben könnte. Achten Sie auf nonverbale Signale, die Ihre Vermutungen bestätigen.
Bei solchen Blendern werden Sie oft bemerken, dass ein Teil des Gesichts oder Körpers ausdrucksstärker ist, um Ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das ist oft die Mundpartie und äußert sich in einem breiten Lächeln und sich ständig ändernder Mimik. Dieser Körperbereich lässt sich am einfachsten manipulieren und erzeugt einen lebhaften Effekt. Aber es könnte auch ein übertriebenes Gestikulieren sein. Entscheidend ist, dass Sie Anspannung und Nervosität in anderen Körperbereichen feststellen, weil es unmöglich ist, alle Muskeln zu kontrollieren. Wenn der Blender ein breites Lächeln aufsetzt, sind die Augen angespannt und starr oder der restliche Körper ist ungewöhnlich still. Oder die Augen versuchen, Sie mit einem freundlichen Blick zu täuschen, der Mund zittert dabei aber leicht. All das sind Zeichen für ein gespieltes Verhalten und den Versuch, eine Körperpartie verkrampft unter Kontrolle zu halten.
Manchmal versuchen wirklich kluge Täuscher, den gegenteiligen Eindruck zu erzeugen. Wenn sie etwas verheimlichen wollen, verstecken sie ihre Schuld hinter einer extrem seriösen und kompetenten Fassade, und dabei wird ihr Gesicht ungewöhnlich still. Statt die Tat zu bestreiten, bringen sie hochplausible Erklärungen dafür vor, beispielsweise die Verkettung unglücklicher Umstände, und legen sogar »Beweise« vor, die ihre Behauptungen bestätigen sollen. Ihr Bild der Realität ist nahezu hieb- und stichfest. Wenn sie Sie um Geld oder Unterstützung bitten wollen, inszenieren sie sich als extrem kompetenten Experten, was so weit gehen kann, dass sie beinahe langweilig erscheinen und Sie mit vielen Zahlen und Statistiken erschlagen. Blender greifen auf diese Strategien zurück. Der berühmte Hochstapler Victor Lustig pflegte seine Opfer mit Fachjargon zu langweilen und sich als Bürokrat oder biederer Finanzexperte zu inszenieren. Bernie Madoff wirkte so unscheinbar, dass niemand ihm einen dermaßen wagemutigen Betrug zutraute. Diese Form der Täuschung ist schwerer zu durchschauen, weil weniger Signale bemerkbar sind. Aber auch hier sollten Sie nach aufgesetzten Expressionen Ausschau halten.
Die Realität ist niemals glatt und nahtlos. Reale Ereignisse zeichnen sich durch plötzliche Vorfälle und Unfälle aus. Die Realität ist chaotisch und die einzelnen Puzzleteile passen selten perfekt zusammen. Das war es, was an der Verschleierung der Watergate-Affäre nicht stimmte und Argwohn schürte. Wenn also die Erklärung oder das Argument ein klein wenig zu glatt oder professionell wirkt, sollte dies bei Ihnen Skepsis hervorrufen. Umgekehrt gilt das, was eine Figur in Dostojewskis Roman Der Idiot sagt: »Deswegen: Wenn man lügt und dabei in geschickter Weise etwas Ungewöhnliches, etwas Exzentrisches einflicht, wissen Sie, etwas, was sehr selten ist oder überhaupt nicht vorkommt, dann erscheint die Lüge weit glaubhafter. Das habe ich früher beobachtet. Es ist mir nur deshalb missglückt, weil ich es nicht richtig verstanden habe …«
Wenn Sie den Verdacht haben, dass jemand versucht, Sie von der Wahrheit abzulenken, dann ist es grundsätzlich am besten, wenn Sie die Person zunächst nicht aktiv konfrontieren, sondern sie vielmehr dazu aufzufordern weiterzumachen, indem Sie Interesse an dem signalisieren, was sie sagt oder tut. Sie sollten sie dazu anregen, mehr zu reden, um mehr Zeichen für Anspannung und Unaufrichtigkeit zu offenbaren. Im richtigen Augenblick müssen Sie sie mit einer Frage oder Bemerkung überraschen, die Unbehagen auslösen soll – was ein Hinweis wäre, dass Sie auf der richtigen Spur sind. Achten Sie in diesen Augenblicken auf Mikroexpressionen und die Körpersprache. Wenn die Person Sie wirklich täuschen will, wird sie oft kurz erstarren und dann schnell versuchen, ihre Nervosität zu verschleiern.
Das war die Lieblingsstrategie des TV-Kommissars Columbo, der Verbrecher auf diese Weise konfrontierte, wenn diese versuchten, die Beweise so zu manipulieren, dass es aussah, als hätte jemand anders das Verbrechen begangen. Columbo hatte eine stets freundliche und unschuldige Miene, stellte dann aber im richtigen Augenblick eine unangenehme Frage, um die Reaktion des Verdächtigen zu prüfen.
Selbst die raffiniertesten Blender lassen sich entlarven, wenn Sie darauf achten, wie sie das Gesagte durch nonverbale Signale zu unterstreichen versuchen. Es ist sehr schwer, das zu spielen. Nachdruck entsteht durch eine höhere Stimmlage und einen überzeugenden Tonfall, entschlossene Gesten, angehobene Augenbrauen und geweitete Augen. Wir lehnen uns vielleicht auch vor oder stellen uns auf die Fußballen. Wir zeigen ein solches Verhalten, wenn wir emotional sind und versuchen, unsere Äußerung mit einem Ausrufezeichen zu versehen. Es fällt Blendern schwer, das vorzuspielen. Den Nachdruck, den sie mit ihrer Stimme oder ihrem Körper erzeugen, korreliert nicht genau mit dem, was sie sagen, passt nicht ganz in den Kontext des Augenblicks oder kommt einen Tick zu spät. Wenn sie mit der Faust auf den Tisch schlagen, erfolgt dies nicht in dem Augenblick, in dem sie die Emotion fühlen sollten, sondern minimal früher, wie auf ein unsichtbares Signal hin, um den erwünschten Effekt zu erzeugen. All das macht die Fassade der Glaubwürdigkeit brüchig, die sie zu projizieren versuchen.
Zu guter Letzt sollten Sie beim Thema Täuschung stets bedenken, dass es ein breites Spektrum abdeckt. Ganz unten befinden sich die harmlosesten Ausprägungen, kleine Notlügen. Hierzu zählen alle Formen der Schmeichelei, die es im Alltag gibt: »Du siehst heute toll aus« oder »Ich finde Ihr Drehbuch sehr gelungen«. In diese Kategorie fällt auch, dass man nicht genau sagt, wie man seinen Tag verbracht hat, oder Informationen vorenthält, weil es unangenehm ist, völlig durchschaubar zu sein und keine Privatsphäre zu haben. Diese kleinen Formen der Täuschung lassen sich feststellen, wenn wir aufmerksam sind und zum Beispiel die Unaufrichtigkeit eines Lächelns bemerken. Aber am besten ist es, dieses untere Ende des Spektrums zu ignorieren. Eine höfliche, zivilisierte Gesellschaft hängt unter anderem von der Fähigkeit ab, Dinge zu sagen, die nicht immer ehrlich gemeint sind. Es wäre sozial viel zu schädlich, sich diese Unterkategorie der Täuschung ständig bewusst zu machen. Heben Sie sich Ihre Wachsamkeit lieber für jene Situationen auf, in denen mehr auf dem Spiel steht und in denen Ihr Gegenüber vielleicht seine Fühler ausstreckt, um etwas Wertvolles aus Ihnen herauszubekommen.
Die Kunst des Impression-Managements
Das Wort Rollenspiel hat im Allgemeinen negative Konnotationen. Wir betrachten sie oft als das Gegenteil von Authentizität. Jemand, der wirklich authentisch ist, muss im Leben keine Rolle(n) spielen, denken wir, sondern kann einfach nur er oder sie selbst sein. Dieses Konzept ist in Freundschaften oder Liebesbeziehungen wertvoll, in denen wir hoffentlich unsere Masken fallen lassen und unsere einzigartigen Eigenschaften zwanglos ausleben können. Im beruflichen Umfeld ist es viel komplizierter. Wenn es darum geht, in der Gesellschaft eine konkrete Aufgabe zu übernehmen oder eine berufliche Rolle zu spielen, erwarten wir ein gewisses Maß an Professionalität. Wir wären extrem verunsichert, wenn ein Flugzeugpilot plötzlich anfangen würde, sich wie ein Gebrauchtwagenhändler zu verhalten, oder ein Automechaniker wie ein Psychotherapeut, oder ein Professor wie ein Rockmusiker. Wenn diese Personen einfach nur sie selbst sind, ihre Masken fallen lassen und sich weigern, ihre Rollen zu spielen, würden wir vermutlich ihre Kompetenz infrage stellen.
Ein Politiker oder eine öffentliche Figur, die wir für authentischer als andere halten, kann in der Regel eine solche Qualität besser projizieren. Diese Leute wissen, dass gespielte Bescheidenheit, das scheinbar unabsichtliche Ausplaudern von Einzelheiten aus ihrem Privatleben oder das Erzählen einer Anekdote eine Verletzlichkeit offenbart, die als authentisch wahrgenommen wird. Wir wissen nicht, wie sie sich zu Hause verhalten, wenn niemand zusieht. Das Leben in der Öffentlichkeit bedeutet, eine Maske zu tragen, und manchmal tragen manche Menschen die Maske der »Authentizität«. Selbst Hipster oder Rebellen spielen eine Rolle, die bestimmte Haltungen und äußere Merkmale, etwa Tätowierungen, vorschreibt. Sie haben nicht die Freiheit, plötzlich im Businessanzug zu erscheinen, weil andere in ihrem Kreis ihre Aufrichtigkeit infrage stellen würden, die unter anderem davon abhängt, das richtige Erscheinungsbild zu haben. Man hat mehr Freiheit, seine persönlichen Eigenschaften in die Rolle einzubeziehen, wenn man bereits etabliert ist und seine Kompetenz nicht mehr angezweifelt wird. Doch selbst dann sind der Ausdrucksfreiheit Grenzen gesetzt.
Bewusst oder unbewusst halten sich die meisten von uns an die Rollenvorgaben, weil wir erkennen, dass unser sozialer Erfolg davon abhängt. Manche weigern sich vielleicht, sich auf dieses Spiel einzulassen, aber letztlich werden sie marginalisiert und gezwungen, die Rolle des Außenseiters zu übernehmen, die mit zunehmendem Alter mit weniger Optionen und weniger Freiheit verbunden ist. Es ist am besten, diese Dynamik zu akzeptieren und ein gewisses Vergnügen daraus zu ziehen. Sie sind sich nicht nur der Tatsache bewusst, dass Sie sich richtig in Szene setzen müssen, sondern wissen auch, wie Sie Ihr Auftreten so gestalten, dass Sie einen maximalen Effekt erzielen. Sie können sich selbst zu einem überlegenen Schauspieler auf der Bühne des Lebens machen und Ihren Augenblick im Rampenlicht genießen.
Hier einige Grundlagen der Kunst des Impression-Managements:
Beherrschen Sie die nonverbalen Signale
Wenn in bestimmten Situationen andere herausfinden wollen, wer wir sind, achten sie verstärkt auf die nonverbalen Signale, die wir aussenden. Es könnte sich dabei um ein Vorstellungsgespräch, ein Meeting oder einen öffentlichen Auftritt handeln. Kluge soziale Performer sind sich darüber im Klaren und bis zu einem gewissen Grad in der Lage, diese Signale zu kontrollieren und Zeichen auszusenden, die vorteilhaft und positiv sind. Sie wissen, was sie tun müssen, um sympathisch zu wirken, zeigen ein aufrichtiges Lächeln, verwenden zugewandte Körpersprache und spiegeln ihr Gegenüber. Sie kennen die Dominanzsignale und wissen, wie sie Selbstbewusstsein ausstrahlen. Sie wissen außerdem, dass bestimmte Blicke ausdrucksstärker sind als Worte, um Zu- oder Abneigung zum Ausdruck zu bringen. Im Allgemeinen sollten Sie also auf Ihren nonverbalen Stil achten, damit Sie bestimmte Aspekte bewusst verändern und eine bessere Wirkung erzeugen können.
Seien Sie ein Method-Actor
Beim Method-Acting lernen Sie, die richtigen Emotionen auf Knopfdruck abzurufen. Sie sind traurig, wenn es Ihre Rolle verlangt, weil Sie sich an Erlebnisse in Ihrer Vergangenheit erinnern, die solche Emotionen hervorgerufen haben, oder weil Sie sich solche Erlebnisse vorstellen. Der springende Punkt ist, dass Sie die Kontrolle haben. Im echten Leben ist es nicht möglich, sich selbst in einem solchen Maße zu trainieren, aber wenn Sie gar keine Kontrolle haben, wenn Sie immer impulsiv auf das reagieren, was Ihnen im Augenblick widerfährt, werden Sie auf subtile Weise mangelnde Selbstbeherrschung und damit Schwäche signalisieren. Lernen Sie daher, sich bewusst in die richtige emotionale Stimmung zu versetzen, indem Sie sich vorstellen, wie und warum Sie das Gefühl verspüren sollten, das zu der Gelegenheit oder dem Auftritt passt, vor dem Sie gerade stehen. Leben Sie dieses Gefühl in dem Augenblick voll aus, damit Ihr Gesicht und Körper es auf natürliche Weise widerspiegeln. Wenn Sie ein Lächeln erzwingen oder die Stirn bewusst in Falten legen, spüren Sie manchmal die Gefühle, für die diese Expressionen stehen. Genauso wichtig ist es, sich darauf zu trainieren, in einem günstigen Augenblick zu einem neutraleren Ausdruck zurückzukehren, damit Sie es mit Ihrer Dramatisierung nicht übertreiben.
Passen Sie sich Ihrem Publikum an
Obwohl Sie sich an bestimmte Parameter halten, die die Rolle, die Sie spielen, von Ihnen verlangt, müssen Sie immer flexibel bleiben. Ein meisterlicher Performer wie Bill Clinton war sich immer bewusst, dass er als Präsident Zuversicht und Macht projizieren musste – aber wenn er zu einer Gruppe von Fabrikarbeitern sprach, pflegte er seinen Dialekt und seine Wortwahl an das Publikum anzupassen, und er tat dasselbe, wenn er es mit Firmenchefs zu tun hatte. Sie müssen Ihr Publikum kennen und Ihre nonverbalen Signale an dessen Stil und Geschmack anpassen.
Machen Sie einen guten ersten Eindruck
Es gilt als erwiesen, dass Menschen sehr dazu neigen, ihr Urteil über eine Person am ersten Eindruck festzumachen, und dass es sehr schwer ist, dieses einmal gefällte Urteil zu revidieren. Sie müssen also besonders darauf achten, wie Ihr erster Eindruck auf ein Individuum oder eine Gruppe ist. Es empfiehlt sich, nonverbale Signale spärlich einzusetzen und eine neutralere Fassade zu zeigen. Zu viel Übermut signalisiert Unsicherheit und macht argwöhnisch. Ein entspanntes Lächeln und ein fester Blick in die Augen des Gegenübers bei der ersten Begegnung wirken wahre Wunder, um dessen natürlichen Widerstand zu senken.
Nutzen Sie die Macht der dramatischen Wirkung
Hierzu gehört vor allem die Kunst der Anwesenheit/Abwesenheit. Wenn Sie zu präsent sind, also wenn Sie zu oft in Erscheinung treten oder Ihre Mitmenschen genau vorhersagen können, was Sie als Nächstes tun, werden Sie schnell uninteressant. Sie müssen wissen, wie und wann Sie sich zurückziehen sollten, wie oft und wann Sie vor anderen erscheinen, damit diese Sie öfter und nicht seltener sehen wollen. Es muss nicht jeder alles über Sie wissen. Lernen Sie, den anderen Informationen vorzuenthalten. Versuchen Sie grundsätzlich, Ihr Auftreten und Ihr Verhalten weniger vorhersehbar zu machen.
Spielen Sie den Heiligen
Ganz gleich in welcher historischen Epoche wir leben, es gibt bestimmte Eigenschaften, die immer als positiv betrachtet werden und die Sie geschickt einsetzen müssen. Der Eindruck der moralischen Unantastbarkeit gerät beispielsweise nie außer Mode. Natürlich werden hierfür in der heutigen Zeit andere Stilmittel eingesetzt als im 16. Jahrhundert, aber der Kern bleibt gleich: Sie verkörpern das, was als gut und über jeden Tadel erhaben gilt. In der modernen Welt heißt das, dass Sie sich progressiv, tolerant und aufgeschlossen zeigen. Sie sollten den Eindruck erwecken, bestimmte gemeinnützige Projekte großzügig zu unterstützen, und dies in den sozialen Medien kundtun. Es macht sich immer bezahlt, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit zu projizieren. Gelegentliche öffentliche Bekenntnisse über Ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten wirken Wunder. Aus irgendeinem Grund werden Zeichen der Demut für authentisch gehalten, obwohl sie genauso gut auch nur vorgespielt sein können. Lernen Sie, gelegentlich den Kopf zu senken und bescheiden zu wirken. Sie sollten es tunlichst anderen überlassen, sich die Hände schmutzig zu machen; Sie selbst tragen eine blütenweiße Weste. Spielen Sie niemals erkennbar den machiavellischen Anführer – das funktioniert nur im Fernsehen. Bringen Sie angemessene Dominanzsignale ein, um Ihren Mitmenschen zu zeigen, dass Sie einflussreich sind, selbst wenn Sie noch keine Machtposition innehaben. Vermitteln Sie den Eindruck, als wäre es Ihnen vorherbestimmt , erfolgreich zu sein; dieser mystische Effekt funktioniert immer.
Kaiser Augustus (63 v. Chr.–14 n. Chr.) beherrschte dieses Spiel vortrefflich. Er verstand genau, wie wichtig es war, ein gutes Feindbild zu haben – einen Schurken, von dem er sich absetzen konnte. Er benutzte Marcus Antonius, seinen frühen Rivalen um die Macht im alten Rom, als perfekten Gegenentwurf. Augustus stellte sich auf die Seite von allem, was in der römischen Gesellschaft als traditionell galt, und baute sein Haus sogar in der Nähe des Ortes, an dem die Stadt angeblich gegründet worden war. Während Marcus Antonius in Ägypten war, sich mit Königin Cleopatra amüsierte und sich einem Leben in Luxus hingab, wies Augustus ständig auf ihre Unterschiede hin und inszenierte sich selbst als Verkörperung klassischer römischer Tugenden, die Marcus Antonius verraten hatte.
Als er dann der Alleinherrscher in Rom geworden war, inszenierte er sich als bescheidener Diener des Volkes, der dem Senat und dem Volk seine Rechte zurückgab. Er verwendete eine einfache Sprache und lebte in einfachen Verhältnissen, wie ein Mann des Volkes, und dafür wurde er verehrt. Das war natürlich alles nur eine Fassade. In Wirklichkeit verbrachte er einen Großteil seiner Zeit in einer luxuriösen Villa vor den Toren Roms. Er hatte viele Mätressen, teilweise aus fernen Ländern wie Ägypten. Und während er den Eindruck erzeugte, die Macht aus den Händen zu geben, hielt er sie mit seiner Kontrolle über das Militär fest in der Hand. Augustus war vom Theater besessen und ein guter Schauspieler und Maskenträger. Er muss das erkannt haben, weil dies seine letzten Worte auf dem Totenbett waren: »Habe ich meine Rolle gut gespielt? Nun so klatscht Beifall, und schickt uns alle freudig fort!«
Sie müssen sich Folgendes vor Augen führen: Das Wort Persönlichkeit stammt vom lateinischen Wort persona , das »Maske« bedeutet. In der Öffentlichkeit tragen wir alle Masken, und zwar aus gutem Grund. Wenn wir offen zeigen würden, wer wir sind, und immer unsere ehrliche Meinung sagen würden, würden wir nahezu jeden vor den Kopf stoßen und Eigenschaften offenbaren, die besser verborgen bleiben sollten. Mit einer Persona, dem gekonnten Rollenspiel, schützen wir uns vor Menschen, die uns allzu kritisch betrachten und damit verunsichern könnten. Je besser Sie Ihre Rolle spielen, desto mehr Macht werden Sie erlangen, und mit wachsender Macht werden Sie wiederum die Freiheit haben, Ihre Individualität stärker zum Ausdruck zu bringen. Wenn Sie das weiterführen, wird die Persona, die Sie darstellen, einem Großteil Ihrer einzigartigen Merkmale entsprechen, um größere Wirkung zu erzielen.
»Sie scheinen allerhand an ihr festgestellt zu haben, was für mich unsichtbar geblieben ist.« »Nicht unsichtbar, sondern unbeobachtet, Watson. Sie wussten nicht, wohin Sie sehen sollten, so ist Ihnen alles Wichtige entgangen. Ich werde Sie nie dahinbringen, dass Sie die Bedeutung eines Ärmels wahrnehmen, die Anregungen, die von Daumennägeln ausgehen, oder gar Schlüsse aus einem Schnürsenkel zu ziehen.«
Sir Arthur Conan Doyle, Eine Frage der Identität