3.1 Einleitung und Fallbeispiele
Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich im Umbruch. Die Digitalisierung hat bereits und wird in Zukunft noch stärker in unser Privatleben, geschäftliche Prozesse und Geschäftsmodelle eingreifen. Dabei ist die Digitalisierung durch drei zentrale Eigenschaften gekennzeichnet: Menschen und Dinge werden vernetzt, Prozesse und Produkte virtualisiert und Daten und Wissen sowie deren Austausch und Vernetzung erlangen eine immer größere Bedeutung.
Die Macht der Konsumenten ist eine zentrale Stellgröße für die Relevanz und den Erfolg digitaler Geschäftsmodelle mit ihren Produkten und Dienstleistungen und ihrem Einfluss auf die Prinzipien der Softwareentwicklung und -nutzung. Die steigende Präsenz der Intelligenz von Maschinen und Objekten und die ihren einhergehende weiter fortschreitende Automatisierung von Wirtschaft und Gesellschaft forcieren den Wechsel der Wertschöpfung in Unternehmen und in der Gesellschaft in Richtung der Softwareentwicklung bzw. allgemein der Algorithmen. Zusätzlich steigen die Anwendungsszenarien datengetriebener Softwarelösungen.
Den tief greifenden Umwälzungen sind bereits führende Unternehmen aus verschiedenen Branchen zum Opfer gefallen. Zum Beispiel beherrschte der finnische Nokia-Konzern 2006 den noch kleinen Smartphone-Markt mit über 50 %. Doch ein Jahr später kam Apple’s iPhone auf den Markt. Intuitiv bedienbare Touchscreens und Apps wurden zum Trend, aber Nokia setzte weiter auf Tastatur-Handys und verließ sich auf die Kraft der eigenen Marke [1]. Doch Nokia’s Vormachtstellung schmolz dahin, die Finnen wurden von Microsoft übernommen und der Konzern verlor an Bedeutung. Das Smartphone mit Touchscreen kann als disruptive Technologie bezeichnet werden – also eine Technologie, die in der Lage ist, den Erfolg einer bestehenden Technologie zu ersetzen oder vollständig vom Markt zu verdrängen. Solche Technologien sind zunächst am unteren Ende des Marktes oder in neuen Märkten zu finden. Für etablierte Unternehmen ist ein neuer Markt zunächst uninteressant, da er wenige Kunden mit geringen Stückzahlen bedienen kann. Die neuen Märkte können jedoch sehr schnell wachsen, und damit etablierte Produkte und deren Anbieter verdrängen [2].
Auch die Automobilhersteller stehen vor der größten Revolution seit der Erfindung des Verbrennungsmotors: Sie entwickeln sich vom Hardwarehersteller zum Infrastrukturgeber und integrierten Mobilitätsdienstleister [3]. Die Fahrzeuge generieren riesige Datenmengen, verarbeiten sie und nutzen sie zur Entscheidungsfindung (Stichwort Big Data, [4]). Die Audi AG in Ingolstadt hat mit dem neuen Audi A8, der im Herbst 2017 auf den Markt kam, ein neues Zeitalter der Datenverarbeitung in Personenkraftwagen begonnen. Ein Teil der bisher auf dezentrale Embedded Systems verteilten Intelligenz zur Unterstützung des eigentlichen Fahrprozesses wurde auf einer zentralen Verarbeitungseinheit, dem Fahrassistenzsystem (zFAS), konzentriert. In dieser zentralen Verarbeitungseinheit laufen alle Daten aus den Sensoren (Ultraschall-, Radar-, Kamera- und Lidarsensoren) des Fahrzeuges zusammen und erzeugen in Echtzeit ein Datenmodell (Real World Model) der Umgebung. Die Interpretation dieses Datenmodelles dient nicht nur der Steuerung des automatisierten Fahrens, sondern auch zur Erhöhung der Sicherheit. Bei einem, durch die Datenverarbeitung der zentralen Steuerungseinheit mit großer Sicherheit prognostizierten Unfall, wird blitzschnell die Bodenplatte des A8 um einige Zentimeter nach oben gebracht, um das Crashverhalten des Fahrzeuges zu verbessern. Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren durch Nutzung der Daten aus der Sensorik zahlreiche weitere digitale Dienstleistungen in einem Fahrzeug angeboten werden, die weit über automatisiertes oder hochautomatisiertes Fahren hinausgehen [5]. Das aus den gesammelten Daten abgeleitete Wissen kann durch die Digitalisierung quasi kostenlos kopiert und verbreitet werden. Anders als bei realen Produkten entstehen kaum Kosten für die Lagerung oder Speicherung.
Nach der klassischen Definition der Wertschöpfung nach Rutherford wird diese berechnet als Differenz aus dem Marktwert der vom Unternehmen hervorgebrachten Güter und der Kosten dieser Güter und der von anderen Produzenten beschafften Materialien [6]. Aus bestehenden Ressourcen, wie Materialien, Maschinen, Mitarbeitern und Wissen wird Mehrwert erzeugt, der durch den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen dann tatsächlich realisiert wird. Im Zeitalter der Digitalisierung entsteht Wertschöpfung jedoch auch auf anderen Wegen: Neue Wertschöpfungsmuster sind entstanden, die entgegen traditioneller Konzepte auf Offenheit basieren und kollaborativer sowie dezentraler Natur sind [7]. Über das Internet können sich Menschen frei verbinden und gemeinsam arbeiten (Crowdworker, zum Beispiel bei Amazon Mechanical Turk, https://www.mturk.com). In der Makerbewegung organisieren sich Menschen, die in offenen Werkstätten (Fablabs) gemeinsam neue Produkte entwickeln.
Es ergeben sich außerdem neue Möglichkeiten in Unternehmen, durch die zusätzliche Wertschöpfung generiert werden kann, etwa durch die Sammlung und Analyse von Daten, die größere Nähe zu Kunden oder die höhere Flexibilität. Dieses Kapitel untersucht die neuen Formen der Wertschöpfung im digitalen Zeitalter. Dabei wird zunächst generell auf technologiegetriebene Wertschöpfung eingegangen, bevor dann ausgewählte Formen digitaler Wertschöpfung an Beispielen näher erläutert werden. Zum Abschluss werden speziell neue Formen der digitalen Wertschöpfung am Beispiel von eHealth diskutiert.
3.2 Technologiegetriebene Wertschöpfung
3.2.1 Stellenwert von Technologie
Digitalisierung und Vernetzung betreffen das gesamte Unternehmen mit seinen Geschäftsmodellen und seiner Wertschöpfung, seinen Prozessen und Strukturen sowie Produkten und Services und mit seiner Kultur. Die Fokussierung auf die Unterstützung durch Informations- und Kommunikationstechnik allein, beispielsweise durch den Einsatz von betrieblichen Informationssystemen wie einem ERP-System, realisiert keine technologiegetriebene Wertschöpfung. Daten und Informationen als Rohstoff digitaler Wertschöpfung, das zunehmende Streben nach vollständiger Automatisierung und die Robotik bieten die Potenziale, bisherige Strukturen und Leistungen des Unternehmens vollkommen neu zu gestalten. Dafür stehen vor allem die innovativen, smarten, sozialen und technologieoffenen Interaktions- und Kommunikationssysteme, mit denen sich z. B. kundenzentrierte Lösungen entwickeln lassen. Beispielsweise bilden die datengetriebenen Algorithmen eines Big Data in Kombination mit den Möglichkeiten des maschinellen Lernens [8] die Grundlage für die Anwendungen von Industrie 4.0 oder liefern die Fähigkeiten zunehmender Robotisierung industrieller und serviceorientierter Arbeitsfelder [9]. Die dadurch entstehende Zerstörung bestehender Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen schafft neue Formen technologiegetriebener Wertschöpfung für die Unternehmen.
Eine Früherkennung von Trends und Tendenzen in diesen Technologiebereichen, eine Beobachtung neuer Lösungen sowie deren Abschätzung bezüglich Entwicklung und Reifung sind unerlässlich, um angemessen auf die damit verbundenen Veränderungen reagieren und vor allem zukunftsorientiert agieren zu können [10, S. 468].
3.2.2 Daten und Informationen als Treiber digitaler Wertschöpfung für Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen
„Alles was digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert“ [10, S. 5]. Dieses Mantra aus dem Silicon Valley verdeutlicht die grundlegend veränderte Rolle von Daten und Informationen im gesamten Wertschöpfungsprozess eines Unternehmens. Von ihrer vormals eher unterstützenden Rolle avancieren Daten zum alleinigen Produktionsfaktor, erst recht sobald vollkommen digitale Geschäftsmodelle mit digitalen Produkten und Services angestrebt werden. Die digitale Wertschöpfung indes unterliegt nicht mehr der bislang gewohnten Logik der Porter’schen Wertkette [11, S. 35], sondern erfordert einen neuen Wertschöpfungsprozess. So nutzt die reale Wertschöpfung unter anderem die geschickte Ressourcenallokation realer Größen wie Rohstoffe, Kapital und Arbeitskraft, um eine Leistung zu erwirtschaften.
In der digitalen vernetzten Welt erbringt die geschickte Kombination von Daten, deren Verarbeitung und Präsentation sowie Konsumtion den Mehrwert. Seit dem Jahr 2007 liegen weniger als 2 % der weltweiten Informationen in Papierform, also analog vor [12]. Daten bilden somit die Grundlage zur Umsetzung neuer, digitaler Geschäftsmodelle , wie es z. B. die Internet-Giganten Amazon, Google, Facebook und Apple, in einer extremen Art und Weise realisieren [13]. Daraus lassen sich digitale Ökosysteme entwickeln, über die Millionen Nutzer langfristig gebunden werden und durch ihre eigene Nutzung weitere Daten produzieren, die von den Betreibern wiederrum über eine Analyse zur Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle verwendet werden. Es ergeben sich selbst verstärkende Effekte, die den Nutzer in aller Regel noch stärker an das digitale Ökosystem binden. Quasi-Monopolstellungen verzehren dann Wettbewerbspositionen bzw. erschweren den Eintritt anderer in den Markt. Im Jahr 2017 wurde in Deutschland jeder achte Euro online ausgegeben [14]. Betrachtet man den Internet-Giganten Amazon, so landet bereits jeder fünfte Euro, den Deutsche im Internet ausgeben, bei diesem Online-Händler [15]. Hier wird die marktdominierende Stellung offensichtlich. Im Vergleich des Marktwertes der Internet-Giganten gegenüber traditionellen Geschäftsmodellen wird die datengetriebene Wertschöpfung besonders deutlich. Die Internet-Giganten gehören zu den wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Welt.
Aber nicht nur vollkommen neue Geschäftsmodelle lassen sich durch die Nutzung von Daten kreieren, auch Produkte und Dienstleistungen können durch eine Kombination mit den eigentlichen Eigenschaften dieser Güter neue, zum Teil bislang vollkommen neue Formen und Funktionalitäten erbringen. Bislang materielle Produkte erfahren durch die Erweiterung mit Sensorik, Optik und Aktorik des Internets der Dinge neue Anwendungsbereiche. Das autonome Fahren oder das vernetzte Haus wäre ohne hardwaretechnische Erweiterung mit den sogenannten Embedded Systems [1 S. 120], 161, einer Vernetzung und einer Datenverarbeitung überhaupt nicht denkbar. Neue Services wie sie durch die sozialen Netzwerke möglich werden, Anwendungen zum Fitness-Tracking und Gesundheitsüberwachung oder in der aktuellen Entwicklung im Biotechnologiebereich rund um das Thema der DNA [16] wären ohne eine moderne Datenverarbeitung nicht möglich.
3.2.3 Zusammenspiel digitaler und realer Wertschöpfung
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Die allgegenwärtige und umfassende Informatisierung unserer Welt erfordert ein simultanes Management der realen und der digitalen Wertschöpfung. Digitale Güter werden sowohl digital erzeugt als auch digital konsumiert. Die Kombination mit der realen Wertschöpfung schafft dann die bereits angerissenen neuen Formen von Geschäftsmodellen, Produkten und Dienstleistungen. Die digitale Wertschöpfung beginnt in aller Regel mit der Sammlung der Daten, die aus den digitalen Spuren von uns Nutzern entstanden sind oder aus den Daten der Embedded Systems bzw. durch eine Machine-To-Machine-Kommunikation. Die Strukturierung und Herstellung umfasst die eigentliche Wertschöpfung, in dem durch Analyse, Auswertung und Bewertung Erkenntnisse gezogen werden, die in einem nächsten Schritt zu sinnvollen, neuen Daten- bzw. Informationsstrukturen zusammengesetzt werden, um sie nutzerspezifisch zu verteilen. Die Bündelung solcher Daten mit der realen Wertschöpfung ermöglicht neue Kombinationen auf jeder Ebene. Bereits im Einkauf liefern Daten über die Materialien und die Materialien selbst wertvolle Informationen. Die Nutzung in der Produktion schafft Ansätze z. B. zur Nachvollziehbarkeit und Rückverfolgung bis zum eigentlichen Hersteller und bietet vor allem in der Massenproduktion eine losgrößengenaue Bestimmung von z. B. Fehlern oder Mängeln. Im Vertrieb sind Daten unerlässlich, um kundenzentrierte Angebote und Lösungen zu schaffen. Für Unternehmen ist es trotz dieser einfachen Zusammenhänge oft schwer, die hybride Sicht anzuwenden, denn sie erfordert ein gezieltes Datenmanagement von strukturierten Daten aus ihren Transaktionssystemen wie z. B. den ERP-Systemen und den unstrukturierten Daten, die durch das Internet täglich entstehen. Im Folgenden sollen drei ausgewählte Formen digitaler Wertschöpfung an Beispielen näher beleuchtet werden.
3.3 Ausgewählte Formen digitaler Wertschöpfung
3.3.1 Datengetriebene Algorithmen als Basis unternehmerischer Entscheidungen
Immer mehr Daten fallen in den Unternehmen an. Nicht nur strukturierte Daten sind dabei interessant, sondern auch die Menge unstrukturierter Informationen, die zum Beispiel aus Dokumenten, Emails oder Social Media Einträgen stammen. Die Datenmengen werden nicht nur immer größer (mittlerweile im Zetabyte-Bereich), sondern entstehen auch immer schneller (z. B. durch Erfassen von Sensordaten beim autonomen Fahren). Wenn Daten als der Treibstoff der Digitalisierung bezeichnet werden können, dann sind Algorithmen jedoch der Motor. Denn erst durch intelligente Algorithmen sind Computer in der Lage, den Daten einen Sinn zu entnehmen und diese im Unternehmen nutzbar zu machen. Eine Barc-Studie unter mehr als 500 Unternehmen im deutschsprachigen Raum identifizierte bessere strategische Entscheidungen (69 %), ein besseres Verständnis der Kunden (52 %) sowie Kostensenkungen als Mehrwert für Unternehmen durch Big Data Analytics [21].
Eine Studie von Bitkom Research und KPMG, bei der mehr als 700 deutsche Unternehmen befragt wurden, kam zu ähnlichen Ergebnissen. Fast jedes dritte befragte Unternehmen nutzt Big-Data-Technologien. Fast die Hälfte dieser Big-Data-Anwender können damit ihre Risiken minimieren, 27 % erhöhen ihren Umsatz, bei 19 % führte der Einsatz zu reduzierten Kosten im Unternehmen. Dabei vertrauen nicht alle Unternehmen der Qualität der analysierten Daten und damit auch den Analyseergebnissen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Datennutzung sind einem Drittel der Befragten unklar. Vorreiter bei der Big-Data-Analyse ist die Energiebranche, Chemie- und Pharmaunternehmen sind bisher nur unterdurchschnittlich damit in Berührung gekommen [22].
Algorithmen für Big Data können selbst zur Dienstleistung oder zum Service werden. Analytics-as-a-Service umfasst dabei Diagnose- und Prognosedienstleistungen, die über cloud-basierte Plattformen bereitgestellt werden und sich auf bestimmte Datentypen (wie Kundendaten, Social Media Daten, Daten zur Internetnutzung), Unternehmensprozesse (Controlling, Kundenbeziehungsmanagement, Forschung und Entwicklung) oder Branchen beziehen.
Big Data Analytics wird bereits erfolgreich in Unternehmen eingesetzt [4]. ThyssenKrupp Elevator zum Beispiel hat gemeinsam mit IT-Unternehmen ein intelligentes Überwachungssystem für Aufzüge entwickelt. Dabei werden tausende von Sensoren und Systemen in den Aufzügen über eine Cloud verbunden. Die weltweit gesammelten Daten, wie Zeitpunkte des Fahrstuhlrufs, öffnende/schließende Türen, Fehlermeldungen usw. werden in einem Kennzahlen-Dashboard visualisiert. Intelligente Algorithmen können anhand der Daten die Restlebensdauer der Fahrstuhl-Komponenten vorhersagen. Problemfälle können in Echtzeit an die Techniker weitergeleitet werden. Durch vorausschauende und auch präventive Services kann die Wartung deutlich verbessert werden, was die Betriebszeiten der Aufzüge signifikant erhöht. Bereits heute gibt es weltweit etwa 12 Mio. Aufzüge, die 7 Milliarden Fahrten am Tag absolvieren. Mit Hilfe der eingesetzten Technologien können die Ausfälle von Fahrstühlen um die Hälfte reduziert werden. Dies ist auch vor dem Hintergrund interessant, dass 2050 mehr als 70 % der Bevölkerung weltweit in Städten leben wird, und die Gebäude immer höher werden, so dass damit auch der Aufzug zu einem immer wichtigeren Transportmittel wird, das natürlich regelmäßig gewartet werden muss [23].
Eine Lösung zur Big-Data-Analyse in der industriellen Produktion wurde im Rahmen des Forschungsprojekts iProdict (http://www.iprodict-projekt.de) entwickelt und bei der Saarstahl AG eingesetzt. Bei der Stahlproduktion können verschiedene interne und externe Faktoren (z. B. Materialeigenschaften, Temperaturschwankungen beim Schmelzen) zu Abweichungen bei der Qualität des Stahls führen. Fast ein Drittel der weltweit produzieren Stahlmenge ist daher Schrott, der Großteil davon durchläuft aber den ganzen Produktionsprozess und wird erst am Schluss als Ausschuss identifiziert. Eine frühzeitige Prognose des Produktionsprozesses mittels Big-Data-Analyse führt dazu, dass frühzeitig erkannter Ausschuss nicht mehr alle Produktionsschritte durchlaufen muss, was zu einer Einsparung von Kosten führt. Durch den Einsatz von Sensoren in der Produktion können die Materialien laserbasiert vermessen, Einschlüsse und Fehler im Stahl mittels Ultraschall rechtzeitig entdeckt, Oberflächen geprüft und Temperaturen und Schwingungen gemessen werden. Dadurch entsteht ein kontinuierlicher Strom an Daten, im Jahr mehrere hundert Terrabyte. Die gesammelten Daten werden aggregiert und in einem Dashboard visualisiert, um Prozessverantwortlichen eine Grundlage für schnelle Entscheidungen zu liefern. Weiterhin können Algorithmen Muster in den Daten erkennen, auf deren Grundlage Abweichungen im Produktionsverlauf zukünftig vorhergesagt werden können. Langfristig werden dann Änderungen im Produktionsablauf möglich [4].
Auch im Umgang mit Kunden ist die Anwendung von Datenanalysealgorithmen hilfreich. Täglich treffen Briefe oder Emails ein, oder Kunden äußern sich in Twitter oder auf Facebook zu den Produkten oder dem Unternehmen direkt. Hier ist es wichtig, die verschiedenen Meinungen (insbesondere die negativen) zu erkennen, um darauf schnell und angemessen reagieren zu können. Dafür kann eine Sentimentanalyse (Analyse von Meinungen und Stimmungen in unstrukturierten Texten) verwendet werden. Ein Beispiel ist die Zuordnung von Kundenschreiben bei einem großen Versicherungsunternehmen [10, S. 163 ff.]. Die große Menge der dort täglich eintreffenden Schreiben (per Brief oder Mail) macht die schnelle Vorsortierung der Post per Hand unmöglich. Der Satz „Bitte senden Sie mir diesbezüglich ein Angebot.“ lässt sich zweifelsfrei durch einen Mitarbeiter des Versicherungsunternehmens der Kategorie „Angebotswunsch“ zuordnen. Ein idealer Satz per Hand vorsortierter Trainingsdaten für eine solche Zuordnung enthält eine Vielzahl von Formulierungen zusammen mit Markierungen (Annotationen), welche Teile der Trainingsdaten die Zuordnung in welche Kategorie ermöglichen. Ein geeigneter Algorithmus kann aus den Trainingsdaten Klassifikationsmodelle lernen, die dann auf neuen Daten (noch nicht vorsortierten Kundenbriefen) eine Zuordnung zu den Kategorien vornehmen können. Dadurch kann in einem Versicherungsunternehmen viel Zeit gewonnen werden: Dringende Schreiben mit Beschwerden können schnell herausgefiltert und bearbeitet werden – die Anzahl der verärgerter Kunden und Kündigungen werden reduziert.
3.3.2 Künstliche Intelligenz und Robotik als Motor vollständiger Automatisierung
Selbstlernende Algorithmen können als Sonderform von Algorithmen aufgefasst werden. Sie vereinen die Algorithmen des maschinellen Lernens mit der Künstlichen Intelligenz. Algorithmen können Bilder und Sprache erkennen, übersetzen oder bei strategischen Spielen gegen menschliche Gegner gewinnen, Krankheitsbilder diagnostizieren und bei der Therapie unterstützen [10].
Industrie 4.0 verbindet aktuelle Informations- und Kommunikationstechnologien mit der Produktions- und Automatisierungstechnik und strebt dabei eine neue Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den kompletten Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen an. Damit wird eine höhere Transparenz, Flexibilisierung und Verbesserung der Wertschöpfung sowie eine Individualisierung der Produkte und Services durch eine intensive Kunden-Unternehmens-Interaktion und -Vernetzung erreicht [24, S. 5]. Den Einsatz von intelligenten Algorithmen in der Industrie beschreiben zehn Prozent der Unternehmen heute schon als entscheidend für ihren Geschäftserfolg, bei 69 % wird er in den nächsten fünf Jahren entscheidend werden. Der ökonomische Nutzen wird dabei zu 33 % in höheren Einnahmen gesehen, zu 22 % aber auch in einer höheren Kundenzufriedenheit durch individualisierte Produkte [25].
Eine wichtige Voraussetzung für das maschinelle Lernen in der Industrie ist die Ausstattung von Anlagen und Systemen mit smarten Sensoren. Kognitive Maschinen sind industriespezifische Lösungen, die auf maschinellem Lernen, natürlicher Sprachverarbeitung, Bilderkennung sowie Infrastruktur wie Cloud Computing, Internet der Dinge und Big Data basieren und über neuartige Fähigkeiten verfügen, die sich sinnvoll als höherstufige kognitive Prozesse beschreiben lassen [26]. Accenture sagt für den Einsatz kognitiver Maschinen eine Produktivitätssteigerung von 40 % voraus [27]. Mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Produkte, die sich ständig weiter optimieren und von den Erfahrungen aller Produktnutzer profitieren, werden nun nicht mehr nur durch die Bauserie bestimmt, sondern durch Software-Updates. In der Folge wird ebendiese Software, nicht mehr die Hardware, zum entscheidenden Werttreiber.
Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz müssen Mitarbeiter weniger Zeit mit Routinetätigkeiten verbringen: laut Accenture machen diese 20 % der Nichtroutinetätigkeiten 80 % der Wertschöpfung aus, die dann besser erledigt werden können. Algorithmen der Künstlichen Intelligenz tragen außerdem zur intelligenten Automatisierung und damit zu Änderungen in den Prozessen bei. Durch die intelligente Kombination und Auswertung gesammelter Daten wird weiterer Mehrwert generiert [28].
Maschinelles Lernen lässt sich auch für die Robotik nutzen. Normalerweise führt ein Roboter in der Produktion einen präzisen, strikt vorgegebenen Bewegungsablauf durch. Die Programmierung des Roboters ist nur einmal erforderlich, und diese aufwändige Arbeit zahlt sich aus, weil der Roboter über eine sehr lange Zeit dieselben Bewegungen ausführt. Anpassungen an den Bewegungsabläufen sind zeit- und kostenaufwändig. Der Roboter kann sich nicht allein an einen veränderten Produktionsablauf anpassen. Mit Hilfe der kognitiven Robotik können Roboter autonomer reagieren. Roboter sollen durch verbesserte Technologien dem Begriff Kognition entsprechend, das Wahrnehmen, Erkennen und darauf abgestimmte Handeln umsetzen können. Der Roboter erfasst dabei durch seine Sensoren Daten, verarbeitet diese und passt daraufhin seine Reaktionen an. Damit ist es dem Produktionsunternehmen möglich, flexibel und wirtschaftlich auf kurze Produktlebenszyklen und steigende Varianten zu reagieren [29]. Der globale Markt für intelligente Roboter in der Industrie soll sich nach einer Studie von Frost/Sullivan bis 2023 verdoppeln und mehr al 70 Mrd. US-Dollar erreichen [30].
Ein weiteres Einsatzgebiet für flexible einsetzbare Roboter ist die Altenpflege. Vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung werden immer mehr Altenpfleger benötigt, das vorhandene Personal ist überlastet. In Japan, wo es schon jetzt 5,7 Mio. Pflegebedürftige gibt, wird schon länger an Pflegerobotern gearbeitet. Der Fokus liegt dabei auf den Bereichen Hebehilfen, Mobilitätshilfen, Toiletten sowie Überwachungssysteme für Patienten mit Demenz. In Deutschland wird bei Fraunhofer IPA an intelligenten Pflegerobotern gearbeitet. Elevon soll speziell beim Anheben von Personen Unterstützung liefern. Pflegekräfte können ihn elektronisch anfordern, so dass er selbstständig dorthin fahren kann, wo er benötigt wird. Personen können vom Bett aufgenommen und sowohl in einer liegenden als auch in einer sitzenden Position transportiert werden. Anhand von Sensoren erkennt Elevon die Person automatisch, kann sein Aufnahmesystem entsprechend positionieren und so die Bedienung erleichtern [31]. Durch den Einsatz von Pflegerobotern können Kosten minimiert und die Pflegequalität gesteigert werden. Allein durch die Einsparung der Wegezeiten, um einen Lift zum Heben einer Person zu holen, können Kosten gespart und die Zeit zur Betreuung besser genutzt werden [32].
3.3.3 Digitalisierung von Prozessen als Folge digitaler Wertschöpfung
Für die Digitalisierung von Prozessen sind Verlässlichkeit und Vertrauen von großer Bedeutung, etwa zwischen Geschäftspartnern, aber auch zwischen Kunden, Lieferanten und über die digitalen Plattformen.
Die Unterstützung wissensintensiver Prozesse in Unternehmen findet heute häufig schon über digitale Plattformen statt. Unternehmen nutzen Slack (https://slack.com/) zur Kommunikation in Unternehmen, Asana (https://asana.com/) im Projektmanagement oder Yammer (https://www.yammer.com/) als soziales Netzwerk. Diese Werkzeuge erhöhen die Transparenz im Unternehmen, verbessern die Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg, fördern eine selbstorganisierte, netzwerkartige Arbeitskultur (vgl. Kap. 7) und ermöglichen somit eine effektivere und effizientere Arbeitsweise.
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Wertschöpfung durch interne Social Media Nutzung im Unternehmen [33]
Die Wertschöpfung, die bei der Unterstützung wissensintensiver Prozesse durch Zeit- (schnellere Kommunikation, weniger Emails, schnelleres Finden von Experten) und Kostenersparnis (geringere Reisekosten) entsteht, wird in den Unternehmen noch nicht gemessen. Die Werkzeuge bieten heute jedoch schon einfache Möglichkeiten der Auswertung an. So kann etwa leicht ermittelt werden, wie viele Mitarbeiter sich beteiligt haben, und wie viele Posts generiert wurden [33].
Weitere Wertschöpfung ergibt sich, wenn zukünftig die in den Tools gesammelten Daten und Wissensbausteine mit Hilfe von Algorithmen intelligent ausgewertet werden. Damit können Beiträge zusammengefasst und kategorisiert, und damit auch einfacher gefunden werden. Durch die Digitalisierung entsteht im Unternehmen ein einfacher, kostengünstiger und schneller Zugang zu Wissen. Eine Messung des Einflusses und damit auch der Wertschöpfung durch Social Media kann in Unternehmen dazu führen, dass diese Werkzeuge noch effektiver und intensiver genutzt werden [34].
Auch in der Landwirtschaft werden Prozesse durch Digitalisierung optimiert. Viele Traktoren können heute autonom fahren. Durch spurgenaues Fahren sind die Maschinen präziser, es wird weniger Strecke gefahren. Damit werden weniger Treibstoff verbraucht und Kosten gespart. Auch Sensortechnik, Elektronik und Software bei Landmaschinen tragen wesentlich zur Wertschöpfung bei. So können die Sensoren etwa Bodenproben untersuchen, oder die Pflanzendichte an einer bestimmten Stelle auf dem Feld feststellen. Ergänzend können Niederschläge und Bodenkarten hinzugezogen werden, um die optimale Düngermenge für diese Stelle zu bestimmen. Somit wird Dünger (und damit Kosten) eingespart, die Pflanzen wachsen gleichmäßiger [35]. Als größter Nutzen der Digitalisierung in der Landwirtschaft wird die Steigerung der Produktivität durch Einsparung von Arbeitszeiten und Betriebsmitteln gesehen [36].
Im Finanzbereich wird die direkte Abwicklung von Transaktionen zwischen Kunden durch Blockchains erprobt. Dadurch könnten Banken mit ihrem traditionellen Geschäftsmodell kaum noch Überlebenschancen aufweisen. Zudem entstehen neue Intermediäre, die zum Beispiel die Plattformen für Kundentransaktionen entwickeln (FinTechs). Eine Blockchain bietet die Möglichkeit, Transaktionen fälschungssicher und irreversibel zu speichern. Dies beruht auf einer Verschlüsselung und Konsensbildung [37].
Mit den FinTech-Unternehmen ist eine neue Finanzindustrie entstanden, die auf Technologien setzt, um finanzielle Aktivitäten zu verbessern. Laut einer Studie im Auftrag des Bundesfinanzministeriums betrug im Jahr 2015 das Gesamtmarktvolumen der in Deutschland tätigen FinTech-Unternehmen bei Finanzierung und Vermögensmanagement 2,2 Mrd. Euro. Finanzierungen im Wert von 270 Mio. Euro wurden dabei über Crowdfunding-Plattformen vermittelt [38], wobei nicht eine Bank, sondern eine große Anzahl von Unterstützen die Geldmittel für ein zu erreichendes Ziel aufbringt. Die Geldmittel können dabei entweder als Spende oder gegen eine Gegenleistung (zum Beispiel ein dann mittels der Geldmittel hergestelltes Produkt) zur Verfügung gestellt werden. Die Geldmittel werden mit Hilfe eines entsprechenden Portals, zum Beispiel StartNext (https://www.startnext.com/) eingeworben. StartNext finanziert sich dabei durch freiwillig zu zahlende Provisionen.
Ein weiteres FinTech ist Wikifolio (https://www.wikifolio.com), eine Plattform, die Social Trading anbietet. Dort kann jeder seine Handelsideen für jeden sichtbar teilen, die Wertentwicklung des entsprechenden Wikifolios (Aktienportfolios) ist ständig aktuell verfügbar. Die Händler selbst benötigen keine formale Ausbildung oder Qualifikation, die Plattform unterliegt keiner Bankenaufsicht. Findet ein Wikifolio genügend Unterstützer, kann auf seiner Basis ein börsengehandeltes Zertifikat aufgelegt werden, in das jeder über seine Bank oder seinen Online Broker investieren kann. Dadurch lassen sich Finanzprodukte auflegen, die direkt an der Börse gehandelt werden können. Vor der Einführung von Plattformen, die von FinTechs erstellt werden, war dies mit großem finanziellen Aufwand, hohen Gebühren und langen Wartezeiten verbunden. Durch die Plattform wird dieser Prozess verkürzt, und kostet nichts. Wikifolio.com erwartet nur zehn Unterstützer in einer Zeitspanne von drei Wochen. Interessierte Anleger können den Wikifolios folgen und sich gut entwickelnde Portfolios kopieren. Eventuelle Risiken werden teilweise durch die Plattform abgedeckt. Anleger, die über die Plattform investieren, zahlen eine Gebühr zur Finanzierung der Plattform.
Als spezielle Form von FinTechs können InsurTechs gelten. Diese Technologieunternehmen entwickeln neue Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle im Bereich der Versicherungswirtschaft. Damit reagieren sie auf die Kritik der Kunden, die Versicherungsverträge als schwer verständlich und intransparent beklagen und mit der Erreichbarkeit unzufrieden sind. Laut InsurTech Radar sind InsurTech Unternehmen in den Feldern Angebot, Vertrieb und Betrieb tätig, 42 % der InsurTechs waren dabei im Vertrieb tätig (zum Beispiel Vergleichsportale) [39]. Ein Beispiel für ein erfolgreiches InsurTech im Bereich „Angebot“ ist das Unternehmen Haftpflichthelden (https://haftpflichthelden.de), die mit der NV-Versicherung zusammenarbeitet. Eine Haftpflichtversicherung kann schnell und einfach mit einer App abgeschlossen werden. Die Versicherungsunterlagen werden per Email zugesendet. Täglich kann die Versicherung problemlos gekündigt werden. Schadensmeldungen sind ebenfalls über die App möglich. Zudem wird auf den Community-Gedanken gesetzt – Kunden erhalten einen Rabatt auf ihren Versicherungsbeitrag, wenn sie ihre Freunde als Kunden werben.
LegalTech umfasst Software und Onlineservices zur Unterstützung juristischer Prozesse, die durch Start-ups entwickelt wird. Der Einsatz von Algorithmen zur Klärung juristischer Fälle verändert die bisher analog geleistete juristische Arbeit, zum anderen die Verlagerung des Kontakts zwischen Anwalt und Mandanten auf Online-Plattformen. Ein Beispiel ist das Unternehmen flightright (https://www.flightright.com). Auf der Plattform können sich Passagiere registrieren, deren Flugzeug verspätet war. Mittels Algorithmen kann geprüft werden, ob überhaupt ein Anspruch auf Entschädigung besteht, und wenn ja, in welcher Höhe. Dabei werden Flugdaten, Wetterinformationen zum Flugtag, Streiks und natürlich die aktuellen Gerichtsentscheidungen gesammelt und mittels Algorithmen automatisch geprüft und eine eventuelle Entschädigungshöhe wird berechnet. Der Kunde kann nun entscheiden, ob ein Anwalt sich der Sache annehmen soll. Normalerweise ist dies für den Anwalt nicht lukrativ, wenn aber mehrere ähnliche Fälle zusammengefasst werden können, wird der Aufwand deutlich vermindert.
3.4 Digitale Wertschöpfung am Beispiel von eHealth
Die Gesundheitswirtschaft befindet sich schon lange weltweit im Wandel. Online-Apotheken sind eine Konkurrenz für die stationären Apotheken um die Ecke, im Krankenhaus 4.0 werden Patientenakten digital, HealthTech Start-ups entwickeln Apps und Lösungen für ein schnelles, transparentes und innovatives Gesundheitswesen. Dieser digitale Transformationsprozess ist nicht mehr aufzuhalten. Unter dem Begriff eHealth werden dabei elektronisch unterstützte Aktivitäten und Systeme zusammengefasst, die Patienten- und andere medizinische Daten über Entfernungen hinweg erheben, verfügbar machen, auswerten und dabei neue Technologien verwenden [40].
Das HealthTech-Start-up Klara (www.klara.com) zum Beispiel startete 2013 von Berlin mit einer App, die die Kommunikation zwischen Arzt und Patient vereinfacht. Patienten können ein Foto einer verdächtigen Hautstelle machen und über die App von Ärzten bewerten lassen. Allein auf Grund des Fotos lässt sich oft schon entscheiden, ob es sich nur um einen harmlosen Leberfleck handelt, oder ob tatsächlich ein Arztbesuch erforderlich ist. Damit lassen sich unnötige Wartezeiten auf einen Termin, Arztbesuche und auch Kosten einsparen. Die Plattform wurde weiterentwickelt und kann die Kommunikation zwischen einem Patienten und den jeweiligen Ärzten zentralisieren. Weitere Ärzte und Labore können Zugriff erhalten, um gemeinsam und mit dem Patienten zu kommunizieren und damit die Patientendiagnose und -behandlung zu beschleunigen. Klara agiert mittlerweile nur in den USA – die Gesetze sind dort – anders als in Deutschland – offen für Fernbehandlungen [41].
Obwohl die Gesundheitswirtschaft einer der größten deutschen Wirtschaftszweige ist, gehört sie derzeit noch zu den am wenigsten digitalisierten Branchen [42]. Digitalisierung im Gesundheitswesen reicht dabei von der elektronischen Gesundheitskarte bis hin zur Telemedizin. Unter der Annahme, dass die Potenziale von eHealth vollständig ausgenutzt werden, hat PwC ein jährliches (monetäres) Effizienzpotenzial von ca. 39 Mrd. Euro bzw. 12,2 % der gesamten Krankheitskosten in 2014 ermittelt [43].
Daten werden heute in der Medizin größtenteils digital erfasst. Diese werden zur Dokumentation und zum Patientenmanagement, aber auch zur klinischen Entscheidungsunterstützung, zum Beispiel bei der Stellung einer Diagnose und der Auswahl passender Behandlungen, verwendet. Allerdings werden diese Daten in unterschiedlichen Systemen abgelegt, und fehlende Schnittstellen zwischen diesen sowie die nicht standardisierte Speicherung von Daten erschweren die Nutzung.
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Prozess der Lebertransformation mit Prozessmonitoring, Screenshot Signavio (2014) (www.pige-projekt.de)
Dadurch wird der Behandlungsprozess transparenter für Arzt und Patient: Es kann verfolgt werden, wo der Patient sich gerade im Behandlungsprozess befindet, und welche Schritte als nächstes folgen. Der aktuell dargestellte Patient wurde als Notfall im Klinikum aufgenommen, hat die Evaluierungsuntersuchungen durchlaufen, wurde für eine Transplantation bei Eurotransplant (ET) gelistet und wartet aktuell auf eine Leberspende. Der nächste offene Behandlungsschritt ist die Operation. Durch die Überwachung des typischen Behandlungsverlaufs werden Doppeluntersuchungen vermieden, und der Behandlungsprozess kann besser geplant und effizienter durchgeführt werden. Damit kann auch der Aufenthalt im Krankenhaus verkürzt werden, es entstehen weniger Kosten. So gelang es im konkreten Fall der Lebertransplantation durch eine Reorganisation von Untersuchungen, den stationären Aufenthalt eines potenziellen Leberlebendspenders zur Evaluierung für die Spende um die Hälfte zu verkürzen [46].
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Informationskreislauf für die individualisierte Medizin (vereinfacht übernommen von [48, S. 325])
Die von den mobilen Endgeräten gesammelten Daten können dann im dritten Schritt vom Arzt verwendet werden, um eine individuelle Diagnostik durchzuführen. Dabei unterstützen wieder Algorithmen, die die von den mobilen Endgeräten gesammelten Daten mit weiteren, vor Ort beim Arzt durchgeführten Untersuchungsergebnissen verknüpfen und Muster erkennen. Aufbauend auf diesen Analysen kann ein digitaler Gesundheitsassistent dann Therapieoptionen vorschlagen (Schritt 4). Dies kann Medikation, operative Eingriffe, aber auch ein Coaching beinhalten. Die endgültige Entscheidung über die Behandlung verbleibt aber beim Arzt. Der digitale Gesundheitsassistent übernimmt die intelligente Datenanalyse. Daten können auf Basis neuester medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse ausgewertet werden. Auch eine prädiktive Analyse ist möglich, um mögliche, aus den gesammelten Daten resultierende zukünftige Krankheiten oder Auffälligkeiten vorhersagen zu können.
In Zukunft werden den eHealth-Anwendungen vielfältige Potenziale beigemessen, z. B. die verbesserte medizinische Versorgung und deren effizientere Gestaltung [49]. Durch die stärkere Integration des Patienten in den Behandlungsprozess kommt der Akzeptanz der eingesetzten Technologien eine besondere Bedeutung zu. Nur wenn Lösungen von allen Beteiligten akzeptiert werden, können sie ihren vollen Nutzen entfalten. Neben den Kosten und der Bedienbarkeit der technischen Komponente stellen aber auch Bedenken hinsichtlich Datenschutz und -sicherheit wichtige Akzeptanzfaktoren für eHealth-Lösungen dar [50].
3.5 Zusammenfassung und Ausblick
Die Digitalisierung ist vor allem gekennzeichnet durch die Vernetzung von Menschen und Dingen, die Virtualisierung von Produkten und Prozessen und den Austausch von Daten und Wissen. Aus der Digitalisierung folgen zahlreiche neue Möglichkeiten, wie die Nutzung von Daten aus Maschinen und Sensoren, gezielterer Ressourceneinsatz, individualisierte Produkte und größere Kundennähe. Die Umsetzung dieser Möglichkeiten in allen Bereichen der Wirtschaft führt zu zusätzlichen neuen Formen der Wertschöpfung. Damit kann auch über den engen volkswirtschaftlichen Begriff der Wertschöpfung hinaus weiterer Mehrwert geschaffen werden, zum Beispiel durch gesteigerte Produktivität, geringere Kosten und höhere Flexibilität [51].
Die Integration von menschlicher und maschineller Intelligenz wird zukünftig immer wichtiger. Zukünftig könnten Maschinen nicht nur von den Menschen lernen, sondern Menschen auch von den Maschinen. Während Maschinen Muster immer besser erkennen können, braucht es den Menschen, um diese Muster zu bewerten und sinnvoll anzuwenden. Maschinen werden immer besser darin, dem Menschen Routinetätigkeiten abzunehmen, so dass ihm mehr Zeit für kreative Tätigkeiten bleibt. Und durch die gemeinsame Generierung von innovativen Ideen im Team können – unterstützt durch digitale Plattformen – Potenziale für neue Wertschöpfung entstehen.
Intelligente maschinelle Assistenten der Zukunft werden über viele Sensoren verfügen, um die Situation des Nutzers besser zu erkennen, und über verbesserte Verfahren, um große Mengen an Sensordaten auszuwerten. Zudem könnten Stimmungen anhand des Gesichtsausdrucks und der Stimmlage erkannt werden, so dass Kunden zukünftig noch besser adressiert werden können [26]. Produkte können anhand der Auswertung von großen Datenmengen noch genauer an den Kunden angepasst werden und damit zusätzliche Wertschöpfung generieren. Natürlich müssen in diesem Zusammenhang ethische und soziale Fragen sowie Datenschutzaspekte stärker diskutiert werden.