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Thomas Barton, Christian Müller und Christian Seel (Hrsg.)Digitalisierung in UnternehmenAngewandte Wirtschaftsinformatikhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-22773-9_9

9. Vision und Reifegradmodell für digitalisiertes Projektmanagement

Holger Timinger1   und Christian Seel1  
(1)
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Landshut, Landshut, Deutschland
 
 
Holger Timinger (Korrespondenzautor)
 
Christian Seel

Zusammenfassung

Projektmanagementsoftware ist seit Jahren ein Standardwerkzeug in Projekten. Bei den derzeitigen Softwarelösungen stehen vor allem die Planung und Fortschrittskontrolle in Projekten sowie die Kommunikation der Projektstakeholder im Vordergrund.

Allerdings ermöglicht die Digitalisierung durch maschinelles Lernen weitere fortgeschrittene Anwendungen. Dadurch können Entscheidungen in Projekten besser unterstützt oder auch Tätigkeiten von Projektmanagern automatisiert werden. Zwei Beispiele stellen das Tailoring der Projektmanagementmethode und die automatisierte Szenarienplanung dar.

Dementsprechend zeichnet dieser Beitrag die Vision eines digitalisierten Projektmanagements, das insbesondere Methoden des maschinellen Lernens einsetzt und weit über die aktuell verbreitete Nutzung digitaler Werkzeuge hinausgeht. Um diese Vision greifbar zu machen und einen Weg zu ihrer Erreichung aufzuzeigen, wird das Reifegradmodell M2DIP vorgestellt. Dieses Reifegradmodell ermöglicht sowohl die eigene Standortbestimmung als auch die Ableitung eines Entwicklungspfades für digitalisiertes Projektmanagement.

Schlüsselwörter

ReifegradmodellProjektmanagementDigitalisierungProjektmanagementsoftwareM2DIP

9.1 Digitalisierung im Projektmanagement

9.1.1 Einführung

Der Begriff der Digitalisierung ist bisher nicht einheitlich definiert. Vielmehr wird darunter sowohl die Umwandlung und Darstellung von Information und Kommunikation oder die digitale Modifikation von Instrumenten, Geräten und Fahrzeugen als auch die digitale Revolution als gesellschaftlicher Prozess verstanden [1].

Bezogen auf das Projektmanagement fokussiert die Digitalisierung vor allem auf die Umwandlung und Darstellung projektrelevanter Informationen durch Softwarewerkzeuge. Beispielsweise bilden diese Projektpläne ab oder zeigen den aktuellen Stand des Projektes an. Die Projektmanagementsoftware selbst hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. In den 1990er- und den ersten 2000er-Jahren beschränkte sich Projektmanagementsoftware häufig auf die Erstellung von Balkenplänen. Viele Programme waren Einzelplatzlösungen. Später kamen datenbank- und servergestützte Programme hinzu, welche projektübergreifende Ressourcenplanungen ermöglichten. Inzwischen ist ein klarer Trend zu Software-as-a-Service(SaaS)-Lösungen erkennbar, die anwenderseitig vollständig im Webbrowser laufen und keiner lokalen Installation mehr bedürfen.

Durch die zunehmende Verbreitung von SaaS-Lösungen wurde Planungsfunktionalität durch Kollaborationsfunktionalität ergänzt und manchmal sogar ersetzt. Die Hersteller von Projektmanagementsoftware haben erkannt, dass die besten Pläne nichts nutzen, wenn sie von den Mitarbeitern nicht verstanden werden oder wenn Probleme im Verlauf des Projekts nicht durch mangelnde Planung, sondern durch unzureichende Kommunikation entstanden. Kollaborationssoftware bietet heute Funktionen zur Kommunikation, Datenablage und zur gemeinsamen synchronen und asynchronen Bearbeitung von Dokumenten. Die Mitglieder des Projektteams werden automatisch an anstehende Termine aus dem Terminplan erinnert und Ressourcenmanager über Ressourcenüberlast informiert.

Allerdings muss sich Projektmanagementsoftware nicht auf die Digitalisierung von Dokumenten und Plänen sowie die Kommunikation der Stakeholder im Projekt beschränken. Gerade durch Ansätze der künstlichen Intelligenz bzw. genauer gesagt des maschinellen Lernens könnten in Zukunft auch Planungsaufgaben oder Entscheidungsunterstützungsfunktionen verstärkt automatisiert sowie das Tailoring der Projektmanagementmethode selbst durch Software unterstützt werden.

Ein Beispiel für einen digitalen Ansatz zum Tailoring der Projektmanagementmethode stellt das hybride Projektmanagementmodell (HyProMM) [2] dar. HyProMM ist ein Ansatz, der auf einem adaptiven Referenzmodell basiert. Dieses in Software realisierte Modell wird automatisiert anhand von Parametern wie Projektkomplexität, Teamgröße oder Erfahrung des Teams an das jeweilige Projekt, die Mitarbeiter und den Kunden angepasst. Gerade bei solchen Ansätzen sind die strukturierte Aufbereitung abgeschlossener Projekte und der Einsatz von Methoden des maschinellen Lernens wie Deep Learning oder Case-based Reasoning (CBR) sehr vielversprechend. Dadurch kann in Zukunft ein Tailoring des Vorgehensmodells und der Projektmanagementmethoden stattfinden, das weniger auf subjektiven Erfahrungen und Präferenzen einzelner Personen basiert, sondern systematisch abgeschlossene Projekte in eine Wissensbasis aufnimmt und auf dieser Basis ein sich ständig verbesserndes Tailoring vornimmt.

Dieses Beispiel illustriert, dass durch fortgeschrittene Verfahren der Digitalisierung wie maschinellem Lernen neue Funktionalitäten und Szenarien für Projektmanagementwerkzeuge möglich werden. Um eine systematische Weiterentwicklung von Projektmanagementwerkzeugen zu ermöglichen, ist es das Ziel dieses Beitrages den aktuellen Stand und die potenzielle zukünftige Entwicklung der Digitalisierung im Projektmanagement in Form eines Reifegradmodells aufzuzeigen.

Für diesen Beitrag ergeben sich daraus folgende Forschungsfragen:
  1. 1.

    Welche Funktionalitäten von Projektmanagementwerkzeugen werden durch die Digitalisierung möglich?

     
  2. 2.

    Wie lässt sich der Stand der Digitalisierung im Projektmanagement in Form eines Reifegradmodells erfassen?

     
  3. 3.

    Welche Implikationen erwachsen für Unternehmen aus einem nicht maximalen Reifegrad und welche Maßnahmen können sie daraus ableiten?

     

9.1.2 Forschungsmethodik und Aufbau

Zur Beantwortung dieser drei Forschungsfragen soll zunächst die verwendete Forschungsmethode dargelegt werden. Die verwendete Forschungsmethode hängt unmittelbar von der Zielsetzung der Forschungsfragen ab [3]. Da im vorliegenden Beitrag eine Vision und vor allem ein Reifegradmodell der Digitalisierung im Projektmanagement entwickelt werden soll, lassen sich die Forschungsfragen mit dem Instrumentarium der Design Science [4] bearbeiten. Österle et al. [5] postulieren in ihrem Memorandum zur gestaltungsorientierten Wirtschaftsinformatik, dass gestaltungsorientierte Arbeiten folgenden Prinzipien genügen müssen:
  • Abstraktion: Ein Artefakt muss auf eine Klasse von Problemen anwendbar sein.

  • Originalität: Ein Artefakt muss einen innovativen Beitrag zum publizierten Wissensstand leisten.

  • Begründung: Ein Artefakt muss nachvollziehbar begründet werden und validierbar sein.

  • Nutzen: Ein Artefakt muss heute oder in Zukunft einen Nutzen für die Anspruchsgruppen erzeugen können.

Daher sollen diese vier Prinzipien für den vorliegenden Beitrag konkretisiert und verifiziert werden. Eine Vision und auch ein Reifegradmodell für Digitalisierung im Projektmanagement lassen sich grundsätzlich auf alle Projekte beziehen, womit dem Prinzip der Abstraktion genüge getan ist. Da beides noch nicht existiert kann der Beitrag auch als originär angesehen werden. Die weitreichendsten Implikationen für das weitere Vorgehen erwachsen aus dem Prinzip der Begründung sowie dem Prinzip des Nutzens, da sich beide direkt im weiteren Aufbau niederschlagen.

Um eine nachvollziehbare Begründung für ein Reifegradmodell für Digitalisierung im Projektmanagement zu erhalten, wird im Abschn. 9.2 die Morphologie von Reifegradmodellen dargestellt. Außerdem wird der Stand der Wissenschaft in diesem Abschnitt beleuchtet.

Im drauffolgenden Abschn. 9.3 wird dann eine Vision des digitalisierten Projektmanagements skizziert. Ausgehend von dieser Vision wird im Abschn. 9.4 das Reifegradmodell M2DIP entwickelt. Um den Nutzen des Modells zu demonstrieren werden in Abschn. 9.5 die Implikationen des Reifegradmodells für Unternehmen aufgezeigt und die Anwendung des Reifegradmodells exemplarisch dargestellt.

9.2 Reifegradmodelle im Projektmanagement

9.2.1 Ziel und Zweck von Reifegradmodellen

Reifegradmodelle ermöglichen Organisationen die Bewertung von Eigenschaften, Strukturen und Prozessen anhand festgelegter Merkmale. Den Merkmalen werden Reifegrade zugeordnet, die eine Bewertung des jeweiligen Merkmals erlauben. Auf Basis der Bewertungen kann die eigene Leistungsfähigkeit beurteilt oder mit anderen Organisationen verglichen werden. Reifegradmodelle können für die eigene Weiterentwicklung von Eigenschaften, Strukturen und Prozessen eingesetzt werden. Außerdem kann der Einsatz von Reifegradmodellen bei der organisationsübergreifenden Zusammenarbeit hilfreich sein. So können Unternehmen von ihren Unterauftragnehmern bestimmte Reifegrade verlangen, um während der Zusammenarbeit die Einhaltung eigener Ansprüche zu gewährleisten.

Der Name Reifegrad impliziert, dass die Reife von Eigenschaften, Strukturen und Prozessen in Graden, das heißt in messbaren Stufen, angegeben wird. In vielen etablierten Reifegradmodellen kommen vier bis fünf Stufen zum Einsatz. Die unterste Stufe entspricht üblicherweise dem vollständigen Fehlen eines Merkmals. Die höchste Stufe entspricht der vollständigen Erfüllung eines Merkmals. Der Gesamtreifegrad ergibt sich aus der Aggregation mehrerer Merkmale.

Die Stufen von Reifegradmodellen bauen aufeinander auf. Die nächsthöhere Stufe eines Reifegradmodells kann erst erlangt werden, wenn die Merkmale der darunterliegenden Stufen vollständig und zusätzlich die darüber hinausgehenden Merkmale der angestrebten Stufe erfüllt werden. Es kann durchaus zu Überschneidungen kommen. So kann eine Organisation beispielsweise die Anforderungen an Stufe 1 eines Reifegradmodells vollständig erfüllt haben und bereits viele, aber nicht alle Anforderungen an die Stufe 2. Dennoch wird die Organisation damit weiterhin auf Stufe 1 bewertet. Erst wenn alle Anforderungen der nächsthöheren Stufe erfüllt sind, erfolgt der Übergang in diese Stufe.

9.2.2 Verbreitete Reifegradmodelle

Eines der verbreitesten Reifegradmodelle ist das Capability Maturity Model Integration (CMMI ), das vom CMMI Institute koordiniert wird [6]. Die Ursprünge des CMMI gehen bis in das Jahr 1979 zurück, als Crosby das Quality Management Maturity Grid veröffentlichte [7]. Das Quality Management Maturity Grid sollte Unternehmen bei der Weiterentwicklung ihres Qualitätsmanagements unterstützen. Im Jahr 1993 wurde das Capability Maturity Model veröffentlicht, aus dem im Jahr 2000 das Capability Maturity Model Integration (CMMI) hervorging [8]. Zunächst fokussierte sich das CMMI auf Entwicklungsorganisationen mit dem Ziel, deren unternehmensweite Prozesse zu verbessern. Im Jahr 2010 wurde die Version 1.3 des CMMI veröffentlicht. Seither gibt es spezifische Modelle für Beschaffungs-, Entwicklungs- und Serviceorganisationen.

CMMI nutzt 5 Reifegrade. Die unterste Stufe 1 nennt sich „initial“. Organisationen dieser Stufe arbeiten mit chaotischen Arbeitsabläufen. In Stufe 2 „geführt“ müssen für die Arbeitsabläufe Leitlinien existieren, die auch eingehalten werden. In Stufe 3 „definiert“ werden Arbeitsabläufe mit Hilfe von Normen, Verfahrensanweisungen, Hilfsmitteln und Methoden beschrieben. In Stufe 4 „quantitativ geführt“ nutzt die Organisation quantitative Kennzahlen und Ziele sowie statistische Verfahren zur Steuerung der Arbeitsabläufe. In Stufe 5 „Prozessoptimierung“ werden die auf Stufe 4 bekannten quantitativen Kennzahlen zur kontinuierlichen Prozessverbesserung genutzt. Für jede Stufe legt CMMI Prozessgebiete fest für die das Modell anzuwenden ist. Dazu gehören beispielsweise das Konfigurationsmanagement, Messung und Analyse, Projektplanung und das Risikomanagement. Je höher der Reifegrad, desto mehr Prozessgebiete müssen berücksichtigt werden.

CMMI ist ein recht umfassendes Reifegradmodell. Darüber hinaus gibt es mittlerweile viele branchen- oder bereichsspezifische Reifegradmodelle. Weitere Reifegradmodelle mit Bezug zum Projektmanagement sind das Organizational Project Management Maturity Model (OPM3) des Project Management Institutes [9] oder die Organizational Competence Baseline (OCB) der International Project Management Association (IPMA) [9]. Beide ermöglichen die Einordnung der eigenen Projektorientierung in die internationalen Standards der jeweiligen Projektmanagementorganisation. Crawford stellte 2002 das Project Management Maturity Model (PMMM) vor, ein Reifegradmodell mit den fünf Stufen „Einheitliche Sprache“, „Verfahren und Standards“, „Einheitliche Methodik“, „Benchmarking“ und „Ständige Verbesserung“ [10].

Seit einiger Zeit gibt es außerdem Bestrebungen, Reifegradmodelle mit Bezug zur Digitalisierung zu etablieren. Für mittelständische Unternehmen existiert ein Scoring Modell, das es den Unternehmen erlaubt, sich selbst in die Kategorien zwischen „Digitaler Anfänger“ und „Digitaler Experte“ einzuordnen [11]. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie veröffentlicht eine Checkliste, die Unternehmen bei der Bewertung der Relevanz von Industrie 4.0 unterstützen soll [12]. Die Hochschule Neu-Ulm hat zusammen mit Minnosphere ein online Analysewerkzeug zur Ermittlung des digitalen Reifegrads präsentiert [13]. Die Telekom bietet eine Selbstevaluation an, die einen Digitalisierungsindex zur Einordnung des eigenen Standes der Digitalisierung liefert [14].

Diese und weitere Reifegradmodelle sind noch recht neu und müssen sich erst noch bewähren. Hinzu kommt, dass einige direkt an Dienstleistungen von Beratungs- oder anderen Unternehmen mit digitalisierungsförderlichen Produkten gekoppelt sind. Unabhängigkeit und Objektivität der Ergebnisse wird den sich evaluierenden Organisationen dabei nicht immer klar.

Derzeit existiert noch kein Reifegradmodell, das sich auf die Digitalisierung des Projektmanagements fokussiert. Einige der oben genannten Modelle beziehen in ihrem ganzheitlichen Ansatz das Projektmanagement zwar mit ein, bleiben was die Digitalisierung des Projektmanagements angeht aber zu unpräzise, als dass sich konkrete Schwachstellen analysieren und wegweisende Strategien aus der Reifegradbewertung ableiten ließen.

9.2.3 Aufbau von Reifegradmodellen

Reifegradmodelle können als einfache Checkliste aufgebaut sein. Üblich ist jedoch, dass für die einzelnen Reifegrade Merkmale oder Fähigkeitsgrade festgelegt sind, die bis zu einem bestimmten Grad erfüllt sein müssen, um dem entsprechenden Reifegrad zu entsprechen. Dieser typische Aufbau ist in Abb. 9.1 illustriert.
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Abb. 9.1

Typischer Aufbau von Reifegradmodellen

9.3 Vision digitalisierten Projektmanagements

9.3.1 Stand der Technik

Die Fokussierung und Limitierung auf Funktionalität von Projektmanagementsoftware greift hinsichtlich der Digitalisierung zu kurz. Nachfolgend soll die Vision eines digitalisierten Projektmanagements skizziert werden, auf deren Basis ein Reifegradmodell für digitalisiertes Projektmanagement erstellt wird.

Interessant ist, dass mit Aufkommen agiler Vorgehensmodelle analoge, haptische Planungsinstrumente, wie Metaplankarten, Pinnwände und Whiteboards einen größeren Stellenwert einnehmen. Viele Projektinvolvierte finden die Arbeit mit solchen Materialien motivierender, übersichtlicher und kommunikativer. Deshalb sei an dieser Stelle betont, dass digitalisiertes Projektmanagement weder per se gut und erstrebenswert noch per se schlecht und vermeidenswert ist. Digitalisierung kann in bestimmten Konstellationen helfen, Projekte effizienter und effektiver durchzuführen und das eigene Projektmanagement besser weiterzuentwickeln. Besonders in sogenannten Standardprojekten und teilweise in Potenzialprojekten kann die Digitalisierung ihre Stärken ausspielen. Dort liegt der Schwerpunkt nach Boos und Heitger in der technisch-inhaltlichen Arbeit [15], siehe Abb. 9.2. Aber auch Akzeptanz- und Pionierprojekte können profitieren, indem durch die Digitalisierung Hilfestellung bei der Bewältigung der sozialen Komplexität geleistet wird.
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Abb. 9.2

Projektarten nach Boos und Heitger

Ausgangspunkt für die Vision digitalisierten Projektmanagements ist das hybride Projektmanagementmodell HyProMM, [16], siehe Abb. 9.3.
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Abb. 9.3

Ordnungsrahmen für hybrides Projektmanagement HyProMM nach Timinger und Seel

HyProMM ordnet die wesentlichen Aufgaben des Projektmanagements entlang des Projektlebenszyklus und ergänzt übergeordnete Führungsaspekte und unterstützende kontinuierliche Aufgaben. Der Projektlebenszyklus ist in die Phasen I-Initialisierung, D-Definition, P-Planung, S-Steuerung und A-Abschluss unterteilt, wobei jede Phase auch mehrfach durchlaufen werden kann. Jedes Element des Modells kann verschiedene Ausprägungen haben. So kann das Element P.1 Inhalte planen unter Anwendung unterschiedlicher Prozesse (1. Sicht des Modells), Methoden und Werkzeuge (2. Sicht) und unter Einbeziehung unterschiedlicher Rollen (3. Sicht) in einem Projekt eingesetzt werden. Beispielsweise kann eine der folgenden Methode zur inhaltlichen Planung eines Projekts eingesetzt werden
  • formlose Aufgabenliste,

  • Projektstrukturplan oder

  • Product Backlog

und dabei eine oder mehrere der folgenden Rollen einbezogen werden
  • Projektmanager

  • Projektmitarbeiter

  • Auftraggeber

Eine ausführliche Beschreibung des Modells und seiner Elemente findet sich in [17]. Auf Basis des Modells kann nun die Vision digitalisierten Projektmanagements hergeleitet werden.

9.3.2 Digitalisiertes Projektmanagement

Digitalisiertes Projektmanagement bedeutet die Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung im Projektmanagement. Studien wie die von Frey und Osborne zeigen dass administrative, sich wiederholende Tätigkeiten stärker von einer computergestützten Automatisierung übernommen werden können, als kreative Tätigkeiten in komplexen und sozial geprägten Situationen [18]. Projekte sind per Definition keine Routinetätigkeiten und geprägt von der Zusammenarbeit zwischen Menschen. Aber auch hier gibt es Aspekte, die von digitalen Abläufen profitieren können. Die Vision eines digitalisierten Projektmanagements soll in einem zweidimensionalen Raum aufgespannt werden, siehe Abb. 9.4.
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Abb. 9.4

Zweidimensionaler Raum zum Aufbau der Vision eines digitalisierten Projektmanagements

Entlang des Projektlebenszyklus, vom Projektauftrag bis zum erfolgreichen Abschluss können die Elemente von HyProMM in unterschiedlicher starker Ausprägung digitalisiert werden. Die Digitalisierung schließt dabei die Nutzung digitaler Medien mit ein, geht aber weit darüber hinaus. Vernetzte Planungs-, Steuerungs- und Kollaborationswerkzeuge können die Art des Projektmanagements und die Teamarbeit verändern. Aufgaben des Ressourcenausgleichs zwischen Projekten und Einheiten der Linienorganisation können automatisiert werden. Case-based reasoning oder Machine Learning auf Basis prädiktiver Modelle oder künstlicher neuronaler Netze ermöglichen das systematische Lernen aus Erfahrungen vergangener Projekte und die Entwicklung digitaler Projektassistenten zur automatisierten Planung, Steuerung und Szenarienerstellung.

Ein weitgehendes Szenario für digitalisiertes Projektmanagement entlang dieses Projektlebenszykluses sieht wie folgt aus: Während der Klärungsphase des Projekts als Teil der Initialisierungsphase werden zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer die Projektziele erarbeitet und in einem Projektauftrag verabschiedet. Die Zusammenarbeit erfolgt über eine digitale und mobile Kollaborationsplattform. Das Lastenheft wird elektronisch bereitgestellt, von der Software automatisiert ausgewertet und ein Angebot erstellt. Dafür nutzt die Software Erfahrungen über Aufwände und Kosten aus vergangenen Projekten. Unklare Anforderungen und Lücken erkennt die Software und fordert Auftraggeber und Auftragnehmer wiederum automatisiert dazu auf, entsprechende Informationen zu liefern.

Die automatisiert und teilautomatisiert gesammelten Informationen werden zusammen mit HyProMM genutzt, um ein passendes Vorgehensmodell für die Projektbearbeitung zu wählen und das Tailoring vorzunehmen [2]. Das Vorgehensmodell kann entweder rein traditionell, beispielsweise nach dem Wasserfallmodell, konfiguriert werden oder aber agil, beispielsweise unter Nutzung von Scrum. Auch hybride Formen sind möglich und werden entsprechend den vorhandenen Rahmenbedingungen gewählt. Auf Basis des gewählten und angepassten Vorgehensmodells wird die eingesetzte Projektmanagementsoftware für Planung, Kollaboration und Steuerung automatisch konfiguriert, so dass diese zum gewählten Vorgehen passt.

In der Definitionsphase werden auf Basis der Anforderungen des Auftraggebers Meilensteine abgeleitet und aus den im Unternehmen vorhandenen Ressourcen mit spezifischen Kompetenzen die passenden Mitarbeiter zur Bearbeitung vorgeschlagen. Für die Zusammenarbeit innerhalb des Teams steht eine Kollaborationsplattform bereit. Über ausgewiesene Bereiche werden Auftraggeber und Lieferanten mit einbezogen, beispielsweise zur anschaulichen Demonstration von Zwischenergebnissen, für online und Videokonferenzen, der gemeinsamen Dokumentenbearbeitung und Datenablage etc.

In der Planungsphase erfolgt die Detailplanung des Projekts. Auf Basis der Anforderungen, unter Nutzung von Wissen aus vergangenen Projekten und unter Berücksichtigung des gewählten traditionellen, agilen oder hybriden Vorgehensmodells werden von der Software entsprechende Planungsunterlagen erstellt. Fehlen Informationen oder erkennt die Software Unstimmigkeiten, werden entsprechende Informationen vom Anwender angefragt.

Auch für das Risikomanagement werden Erfahrungen vergangener Projekte, die automatisiert analysierten Anforderungen und die bereits erstellten Pläne genutzt. Umgekehrt fließen die erkannten Risiken in die Planungen mit ein und Contingency und Management Reserve werden entsprechend dimensioniert.

Das Berichtswesen wird so angelegt, dass wichtige Kennzahlen automatisiert erhoben und berichtet werden. Für Dokumentenmanagement, Änderungsmanagement, Vertrags- und Nachforderungsmanagement wird eine workflowbasierte Software eingesetzt.

In der Steuerungsphase erkennt die Software automatisch Abweichungen der vereinbarten Kennzahlen und Unstimmigkeiten in Plänen, registriert eingetretene Risiken und Änderungswünsche. Daraus erstellt sie verschiedene Szenarien und stellt diese anschaulich dar. Zur Integration des Kunden werden Reviews und Retrospektiven in die Statuserfassung integriert und Erkenntnisse daraus automatisiert in die Planungen aufgenommen. Auf Basis der Szenarien, der Kosten, der Ressourcen und der Prioritäten werden ebenfalls automatisiert Steuerungsmaßnahmen vorgeschlagen und gegebenenfalls initiiert.

Bei Bedarf wird das Vorgehensmodell automatisiert angepasst. Stellt sich während der Bearbeitung heraus, dass der Kunde stärker einbezogen werden muss oder umgekehrt der Kunde sich nicht einbeziehen lassen möchte, werden entsprechende Anpassungen im Vorgehen vorgenommen.

In der Abschlussphase wird die Projektübergabe dokumentiert, automatisiert entsprechende Berichte und Protokolle erstellt und das Projekt anhand der vereinbarten Kennzahlen analysiert. Fortlaufend während des gesamten Projektlebenszykluses wurden bereits Erfahrungswerte gesammelt, aufbereitet und für maschinelles Lernen der Software genutzt. Hierzu gehören Erfahrungen aus der Analyse des Lastenhefts, der Risiken und ihrer Gegenmaßnahmen, der aufwands- und kostenbezogenen Soll- und Ist-Werte sowie der Erfolg von Steuerungsmaßnahmen. Die Informationen werden vom digitalisierten selbstlernenden Projektmanagementsystem genutzt, um das Vorgehen künftiger Projekte automatisiert zu verbessern.

In diesem Szenario wird der Projektmanager nicht überflüssig. Er erhält – ähnlich wie beim assistenzgestützten Autofahren – aber ein System, das Erfahrungen aus der Vergangenheit sehr viel umfassender als bisher für künftige Projekte nutzt und von administrativen Tätigkeiten entlastet. Im Sinne der Agilität bleibt mehr Zeit für den Menschen, die Zusammenarbeit mit dem Kunden und die Erschaffung eines herausragenden Ergebnisses.

Aus diesem Szenario lassen sich für die folgenden Hauptfelder für digitalisiertes Projektmanagement ableiten:
  • Digitale Vorgehensmodelle und Tailoring: Diese ermöglichen die automatisierte Wahl und Konfiguration von traditionellen, agilen und hybriden Vorgehensmodellen und deren ebenfalls automatisiertes Tailoring. Die Auswahl und das Tailoring geschehen auf Basis von Kriterien, die sich aus dem Projektauftrag und den Rahmenbedingungen zur Bearbeitung ableiten.

  • Dokumentenmanagement und Workflows: Alle Projektdokumente werden elektronisch geführt und workflowgesteuert erstellt, geprüft und weiterverarbeitet. Dies schließt andere Abläufe wie das Änderungsmanagement und das Vertragsmanagement mit ein.

  • Planung: Die Projektplanung der Termine, Ressourcen und Kosten erfolgt mit Software, die bei Bedarf mit Software anderer Projekte und Einheiten der Linienorganisation vernetzt ist.

  • Controlling und Berichtswesen: Die Ermittlung des Projektfortschritts erfolgt anhand definierter Kennzahlen in einem elektronischen System. Dieses erstellt aus den ermittelten Kennzahlen entsprechende Projektberichte und leitet diese an die relevanten Stakeholder weiter.

  • Steuerung: Das System ermittelt auf Basis ermittelter Kennzahlen, vorhandener Ressourcen und anderer Rahmenbedingungen automatisiert Empfehlungen für die Projektsteuerung.

  • Interne Kollaboration: Es existieren elektronische Werkzeuge zur projektinternen Kollaboration, wie Foren, gemeinsame Dokumentenbearbeitung, Videokonferenzsysteme, Screensharing etc.

  • Externe Kollaboration: Es existieren elektronische Werkzeuge zur Kollaboration mit projektexternen Einheiten, wie dem Auftraggeber und Lieferanten.

  • Abschluss: Es erfolgt ein automatisierter Projektabschluss mit Dokumentenarchivierung, Nachkalkulation, Projektanalyse, Erfahrungssicherung und Wissenstransfer.

9.4 Reifegradmodell für digitalisiertes Projektmanagement M2DIP

Auf Basis der Überlegungen der vorangegangenen Kapitel wird nun das Reifegradmodell für digitalisiertes Projektmanagement M2DIP (Maturity Model for Digital Integration in Project Management) erarbeitet und vorgestellt. Das Reifegradmodell besteht aus fünf Reifegraden. Zur Erreichung eines Reifegrads müssen definierte Digitalisierungsgrade in unterschiedlichen Bereichen des Projektmanagements nachgewiesen werden. Die Reifegrade und ihre Bedeutung lauten:
  • Reifegrad 1 – initial: Projekte nutzen kaum digitale Werkzeuge zur Bearbeitung des Projektgegenstands oder diese Werkzeuge werden unkoordiniert und nicht systematisch eingesetzt.

  • Reifegrad 2 – isoliert: Projekte nutzen digitale Werkzeuge als sogenannte Insellösung. Für definierte Bereiche des Projektmanagements werden zwar digitale Werkzeuge eingesetzt, diese sind jedoch nicht miteinander vernetzt oder integriert.

  • Reifegrad 3 – integriert: Projekte nutzen integrierte digitale Werkzeuge oder digitale Werkzeuge, die miteinander vernetzt sind. Dadurch werden Daten nur einmal vorgehalten und können in allen definierten Bereichen des Projektmanagements verwendet werden.

  • Reifegrad 4 – lernend: Projekte nutzen integrierte digitale Werkzeuge oder digitale Werkzeuge, die miteinander vernetzt sind. Diese Werkzeuge sammeln automatisiert Daten im Sinne der Wissens- und Erfahrungssicherung und erlauben deren späteren Abruf.

  • Reifegrad 5 – autonom: Projekte nutzen lernende integrierte oder vernetzte digitale Werkzeuge. Diese sind in der Lage, in den definierten Bereichen des Projektmanagements eigene Entscheidungen zu treffen oder Entscheidungsvorlagen vorzuschlagen.

Der Umfang definierter Bereiche des Projektmanagements steigt von Reifegrad 2 bis Reifegrad 5 an, das heißt für Reifegrad 2 müssen weniger Bereiche digital unterstützt werden, als bei Reifegrad 5. Wie ausgeprägt ein Bereich digitalisiert ist, gibt sein Digitalisierungsgrad (DG) an. Es gibt vier Digitalisierungsgrade (DG0 bis DG4):
  • Digitalisierungsgrad 0 – unvollständig: Keine systematische Nutzung digitaler Werkzeuge. Vereinzelt setzen Individuen Software ein.

  • Digitalisierungsgrad 1 – isoliert: Definierte digitale Werkzeuge werden als isolierte Einzelplatzlösungen ohne Vernetzung eingesetzt.

  • Digitalisierungsgrad 2 – integriert: Die eingesetzten digitalen Werkzeuge sind vernetzt und greifen auf eine gemeinsame Datenbasis zu.

  • Digitalisierungsgrad 3 – lernend: Die eingesetzten digitalen Werkzeuge sammeln und archivieren Daten, die in späteren Projekten wieder genutzt werden können.

  • Digitalisierungsgrad 4 – autonom: Die digitalen Werkzeuge können eigenständig auf Basis der aktuellen Situation und gesammelter Daten Entscheidungsvorlagen erstellen und Entscheidungen treffen.

Eine Übersicht über M2DIP mit wichtigen Bereichen des Projektmanagements und die zur Erreichung eines bestimmten Reifegrads notwendigen Digitalisierungsgrade zeigt Abb. 9.5.
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Abb. 9.5

Reifegradmodell für digitalisiertes Projektmanagement M2DIP

Zur Verdeutlichung soll ein Beispiel aus dem Reifegradmodell M2DIP erläutert werden: Ein Unternehmen, das den Reifegrad 2 – isoliert für digitalisiertes Projektmanagement hat, muss in den Bereichen Dokumentenmanagement, Planung und interne Kollaboration für alle Unterbereiche, beispielsweise digitale Vorlagen, Terminplanung etc., mindestens den Digitalisierungsgrad 1 – isoliert haben. Möchte es den Reifegrad 3 – integriert erreichen, muss es zusätzlich die Bereiche externe Kollaboration, Workflows, Controlling und Berichtswesen sowie Abschluss digitalisieren. In allen Bereichen muss der Digitalisierungsgrad 2 – integriert erreicht werden. Das bedeutet, dass in die digitalen Werkzeuge miteinander vernetzt sind und auf gemeinsame Daten zurückgreifen.

Für die Erreichung von Reifegrad 4 – lernend kommen keine weiteren Bereiche hinzu. Alle Bereiche, die für Reifegrad 3 – integriert relevant waren, müssen nun aber die gesammelten Daten analysieren, archivieren und für neue Projekte bereitstellen.

Bei Reifegrad 5 – autonom müssen diese archivierten Erfahrungen ausgewertet und für die automatisierte Weiterentwicklung der digitalen Werkzeuge genutzt werden. Dies entspricht dem Digitalisierungsgrad 4 – autonom. Außerdem müssen die Daten für die automatisierte Erzeugung von Projektszenarien und für Entscheidungsvorlagen genutzt werden. Zusätzlich kommen als neue Bereiche digitale Vorgehensmodelle und Tailoring hinzu. Auf Basis relevanter Kennzahlen und Merkmalen des Projekts wird automatisiert ein passendes Vorgehensmodell konfiguriert und an das Projekt angepasst. Die Anpassung kann sich ändern, wenn sich während des Projektverlaufs neue Konstellationen, wie zusätzliche Kunden, neue Lieferanten etc. ergeben.

9.5 Implikationen des Reifegradmodells im Unternehmen

Das Reifegradmodell M2DIP hat Auswirkungen auf die Anwender von Projektmanagement und die Anbieter digitaler Projektmanagementprodukte.

Bei den Anwendern in Unternehmen dient M2DIP als Grundlage für die Digitalisierung des Projektmanagements. Es erlaubt die Erfassung des aktuellen Stands der Digitalisierung und zeigt über die einzelnen Bereiche und Digitalisierungsstufen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung auf.

Dabei steht es jedem Unternehmen frei, nicht alle Bereiche vollständig zu digitalisieren. Das Ziel ist nicht die Erreichung eines möglichst hohen Reifegrads, sondern eines optimalen Digitalisierungsgrads. Die Vielfalt an Projekten, Rahmenbedingungen und Stakeholdern führt dazu, dass es keinen einheitlichen, für jede Situation und jedes Unternehmen optimalen Digitalisierungsgrad gibt. Vielmehr muss jedes Unternehmen für sich eine Digitalisierungsstrategie für das Projektmanagement entwickeln und umsetzen. M2DIP gibt Impulse, an welchen Stellen digitale Werkzeuge und Abläufe sinnvoll sein können. Es umfasst dabei die Spanne von gar keinen digitalen Werkzeugen und Abläufen bis hin zum (fast) autonomen Projekt, das durch Machine Learning zumindest teilautomatisiert geplant und gesteuert wird.

Auch bei digitalisiertem Projektmanagement ist ein fundiertes Projektmanagementverständnis aller Beteiligten wichtig. Hierfür gibt es mit dem Capability Maturity Model Integration und dem Project Management Maturity Model Reifegradmodelle, die bei der Weiterentwicklung des Projektmanagements im Unternehmen helfen. Außerdem gibt es eine Vielzahl an Standards, die für ein erfolgreiches Projektmanagement eingesetzt werden können.

Arbeitspakete oder Tasks werden in einem Projekt in der Regel von Mitarbeitern bearbeitet. Digitalisiertes Projektmanagement setzt voraus, dass deren Ergebnisse digital erfasst werden können, beispielsweise in Form von Kennzahlen (Aufwandsschätzungen, tatsächlichen Kosten etc.) und Dokumenten (Pflichtenheft, Konstruktionszeichnungen, Stücklisten etc.). Mitarbeiter müssen folglich ausreichend qualifiziert werden, um die Auswirkungen ihrer Interaktion mit dem digitalen Werkzeug zu verstehen.

Die agile Transformation stellt den Menschen und Interaktionen zwischen Menschen zur Steigerung von Flexibilität und Innovation in das Zentrum. Digitalisierung kann Innovation fördern und Freiräume für Interaktionen zwischen Menschen schaffen, indem bestimmte Tätigkeiten von digitalen Werkzeugen übernommen werden.

Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine sind folglich ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Gelingen der digitalen Transformation im Projektmanagement. Die Schnittstelle und die Datenverarbeitung ermöglichen neue Projektmanagementprodukte, die weit über die Funktionalität heute verbreiteter Werkzeuge hinausgehen. Machine Learning bietet hier noch viel Potenzial. Insgesamt bietet das Reifegradmodell M2DIP Herstellern von digitalen Werkzeugen eine Grundlage, ihre bestehenden Produkte einzuordnen und Potenziale für die Weiterentwicklung zu identifizieren und umzusetzen.

9.6 Zusammenfassung und Ausblick

In diesem Beitrag wurde die Vision digitalisierten Projektmanagements gezeichnet und das Reifegradmodell M2DIP für digitalisiertes Projektmanagement vorgestellt.

Es wurde gezeigt, dass die Digitalisierung im Projektmanagement nicht bei mit Software erstellten Balkenplänen oder bei der Nutzung digitaler Kollaborationsplattformen endet. Die Digitalisierung ermöglicht deutlich mehr: Seit langem wird auf die Bedeutung von Wissensmanagement in Projekten hingewiesen. Gleichwohl sieht die Praxis meist so aus, dass aus Zeit- und Kostengründen lieber mit dem nächsten Projekt begonnen wird, als dass Wissen und Erfahrungen gesichert und weitergegeben werden. Digitalisierung und Machine Learning bieten hier neue Möglichkeiten, Informationen zu sammeln, auszuwerten, im digitalen Werkzeug selbst zu nutzen und an relevante Stakeholder weiterzugeben. Der digitale Projektassistent plant mögliche Projektszenarien und erstellt Entscheidungsvorlagen mit aktualisierten Plänen und resultierenden Risiken.

Der Mensch wird nicht überflüssig, erhält aber mehr Freiräume für Tätigkeiten, die derzeit von digitalen Systemen nur unzureichend wahrgenommen werden können. Als Beispiele seien kreative Aufgaben, Mitarbeiterführung oder Kundenpflege genannt.

Projektmanagementsoftware hat sich in den vergangenen Jahren bereits stark gewandelt. Vor einigen Jahren war Projektmanagementsoftware gleichbedeutend mit einem Computerprogramm zur Erstellung von Balkenplänen. Die Programme sind heute häufig vernetzt oder direkt webbasiert und können projektübergreifend Ressourcen verwalten und als Kommunikationsplattform dienen. Viele Projektmanagementprogramme nennen sich heute lieber Kollaborationssoftware, um auf Funktionalität jenseits der Terminplanung hinzuweisen. Mit der agilen Transformation kamen digitale Werkzeuge zur Erstellung und Pflege von Task- und Kanbanboards auf den Markt. Es gibt mittlerweile Varianten, die hybride Projekte verwalten können und gleichermaßen mit traditionellen Balkenplänen und agilen Taskboards umgehen können.

Die Vernetzung der einzelnen Funktionen wird weiter zunehmen und damit die Möglichkeit, auf gemeinsame Daten zurückzugreifen. Diese lassen sich auswerten und zur Weiterentwicklung von Projektmanagementabläufen und zur Verbesserung der Planungen und der Projektsteuerung einsetzen. Der digitale Projektassistent wird möglich.