5. Magierprobleme

Islays Augen leuchteten auf. »Gut! Ich meine, nicht gut. Also, was ich sagen will ... danke, dass du mir vertraust. Das kannst du auch!«

Je mehr er quatschte, desto stärker wurden Jerichos Zweifel. Aber nun konnte er ebenso gut auch weitermachen. »Terry wollte mir etwas Wichtiges zum Tod von Clara mitteilen.«

»Ah!« Islay hob den Zeigefinger. »Jemand wollte ihn zum Schweigen bringen. Und dieser Jemand kann nur Claras Mörder sein.«

Es war seltsam, Claras Namen aus Islays Mund zu hören. Jericho kämpfte gegen das Unbehagen an, das ihn packte. Islay hatte Clara nicht gekannt. Er hatte kein Recht, von ihr zu reden. Kein Recht, ihren Mörder zu suchen. Vor allem hatte er kein Recht, Jericho dermaßen abzulenken, allein damit, dass er da war.

»Oder nicht?«, fragte Islay verunsichert. »Du guckst so grimmig.«

»Doch, kann sein. Fragt sich nur, wie dieser Jemand erfahren hat, dass Terry etwas herausgefunden hat.«

»Wir könnten auch anders ansetzen und überlegen, wo Terry die Info gefunden hat. Er hat bei SAW Fort William gearbeitet. Könnte es etwas mit seiner Arbeit zu tun haben?«

Darüber hatte Jericho auch schon nachgedacht. »Das Blöde ist, dass ich im Moment nichts darüber erfahren kann.«

»Nicht von den SAW Agenten. Aber Terry muss doch Freunde gehabt haben. Kennst du die? Die könntest du befragen.«

»So war Terry nicht. Er hätte nie mit Zivilisten über seine Arbeit für SAW geredet.«

»Seine Freunde haben aber vielleicht trotzdem etwas mitbekommen. Was er in letzter Zeit gemacht hat, wo er war, sowas.«

Jericho überlegte eine Sekunde ernsthaft, ob er Islay von Terrys Notizbuch erzählen sollte. Der Moment verging. »Konzentrieren wir uns zunächst auf seine letzten Lebenstage. Was kannst du mir dazu sagen?«

Islay runzelte die Stirn. »Nicht viel. Er war nett. Hat sich sofort dazu bereit erklärt, sich von mir interviewen zu lassen. Am Abend bevor ... er sich mit den Magiern treffen wollte, waren wir im Pub und er hat mir eine Menge Fragen beantwortet.«

»Im Singenden Sidhe

»Die anderen waren geschlossen. Er hat Fish and Chips gegessen und mir von seiner Ausbildung erzählt. Ich hatte vor, eine Artikelserie daraus zu machen. Ihm gefiel die Idee.«

»Was hat er am nächsten Tag gemacht?«

»Er war am Old Man. Hat sich die Offene Tür angesehen. Er hatte mir versprochen, mir nach dem Treffen mit den Magiern zu erklären, was er dabei herausgefunden hat. Er war den ganzen Tag unterwegs. Allein. Glaube ich. Mit der Indian.«

»War er nicht mit dem Auto hier?«

»Doch, aber das war kaputt. Wenn SAW es nicht beschlagnahmt hat, steht es noch bei Nic.«

Immerhin etwas. Darauf hätte Jericho schon viel früher kommen müssen. Möglich, dass er in Terrys Wagen einen Hinweis fand, was Terry ihm hatte mitteilen wollen. Es stimmte, er war kein Ermittler. Mehr der Mann fürs Grobe. Solange er keinen greifbaren Verdächtigen hatte, half ihm das nicht weiter.

Islay sprang auf. »Viertel vor neun. Ich fange Mr. Pinkett an der Tür ab und bringe ihn her.«

»Was ist mit Miss Bumbles? Wird ihr das nicht seltsam vorkommen, dass du den Ersten Magier in den Garten schmuggelst?«

»Sie ist jetzt vollauf damit beschäftigt, Frühstück für die Gäste zu machen. Da merkt sie nichts. Wir sind ausgebucht.«

»Wir?« Jericho hob die Brauen. »Ich dachte, du wolltest wieder beim Skye Beobachter arbeiten. Steigst du lieber ins Frühstückspensionsgeschäft ein?«

Islay zwinkerte ihm zu. »Mal sehen. Mein Frühstück hat dir doch damals geschmeckt, oder?«

Bevor Jericho etwas erwidern konnte, huschte er aus dem Schuppen. Jericho brauchte nicht lange zu warten, bis er mit Solomon Pinkett im Schlepptau zurückkehrte. Beinahe hätte Jericho den alten Magier nicht erkannt. Bei ihrer letzten Begegnung war er ausgemergelt gewesen, hatte sich bewegt wie ein Greis. Nun kam er federnden Schrittes in den Schuppen und streckte Jericho mit einem Lächeln die Hand entgegen. »Jericho March. Der meistgesuchte Mann Schottlands.«

»Solomon.« Jericho erwiderte den herzlichen Händedruck.

Solomons Augen waren klar, sein Blick scharf. Die Nachwirkungen des Mittels, mit dem Hamish Connell ihn außer Gefecht setzen wollte, waren verschwunden. »Von den Magiern hast du nichts zu befürchten, dafür halte ich meinen Bündler ins Feuer. Wir sind froh, dass du da bist. Es gibt Ärger. Vermutlich eine oder mehrere AWs.«

Er kam sofort zur Sache. Das gefiel Jericho.

Islay zauberte eine Thermoskanne und drei Porzellantassen hervor und verteilte Tee. Sie nahmen auf den Kisten Platz.

»Gibt es ein weiteres Loch?«, erkundigte sich Jericho. Dass er es nicht riechen konnte, musste nicht heißen, dass keines da war. Selbst er war nicht unfehlbar.

»Keine OT. Die Wesenheiten machen hier vermutlich Urlaub.« Auch seinen Humor hatte der Erste Magier wiedergefunden. »Wenn sie weiter ihr Unwesen treiben, verjagen sie die zahlenden Gäste. Und wer wird dafür verantwortlich gemacht werden?«

»Die Magier?«, riet Islay.

Pinkett nickte. »Die Bürger von Skye sind ohnehin zurzeit nicht gut auf uns zu sprechen.«

»Sie haben die OT geschlossen.«

»Ja, aber zu spät. Die meisten sind der Meinung, dass wir sie viel eher hätten finden müssen. Und es wird kritisiert, dass wir mehrere Tage gebraucht haben, um sie zu schließen. Der Skandal um Hamish hat unseren Ruf auch nicht gerade verbessert.«

»Ich werde einen positiven Artikel über Sie verfassen«, schlug Islay vor.

»Was ist denn nun genau passiert?«, wollte Jericho wissen.

»Nun ja, es gab unschöne Vorfälle am Storr.«

»Schon wieder?«

»Nicht oben am Berg, sondern eher unten am Parkplatz und am Loch Leathan. Touristen haben beobachtet, wie Menschen im See ertranken. Erstaunlicherweise ist bisher niemand vermisst gemeldet worden. Es ist der Polizei gelungen, die Zeugen zum Stillschweigen zu überreden. Doch lange wird das nicht mehr gut gehen. Sobald etwas durchsickert, gibt es Ärger.«

»Was deutet auf Außerdimensionale Wesenheiten hin?«

»Die Ertrinkenden haben gerufen, dass sie von Dämonen angegriffen werden. Offenbar ziehen die AWs unvorsichtige Schwimmer in die Tiefe.«

»Ist Schwimmen an dem Loch nicht verboten?«, fragte Islay.

Jericho und Solomon sahen ihn nur an. Verlegen hob er die Schultern. »Schon klar. Darum kümmert sich kaum jemand. Gibt immer ein paar Idioten, denen Verbotsschilder egal sind, was?«

»Das Interessante daran ist: Es waren bisher nur Frauen betroffen.«

»Eine AW, die weibliche Opfer bevorzugt?« Jericho runzelte die Stirn. Das war neu. Irgendwie kam ihm die ganze Geschichte komisch vor. »Und die Frauen werden nicht vermisst?«

»Vermutlich Touristinnen auf Solotrip. Die Polizei sagt, es kann Wochen dauern, bis Freunde und Familie sich Sorgen machen. Seit dem Wandel sind die Kommunikationswege eingeschränkt. Niemand schlägt gleich Alarm, wenn sich Tochter oder Freundin ein paar Wochen nicht melden, wenn sie allein verreist sind.«

»Wie viele?«

»Bisher fünf.«

»Sonst noch was?«

»Ja, die am Storr geparkten Autos wurden beschädigt. Kratzer am Lack, als hätte ein Wesen mit Krallen sich daran zu schaffen gemacht.«

»Sind noch welche von den Zeugen hier?«

Solomon überlegte. »Ja, ein Ehepaar. Ich werde ein Treffen arrangieren.«

Jericho sah Islay auffordernd an. Der konnte sein Glück kaum fassen, so wie er strahlte. »Das übernehme ich!«

Er konnte gut mit Leuten reden. Ihr Vertrauen gewinnen. Bestimmt würde er mehr aus dem Paar herausbekommen, als Jericho. Zumindest solange Jericho sie nicht foltern durfte.