Kapitel 1: Es ist alles anders.
E ine einzige Sekunde, Jenny. In nur einer einzigen Sekunde hast du in mir alles auf den Kopf gestellt. Mein ganzes Leben, seit ich denken kann, arbeite ich mit Geschwindigkeit und trainiere fast täglich meine Reflexe. Nur um der Schnellste zu sein. Dieses eine Mal habe ich versagt.
Habe ich damit gerechnet? Nein, habe ich nicht, Jenny. Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass du dir die Pistole unter dein hübsches Kinn hältst. Du hast nicht gezögert und ich erstarrte in der Bewegung. Ich konnte noch nicht einmal die vier Buchstaben zu Ende brüllen, da hast du schon abgedrückt. In nur einer einzigen Sekunde riss die Finsternis mich auseinander.
Bis zu diesem Augenblick dachte ich immer, ich wäre die Dunkelheit. Der Schatten, der über jeden fegt und das Licht nicht mehr durchlässt.
Doch in dieser einen Sekunde verschwand mein voriges Denken. Der Glaube an meine Taten, der Stolz über die vielen, erfolgreichen Pläne und das Bild über mich selbst. Die Vergangenheit sowie die Zukunft lösten sich auf und mein Blick klebt an dieser herrlich zerstörten Gestalt mit der Knarre unter dem Kinn. Alles hat sich geändert. Du hast es verändert, Jenny.
Die Zeit ist stehen geblieben und ich sehe nur den Abgrund, in den wir beide stürzen. Doch dann kommt es.
Das erlösende Klicken.
Wie in Zeitlupe siehst du zu mir auf. Mit einem leeren Blick, den ich nie zuvor bei dir gesehen habe, schaust du durch mich hindurch.
Es dauert einen Moment, bis mir klar wird, dass keine Kugel durch deinen Kopf gejagt ist. Doch du bist ein weiteres Mal schneller und wieder.
Klick. Klick. Klick.
Dann, genau dann, lässt mein Zorn den Abgrund verschwinden. Die Finsternis wird von meiner gewaltigen Wut an die Seite geschoben. Noch während du die Pistole unter dein Kinn drückst, hole ich aus. Als würde ich neben mir stehen, sehe ich zu, wie meine flache Hand auf deine Wange schlägt. Dein Kopf schwingt zur Seite. Aber du, Jenny, bist völlig unbeeindruckt. Gleichgültig lässt du dich nach hinten fallen, lässt das Magazin herausspringen und stellst seufzend fest, dass es leer ist.
Ich verstehe nicht, was gerade passiert ist.
Jenny, du hast abgedrückt. Nicht nur einmal. Du hast dich dafür entschieden, dir das Leben zu nehmen, anstatt mich zu erschießen.
Warum tust du das? Hast du deinen Wert über meinen gestellt? Nach allem, was ich dir angetan habe? Wie kannst du nur so dumm sein? Ich bin schockiert, Jenny.
Bis jetzt hat es noch keiner geschafft, mich aus der Fassung zu bringen. Nur du, Jenny.
Nur du allein schaffst es, in mir tausend Gefühle auszulösen und gerade bin ich so unglaublich wütend, dass mein Körper zittert. Ich drücke meine Finger in deine Hüfte, in deine sanfte Haut und fest in dein Fleisch. Ich weiß nicht, wohin mit meiner geballten Energie, die dir nur immer wieder ins Gesicht schlagen will.
Ich bin fassungslos. Wie konnte das nur passieren?
Dabei habe ich damit gerechnet, dass du abdrückst, wenn der Lauf auf mich gerichtet ist. Dann hätte ich das eher nachvollziehen können. Aber nicht so. Du hast mich unvorbereitet erwischt. Das darf nicht noch einmal passieren.