A HHH! Der heiße Mistkerl verweigerte mir den Höhepunkt.
Arschlochmensch!
Noch immer hingen mir seine Worte im Kopf. Aber das schob ich beiseite. Umso eher konnte ich mich auf die Aufträge konzentrieren, bevor mir alles entglitt.
Denn ich war stark! Ich musste es mir nur selbst beweisen! Ich war nach wie vor die Alte. Irgendwo in mir drin. Es musste nur wieder an die Oberfläche zurückkommen. Außerdem hasste er mich. Er hasste mich auf eine Art, wie ich es tat!
Kaum trat ich die Treppen hinunter, kam schon Trick die wenigen Stufen zu mir hinauf: »Guten Morgen.«
Nachdem ich nur nickte, ohne meinen Schritt zu bremsen, informierte er mich direkt: »Blade ist schon da. Ihr habt einen Dealer ausgelassen.«
Erneut nickte ich nur und ging mit ihm gemeinsam weiter runter. Er bemerkte sicher mein dummes Grinsen, aber es war mir egal. Obwohl ich einen Orgasmus zu wenig hatte, war meine schrecklich gute Laune nicht zu übersehen.
Dank D war ich heute Morgen in seinen Armen aufgewacht und es fühlte sich, wie immer, zu gut an. Er hatte mich komplett erobert. Und abhängig gemacht. Ich war ein Dean-Junkie.
Kaum war ich unten, kam auch schon Blade und ich hob direkt eine Hand.
»Ja, ich weiß, ist mir auch aufgefallen. Wie konnten wir ihn beide vergessen?«
»Weil wir ihn beide nicht kennen? Oder es lag einfach daran, dass gestern einiges schief ging.« Er reichte mir einen Kaffee und stierte Trick bedeutungsvoll an.
Er kannte ihn auch nicht? Wie kam das? In Windeseile trank ich die Tasse aus und wir fuhren los.
Noch immer sah Blade Trick genervt an.
»Blade, lass gut sein. Die Sache ist erledigt, halt dich nicht daran auf.«
»Außerdem ist es mein Job, auf Kit aufzupassen«, gab Trick hinzu.
Wie am Tag zuvor verschwand ich auf dem Rücksitz, nur diesmal legte ich mich nicht hin, sondern saß einfach da und schaute aus dem Fenster, während Blade Trick den Weg erklärte.
»Habt ihr euch wieder vertragen?«, fragte Trick irgendwann. Was mich wunderte. Was sollte ihn das interessieren?
»Hast du uns gehört?«
»Ja. Erst unten, dann oben.« Nun sah er mich vielsagend durch den Rückspiegel an.
»Warum fragst du dann?«
Und da sah ich es. In dem Moment streckte er die Zunge raus und ich war baff. Mir war das zuvor gar nicht aufgefallen und ich beugte mich nach vorne.
»Streck nochmal die Zunge raus.« Da wurde auch Blade aufmerksam. Er lächelte und da war sie. Seine gespaltene Zunge.
Verflucht, wie krass war das denn? Wo hatte Dean denn diesen Typ her?
Ich beugte mich zurück, dass auch Blade es sehen konnte.
»Tut so etwas nicht weh?«, stieß er aus.
»Vielleicht.«
Es war klar, dass er diese Antwort gab. Dabei kannte ich ihn noch nicht einmal. Dennoch hatte ich damit gerechnet.
»Eine andere Sache, Kit.« Blade rutschte nervös auf dem Sitz hin und her. »Ich weiß nicht, ob ich das mit dir besprechen kann, aber…«, er brach ab.
»Sag schon«, forderte ich ihn auf. »Die Göttin hat heute gute Laune.«
»Du interessierst dich ja nicht für andere, aber ich bin ziemlich angepisst wegen eines Vorfalls.«
Sein Kiefer spannte sich ungewohnt an und ich wunderte mich, was los war, dass er sich mir offenbarte.
»Weißt du, ich komme ziemlich gut mit Bonny klar.«
»Blondie?«, unterbrach ich ihn wirklich irritiert. »Die Möchtegern-Nutte aus meinem Trailer?«
»Ja, als ich auf sie aufpassen sollte, haben wir uns echt gut verstanden. Wir haben uns angefreundet und wir telefonieren viel. Ich besuche sie auch oft. Sie liebt ihren Greg noch immer und er hört auch nicht auf, mit ihr zu schreiben.«
»Und wo ist das Problem? Greg steht doch auch auf sie. Oder meinst du, weil er sie mir verkauft hat? Oder hast du Interesse an ihr?«
»Dir verkauft hat?«, mischte sich Trick ein.
»Trick, gib Ruhe, meine Aufmerksamkeitsspanne ist nicht groß genug. Also Blade, wo liegt das Problem?«
Erneut rutschte er hin und her.
»Ich habe kein Interesse an ihr. Aber wir sind befreundet und als ich heute Morgen vorbeigekommen bin und ich bei Amelia geklopft habe, weil Saltos bei ihr ist, sah ich Greg aus dem Zimmer einer Nutte rauskommen.« Was mich noch nicht einmal wunderte, weil Greg nun mal ein Arsch war.
»Ich weiß nicht, ob ich das Bonny sagen soll.«
»Du hältst dich da raus!«, sagten Trick und ich gleichzeitig.
Das war scheiße. Aber derjenige, der sich einmischte, war immer der Doofe. Er war zwar auch der Dumme, wenn herauskam, dass er davon wusste, konnte sich dann aber wenigstens noch rausreden. Sich allerdings zwischen die Liebe stellen, ging gar nicht. Der Überbringer von schlechten Fickbotschaften wurde immer gehängt, nie der Schuldige.
»Seid ihr sicher?«
»Wirklich, Blade, misch dich da nicht ein. Du bist nicht ihre kleine, beste Freundin«, gab Trick zurück.
»Kit, wenn Colt das machen würde, was würdest du wollen?«, fragte er und ich lachte.
»Dann hätte Colt ein Problem!«
»Würdest du wollen, dass wir dir das sagen?«
»Nein. Du darfst nichts sagen.«
»Aber…«
»Ja, Blade«, unterbrach ich ihn direkt. »Scheiße, klar wäre ich sauer darüber. Weil er meinen Stolz damit vernichten würde. Aber ich würde es nicht von dir erfahren wollen. Ich könnte dir nicht mehr ins Gesicht schauen. In der Sache musst du auf Loyalität scheißen.«
»Wieso?«
»Was ist das für ein Thema?«, fragte ich genervt nach.
»Ich will das nur wissen, damit ich das verstehe.«
»Blade, Colt hat mir alles bis auf meinen Stolz genommen. Wenn er das tun würde, hätte er mich zerstört und mein Wert wäre weg. Also nein, ich würde nicht wollen, dass meine Familie mir das sagen würde, weil ich mich dadurch nur noch erniedrigter fühlen würde.«
»Warum verlierst du deinen Stolz, wenn er ne Nutte fickt?«, fragte nun Trick.
»Ganz einfach, weil er auch mit mir schläft. Das sagt ja nur über mich aus, dass ich nicht gut genug für ihn bin. Dass ich ihm nicht ausreiche und eigentlich auch nichts wert bin, wenn er eine Hure vögeln muss, obwohl er mich haben kann. So oft, wie er will. Versteht ihr?«, erklärte ich und lachte. »Das ist genauso, als würde ich zu einem Mann sagen, dass sein Schwanz zu klein ist, um mich zu befriedigen, und dass ich es mir leider woanders holen würde.«
»Ah, verstehe.«
Das Thema setzte mir zu. Ich wollte über so etwas nicht nachdenken. Als wir endlich da waren, atmete ich tief durch und entspannte wieder. Dabei unterdrückte ich die aufkommenden Gedanken, dass D womöglich Hochverrat an meinem Körper begehen könnte.
Wenn Greg allerdings eine Hure von Calvin vögelte, dann sollte zumindest auch Blondie mit einem anderen Mann ihre Zeit versüßen, ohne dass sie erfuhr, was Greg trieb.
Nachdem wir ausstiegen, musterte ich den neben mir stehenden Trick. Eigentlich verkuppelte ich keine Personen, aber es könnte nicht schaden, die beiden einander vorzustellen. Wir standen an der Tür und warteten nach dem Klingeln, dass man uns öffnete.
»Hey, wenn Colt da ist und du nicht weißt, was du mit dir anfangen sollst, kann Blade dich mit zu Blondie nehmen.«
»Gute Idee«, meinte Blade. »Sie kennt zwar alle aus der Siedlung, aber in der Woche haben die meisten abends keine Zeit und Bonny langweilt sich immer.«
Ach, wie süß, dass er sich so um sie kümmert, ich kotze gleich auf seine Schuhe! , dachte ich.
Die Tür ging auf und ich wunderte mich sofort, dass ein weißer Junkie vor mir stand. Wir hatten keine Junkies als Dealer. Zumindest nicht solche wie dieses Exemplar hier. Der war ja völlig am Ende. Was hatte sich Elliot dabei gedacht, ausgerechnet so einen kaputten, drogenverseuchten Mann zu engagieren?
»Du bist bestimmt Kit«, zitterte seine Stimme. Da wusste ich sofort, dass meine gute Laune schneller verschwand, als ich es wollte. Interessanterweise bedachten mich Blade und Trick mit demselben Blick, als wir reingingen und der Mann sich nervös die Hände knetete, während er sich hinsetzte.
»Ich habe es nicht«, sagte er unvermittelt.
»Genauer.«
»Ich habe es komplett verballert.« Er schaute nach unten und ich stand fassungslos da. Blade beugte sich zu mir rüber, um mir ins Ohr zu flüstern.
»Niemals. Ich habe gestern mitgerechnet, das ist unmöglich. Selbst wenn uns jemand beschissen hat, ist die Menge zu hoch für eine Woche.«
Ich zog die Glock und hielt sie an seine Stirn.
»So viel kannst selbst du nicht innerhalb einer Woche gezogen haben. Noch nicht einmal, wenn du jeden zweiten Tag eine Party gefeiert und die ganze Straße eingeladen hast. Fang an zu reden.«
Doch er schaute nur nach unten und knetete weiter seine Hände.
»Drei«, sagte ich und Blade ergänzte: »Komm, sag, was genau passiert ist, dann kommst du vielleicht noch davon.«
»Zwei«, sagte ich umgehend, als er mich nur anstierte und ich ihm sogar ansah, dass etwas faul war.
»Los, sag schon!«, drängte Blade, aber er sagte nichts und schaute kurz zur Seite.
Dann tat er etwas, was mich sofort reagieren ließ. Er presste offensichtlich den Mund zusammen.
»Eins.« Er schloss die Augen und ich drückte ab. Sein Blut spritze mir ins Gesicht und er fiel tot vom Stuhl. Und Blade seufzte.
»Konntest du ihm keine Chance geben?«
»Ich bin zu weich geworden, um noch gnädiger zu sein. Außerdem hätte er nichts gesagt.« Ich schüttelte den Kopf und sah mich um.
»Du bist richtig abgebrüht, Süße«, nervte mich Trick.
»Nicht Süße! Sag Kit!« Als ich die Glock zurück in das Holster schob, hörte ich etwas. Und dann sah ich es auch.
Sofort drehte ich mich zu Trick um, der neben dem leblosen Körper stand und mich forschend anblickte. Im Augenwinkel sah ich eine Decke. Rasch nahm ich sie, warf sie zu Trick und zeigte ohne ein Wort auf den toten Mann am Boden. Er runzelte die Stirn und ich riss auffordernd die Augen auf. Sofort bedeckte er den Mann mit dem Stoff.
»Blade«, flüsterte ich, der sich ebenfalls umsah, um Hinweise zu finden.
Er kam und ich legte einen Finger auf meine Lippen, dass er leise sein sollte.
Am Tisch, wo ich stand, bückte ich mich und sah in braune Kulleraugen.
»Hey, Kleiner.« Ich lächelte ihn an und bekam einen richtig fetten Kloß im Hals.
Was hatte ich nur getan? Ich war doch nur etwas weich geworden. Warum musste ich mich selbst so beweisen? Da fiel es mir auf. Der Dealer hatte zuvor in diese Richtung geschaut. Er und der Kleine wurden bedroht. Shit. Ich war wirklich eine richtig miese Bitch.
Dem Mann hatte ich keine Chance gegeben und dem Jungen seinen Vater genommen.
Kniend unterm Tisch sah mich der Kleine verängstigt an. Seinem Gesicht nach zu urteilen, wusste er, was passiert war, obwohl er noch so klein war.
»Wie heißt du, Kleiner?«, fragte ich so sanft und lieb ich konnte, ohne ihn zu verschrecken.
»Jeremy«, flüsterte er.
»Wo ist deine Mom, Jeremy?«, fragte Blade, der neben mir hockte. Der Junge zuckte die Schultern.
»Ist sie arbeiten?«
»Wann hast du sie das letzte Mal gesehen, Kleiner?«, fragte ich stattdessen. Es brach mir fast das Herz, als er den Kopf schüttelte.
»Was soll das heißen?«, wandte sich Blade an mich, anstatt zum Jungen.
»Hast du deine Mutter schon mal gesehen?«, fragte ich ihn aus und er schüttelte den Kopf. Wie ich es erwartet hatte.
»Mist!«, stieß Blade aus und ich forderte ihn auf: »Such das Haus ab, nach irgendwelchen Unterlagen von dem Kleinen. Geburtsurkunde oder so was.« Blade nickte und ging los.
»Wie alt bist du, Jeremy?« Ich setzte mich im Schneidersitz und ließ ihn nicht aus den Augen.
Er zuckte mit den Schultern, was mich noch mehr wunderte. So klein sah er nicht aus. Da fielen mir aber seine Klamotten auf, die er trug, und seine gesamte Gestalt.
Er erinnerte mich an Jeff.
Die Kleidung bestand aus Lumpen und er war dreckig. Seine Haare waren etwas zu lang und verfilzt. Der Junkie-Vater hatte sich nicht um den Kleinen gekümmert. Er war verwahrlost. So, wie Jeff oft ausgesehen hatte, wenn er nicht bei mir gewesen war.
»Versteckst du dich oft oder ist es das erste Mal?«, fragte ich mit einer zitternden Stimme.
»Immer.«
»Hast du Angst vor deinem Dad?«
»Er ist nicht mein Dad«, sorgte der Junge für mehr Verwirrung.
»Wo ist dein Dad?«
»Abgehauen.«
»Und wer ist der Mann, der hier wohnt?«, fragte ich und runzelte die Stirn.
»Mein Onkel.«
Immerhin hatte ich nicht den Vater getötet, aber dadurch fühlte ich mich nicht besser.
»Weißt du, wo deine Mom ist?«, versuchte ich, etwas von dem viel zu kleinen Jungen zu erfahren.
»William meint, sie ist tot«, sagte er so trocken, wie es nur ein Kind sagen konnte, das keine Bindung zu dem Menschen oder zu dem Wort ›Tod‹ hatte. Ich rutschte ein Stück auf dem Boden zurück.
»Hast du Hunger, Jeremy?« Er sah zumindest danach aus und er nickte.
Als ich ihm die Hand hinhielt, nahm er diese nicht nur, sondern kletterte gleich darauf unter dem Tisch heraus. Seine kleinen Finger umschlossen meine Hand ganz fest.
»Das ist Trick«, sagte ich, weil dieser näherkam. »Er ist bestimmt so nett und besorgt uns etwas zu essen.«
Ich lächelte Trick an und er nickte, ohne ein Wort zu sagen, und ging durchs Haus nach draußen.
»Ich hab etwas«, rief Blade. »Er ist sieben. Ich habe seine Geburtsurkunde gefunden.«
»Hast du hier Freunde?«, fragte ich, als ich aufstand.
»Du gehst doch sicher zur Schule?«
Und wieder schüttelte er den Kopf, was mich wütend machte.
»Kennst du irgendjemanden hier?«
Erneut verneinte er wortlos.
Blade kam zu uns und ich hatte keine Ahnung, was wir machen sollten.
»Der Arme sieht aus wie ein Straßenkind«, bemerkte Blade und ich entgegnete: »Nein, der kleine Mann sieht bezaubernd aus.« Ich lächelte den Jungen an. Er drückte meine Hand noch fester.
Jeff schämte sich damals immer. Dabei waren wir noch so klein. Dennoch wussten wir schon mit sieben, was Scham war.
»Was machen wir jetzt, Kit?«, fragte mich Blade nervös. »Ich habe keine Sozialarbeiterin auf Kurzwahl.«
»Nein!«
Das konnte ich dem Kleinen nicht antun. Ins Heim? In eine Pflegefamilie, die ihn nur ausbeuten oder wo er sonst was erleben würde?
Nein, das war nicht gerecht. Er konnte doch nichts dafür, dass er keine liebevolle Familie hatte. Oder dass ich seine Bezugsperson weggenommen hatte.
»Hast du einen anderen Onkel oder eine Tante?«, horchte Blade nach, aber der Junge drückte sich kopfschüttelnd gegen mich.
Zwar sprach er sanft, nur leider viel zu aufgeregt und verschreckte damit Jeremy.
»Geh bei den Nachbarn klingeln und frag, ob sie den Jungen kennen. Ich rufe Calvin an, dass er hier…« Ich brach ab und nahm den Kleinen auf den Arm. »… sauber machen muss.«
Blade nickte und verschwand.
»Sag mal, Jeremy, gibt es hier im Haus irgendetwas, was du lieb hast?«
Er sah mich nur an, während seine winzigen Finger sich in meinen Nacken gruben.
»Ich meine, hast du ein Kuscheltier oder so?«
Da lächelte er und zeigte den Flur herunter. Mit ihm in meinem Arm folgte ich seinem kleinen Finger und öffnete eine Tür.
Schockiert stand ich da und mir schossen die Tränen in die Augen. Noch nie habe ich so einen inneren Schmerz gefühlt, wie in dem Moment, als ich erkannte, wo dieser Junge lebte, spielte und schlief.
Das war kein Kinderzimmer, sondern eine Abstellkammer für einen einzelnen Besen, ohne Fenster und ohne Lampe. Auf dem Boden lag eine dreckige Matratze, die zur Hälfte an der Wand hochragte, weil der Raum zu klein war. Mit einer schmutzigen Decke, ohne Bezug und ohne Kissen, und einem Regal an der Wand mit Kleidung.
So ein süßer Junge und so ein vermülltes Haus, eine Abstellkammer als Kinderzimmer und in der Obhut eines Junkies.
Eine Eisenhand legte sich um mein Herz und zerdrückte es.
Mit einem gewaltigen Schauer, der mir bis in die Knochen jagte, ließ ich ihn vom Arm und er holte aus seinem Bett einen kleinen blauen Plüsch-Dino mit großen Augen. Selbst das Teil hatte schon bessere Tage gesehen, aber seine Kleidung und sein Allgemeinzustand bereiteten mir mehr Sorgen. Mit dem Kuscheltier in der Hand stand er vor mir und hielt die Hände hoch. Ich nahm ihn natürlich wieder auf den Arm.
»Was hältst du davon, wenn wir dieses Haus verlassen und du mit mir kommst?«
Bis mir etwas Besseres einfiel.
Zugegebenermaßen war ich kein Umgang für ein Kind, dennoch könnte ich diesen Jungen nicht zurücklassen.
»Die machen nicht auf. Ist auch kein Wunder. Das hier ist die gefährlichste Straße in dem Revier«, meinte Blade, als er zu uns kam. Ja, das stimmte. Aber dennoch war sie nicht so schlimm wie unser Bezirk.
Mit dem Kleinen wanderte ich durch die vermüllte Wohnung nach draußen und beugte mich zu Blade, um ihn ins Ohr zu flüstern.
»Ich habe den Boss noch nicht angerufen, aber setz es in Brand!«
»Und der Junge?«
»Ich lasse mir etwas einfallen, aber dieses Haus betritt er nie wieder!«
Bei meinen Worten drückte sich Jeremy an meinen Hals und ich seufzte, als ich das Haus verließ und zum Wagen ging.
Jeremy war eine dunkelhaarige Version von Jeff. Seine Dankbarkeit spürte ich genauso wie damals bei meinem besten Freund.
Und ich würde in etwas Schlimmeren verbrennen als in der Hölle, weil ich eine kranke Bitch war und dem Junkie noch nicht einmal eine richtige Chance gegeben hatte.
Das Auto war offen und ich setzte den Jungen auf den Rücksitz.
»Ich muss kurz telefonieren. Ich komme sofort wieder.« Als ich mich jedoch hochbeugte, hielt er den Saum meines Shirts fest. Genau so blieb ich stehen. Seine Finger an meiner Kleidung, bei offener Tür und mit seinem ängstlichen Blick. Mit einer Hand zog ich das Handy aus der Tasche und rief Calvin an, der auch direkt abnahm.
»Es ist etwas schief gelaufen.«
»Okay«, zog er lang. »Was genau hast du getan, Kitty?«
»Das bereden wir, wenn ich zurück bin. Sei aber nicht sauer auf mich.« Selten fühlte ich mich schuldbewusst. Eigentlich hatte ich nie zuvor einen Grund dafür.
»Was hast du wieder angestellt, Kitty?«, fragte er und ich seufzte.
Es war ein jämmerlicher Ausstoß, aber ich konnte es nicht vermeiden.
»Komm nach Hause, wir reden dann.«
»Ja, Boss«, zitterte meine Stimme. Nicht aus Angst, sondern weil die Ungewissheit, wie das hier enden sollte, an mir kratzte.
»Was soll das werden?«, fragte Trick angriffslustig, während er mit einer braunen Papiertüte zu uns kam und ich das Handy wieder wegsteckte.
»Das wüsste ich auch gerne.« Ich war nicht ich selbst und nahm die Hand von Jeremy vom Shirt, um sie mit meiner zu umschließen.
»Wir nehmen den Jungen mit?« Scheinbar war er genauso von meiner Entscheidung schockiert, wie ich selbst.
Schockiert? Nein, das war ich nicht. Aus einem mir nicht erklärlichen Grund war es für mich offensichtlich, ihn nicht einer Sozialarbeiterin oder sich selbst zu überlassen. Für mich war es logisch, ihn mitzunehmen.
Ohne den Jungen aus den Augen zulassen, lächelte ich ihn an. Da hielt mir Trick die Tüte hin und ich schaute rein. Pommes und Burger. Damit holte er sich auf jeden Fall Pluspunkte bei mir.
Mit einem Lächeln gab ich dem Jungen die Tüte und endlich ließ er mich los, um sich über das Essen herzumachen.
»Danke«, flüsterte ich, lächelte Trick an und holte aus der Hosentasche einen Zehner heraus und gab ihm diesen.
»Bist du dir sicher, Kit?«, rief Blade hinter mir und ich drehte mich um, als er mit dem Benzinkanister aus dem Haus auf uns zukam.
Ich nickte. Die kleine Müllhalde für den Jungen musste verschwinden, das war wichtig.
Er verstaute den leeren Kanister wieder im Kofferraum.
»Dann steigt ein. Ich komme sofort.«
Gesagt, getan.
Kurz bevor wir an der Villa ankamen, bekam ich einen Anruf, der mir zeigte, wie schlimm mein Tag nun wirklich werden würde. Wo er doch so gut angefangen hatte.
»Kit, es ist schief gelaufen!«
»Was ist passiert?«, fragte ich meinen Henker, der die Männer nach Chicago geschickt hatte, um für die nötige Unruhe zu sorgen.
»Ich komme zur Villa, dann erkläre ich es dir. Aber wir haben ein Problem.«
Da ich gerade mit Problemen um mich werfen konnte, legte ich auf und schenkte Jeremy meine Aufmerksamkeit.
Bis wir schließlich ankamen.
Dort wurde mir das Unheil meiner Rache und dem Bedürfnis, Dean loszuwerden, übermittelt. Denn drei meiner Mitarbeiter durften in seiner Gefangenschaft verweilen.
Ganz große Scheiße.
Und es gab nur eine Möglichkeit, sie dort lebend herauszubekommen.
Ich musste nach Chicago. Und das, während D nicht dort war. Gegen meine Zielsetzung musste ich den Feind in die Heimat zurückholen.
So schnell wie möglich.