Im Alltag mit deinem Grundschulkind müssten ständig überall Sticker mit dem Wort „NEU” auftauchen: neue Orte, neue Wege, neue Zeiten, neue Pflichten, neue Menschen, neue Themen, neue Probleme. Veränderungen sorgen bei fast allen Menschen erst einmal für ein Unwohlsein, erst recht bei einem Kind. Mit viel Wissen und Ideen fallen dir und deinem Kind die Neuerungen aber gleich ab dem ersten Tag leichter.
Der neue Alltag beginnt eigentlich am ersten Unterrichtstag nach der Einschulung. Eigentlich. Denn die Vorwehen sind schon sehr viel früher zu spüren: Die meisten Grundschulen bieten Tage der offenen Tür an und oft auch Kennenlerntage mit den späteren Klassenleitungen. Alle Kinder erhalten eine Einladung zur Schuleingangsuntersuchung und zur Schulanmeldung. Ranzen, Sporttasche & Co. müssen ausgesucht werden. Im Kindergarten finden Abschiedsfeste statt, Bildersammlungen werden nach Jahren mit nach Hause gegeben, das geliebte Fach mit dem Schmetterling- oder dem Clownbild soll ausgeräumt werden. Und ständig fragt irgendjemand: „Na, freust du dich schon auf die Schule?”
Es ist eine Phase des Übergangs. Und jeder Übergang macht unsicher. Große Veränderungen wie zum Beispiel Umzüge oder eine Urlaubsfahrt stressen fast alle Kinder. Bei sehr vielen reichen allerdings schon deutlich kleinere Wechsel aus, um sich unwohl zu fühlen: aus dem Kinderzimmerspielparadies ins Auto zum Supermarkt, aus dem kuscheligen Schlafanzug in den dicken Pulli, vom gemütlichen Sofa in die gefüllte Badewanne.
Der riesige Übergang zum Schulkind bewegt definitiv alle Kinder. Die Einschulung kennzeichnet als Fest den Start des neuen Abschnitts. Der Wechsel vom Kindergarten in die Grundschule startet allerdings schon mit dem Abschied vom Alltag davor. Tschüs sagen, sich auf das Neue vorbereiten und am neuen Ort starten – das alles gehört zum Übergang. Es sind so viele Unbekannte im Spiel. Das kann wirklich gruseln, überfordern oder zumindest eine ziemlich große Aufregung auslösen. Manchen Kindern merkt man das im Vorfeld des ersten Schultags gar nicht an. Sie marschieren breit grinsend wie ein Honigkuchenpferd ins Klassenzimmer. Aber ein paar Tage später verzweifeln sie über der Aufgabe, die Buntstifte zu spitzen oder ein Blatt mit dem eigenen Namen auszumalen. Dein Kind „stellt” sich nicht „an”, sondern es reagiert auf die Veränderung. Für dich soll es auch kein Signal sein, in Stress zu verfallen. All das ist relativ normal und vor allem ein Ankommen im Neuen. Und das dauert manchmal und ist nicht immer eindeutig zu verstehen.
Wie geht das? Du kannst zuhören und sensibel erspüren, was dein Kind braucht. Nicht jedes Kind mag den Abschied vom Kindergarten groß feiern. Nicht jedes Kind hat Freude daran, den Ranzen auszusuchen. Nicht jedes Kind findet es ausreichend beruhigend, dass zwei Kita-Freunde mit in die erste Klasse kommen. Nicht jedes Kind hat Angst vor dem Wechsel. Nicht jedes Kind mag Vorschulblöcke ausfüllen.
Wichtig ist nur die Frage: Wie geht es deinem Kind? Sie soll dich leiten, nicht was andere so machen.
Du kannst Angebote machen, wie dieser Übergang leichter zu meistern ist, aber du darfst dich auch zurücklehnen, wenn dein Kind sie nicht annehmen möchte.
Wie geht das? Führe mit deinem Kind Gespräche und biete ihm je nach seinen Aussagen Unterstützung an:
• Mag dein Kind mit dir den Abschied vom Kindergarten zelebrieren? Es kann mit Hilfe Briefe an die Erzieher*innen schreiben oder malen, Geschenke besorgen oder basteln und überlegen, ob es etwas von sich im Kindergarten lassen kann (zum Beispiel eine Stift- oder Bücherspende).
• Möchte es ein Erinnerungsalbum mit seinen Freund*innen anlegen, Fotos aufheben, ein gemeinsames T-Shirt gestalten?
• Mag dein Kind wissen, wie dein Kindergartenabschied oder deine Einschulung waren?
• Hat es Lust, sich mit dir auf seinen Schulstart vorzubereiten und in Vorfreude …
– einen Abreißkalender zu basteln, mit dem es die Tage bis zur Einschulung gut zählen kann?
– die Schultüte zu basteln? Sollst du das tun oder es soll bitte die gekaufte mit Motiv XY sein?
– sein Outfit für den ersten Schultag zu planen?
– noch im Vorschuljahr das Sommerfest oder den Weihnachtsbasar der Schule zu besuchen und das Gebäude kennenzulernen? Möglicherweise mag es immer mal wiederkommen und erfahren, wo die Toiletten sind oder das Sekretariat (von wo aus man zu Hause anrufen könnte).
– die Homepage der Schule zu durchstöbern und Fotos von Lehrkräften anzuschauen?
– Bücher zum Thema vorgelesen zu bekommen?
– den Schulweg kennenzulernen (zu Fuß, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, auch mal mit einem Fahrzeug, vielleicht einem Roller)?
– das neue Zubehör auszusuchen (Ranzen, Federmäppchen, aber auch Sportsachen)?
– Vorschularbeit zu machen? Dabei muss es nicht nur um Buchstaben und Zahlen gehen. Das kann auch Sachwissen umfassen. Geht das mit dir gut oder gibt es bei euch Institute, die so etwas anbieten?
– mit dir zu überlegen, wie der erste Tag aussehen wird oder wie ein Morgen im Klassenzimmer so ist? Ihr könnt das gemeinsam nachspielen und Plüschtiere als Klassenkameraden nutzen, oder dein Kind kann Material von dir bekommen, um es mit Gleichaltrigen aus dem Kindergarten zu spielen.
– mit dir die Einschulungsfeier zu Hause zu planen? Wer soll kommen? Was soll es zu essen geben?
– kleine Stärker für den Schultag auszusuchen oder zu basteln? Das kann zum Beispiel ein Anhänger fürs Mäppchen sein oder etwas für die Hosentasche.
– Abschied zu nehmen? Wer soll nach der Kindergartenzeit seine Tasche bekommen? Was soll mit den Fotos passieren, die noch von ihm dort an der Wand hängen? Was ist mit dem kleinen Baum, an dem ihr jeden Tag auf dem Hin- und Rückweg vorbeigegangen seid und der jedes Jahr größer wurde? Kann ein Erinnerungsstück in seinen Zweigen angebunden werden?
• Mag es zu Hause etwas verändern? Das kann ein umgestaltetes Kinderzimmer sein, ein eigener Schreibtisch oder auch ein Chill-Sessel. Das können Wege am Nachmittag sein, die erstmals allein gegangen werden. Das können auch Veränderungen in Bezug auf die eigene Hygiene oder Kleidung(-swahl) sein. Wo mag es jetzt schon ein bisschen größer und freier sein?
Möglicherweise mag dein Kind nichts davon ausprobieren oder nur ein bisschen und hört auch mittendrin wieder auf. Das ist nicht ungewöhnlich. Gesteh ihm diesen Raum zu, selbst wenn es erst am Einschulungsmorgen wieder mit dir über die Schule spricht. Manchen Menschen hilft es, Themen erst anzugehen, wenn sie wirklich anstehen. Diese Option sollte dein Kind auch haben. Für uns Große ist es oft schwer, Herausforderungen nicht weit im Vorfeld klar geregelt zu wissen. Aber so läuft das Leben mit Kindern immer wieder: Du kannst nicht alles vorhersehen, planen, regeln. Manches muss erst einmal passieren und dann bewältigt werden.
Du hörst deinem Kind feinfühlig zu, was es sich wünscht.
ALLTAGSMAGIE
Führt gemeinsam ein Zaubergespräch: Wie würde für euch ein Traumkindergarten aussehen? Wie ein Traumzuhause? Wie ein Traumsupermarkt? Und wie wäre eure Traumschule? Ihr könnt ruhig richtig herumspinnen.
Kinder mit schüchternem Wesen machen Eltern oft Sorgen, wenn sie an die Schulzeit denken. Zeigt dein Kind sich auch ausgesprochen schüchtern, sodass du dir nicht vorstellen kannst, wie es am ersten Schulmorgen bestehen soll? Dann helfe ich dir zu verstehen, was Schüchternheit ist und braucht.
Schüchterne Menschen sind eigentlich nur besonders vorsichtig. Ihr Alarmsystem beim Bewerten ihrer Umwelt ist besonders sensibel. Darum gehen sie langsamer auf andere Menschen zu, trauen sich oft nur mit Verzögerung zu handeln und finden Neues meistens nicht so sympathisch. Das ist manchmal gar nicht schlecht, denn überlegtes Handeln ist oft ziemlich clever: Dein Kind wird wahrscheinlich eher nicht aus sieben Metern Höhe vom Baum fallen, weil es spontan hoch hinaufgeklettert ist. Aber das Zögern kann deinem Kind auch im Weg stehen, wenn es Neues und Herausforderndes gar nicht angehen mag.
Gerade schüchterne und ängstliche Kinder zeigen manchmal keine große Vorfreude auf die Schule. Das hat nichts damit zu tun, dass sie nicht neugierig aufs Lesenlernen wären. Doch die Veränderung pikst ihr schüchternes Wesen an. Sie bleiben oft lieber dort, wo sie sich auskennen. Das kann auch nicht-schüchternen Kindern so gehen, denn Unbekanntes kann jeden Menschen stressen. Egal, zu welcher Gruppe dein Kind gehört: Wenn es sich in Bezug auf das Schulthema schüchtern und zurückhaltend zeigt, braucht es Berechenbarkeit, um weiterzugehen.
Wie geht das? Was machst du, wenn du an einen fremden Ort fahren musst? Du informierst dich. Wie sehen die Straßen dort aus? Wo kannst du parken? Bekommst du irgendwo ein gutes Mittagessen? Wie wird das Wetter am Reisetag? Mit Informationen geht es dir besser. Also sorg dafür, dass dein Schulneuling sich informiert fühlt:
• Gibt es einen Wandkalender, der deinem schüchternen Kind übersichtlich zeigt, wann der Probetag an der Grundschule, der Kindergartenabschied und die Einschulung sind?
• Kennt es das Gebäude, die Toiletten, das Sekretariat, die schönsten Stellen auf dem Schulhof? Sonst lernt den Ort kennen.
• Kennt es schon zukünftige Klassenkamerad*innen? Andernfalls besucht in den Ferien Spielplätze in der Nähe der Schule, denn da kann dein Kind Glück haben und welche treffen.
• Weiß es, was am Einschulungstag passieren wird? Sonst frag ruhig in der neuen Schule nach.
• Hat es Ideen dazu, wie es sich in den ersten Minuten im Klassenraum verhalten kann? Andernfalls plant doch eine kleine spielerische Geschichte: Dein Kind kann sich an dem Tag vorstellen, Entdecker*in zu sein. Dann ist es gar nicht unangenehm, nach dem letzten freien Platz in der Klasse Ausschau zu halten, sondern fühlt sich richtig gut an.
• Welche möglichen beängstigenden Situationen spuken in seinem Kopf herum? Besprecht gemeinsam, ob sie wahrscheinlich sind und was dein Kind im Fall der Fälle unternehmen könnte.
Schüchterne Kinder müssen sich vorbereitet und bewältigungskräftig fühlen, dann können sie stressfreier ihre kleinen Schritte hinaus ins Unbekannte machen. Das kannst du deinem Kind geben. Und wenn es wegen der Veränderung so aufgeregt ist, dass es all das gar nicht von dir hören mag, dann lass das Thema Einschulung erst einmal beiseite und widme dich vor allem dem Thema Gefühle: Überforderung, Sorgen, Umgang mit Stress – was kannst du deinem Kind dazu erzählen?
Bei manchen Kindern entsteht beim Gedanken an den ersten Schultag mehr als ein mulmiges Gefühl: intensive Angst. Das erkennst du daran, dass dein Kind kaum noch über ein anderes Thema spricht oder aber das Thema komplett vermeidet. Außerdem reagiert es mit sehr starken Emotionen oder sogar körperlich mit Zittern oder Bauchweh, wenn über die Schule gesprochen wird. Das Wichtigste ist dann, die Angst mit deinem Kind zu begrüßen (aktiv anzunehmen) anstatt schnell zu sagen: „Du musst keine Angst haben!” Sie ist ja da. Dieser Satz hilft nicht. Werde stattdessen zusammen mit deinem Kind aktiv.
Wie geht das? Schaut euch die Angst an:
• Macht sie Kopf- oder Bauchweh, Zittern oder Schwitzen, hektisches Atmen oder Herzklopfen?
• Was hilft deinem Kind, den Körper zu entspannen?
• Deine Berührungen oder seine eigenen, ein Hilfsmittel wie eine Decke oder ein Plüschtier, Singen oder Summen?
• Was davon könnte dein Kind auch am Tag der Einschulung ode danach im Unterricht nutzen?
Sprecht darüber, warum man Angst nicht ablehnen muss, denn sie ist oft wichtig: Sie macht uns wachsamer für das, was wir brauchen oder was uns fehlt. Wir können uns besser auf Herausforderungen einlassen. Wir sind durch sie vorsichtiger und können geschickter handeln. Überlegt auch, wie ein Leben ohne Angst wäre: nicht gerade erstrebenswert. Wir hätten deutlich mehr Pflaster, Gipsfüße und Stress.
Denkt nach, was gegen die Angst helfen kann:
• Wäre es eine Erleichterung, wenn dein Kind sich seine Angst als eine Figur vorstellt, die bei ihm in der Hosentasche steckt, mit der man reden kann, die man zwicken darf? Oder welches Bild hat dein Kind von seiner Angst?
• Könnte es helfen, wenn dein Kind sich in Angstmomenten ganz bewusst auf etwas in seinem Umfeld konzentriert: weg von dem Herzklopfen innen, hin zu dem außen?
Geht das Ganze auch mit dem Verstand an:
• Wovor hat dein Kind genau Angst?
• Kann das wirklich passieren oder ist es eher unwahrscheinlich?
• Was könnte dein Kind tun, wenn es passiert?
Entwickelt Ideen, damit dein Kind aktiv werden kann. Denn Angst bedeutet Ohnmacht. Dein Kind soll sich wieder „mächtig” und damit bewältigungskräftig fühlen.
Falls dein Kind für Gespräche darüber nicht offen ist, versuche es anders: Rede nicht mit ihm über seine Einschulung, sondern erzähle von dir und alten Ängsten aus deiner Kindheit.
• Wann hast du dich gefürchtet?
• Was ist tatsächlich geschehen?
• Was hast du gemacht?
So könnt ihr euch langsam den Ängsten deines Kindes nähern.
Und wie ist es bei dir? Spürst du auch Ängste rund um den Schulstart? Dann mach die gleichen Schritte wie oben für dein Kind beschrieben: Schau auf deine körperlichen Reaktionen, nimm die Angst an, überlege dir, was du unternehmen kannst, wenn beängstigende Momente wirklich eintreten – werde aktiv und „mächtig”.
Denk daran: Deine Angst gehört zu dir und in Gespräche mit deinen Freund*innen, nicht zu deinem Kind.
Du gehst Angst mit deinem Kind aktiv an. Sie darf sein.
ANGST-HELFERLEIN
Ängstlichen Kindern helfen oft Anker, gerade am ersten Schultag, aber auch danach. Das können bekannte Gesichter in der gleichen Klasse sein, mit denen ihr im Vorfeld schon den Kontakt intensivieren könnt. Vielleicht kann es auch eine Absprache geben, dass die Kinder sich ab dem zweiten Schultag am Eingang zum Schulgelände treffen oder sogar den Weg zusammen gehen.
Kennt dein Kind noch keine anderen Klassenkamerad*innen, können Rituale zu Ankern werden. Überlegt euch kleine Abläufe: neuen Kakao zum Frühstück, Abklatschen an der Haustür, einen Witz des Tages unterwegs erzählen, ein Glücksbringer am Handgelenk. Ihr könnt auch gemeinsam in die Wolken schauen und euch versichern, dass ihr das nach der Trennung am Schultor immer wieder macht, wenn eine*r in der Schule ist, der oder die andere bei der Arbeit, sodass das Hochblicken euch verbinden wird.
Ein spannender Punkt bei der Einschulung ist der Start ohne langwierigen, begleiteten Übergang. Im Kindergarten gab es eine Eingewöhnung, in Büchern oder von dir hat dein Kind immer wieder zu hören bekommen, dass es nicht mit Fremden mitgehen solle. Und jetzt erwarten alle, dass es in einem neuen Gebäude mit einer (recht) unbekannten Lehrperson, ohne Familie und manchmal auch ohne Freund*innen in ein Klassenzimmer gehen soll. Einigen Kindern macht das nichts. Sie sind vorfreudig, sicher, kontaktoffen. Andere finden das unangenehm oder unverständlich.
Meist wird der Start inzwischen gut durch die Schulen vorbereitet: Die Kinder dürfen zu Kennenlerntagen kommen oder erhalten vor den Sommerferien Briefe, in denen sich die Lehrkraft vorstellt und Beziehung aufbaut. An manchen kleinen, freien Schulen kommt die Lehrperson sogar vor dem großen Tag mal zu Hause vorbei und lässt sich das Kinderzimmer zeigen. Das ist nicht für alle Kinder notwendig und nicht überall leistbar. Aber die Methoden sind hilfreich. Bereitet die Schule deines Kindes den Start nicht so gut vor und ist dein Kind eher zögerlich, bist du gefragt.
Wie geht das? Du hast im vorherigen Kapitel schon Ideen bekommen, wie ihr Schulweg, Gebäude und auch Lehrkräfte im Vorfeld kennenlernen könnt. Frag auch dein Kind nochmal, was es sich wünschen würde. Vielleicht ist das machbar.
Möglicherweise könnt ihr im Vorfeld aber nicht herausfinden, wie der erste Schultag genau ablaufen wird oder welche Lehrkraft dein Kind mit in den Klassenraum bitten wird, denn manchmal entscheidet sich das auch erst sehr kurzfristig. Das ist dann für das „Geh nicht mit Fremden mit!”-Thema nicht gerade hilfreich, aber auch das werdet ihr bewältigen:
• Wann hast du in einer Situation nicht genau gewusst, was oder wer auf dich zukommt?
• Was hast du im Vorfeld getan?
• Wie bist du gut durch die Situation gekommen?
• Was kann dein Kind sich daraus mitnehmen?
• Was kann es tun, wenn die Atmosphäre im Klassenzimmer unangenehm ist? Hat es einen Stärker am Mäppchen, zum Beispiel einen Mut machenden Schlüsselanhänger? Sitzen etliche andere Kinder mit in der gleichen Situation, sodass dein Kind nicht allein ist? Stehst du nur ein paar Meter weiter im Schulgebäude und wartest schon mit offenen Armen?
Sprecht darüber und findet beziehungsstark Bewältigungsideen. Und nimm du noch folgenden Gedanken mit: Anders als bei der Eingewöhnung in der Kita oder dem Kindergarten ist dein Kind nun schon wieder älter und reifer. Urvertrauen und Bindungssicherheit sollten da sein, ein ganzes Stück Bewältigungskraft auch. Dein Kind braucht normalerweise keinen langsamen Bindungsaufbau in deinem Beisein mehr. Und es kann auch verstehen, dass es solche und solche Fremde gibt: die einen, mit denen man nicht mitgeht, und die anderen, mit denen man mitgehen kann, weil die Eltern Bescheid wissen und Vertrauen haben.
Du hilfst deinem Kind, Situationen gut einzuschätzen und Lösungsideen zu finden.
Falls dein Kind sich hierzu Gedanken macht, überlege mit ihm, wann es schon mal „mit einer fremden Person” mitgegangen ist: mit der Mutter oder dem Vater eines anderen Kindergartenkindes, mit der oder dem medizinischen Fachangestellten in der kinderärztlichen Praxis, mit einer Kursleitung bei einer Freizeitaktivität? Wieso war die Person nicht so ganz fremd? Wieso war das Mitgehen in Ordnung? Und ist das Ganze nicht eigentlich ziemlich gut gelaufen?
Nicht nur der erste Schultag ist aufregend, sondern die ganze erste Zeit. Viele Kinder brauchen locker bis zu den Herbstferien, um sich angekommen zu fühlen – oder noch länger. Ab und an fängt ein Kind (oder eine ganze Klasse) nach den Weihnachtsferien nochmal neu an mit dem Ankommen.
Damit dein Kind leichter ankommen kann, nimm deinen Blick vom allerersten Schultag weg und auch erst einmal vom Unterricht an sich. Denn es ist gerade noch so viel mehr los bei deinem Kind.
Ganz unwillkürlich macht sich dein Kind Gedanken: „Was kann ich? Wo bin ich schon groß? Bei was werde ich um Rat gefragt? Wem bin ich wichtig? Wie kann ich Probleme lösen?” Das bedeutet, es ist nicht nur durch die Veränderungen außen verunsichert und muss einen neuen Alltag für sich finden, sondern auch durch Vorgänge in seinem Inneren. Und für dich heißt das nochmal mehr: Hab Verständnis, gib ihm Zeit.
Wie geht das? Wie geht es denn dir, wenn du in einen neuen Job startest und parallel hormonelle Veränderungen merkst oder privat
Themen neu ordnen möchtest? Das ist alles viel, du bist sehr gefordert, du wirst schnell unwirsch. Dein Kind genauso. Möglicherweise wird es öfter explodieren. Vielleicht wird sich sein Schlafrhythmus eine Zeit lang verändern und ihr führt auch wieder Diskussionen ums Einschlafen oder auch ums Zähneputzen oder die richtigen Socken. Dann braucht dein Kind keine Vorwürfe, auch wenn es menschlich ist, dass du mal mit in die Luft gehst. Aber um da herauszukommen, benötigt es von dir erst Beziehung, dann Lösung und Bewältigung. Hol an die Oberfläche, was in deinem Kind los ist, indem du „Kann es sein”-Fragen stellst:
• „Kann es sein, dass du gerade wenig Lust zum Zähneputzen hast?”
• „Kann es sein, dass du gerade das Gefühl hast, ganz viel tun zu müssen, was andere sagen?”
• „Kann es sein, dass du dich wohler fühlen würdest, wenn ich dir hierbei helfe?”
• „Kann es sein, dass es für dich gerade schön wäre, wenn ich abends länger bei dir bleibe?”
• „Kann es sein, dass die Hausaufgaben gar nicht doof sind, sondern du einfach keine Lust und Kraft mehr hast?”
Zeigt dein Kind keine solche Auffälligkeiten, sondern kommt eher „leise” in der neuen Situation an, kannst du dich freuen. Sorge dich nicht sofort, dass es nur nicht sagt, was los ist. Wenn ihr in guter Beziehung seid und Gelegenheiten zum Austausch habt, wirst du sicher spüren, wenn doch etwas unrund läuft.
Du stellst dich auf Veränderungen ein und nimmst sie aktiv an.
Probleme klären sich nie sinnvoll, wenn du distanziert bist, Vorwürfe machst, dein Kind aufforderst, allein klarzukommen. In schwankenden Zeiten braucht es Beziehungssicherheit und Beziehungsstärke. Schenk deinem Kind viel Zeit und Aufmerksamkeit, und zwar von dir aus, nicht immer erst, wenn es danach fragt oder auffällig wird.
Wenn das in ausreichendem Maße da ist, wird es seinen Nähe-Tank auffüllen können und wieder lockerer werden. Das ist wie mit wie Leckereien in einem Süßigkeitenladen: Ein riesiges Angebot gibt die Sicherheit, dass man genug abbekommt, und irgendwann ist man dann auch echt satt.
Nicht nur vor der Einschulung kann die Schüchternheit dein Kind in seiner Vorfreude hemmen. Unter Umständen kann jeder Tag eine Herausforderung sein. Ist die Schüchternheit bei deinem Kind sehr stark, spürt es vielleicht verstärkt Ängste und vermeidet, Herausforderndes überhaupt anzugehen. Dann diskutiert ihr jeden Morgen und dein Kind weint jeden Abend: „Ich will da nicht hin!” In diesem Fall hilft kein Druck, sondern dein Kind braucht dich als stärkende Begleitung, um seine Hemmschwellen zu meistern.
Wie geht das? Führ dir erst einmal vor Augen, dass dein Kind mindestens zehn Jahre lang zur Schule gehen wird. Wenn es also ein paar Wochen gibt, in denen es nicht jeden Tag die volle Zeit am Unterricht teilnehmen kann, ist das kein Drama.
Wichtig ist jetzt, dass dein Kind …
• die Hemmschwelle anschaut: In welchen Momenten stresst die Schüchternheit in der Schule so stark, dass es nicht hingehen mag? Welche Strategien können helfen? Ein erster Satz für Gespräche, eine besondere Körperhaltung, wenn andere lachen, ein Notfallplan zum Abholen? Sollte die Lehrkraft Bescheid wissen?
• die Hemmschwelle überwindet und jeden Tag mit dir losgeht. Das begleitest du am besten mit Zutrauen und Klarheit: Die Wahl „gehen oder nicht” besteht nicht, denn in unserem Land gibt es eine Schulpflicht, weil Kinder gestärkt werden sollen. Aber wie dein Kind bleibt, ist beeinflussbar. Beteiligt es sich oder nicht, bleibst du dabei, bleibt es nicht die ganze Zeit, kann es am Lehrpult sitzen?
• die Freude am Lernen und an der Schule nicht verliert. Darum lass allen Druck weg, der nicht sein muss. Dass dein Kind hingeht und gute Momente erlebt ist wichtiger als die Note der Mathearbeit.
Häufig möchten die schüchternen Kinder eigentlich in der Schule sein, etwas lernen, auch brillieren. Dann können kleine Ziele helfen: in jeder Stunde einmal melden, jeden Tag dreimal etwas sagen, der Lehrkraft die Hausaufgabe von sich aus zeigen, ein Spiel mitnehmen und in der Pause zwei andere Kinder fragen, ob sie mitmachen. Dein Kind kann seine Schüchternheit überwinden, wenn es in Minischritten Sicherheit gewinnt. Das ist Bewältigungskraft. Detaillierte Tipps für den Alltag mit deinem schüchternen Grundschulkind auch außerhalb der Schule findest du in meinem Buch „Mein wunderbares schüchternes Kind” (humboldt, 2021).
Ist dein Kind nicht nur schüchtern, sondern stark ängstlich, lies noch genauer im Kapitel „Angst vor Trennung oder vorm Schulweg” ab S. 97 weiter, um ihm zu helfen, dieses Gefühl besser zu bewältigen. Dort bekommst du auch Impulse, wenn vor allem der Weg und das Allein-Gehen schwerfallen.
Die Hürde am Schulmorgen gruselt und drückt besonders stark, weil dein schüchternes Kind dich nicht als Anker zum Festhalten hat. Aber du kannst ihm das gute Gefühl mitgeben, das euch verbindet: eine kleine, liebevolle Botschaft auf einem Zettel versteckt im Mäppchen, im Deutschheft oder in der Brotdose können eine große Wirkung haben.
Manchmal geht Schüchternheit Hand in Hand mit Hochsensibilität. Ein hochsensibles Kind ist nicht nur zögerlich, sondern intensiv gestresst durch zu viele Reize und Ungewohntes. Daher fällt es ihm schwer, etwas anzugehen und dann auch durchzuhalten, wenn die Situation mit vielen Reizen oder vielen Menschen verbunden ist. Für den Umgang mit Schüchternheit hast du bereits Impulse bekommen. In Sachen Hochsensibilität benötigt dein Kind Strategien, um nicht dauernd eine „Überdosis Welt” aushalten zu müssen.
Wie geht das? Dein Kind muss Reize ausschalten können. Im Schulalltag funktioniert das nur, wenn die Lehrkräfte Bescheid wissen. Also weih sie ein und frag danach, welche Hilfsmittel die Schule vorsieht. Gibt es provisorische Trennwände, um den eigenen Tisch ein wenig abzuschotten? Kann dein Kind im Klassenraum einen Platz bekommen, der ein bisschen geschützter ist? Darf es bei Überreizung ein Zeichen geben und den Raum mit sicherem Ziel verlassen? Gibt es im Klassenzimmer einen Rückzugsort? Und ganz simpel: Kann dein Kind Gehörschutz nutzen? Falls eure Schule noch keinen hat, fragt den Förderverein an. Wenn in der Klasse gleich ein paar Schützer vorhanden sind, werden viele Kinder sie gern ausprobieren und dein Kind wird sich nicht auf unangenehme Art besonders fühlen, sondern kann seine Schwierigkeit bewältigen.
Eine ganz einfache Möglichkeit, um dabei zu sein und doch das Gefühl von Rückzug zu haben, ist eine textile Wäschetonne, die an einer Seite offen ist. Egal ob zu Hause oder in der Leseecke des Klassenzimmers: Dein Kind kann sich darin ein bisschen abschotten, wenn es sich mit dem Oberkörper und einem Kissen hineinlegt. Durch eine eher transparente Textiloberfläche kann es aber dennoch am Geschehen teilhaben. Nutzt sie zu Hause und schlag das auch der Schule vor. Die Tonne ist klein zusammenzudrücken und benötigt in der Aufbewahrung kaum Platz.
Auch wilde Kinder, die eher laut und sehr lebensfroh sind, sorgen bei Eltern für Unbehagen, wenn sie an die Schule denken. Gehört dein Kind zu den sehr aktiven, wilden? Dann lass dir gesagt sein, dass Schule keine reine Frontalveranstaltung mehr ist. Die Lehrkräfte wissen, dass Neulinge oft noch viel Raum für Bewegung benötigen und es Zeit braucht, bis sie alle Verhaltensregeln einhalten können. Die Impulsivität deines Kindes benötigt dennoch deine verstärkte Begleitung zu Hause.
Wilde Kinder sind häufig sehr willensstark. Fremdbestimmung ist ihnen ein Graus. Wenn das für dein Kind gilt, wirst du schon vor dem Einschulungstag einige Diskussionen hinter dir haben. Je selbstsicherer es wird, desto mehr möchte es wahrscheinlich Unsicheres wagen: Neues allein schaffen. Dein Kind möchte dann, dass seine Selbstständigkeit akzeptiert und gefördert wird. Mit pädagogischen Tricks nach dem Motto „Schauen wir mal, wer von uns schneller am Waschbecken ist?” brauchst du solch einem Kind nicht zu kommen. Sein sturer Schlaukopf wird rasch erkennen, was du vorhast. Ihr braucht Augenhöhe.
Wie geht das? Zu den sozialen Bedürfnissen, die im Grundschulalter erfüllt werden müssen, gehört Selbstständigkeit. Dein Kind will Dinge allein machen, selbst entscheiden, gar nicht erst fragen. Das ist nicht so sehr ein Weg gegen dich, sondern eher ohne dich und hin zu sich.
Diese Unabhängigkeit wird jetzt umso wichtiger, weil dein Kind durch die Schule mehr Fremdbestimmung spürt als in den Jahren zuvor. Es muss früh aufstehen und auch früh ins Bett gehen, muss länger stillsitzen, am Vormittag und auch noch am Nachmittag Papierkram erledigen, zuhören, Pause machen und essen, wenn der Schulgong es sagt, und vieles mehr. Wenn man auf einmal so viel weniger mitentscheiden kann, klopft innendrin die Autonomie an: „Ich will über mich bestimmen!” Dein Kind möchte mehr eigene Entscheidungen treffen.
Lass dich beziehungsstark auf den Wunsch deines Kindes nach Selbstbestimmung ein und behandle es so, als wäre es schon ein kleines bisschen älter. Gib ihm Spielräume:
• Wo kann es denn immer noch selbst sagen „Das mache ich um 10 oder um 15 Uhr.” oder „Das will ich in Grün statt in Rot!”?
• Wo kann es mit dir entscheiden: Wie werden Familienentscheidungen gefällt? Welche Bedürfnisse und Notwendigkeiten sind zu bedenken? Wird dein Kind ausreichend gesehen? Soll es das Ferienhaus werden oder die Hotelanlage? Wird Opa ein Ausflug geschenkt oder ein Fresskorb?
• An welchen Stellen kann dein Kind Regeln aufstellen fürs Aufstehen, den Ablauf am Morgen oder Nachmittag, den Schulweg, die Hausaufgabenzeiten? Wie sollen die Tage aussehen? Wann kann was passieren? Was sollte nicht festgelegt sein, sondern frei wählbar (Zimmer aufräumen, Duschen, Freunde treffen …)?
• Welche Wege kann dein Kind endlich teilweise oder ganz allein zurücklegen? Auf welchen Wegen kann es die Route allein wählen?
• An welchen Stellen hat es recht, wenn es Schulregeln kritisiert?
• Wie lassen sich Regeln ein bisschen feintunen, um zu deinem Kind zu passen?
• Über welche Regeln kann dein Kind mit der Lehrkraft (und zusätzlich mit dir) ins Gespräch kommen?
• Und zeig deinem Kind auch auf, von welchen Regeln es in der Schule oder zu Hause profitiert.
Andererseits kannst du ihm auch bewusster zeigen, welche Spielräume es tatsächlich hat. Denn ganz bestimmt lässt du dein Kind ohnehin schon oft aus verschiedenen Möglichkeiten wählen und gehst Kompromisse ein. Oder dein Kind darf Familienregeln mitbestimmen. Das muss man manchmal deutlich machen, damit das Grundschulkind spürt, wo es selbstbestimmt ist. Manche Kinder zeigen das Streben nach Unabhängigkeit schon im Vorschuljahr, andere starten erst mit 9 Jahren so richtig durch. Denn manchmal kommt das nicht von allein. Dann stell dein Kind bildlich gesprochen auf ein Skateboard, ziehe ihm Helm und Knieschützer anund schubse es oben auf einem Hügel an. Sprich: Fordere es, damit es den nächsten Schritt angeht: „Das probierst du heute mal allein.”
Zur neuen Selbstständigkeit gehören auch neue Erfahrungsräume und mehr Freiheiten, beispielsweise wenn dein Kind sich immer häufiger als Fußgänger*in allein im Straßenverkehr bewegt. Gedanken dazu findest du im Kapitel „Neue Wege und Orte” ab S. 190.
VORWARNUNG
Grübelst du, ob du der Lehrkraft schon Bescheid sagen solltest, was für ein willensstarkes Kind da bald in die erste Klasse kommen wird? Dafür gibt es kein Patentrezept. Manche Lehrer*innen wissen so etwas gern im Vorfeld, andere bevorzugen ein „weißes Blatt”. Ich rate dir, vor der Einschulung Kontakt aufzunehmen, wenn du dich sorgst, dass sonst der Start schon herausfordernd sein könnte. Schätzt du das nicht so dramatisch ein, lass deinem Kind und der Schule die Chance, ohne Vorwissen beieinander anzukommen. Sollte es später Probleme geben, ist es früh genug für ein Gespräch.