Kapitel 22

Es war ein goldener Tag gegen Ende Oktober, einer dieser wunderschönen Altweibersommertage, die so oft im Herbst aufleuchten, ehe der raue Winter einsetzt. Der Himmel war blau wie Ehrenpreis und schimmerte im Sonnenlicht, es wehte eine leichte, beinahe warme Brise.

Was für ein schöner Nachmittag, dachte Vincent und sah empor, den strahlenden Tag genießend. Hoffentlich hält es bis zum Wochenende. Er bog in der Town Street ab und beschleunigte seinen Schritt, als er die Kirchenglocke drei Uhr schlagen hörte. Hastig ging er die Ridge Road entlang zum Büro von H. E. Varley und Sohn, Bauunternehmer. Er wollte keinesfalls zu seiner Verabredung mit Mr Fred Varley zu spät kommen.

Es war der Donnerstag einer außergewöhnlich anstrengenden Woche. Er hatte seine Leute unnachgiebig angetrieben, damit sie die Lagerhalle fertigbekamen, die sie an Pinfolds Wollspinnerei anbauten. Morgen Mittag würde es vollbracht sein. Zweifelsohne war das der Grund, warum Mr Varley ihn zu sehen wünschte – um ihm zu gratulieren; und es würde bestimmt eine schöne Gratifikation für ihn und seine Kolonne geben.

Bei dem Gedanken an das zusätzliche Geld fing Vincent an zu pfeifen und schritt schwungvoll daher. Dann legte er die Hand an die Mütze, lächelte und nickte, als er der Frau des Vikars in der Nähe des Pfarrhauses von Christ Church begegnete. Wenige Sekunden später betrat er das Büro des Bauunternehmers und begrüßte Maureen, die Sekretärin von Mr Varley.

»Hallo, Kleine«, sagte er, nahm seine Mütze ab und strahlte sie an. »Mr Varley hat mich rufen lassen.«

»Hallo, Vincent«, erwiderte Maureen und machte eine Kopfbewegung zur Tür hin. »Sie können hineingehen, er wartet schon auf Sie.«

Mr Varley telefonierte gerade, aber als Vincent im Türrahmen erschien, verabschiedete er sich sofort, hängte ein und winkte Vincent, er solle eintreten.

»Da sind Sie ja, mein Junge, kommen Sie doch bitte herein, setzen Sie sich.«

»Danke, Mr Varley.« Vincent ließ sich auf dem Stuhl gegenüber des Schreibtisches nieder. »Dieser Auftrag für Pinfold wird morgen Mittag beendet sein«, sagte er, »die Männer haben wirklich gut gearbeitet, Mr Varley. Ich weiß, dass Sie zufrieden sein werden, wenn Sie die Lagerhalle sehen. Sie ist wirklich solide gebaut, auch wenn ich das sage.«

»Davon bin ich überzeugt, mein Junge. Sie sind ja ein guter Arbeiter und ein guter Vorarbeiter, im Grunde der beste, den ich je hatte.« Fred Varley räusperte sich. »Deshalb fällt es mir auch so schwer, Ihnen das jetzt zu sagen ... leider habe ich sehr schlechte Nachrichten für Sie, Vincent. Ich werde den Laden dichtmachen müssen.«

Vincent starrte ihn an, begriff im ersten Augenblick gar nichts. »Dichtmachen?«, sagte er dann schnell und zog die Augenbrauen hoch. »Die Firma dichtmachen?«

»Ja, mein Junge – morgen schon.«

»O Gott!« Vincent war entsetzt. »Ich verstehe das nicht«, fing er an und brach dann seinen Satz ab, als ihm die Reichweite des Ganzen aufzugehen begann.

»Ich muss Konkurs anmelden, mir bleibt gar nichts anderes übrig«, sagte Varley.

»Aber warum denn? Wir hatten in den letzten Monaten doch eine Menge guter Aufträge ...«

»Weiß ich, weiß ich, mein Junge«, fiel ihm Mr Varley ins Wort. »Aber einige dieser Gauner haben noch nicht gezahlt, und ich habe nicht die geringste Ahnung, wann sie es tun werden. Seit einer Ewigkeit arbeite ich mit Krediten, Vincent, und ich stehe bei der Bank so in der Kreide, dass ich mich nicht traue, noch mehr zu borgen – sie würden es mir wohl auch nicht geben, denke ich, wo ich so in Hypotheken schwimme.« Traurig schüttelte er den Kopf und sagte abschließend: »Es gibt keinen anderen Ausweg, ich muss einen Schlussstrich unter meine Verluste ziehen. Und das kann man nur auf eine Weise ... den Laden dichtmachen.«

»Verstehe, wie Sie’s meinen«, murmelte Vincent und sah besorgt über den Schreibtisch hinweg seinen Chef an. Er dachte nicht nur an sich, sondern auch an all die anderen Männer, die nun morgen arbeitslos werden würden. Außer Billie Johnson, dem Gehilfen des Klempners, waren alle verheiratet.

»Natürlich werde ich das den Jungens persönlich sagen. Morgen. Das würde ich nicht Ihnen überlassen, mich sozusagen vor meiner Verantwortung drücken. Ich werde die Gehälter dieser Woche noch auszahlen können, aber das ist auch alles. Keine Abfindungen, keine Gratifikationen, nichts von alledem.« Dann setzte Fred Varley noch hinzu: »Und wenn Sie morgen Ihre Karte bekommen, Vincent, würde ich gleich zur Unterstützung gehen und mich eintragen. So schnell das Stempelgeld abholen wie möglich.«

Vincent nickte finster.

»Hoffentlich kann ich bald Ordnung in dies Durcheinander bringen«, bemerkte Mr Varley und stand auf, offensichtlich wollte er diese heikle Unterredung jetzt beenden. »Und es wird sich sicher bald alles wieder einrenken in diesem Land. Die Wirtschaftskrise kann ja nicht ewig dauern. Dann will ich von vorn anfangen, wissen Sie, das wird gar nicht mehr lange dauern. Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Wenn ich das Geschäft wiedereröffne, wird auch für Sie ein Job dabei sein, Vincent. Ich hoffe, Sie kommen dann zu mir zurück.«

Nun erhob Vincent sich ebenfalls. »Danke, Mr Varley, das würde ich gern. Sie sind immer sehr anständig zu mir gewesen, sehr fair. Und es tut mir leid, dass Ihr Unternehmen pleite ist.«

»Ja, mein Junge, mir geht’s ebenso. Und es tut mir doppelt leid um Sie und die anderen Männer. Ich weiß, wie hart es jetzt für euch alle sein wird.«

»Also dann bis morgen, Mr Varley, auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen, mein Junge.«