Kapitel 36

Hör mal zu, Crowther, ich weiß doch, dass dich irgendwas schon wochenlang plagt, und heute Abend werden wir darüber reden«, verkündete Jane offensiv und schnappte sich Christina, sowie diese zur Tür hereingekommen war.

Christina guckte erstaunt, schloss die Tür und ließ sich dann von Jane bei der Hand nehmen und ins Wohnzimmer geleiten.

Nachdem Jane ihre beste Freundin sanft aufs Sofa geschoben hatte, nahm sie ihr gegenüber Platz. »Das stimmt doch, Christie, oder?«, drängte sie. »Irgendwas ist doch passiert.«

»Ja«, gestand Christina. »Ich habe mich mit einem Problem herumgeschlagen, eigentlich mehreren, und ich wollte auch mit dir darüber sprechen, mich aussprechen, aber ...« Christina brach ab, schüttelte langsam den Kopf und schaute aus dem Fenster; ein abwesender Zug trat in ihre schönen Augen.

Jane saß da und beobachtete sie, wartete geduldig und wusste, dass Christina sich ihr nun endlich anvertrauen würde. Sie war sehr erleichtert. Ihre Freundin war in den letzten beiden Monaten nicht sie selbst gewesen, seit sie nach den Osterferien aus Yorkshire zurückgekehrt war. Sie war abwechselnd in sich gekehrt, geistesabwesend, reizbar und finster gewesen, und immer, wenn Jane auf sie zugekommen war, hatte sie gesagt, es sei nichts.

Schließlich raffte sich Christina auf. »Ich muss mich erst mal bei dir entschuldigen, Jane«, sagte sie und sah sie freundlich an. »Ich weiß, dass es mit mir in der letzten Zeit nicht leicht gewesen ist und dass ich manchmal zickig war. Es tut mir leid ... bitte verzeih mir.«

»Sei nicht lächerlich, es gibt doch gar nichts zu verzeihen. Aber wenn du dich dann besser fühlst – also ich verzeihe dir.«

Ein flüchtiges Lächeln ging über Christinas Gesicht. »Ich habe mich bemüht, ein paar Entscheidungen zu treffen, und ich wollte nicht eher mit dir sprechen, als bis ich mir selbst klar darüber war.«

Jane erwiderte Christinas langen, nachdenklichen Blick, sagte aber nichts.

»Ich habe beschlossen, mit der Malerei aufzuhören«, sagte Christina leise.

»Das ist nicht dein Ernst!«, rief Jane und sprang auf.

»Doch.«

»Das werde ich nicht zulassen!«, bellte Jane.

Heftig schüttelte Christina den Kopf. »Du kannst mich nicht daran hindern. Und außerdem – du musst ruhig sein. Du hast mir doch vor einem halben Jahr erzählt, dass du deine Kunst aufgeben willst, um als Bühnenbildnerin zu arbeiten. Ich erinnere mich noch gut, wie du mir gesagt hast, du hättest nicht die Absicht, in irgendeinem Dachstübchen zu verhungern, nur von der schwachen Hoffnung genährt, dass irgendwer eines Tages deine Bilder kaufen würde. Und du hast noch hinzugefügt, dass die Kunstliebhaber, die Geld hätten, ihr Geld nur für berühmte Künstler ausgeben würden – für Renoirs, van Goghs, Monets, Picassos und so weiter.«

»Aber du bist ja auch besser als ich!«

Christina überhörte diese Bemerkung. Sie sagte: »Mehrere aus unserer Klasse – Jamie Angers, Danielle Forbes und Patricia Smith – wollen auf andere Gebiete wie Textildesign, Innenarchitektur, Kostümbildnerei und Bühnenbild wechseln, genau wie du.«

Jane sagte wieder: »Aber du bist doch auch viel besser als wir.« Ihr violetter Blick schweifte durchs Zimmer, dann wies sie auf zwei von Christinas Bildern, die dort an der Wand hingen. »Sieh es dir an! Sieh es dir doch an! Wie kannst du das aufgeben?«

»Sehr leicht«, sagte Christina leise, dass man ihre Stimme kaum hören konnte. »Wo sie doch das Leben einer Frau kosten.«

»Wessen Leben?«, rief Jane unwillig.

»Das meiner Mutter.«

Christina gab Jane keine Gelegenheit, etwas zu erwidern. Sie sprach langsam und betont, erklärte Jane alles, erzählte ihr von Audras frühen Jahren, all der harten Arbeit und der Opfer um Christinas willen. Und als Christina schließlich zum Ende gekommen war, glänzten Tränen in Janes Augen.

Christina fügte hinzu: »Verstehst du, Jane, ich glaube einfach nicht, dass ich sie dazu überreden kann, mit dem Arbeiten aufzuhören, wenn ich Ende des Sommers fertig bin. Sie wird mich unbedingt weiter unterstützen wollen, bis sich meine Bilder verkaufen. Sie ist sehr störrisch, geradezu unbeugsam. Ich könnte mir einen Job besorgen, mich unterhalten, während ich male, und ihr das Geld wieder zurückschicken, das sie mir gibt. Und ich könnte sie wohl schließlich auch davon überzeugen, dass ich für mich selbst sorgen kann, sodass sie aufhört, sich kaputtzuarbeiten. Aber das reicht mir nicht, Janey.«

»Ich komme da jetzt nicht mehr so ganz mit, Christie.« »Es reicht mir nicht, ihr bloß zu sagen: Danke, ich kann jetzt allein zurechtkommen, Mutter.« Christina schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe ein ungeheures Bedürfnis, ihr das Leben leichter und angenehmer zu machen. Ich möchte ihr den Luxus verschaffen, den sie nie gekannt hat. Und der Luxus, den ich im Sinn habe, der kostet Geld ... einen Haufen Geld. Als eine Künstlerin, die sich durchsetzen muss, würde ich Jahre brauchen, bis ich genug verdiene, um ihr das zu geben. Und ich habe keine Zeit; ich möchte, dass sie das alles so schnell wie möglich bekommt, solange sie noch jung genug ist, sich daran zu freuen.«

»Aber wie willst du all das Geld verdienen?«, fragte Jane und sah sie verblüfft an.

»Ich werde ins Geschäftsleben einsteigen – da liegt das Geld ... ich werde Modeschöpferin, eine reiche, berühmte Modeschöpferin – und zwar schnell.«

»Und wie willst du anfangen?«

»Eigentlich mit deiner Hilfe.«

»Mit meiner Hilfe?«

»Also mit der Hilfe deiner Mutter, wenn du mir erlaubst, dass ich sie mit diesem Projekt vertraut machen darf.«

»Natürlich kannst du mit ihr reden. Aber wie soll sie dir helfen?«

Christinas Augen funkelten plötzlich vor Begeisterung, der Kummer von eben war wie weggewischt. »Sie ist immer hinter mir her, dass ich ihr eines meiner handbemalten Seidenkleider machen soll, und sie hat mir erst vor ein paar Wochen gesagt, dass sie diese kinderleicht an ihre Freundinnen verkaufen könnte, wenn ich nur irgendwo einen geheimen Vorrat davon hätte. Sie lachte zwar, als sie das sagte – über ihre Freundinnen, meine ich –, aber ich bin mir sicher, dass einige von ihnen die Kleider gerne kaufen würden. Bei der Party, die deine Mutter für ihren amerikanischen Agenten gegeben hat, haben Polly Lamb und Lady Buckley meine handbemalte Seidenjacke bewundert. Sie wollten beide wissen, wo ich sie gekauft habe. Verstehst du denn nicht, Jane, meine handbemalten Abendkleider sind sehr originell, mein Design, und sie wären ein Anfang. Später könnte ich meine taillierten Kostüme fertigen ... alle bewundern sie so.«

»Du hast recht!«, rief Jane. »Du musst unbedingt mit Mummy reden, dir ihre Maße geben lassen und dann das Kleid für sie entwerfen. Und ich bin sicher, dass sie nichts dagegen haben wird, wenn du dich an ihre Freundinnen wendest, besonders an die, die auf der Cocktailparty so großes Interesse bekundet haben.«

»Wie schön, dass du meiner Meinung bist! Aber da gibt es noch ein kleines Problem.« Christina warf Jane einen besorgten Blick zu. »Meinst du, dass deine Mutter mir die Hälfte des Geldes im Voraus geben würde? Verstehst du, die Hälfte des Kleides bezahlt, ehe ich es ihr gebe? Und ihre Freundinnen, die Kleider bestellen, dazu bringt, dass sie es ebenso machen? Das würde mir sehr helfen. Ich könnte das Geld dazu verwenden, die Stoffe zu kaufen und die Spezialfarben, die ich brauche.«

»Klar zahlt Mummy im Voraus, und sie wird die anderen schon dazu kriegen, es auch zu tun.« Jane lehnte sich zurück, sah ganz zufrieden aus und spitzte dann nachdenklich die Lippen. »Aber das ist ja keine Lösung, Christie. Wenn du wirklich ins Modegeschäft einsteigen willst, ins große Geschäft, dann brauchst du Kapital.«

Christina lachte hohl. »Als ob ich das nicht wüsste ... aber leider habe ich keinen Penny.«

»Aber ich!«, rief Jane triumphierend. »Ich habe die fünftausend Pfund, die Großmutter Manville mir hinterlassen hat, und das Geld liegt bloß bei Lloyd’s auf der Bank und wirft ein paar jämmerliche Zinsen ab. Ich werde dir das Geld leihen!«

»Jane, das ist ganz phantastisch von dir, aber ich kann mir doch von dir kein Geld leihen«, protestierte Christina.

»Du musst es nehmen ... ich werde dich dazu zwingen. Wenn du ein bisschen anständiges Kapital in der Hinterhand hast, wird das Geschäft viel schneller wachsen. Du könntest dir auch eine Näherin leisten, vielleicht sogar zwei, und dir ein paar kleine Räume suchen.«

»Ja, du hast recht. Ich habe auch schon ein paar Pläne geschmiedet«, versetzte Christina, stand auf und ging zum Kamin herüber. Sie fuhr sich mit der Hand über den Mund und dachte einen Augenblick lang nach. »Natürlich wollte ich nicht gleich so große Sprünge machen, erst nächstes Jahr, wenn ich schon ein bisschen Geld zusammenhab.« Christina richtete ihren festen rauchgrauen Blick auf Jane. »Wenn du mir fünftausend Pfund leihen würdest, könnte ich es natürlich schon eher machen, das stimmt. Also nehme ich dein Angebot dankend an – es freut mich wirklich sehr, meine liebe Jane.« Sie ging zu Janes Stuhl hinüber, beugte sich zu ihr herab und umarmte sie.

Jane sprang sofort auf, nahm Christina in die Arme und strahlte sie an. Dann hielt sie ihr die Hand hin. »Schlag ein, Partner. Ich werde morgen als allererstes das Geld von meinem Sparkonto abheben, und dann – voilà! kannst du ins Geschäft einsteigen!«

Sie standen mitten im Zimmer, schüttelten sich die Hände und grinsten von einem Ohr zum anderen.

Jane sagte: »Und ich werde dir so viel helfen, wie ich kann, Aufträge besorgen ...« Jane brach ab, und ihr Gesicht verfiel.

»Was ist los?«, fragte Christina.

»Wie um alles in der Welt willst du das deiner Mutter beibringen? Sie wird völlig vernichtet sein, wenn du ihr sagst, dass du die Malerei hinwirfst. O Gott, Christie, sie wird sich fürchterlich aufregen!«

»Ja, das weiß ich«, stimmte ihr Christina zu und war plötzlich sehr ernst. »Glaub nicht, dass ich nicht schon wochenlang darüber nachgedacht habe. Und ich bin zum Schluss gekommen, dass ich ihr fürs erste lieber gar nichts erzähle. Wenn ich im August mit dem Studium fertig bin, lass ich sie in dem Glauben, dass ich weiterhin fleißig male, und vier, fünf Monate danach, sagen wir um Weihnachten herum, werde ich ihr sagen, dass ich einige Bilder verkauft habe und mich jetzt selbst unterhalten kann.«

»Und glaubst du, dass sie dir das abnimmt?«, fragte Jane.

»Das hoffe ich inständig, Janey, das hoffe ich.«