Kapitel 37

Ihre künstlerische Begabung war nicht das Einzige, was Christina von ihrer Mutter geerbt hatte.

Sie besaß auch Audras Hang zu schwerer Arbeit, ihr körperliches Durchhaltevermögen und ihre Energie, die Zähigkeit und Entschlossenheit, mit dem Erfolg zu haben, was sie machte.

All diese Eigenschaften wurden während der ersten sechs Monate, da sie ins Geschäft eingestiegen war, verlangt und waren verantwortlich für ihren außergewöhnlichen Erfolg, den sie in dieser relativ kurzen Zeit erreichte.

Christina entdeckte, dass sie Geschäftssinn besaß, und auch dieser spielte eine große Rolle bei ihrem Aufstieg zu den Gipfeln der Haute Couture.

Und ihre vielleicht größte Stärke überhaupt war die Fähigkeit, Kunst in Mode umzusetzen, in jene erlesene, wundervoll handbemalte Abendkleider, Mäntel und Jacken, die ihr Markenzeichen werden und im Laufe ihrer Karriere immer sehr gefragt sein sollten.

Jane sagte eines Nachmittags zu ihr: »Fortuny wurde für seine Delphoskleider aus gefältelter Seide berühmt, Chanel für ihre Strickjackenkostüme, Dior für seinen New Look und Balenciaga für seinen perfekten Schnitt. Und du wirst für deine Umwandlung von Kunst in Mode berühmt werden, für deine unglaublichen Malereien auf Seide. Diese Kleider werden bald Klassiker sein, geradeso wie Poirets perlenbesetzte Abendkleider. Die Leute werden deine Kleider jahrelang aufbewahren, meine liebe Christie.«

Christina akzeptierte das Kompliment von ihrer Freundin und Geschäftspartnerin, da sie wusste, dass diese es ehrlich meinte. Dann fing sie plötzlich an zu lachen und rief: »Man wird sich meiner auch erinnern aufgrund dieser Fähigkeit, achtzehn Stunden am Tag zu arbeiten, sieben Tage in der Woche, und das Monat für Monat.«

»Ja, stimmt«, fand Jane und lächelte ihr zu. »Du hast in den letzten Monaten wirklich wie ein Galeerensklave geschuftet, aber es hat sich doch auch gelohnt, meinst du nicht. Wir sind bis über beide Ohren mit Aufträgen eingedeckt ...« Jane warf Christina einen amüsierten Blick zu. »Als ich zu Mummy sagte, du würdest dich momentan wie ein Bergarbeiter schinden, meinte sie, es sei immerhin eine Goldgrube! Und wo wir gerade von all diesen Aufträgen reden – sollten wir uns nicht noch eine weitere Näherin besorgen?«

Christina nickte. »Ja, ich habe das schon in die Wege geleitet. Elise und Germaine fragen ihre französischen Freundinnen, und ich bin sicher, dass sie bald eine finden werden.«

»Das will ich hoffen; sonst sind wir es nämlich, die an der Nähmaschine sitzen, von der Handarbeit mal ganz abgesehen. Und das könnten wir gerade brauchen, nachdem wir all diese verdammten Dinger schon bemalt haben!«

Christina sagte: »Weißt du, ich bin dir sehr dankbar, dass du mir bei diesen Mandarinärmeln an den beiden Chiffonkleidern für Mrs Bolton hilfst.« Sie sah ihre Freundin amüsiert aus den Augenwinkeln an. »Du bist ganz voll rosa Farbe an der Nase ... aber trotzdem malst du die schönsten Schmetterlinge in der ganzen Stadt.«

Jane kicherte und befühlte ihre Nase. »Ich helfe dir gern. Ich wünschte nur, ich könnte mehr für dich tun. Die meiste Zeit komme ich mir ziemlich nutzlos vor ...«

»Sei nicht albern, Jane, du bist ganz unentbehrlich! Du kümmerst dich um die Buchführung, machst ein bisschen von allem, und außerdem würde es ohne dich überhaupt kein Geschäft geben. Vergiss deine fünftausend Pfund nicht.«

»Sie sind eine gute Investition, Crowther. Bin ich nicht gerissen, dass ich sie auf dich gesetzt habe?« Jane verdrehte schurkisch die Augen und ging dann in die kleine Küche neben dem Büro, um die Kaffeekanne auszugießen.

Christina sprang auf, reckte sich und ging zum Fenster hinüber, sah in den Hinterhof der »Fabrik« hinaus, wie sie ihre Räume nannte. Sie hatte diese im August entdeckt; kurz nachdem sie am Royal College of Art bestanden hatte. Das Gebäude, welches zuvor einem Obst- und Gemüsehändler als Wohnung und Ladengeschäft gedient hatte, lag am unteren Ende der King’s Road, und ganz abgesehen von der vertretbaren Miete fand sie es aus mehreren Gründen perfekt für ihr Vorhaben.

Durch die Fenster strömte viel Tageslicht, das wichtig war zum Bemalen der Stoffe und Nähen der Gewänder, und der Raum war mehr als ausreichend, man konnte sogar noch etwas expandieren, da die Wohnung nebenan genügend Raum für zusätzliche Angestellte bot, falls dies nötig werden sollte.

Der Teil des Geschäfts, in dem noch vor kurzem Gemüse verkauft worden war, hatte sich in eine kleine Empfangsfläche verwandelt. Hier konnte man die Maße der Kunden nehmen und ihnen die Kleider anprobieren. Christina und Jane hatten alles weiß gestrichen, nur in den Empfangsräumen hatten sie die Wände mit einem weichen Perlgrau gefärbt und vor das Fenster, das zur Straße hinausging, einen Cafévorhang aus Seide mit ineinander übergehenden Grautönen gehängt. So konnten Passanten nicht hineinsehen, und die wartenden Kunden waren ungestört. Dulcie hatte ihnen einen Orientteppich geschenkt, mehrere Stühle, einen Tisch und eine Lampe, alles ausrangierte Dinge aus Hadley Court, und mit einigen Topfpflanzen und ihren eigenen Kunstwerken an der Wand hatten die Mädchen eine fröhliche Atmosphäre geschaffen.

Das Wohnzimmer hinter dem Geschäft hatten sie zum Büro umfunktioniert; oben war ein Schlafzimmer zum Nähzimmer geworden, das zweite, kleinere zum Anproberaum, während das dritte und größte Schlafzimmer jetzt Christinas Studio war. Hier bemalte sie die Stoffe für die Abendkleider, hier halfen Jane und einige frühere Klassenkameradinnen ihr manchmal dabei, die Ärmel zu bemalen. Da die hauptsächliche künstlerische Arbeit auf den Kleidern und Mänteln von Christina signiert war, erlaubte sie niemandem sonst, diese auszuführen.

Als sie nun an diesem grauen Märznachmittag des Jahres 1955 aus dem Fenster sah, dachte sie an die handbemalten Stoffe. Sie drehte sich zu Jane um und sagte: »Ich weiß ja, dass wir eine Menge Geld machen mit der Abendgarderobe, aber ich finde, wir sollten auch andere Kleidungsstücke entwerfen und die Linie ausbauen.«

»Ich habe darauf gewartet, dass du das sagst ... das Malen nimmt so viel Zeit in Anspruch, Christie. Ich denke, dass du die handbemalten Sachen immer machen solltest, schließlich sind sie dein Markenzeichen, aber vielleicht kannst du das ein bisschen einschränken.«

»Ja, und ich werde anfangen, die taillierten Kostüme und Kleider zu entwerfen, die deine Mutter so liebt ... und sie weiß, was sich verkauft, Janey.«

»Ja, das stimmt. Und wo wir gerade von Mama sprechen – ich muss ganz schnell verschwinden«, murmelte Jane und sprang auf. »Sie wird fuchsteufelswild sein, wenn ich zu spät zu meiner Verabredung mit ihr und Gregory Joynson komme, und ich muss erst noch schnell nach Hause und mich umziehen. Crowther, willst du mir nicht die Daumen drücken?«

»Natürlich tue ich das, und ich bin sicher, dass ihm deine Kostümentwürfe gefallen werden – sie sind ganz außergewöhnlich.«

Jane zwinkerte ihr schlau zu, während sie Handtasche und Mantel nahm. »Gut, dass sie dem Star gefallen, nicht wahr? Was für ein Glück, dass meine Mutter, die Schauspielerin, so viel von Vetternwirtschaft hält.« An der Tür hielt sie inne und sagte dann: »Und sitz hier nicht wieder die ganze Nacht herum, Crowther, du siehst jetzt schon müde aus.«

»Nein, ich mache heute nicht so lange. Bis nachher.«

Sobald sie allein war, ging Christina nach oben und drehte die taghellen Lampen an, die sie im großen Studio hatte anbringen lassen, damit sie nachts arbeiten konnte. Sie betrachtete den Stoff, den sie am Morgen fertig bemalt hatte, und nickte befriedigt mit dem Kopf.

Es waren weiße Callalilien auf schwarzem Chiffon, und sie hatte zuerst am unzugeschnittenen Stoff gearbeitet, bevor sie anfangen würde, das Kleid zu entwerfen. Das wollte sie morgen machen, und sie wollte das Kleid so entwickeln und zuschneiden, dass es zum gemalten Motiv passte. Sie bediente sich oft dieser Methode; dann wieder entwarf sie das Kleid, das Abendgewand oder den Mantel, schnitt den Toile, fertigte Vorder- und Rückenteil und malte dann ihre Blumen innerhalb des vorgegebenen Rahmens. Sie beschränkte sich nie, blieb ihrer Kunst gegenüber immer offen, und in gewisser Weise ließ sie die Kunst den Stil des Kleidungsstückes bestimmen. Und deshalb gab es unter ihren handbemalten Kleidern keine zwei identischen Stücke.

Christina betrachtete noch andere Stoffe prüfend und ging dann wieder nach unten in ihr Büro zurück, wo sie sich an den Schreibtisch setzte. Dann nahm sie sich einen Bogen Briefpapier und begann, an ihre Eltern zu schreiben. Sie schrieb ihnen immer einmal in der Woche und telefonierte mit ihnen regelmäßig jeden Sonntag. Heute war ihr wöchentlicher Brief an der Reihe.

Sie seufzte leise, während sie die Seiten mit Lügen füllte ... Lügen über die Bilder, die sie verkaufte ... Lügen über ihre gesellschaftlichen Aktivitäten ... Lügen überhaupt. Sie musste alles erfinden, weil sie momentan überhaupt kein Privatleben hatte und auch keinen Freund, da ihre letzte, ziemlich fade Romanze mit einem Kommilitonen einfach im Sande verlaufen war, wie all die anderen in den letzten Jahren.

Sie stützte den Ellbogen auf den Tisch, lehnte ihren Kopf in die Hand und überlegte verzweifelt, was sie ihrer Mutter Aufregendes mitteilen könnte. Audra liebte es so, von ihrem strahlenden gesellschaftlichen Leben mit Jane, den Sedgewicks und den anderen Berühmtheiten zu hören, denen sie auf den Partys begegnete.

Christina lehnte sich im Stuhl zurück, legte den Federhalter aus der Hand und dachte plötzlich an Dulcie Manville. Als was für eine gute Freundin hatte sie sich doch gezeigt, und wie nett war sie zu ihren Eltern gewesen, als sie zur Abschlussfeier der Kunstakademie nach London gekommen waren. Jane war aus dem Apartment in der Walton Street ausgezogen und hatte sich ein paar Tage im Haus ihrer Eltern in Mayfair eingenistet, damit Vincent und Audra bei Christina wohnen konnten. Sie hatten es sehr genossen, mit ihr zusammen zu sein, und ihre Reise war ein großer Erfolg gewesen.

Die Sedgewicks hatten für Jane und sie eine Party gegeben. Dulcie schien etwas aus der Fassung gebracht, als sie mit Christinas Vater bekannt gemacht wurde, und Christina musste in der Erinnerung an Dulcies Reaktion lächeln. Diese hatte sie beiseite genommen und gesagt: »Warum hast du mir nicht gesagt, dass dein Vater wie Robert Taylor aussieht, Christie. Du meine Güte – wenn er schauspielern würde, sein Gesicht wäre sein Kapital, meine Liebe.« Und nachher, als sie ihrem Vater diese Bemerkung hinterbracht hatte, sah er unglaublich geschmeichelt aus, aber ihre Mutter schien darüber wenig erbaut, sogar etwas wütend. So hatte sie erfahren, dass ihre Mutter schrecklich eifersüchtig auf Vincent war.

Diese beiden, murmelte Christina und griff wieder nach ihrem Federhalter. Man weiß nie, woran man mit ihnen ist – entweder springen sie sich gerade an die Kehle, oder sie liegen sich in den Armen. Plötzlich überkam sie eine herzliche Liebe, als sie an ihre Eltern dachte. Sie liebte sie beide sehr, und sie hatte immer versucht, sich in der Mitte zwischen ihnen zu halten, in einem Balanceakt sich bemüht, keine Partei zu ergreifen, da sie keinen verletzen wollte. Und ich denke, es ist mir auch gelungen, setzte sie im Geiste hinzu, während sie ihren Lügenbrief beendete. Aber es sind ja nur Notlügen, dachte sie.

Es war neun Uhr, als Christina schließlich ihre Fabrik verließ und die King’s Road in Richtung Sloane Square hinunterging. Sie dachte immer noch an ihre Mutter, als sie flott dahinschritt. Es war ihr gelungen, Audra davon abzuhalten, ihr weiter Geld zu schicken, indem sie immer wieder gesagt hatte, dass sich ihre Arbeiten nun gut verkaufen ließen. Aber Christina bedrückte, dass Audra immer noch im Leeds Infirmary arbeitete. »Sie will nicht auf mich hören, Mädel«, hatte ihr Vater gesagt, als sie ihn während der Weihnachtsferien darauf angesprochen hatte. »Deine Mutter hatte schon immer ihren eigenen Kopf, und ich bin seit jeher der Letzte gewesen, der sie von irgendetwas abbringen konnte.« Auf sie hatte Audra nicht gehört, und so hatte sie schließlich das Thema fallengelassen.

Na, zumindest weiß ich jetzt, dass sie das Geld für sich behält, das sie verdient, dachte Christina und warf den Brief in den Kasten beim Postamt am Sloane Square. Ich bin unendlich erleichtert, dass sie nicht mehr allein arbeitet, um mich zu unterhalten.

Seit sie sich dazu durchgerungen hatte, die Landschaftsmalerei aufzugeben, hatte Christina nicht mehr allzu oft über die Entscheidung nachgedacht. Für sie war der Entschluss unwiderruflich, und sie bedauerte es auch nicht. Sich einen Platz in der Modebranche zu erobern, und zwar einen bedeutenden, das war nun der stärkste Antrieb in ihrem Leben. Christina glaubte, dass sie nur durch viel Geld, sehr viel Geld, imstande sein würde, die große Schuld gegen ihre Mutter abzutragen, indem sie diese mit allem möglichen Komfort und Luxus umgab. Und sie hoffte, dass sie bald so weit sein würde.

Nun, da sie die Sloane Street entlangeilte und sich das Kopftuch fest umwickelte, um sich vor dem Märzwind zu schützen, dachte Christina an den großen Kleiderauftrag, den sie von der Schauspielerin Miranda Fowler bekommen hatte. Der Star würde in drei Monaten nach New York fahren, wo sie in einem Stück am Broadway auftrat, und sie hatte Christina darum gebeten, so viele Abendkleider für sie anzufertigen wie möglich.

Wie werde ich die bloß rechtzeitig fertigbekommen?, fragte Christina sich, als sie ihr Apartment in der Walton Street aufschloss. Und bei einem Sandwich und einem Glas Milch fing sie an, sich Notizen zu machen, und konzentrierte sich auf ihre Entwürfe.

In den nächsten Tagen war es Christina, als hätten die Musen sie geküsst.

Ihr Zeichenblock war bald voll von Ideen für die Garderobe von Miranda Fowler, und ihr kamen immer neue Einfälle, als sie sich die Kleider in ihrer reichen Fantasie vorstellte. Formen, Schnitte, Farben, Anordnungen von Blüten, Stoffe, Stickereien ... all das kämpfte in ihrem Kopf um die Vorherrschaft. Innerhalb von zehn Tagen hatte sie unter ihren ersten Ideen und Skizzen eine Auswahl getroffen, die Entwürfe fertiggestellt und begonnen, die Materialien auszusuchen.

Einige Tage lang schwirrten Chiffons, Seiden, Satins, Brokate, Crêpes und Georgettes in einer schwindelerregenden Farbpalette um sie herum. Langsam sortierte sie auch diese aus, bis sie sich schließlich für Seide, Chiffon und Georgette für die Abendkleider entschied, schweren Satin für die Hosenanzüge und einen langen Abendmantel wählte und Brokat für zwei Jacken, die man zu den Seidenhosen tragen konnte.

Als die Schauspielerin schließlich kam, um ihre Maße nehmen zu lassen, war sie ganz begeistert von den Stoffen und Entwürfen. Christina erklärte ihr dann, dass sie, wenn sie ihr eine vollständige Abendgarderobe anfertigen solle, nicht alle Stücke handbemalen könnte. Ihre neue Kundin meinte, das sei schon in Ordnung.

Christina arbeitete rund um die Uhr, während die beiden französischen Mitarbeiterinnen wie die Besessenen nähten, um die Ausstattung für den berühmten Musicalstar fertigzubekommen. Mehrere Wochen nachdem Christina mit diesem Auftrag angefangen hatte, stellte sie eine weitere Französin ein, eine Freundin von Germaine, die Lucie James hieß. Lucie kam mit den besten Empfehlungen, und abgesehen davon, dass sie eine hervorragende Näherin war, genoss sie auch als Schneiderin einen guten Ruf, hatte vor dem Krieg im Salon von Balenciaga gearbeitet, ehe sie 1938 einen Engländer geheiratet hatte. Lucie war zuvor bei Mr Michael, einem Couturier mit einem Salon am Carlos Place, angestellt gewesen. Es dauerte nicht lange, bis Christina erkannte, dass sie mit Lucie eine gute Wahl getroffen hatte. Lucie könnte ihr die Bürde abnehmen, die Kleider zuzuschneiden, sodass sie sich ganz dem Malen würde widmen können.

Für alle war es ungeheuer anstrengend gewesen und ein wahres Bravourstück, die Kleider für Miranda Fowler rechtzeitig fertigzubekommen. Christina war sogar ein wenig eher fertig, und an einem warmen Abend Anfang Mai nahm sie Jane mit nach oben, um ihr die Kollektion im Studio zu zeigen.

Sie drückte auf den Lichtschalter, zog das Tuch vom Kleiderständer und rief: »Dies ist die Enthüllung ... voilà! Und bevor ich dir jede erlesene, hochelegante Schöpfung vorführe, will ich dir nur eines sagen ... wenn Miranda Fowler gezahlt hat, kann ich dir endlich deine fünftausend Pfund zurückgeben. Ist das nicht großartig, Janey?«

»Jaja, aber es eilt doch nicht«, erwiderte Jane, und dann brach sie in Begeisterungsrufe über die atemberaubend schönen Kleider aus.

Als die beiden Mädchen wieder im Büro waren, sagte Christina: »Ich führe heute Abend meine drei Grazien zum Essen aus, eine kleine Feier für sie, weil sie so hart gearbeitet haben. Warum kommst du nicht mit uns, Janey? Du gehörst schließlich zur Familie.«

»Das ist ganz reizend von dir, aber ich bin total erledigt«, sagte Jane. »Ich habe mich so abgerackert mit diesen Kostümen für die Aufführung, und heute Abend muss ich noch das Problem mit diesen verdammten Halskrausen in den Griff kriegen. Sie wollen einfach nicht steif bleiben, und wenn man sie stärkt, sind sie zu kratzig am Hals der Schauspieler. Mein Gott, warum hat meine Mutter bloß das Bedürfnis, Elizabeth Tudor zu spielen?«

Christina lachte über ihren Gesichtsausdruck und beharrte dann: »Aber es würde dir vielleicht guttun, mit uns zu kommen ... das würde dich von diesen Halskrausen ablenken.«

Jane schüttelte den Kopf. »Danke, danke. Aber ich muss noch ein bisschen arbeiten, mache mir ein Sandwich und gehe heute früh ins Bett.« Dann warf sie Christina einen säuerlichen Seitenblick zu, und ihr hübscher Mund verzerrte sich. »Wir leben beide mächtig romantisch zurzeit, meinst du nicht auch?«

»Das werden wir aufholen, wenn wir erst reich und berühmt sind.«

»Darauf möchte ich wetten«, sagte Jane und zog ein höhnisches Gesicht. »Und hör mal zu, Crowther, komm mir heute Nacht nicht krachend die Wohnung heraufgestolpert. Ich meine es ernst, dass ich heute früh ins Bett gehen will.«

»Du kannst morgen ausschlafen – morgen ist doch Samstag.«

»Das möchte ich mal erleben«, erwiderte Jane und nahm ihre Aktentasche. »Schönen Abend noch, Süße.«

Es war kurz nach elf, als Christina an jenem Abend die Walton Street entlangschritt, nachdem sie ihre drei Angestellten zum Essen ausgeführt hatte.

Plötzlich war sie ungeheuer müde.

Die letzten Monate waren hart gewesen. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte sie sich heute Abend richtig entspannt, sich gehen lassen, und das üppige Diner im Ox on the Roof-Restaurant und der Rotwein zeigten auch ihre Wirkung. Sie konnte es gar nicht abwarten, sich auszuziehen und ins Bett zu fallen.

Sie erinnerte sich, dass Jane gesagt hatte, sie wolle heute früh schlafen gehen, und so fragte sie sich, wieso im Wohnzimmer alle Lichter brannten. Als sie vor ihrem Haus angekommen war, dessen oberstes Stockwerk sie bewohnten, blieb sie stehen, sah zu den Fenstern empor und runzelte die Stirn.

Sie hat wohl vergessen, sie auszumachen, dachte sie, schloss dann unten auf und stieg die steile Treppe hinauf.

Christina machte sich noch mit ihrem Schlüsselbund zu schaffen, als die Tür plötzlich aufflog.

Überrascht zuckte sie zusammen und starrte Jane an. »Also ehrlich, du hast mich zu Tode erschreckt ...«, fing sie an, als Jane sie am Arm packte.

Diese zischte: »Deine Eltern sind da. Und deine Mutter ist außer sich ... sie nimmt den Blick nicht von den Bildern, die hier an der Wand hängen.«

»O Gott«, sagte Christina leise und wurde ganz blass. »Was bin ich nur für ein Idiot.«