Ich möchte groß herauskommen – richtig groß herauskommen«, sagte Christina. »Und zwar gleich. Jetzt!«
Jane blickte sie überrascht an, nahm ein paar Stecknadeln aus dem Mund und schwenkte diese Christina entgegen. »Ich wünschte, du würdest deine großen Ansagen nicht gerade dann machen, wenn ich dies hier zwischen den Zähnen habe. Ich hätte sie beinahe verschluckt.«
»Oh, das tut mir leid.«
Jane grinste. »Also du willst groß herauskommen. Ich bin ganz Ohr, erzähl mir mehr, Crowther.«
»Sofort.« Christina ging quer durchs Studio zur Ecke hinüber, in der Jane an einem Kostüm für Dulcie arbeitete.
Es war ein glühend heißer Julinachmittag, und um sich der Hitze zu erwehren, hatte Jane ihr rosa Baumwollhemd unter den Brüsten zusammengeknotet und zeigte ihre nackte Mitte, hatte den Rock gegen weiße Baumwollshorts vertauscht, Schuhe und Strümpfe ausgezogen und das lange, weizenblonde Haar hochgesteckt.
Christina dachte unwillkürlich, wie hübsch ihre Freundin doch aussah, trotz der etwas unordentlichen Frisur, des zerlaufenen Make-ups und des abgeleckten Lippenstifts. Bewunderung und eine tiefe Zuneigung zu Jane Sedgewick stiegen in ihr auf. Wie glücklich sie sich schätzen musste, Jane zur Freundin zu haben.
»Was hältst du von einer Limonade?«, fragte Christina, stellte das Tablett, das sie trug, auf den Tisch und schraubte die Flasche auf. »Du musst ganz ausgedörrt sein, Jane, hier herrscht eine Bullenhitze.«
»Ja, ich weiß – wir müssen uns wohl einen zweiten Ventilator kaufen. Ich nehm’ gern einen Schluck von diesem Zeug.« Jane trat von der Schneiderpuppe zurück und betrachtete kritisch das Theaterkostüm im Tudorstil, an dem sie gerade arbeitete. Dann drehte sie sich um, ließ sich auf einem Hocker nieder und nahm das Glas Limonade von Christina entgegen. »Also schieß los«, sagte sie, »weihe mich in deine Pläne ein. So wie ich dich kenne, ist alles schon druckreif.«
»So ziemlich«, gestand Christina und hockte sich auf die Tischkante. »Wir sind jetzt zehn Monate im Geschäft und haben uns außerordentlich gut geschlagen. Aber wir würden doppelt so viele Kleider verkaufen, wenn wir sie nur herstellen könnten. Ich meine, wir sollten expandieren, richtig groß herauskommen, so wie ich gesagt habe.«
»Und wie?«
»Mehr Zuschneiderinnen und Näherinnen anstellen – auch mehr Büropersonal – und Ausstellungsräume im Westend mieten.«
»Das kostet aber Geld. Auch wenn du meine fünftausend Pfund im Geschäft lässt, reicht das nicht, Christie.«
»Ich weiß. Ich brauche ungefähr fünfzigtausend Pfund.«
Jane pfiff durch die Zähne. »So viel! Wahnsinn! Aber ja, ich glaube, du hast recht.«
»Ich weiß, dass ich recht habe«, versicherte Christina. »Ich habe alle Kosten und Möglichkeiten aufgelistet. Abgesehen von den Gehältern müssen wir eine Menge Vorrat haben – Stoffe, andere Materialien, und dann ist da natürlich die Miete für die Ausstellungsräume. Ich habe mir letzte Woche einige angesehen, und sie sind wirklich teuer, besonders die in Mayfair, wo wir uns meiner Meinung nach ansiedeln sollten.«
»Du meinst auch groß, wenn du es sagst, nicht wahr?«
»Ja – und ›edel‹ müssen wir sein. Was die Fünfzigtausend angeht, denke ich, dass wir sie uns von der Bank holen können, auch wenn keine von uns eine Sicherheit bieten kann: Falls deine Mutter für uns bürgen würde, verstehst du, die geliehene Summe oder den Überziehungskredit garantieren würde, was immer es sein wird.«
Jane schüttelte den Kopf, runzelte die Stirn und biss sich auf die Lippen. »Nein, ich finde die Idee nicht so gut – zur Bank gehen, meine ich. Ich würde mir das Geld lieber von Mummy leihen, und ich glaube, dass sie uns zumindest die Hälfte geben wird. Und ich weiß, dass Tante Elspeth den Rest herausrücken würde, denn sie hat mich einmal gefragt, ob du Geld für das Geschäft bräuchtest. Ich weiß, dass sie dir helfen wird, denn sie ist eine glühende Verehrerin von dir und deinen Kreationen.«
»Jane, das wäre traumhaft, wenn sie das machen ... meinst du wirklich, dass sie auf mich setzen würden?«
»Ja. Und außerdem ist es kein großes Wagnis, auf dich zu setzen, das wissen wir alle.«
»Ich möchte es gern als Darlehen haben, das natürlich verzinst zurückgezahlt wird, wenn es ihnen recht ist. Wir brauchen nicht allzu viele Geschäftspartner, nicht wahr?«
»Nein, da hast du bestimmt recht. Ich glaube zwar nicht, dass sich Mummy oder Tante Elspeth einmischen würden, aber trotzdem meine ich auch, dass es besser ist, wenn sie uns das Geld leihen.« Jane sprang vom Hocker herunter. »Lass uns doch gleich ins Büro hinuntergehen und Mummy anrufen«, rief sie, ganz begeistert von Christinas jüngstem Projekt. »Ich weiß, dass sie zu Hause sitzt und ihre Rolle lernt. Und wenn wir erst mit ihr gesprochen haben, rufe ich Tante Elspeth in Monte Carlo an. Das ist alles so aufregend, Christie, und ich bin sicher, dass sie gleich Feuer und Flamme sein werden. Wart’s nur ab ... nächste Woche werden wir schon in Geld schwimmen. Im großen Stil, wie du es gewollt hast, wir gehen auf große Zeiten zu.«
Jane flog und hüpfte durchs Studio, vollführte einen Freudensprung, als sie die Tür erreicht hatte, und wirbelte dann treppab, wobei sie sang: »Wir gehn auf große Zeiten zu, Zeiten zu, Zeiten zu.«
Christina folgte etwas gesetzter, lachte über die Euphorie ihrer Freundin und drückte die Daumen, in der Hoffnung, dass Jane recht haben möge.
Sie hatte recht.
Dulcie Manville und ihre Schwester Elspeth D’Langer stellten das zusätzliche Geschäftskapital zur Verfügung, das Christina Crowther benötigte, um ihr Haute-Couture-Unternehmen zu vergrößern und ins Westend zu ziehen.
Vier Tage nachdem sie mit Jane telefoniert hatte, kam Elspeth aus Frankreich geflogen. Sie, ihre Schwester und die Mädchen hatten mehrere Sitzungen mit Dulcies Anwälten. Dabei beschlossen Dulcie und Elspeth, dass Christina noch mehr Sicherheiten benötigte, falls etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommen sollte. Und so erhöhten sie das Darlehen auf hunderttausend Pfund, indem sie jede fünfzigtausend gaben.
Dies war die Summe, die Christina schließlich auf ihr Geschäftskonto überwies, ehe der Monat Juli vorüber war, nachdem alle nötigen Formulare unterschrieben und rechtmäßig von jedem unterzeichnet worden waren.
Gewissermaßen fing die härteste Zeit nun erst an.
Christina musste sich zweiteilen.
Tagsüber war sie Geschäftsfrau. Sie ließ das Büropersonal zu Vorstellungsgesprächen kommen, ebenso wie Näherinnen, Zuschneiderinnen, Frauen, die nur Handgenähtes verfertigten und stickten, Büglerinnen, und wie stets stellte sie von allen nur die Besten ein. Lucie James, die sie zur Leiterin der Arbeitsräume befördert hatte, konnte gute Vorschläge und Anregungen geben. Sie besaß viele Freunde in der französischen Kolonie Londons, und sie war es, die Christina mit Giselle Roux bekannt machte und meinte, dass sie diese doch als erste Vendeuse der Ausstellungsräume einstellen solle. Giselle war wie Lucie mit einem Engländer verheiratet und lebte seit 1952 in London. Eine elegante und kultivierte Frau in den Dreißigern, war sie im Salon von Pierre Balmain in Paris Vendeuse gewesen und eine erfahrene und verantwortungsvolle Person. Christina überließ das Einstellen der anderen Verkäuferinnen Giselle, in vollem Vertrauen auf deren Urteil. Und wenn sie nicht gerade Einstellungsgespräche führte und Leute engagierte, sah sich Christina die infrage kommenden Ausstellungsräume an, wanderte durch alle möglichen Gebäude im Westend von London und wurde immer mutloser.
Gerade als sie die Hoffnung aufgegeben hatte, jemals das richtige Haus zu finden, entdeckte sie zufällig ein kleines, aber elegantes Stadthaus in der Bruton Street in Mayfair.
Der Makler führte sie an einem unfreundlichen, feuchten Samstagvormittag gegen Ende August im Haus herum, aber trotz des Wetters bemerkte Christina auf Anhieb, wie hell und luftig die Zimmer waren, besonders in den oberen Stockwerken.
Sie mietete es unverzüglich, da sie erkannt hatte, dass es ganz ideal war. Außerdem befand es sich in gutem Zustand, man musste nicht mehr viel daran tun.
In den sechs Stockwerken war ausreichend Platz vorhanden für die Büros, Arbeitsräume, das Studio für sie, und nicht zuletzt für zwei große Empfangsräume, die auf eine zentrale Eingangshalle hinausgingen und für Ausstellungen hervorragend geeignet waren.
Diese befanden sich im zweiten Stock – Zimmer mit hohen Decken, Kaminen, großen Glastüren, die auf kleine Balkons hinausgingen, im ganzen großzügig bemessen. Als Christina so zwischen den beiden lichtdurchfluteten Räumen auf und ab ging, stellte sie sich vor, wie reizend und elegant es aussehen würde, wenn man es ganz nach ihrem Geschmack mit weichen Grau- und Weißtönen eingerichtet hätte, mit dicken Teppichen und schimmernden Kristalllüstern, die von den Decken schwangen.
Abends legte sie die Geschäftsfrau ab und war Künstlerin.
Lange nachdem alle anderen schon die Fabrik an der King’s Road verlassen hatten, arbeitete Christina immer noch an ihren Entwürfen für die erste Kollektion unter ihrem Namen. Es war eine Sommerkollektion, und sie wollte diese der Presse und der Öffentlichkeit zu Anfang des Jahres 1956 vorstellen. Sie hatte nur noch fünf Monate, um die fünfundsechzig Gewänder zu kreieren, die sie vorführen wollte, und so war ihr klar, dass sie sehr hart arbeiten musste. Es war ihre erste umfassende Kollektion, denn in den vergangenen zehn Monaten hatte sie den Kunden lediglich Entwürfe und Stoffe gezeigt und ihnen dann die Kleider nach ihren Maßen angefertigt.
Eine ganze Serie zu schaffen mit einem besonderen, allem zugrunde liegenden Thema, war eine unglaubliche Herausforderung für Christina, und es war die Erregung, der Überschwang so einer großen schöpferischen Anstrengung, die ihr immer wieder Kraft gab und sie täglich anspornte. Sie wollte nicht nur die Kleider entwerfen, sondern auch passende Accessoires. In ihren Augen war kein Kleid, Kostüm oder Mantel hinreichend, ehe nicht das Drumherum bis ins kleinste Detail gelöst war. Sie empfand es als eine Einheit.
Obwohl es Christina begeisterte, dass sie nun den großen Start versuchte, den sie gewollt hatte, und sie auch viel künstlerische Befriedigung aus ihrer Arbeit zog, gab es doch ein Haar in der Suppe. Und das war die Entfremdung von ihren Eltern.
Nach ihrem schrecklichen Zerwürfnis im Mai hatte sie oft mit ihnen telefoniert, war auch nach Yorkshire gefahren, um sie zu sehen, und hatte ihnen regelmäßig geschrieben. Ihr Vater war etwas aufgetaut, aber ihre Mutter immer noch ablehnend und distanziert, sodass Christina beschloss, Mike Lesleys Rat zu folgen. Daher gestand sie nicht den wahren Grund, warum sie ihr Leben als Künstlerin aufgegeben hatte – ihren großen Wunsch, ihr überwältigendes Bedürfnis, ihrer Mutter ein komfortables und bequemes Leben zu ermöglichen, um ihre Schuld bei ihr abzutragen.
Christina war fest davon überzeugt, dass sie und ihre Mutter bald wieder miteinander versöhnt sein würden. Sie wusste, dass Audra sie viel zu sehr liebte, um ihr lange böse sein zu können. Außerdem hoffte sie, dass ihr Vater ein Wort für sie einlegte.
Und in der Zwischenzeit tat sie, was sie konnte, damit sie stolz auf sie sein konnten.