Kapitel 40

Christina stand in der Eingangshalle, die beide Empfangsräume miteinander verband, und sah erst nach rechts und dann nach links.

Jeder Raum war das vollkommene Spiegelbild des anderen: perlgraue Wände und ein dazu passender Teppich, weißgestrichene Kamine, französische Kristalllüster und Wandleuchter, antike venezianische Spiegel.

Die beiden Zimmer flossen aufs schönste ineinander, gerade so, wie sie es gewollt hatte. Sie nickte befriedigt, freute sich des kühlen, ruhigen Gefühls, das vom Perlgrau und dem Hauch von Weiß ausging. Dieser fast monochrome Rahmen wurde absichtlich von keiner anderen Farbe unterbrochen. Christina erlaubte nichts, das von ihren Kleidern ablenken oder mit ihnen in Konkurrenz treten könnte. Sogar Blumen waren aus diesen beiden Räumen verbannt und fanden sich im Haus in der Bruton Street nur in Foyer und Flur.

Christina drehte sich um und betrachtete das Blumenarrangement auf dem Louis-Seize-Wandschränkchen in der Eingangshalle. Es bestand gänzlich aus weißen Blumen, und wieder nickte sie, wusste, dass es so genau richtig war, perfekt an dieser Stelle.

Dann trat sie vor und ging eilig in den größeren der beiden Räume, sah sich zum wiederholten Male an diesem kalten Januartag darin um, überprüfte noch einmal jedes Detail.

Ein Laufsteg teilte das Zimmer in zwei Hälften, von kleinen vergoldeten Stühlen flankiert. Ein kleiner Schauer überlief sie, so aufgeregt war sie. In weniger als einer Stunde würde ihre erste Couture-Kollektion der Öffentlichkeit präsentiert werden. Sie holte tief Luft und presste die Hände zusammen, plötzlich überaus ängstlich, als sie an die Kleider dachte, die sie entworfen hatte.

»Mademoiselle ...«

Sie drehte sich um und sah ihre erste Vendeuse in der Tür stehen, die zu den Ankleidezimmern führte, wo sich die Mannequins für die Vorführung fertigmachten, die um drei Uhr beginnen sollte.

»Giselle!«

»Ich bin gekommen, um Ihnen viel Glück zu wünschen, Mademoiselle. Bonne chance«, sagte die Französin und strahlte sie an.

»Vielen Dank, Giselle«, erwiderte Christina und lächelte ebenfalls, dann fragte sie ernsthaft: »Die Kollektion ist doch in Ordnung, nicht wahr?«

Die erste Vendeuse hob die Fingerspitzen an ihre Lippen und küsste sie, dann hauchte sie den Kuss in die Luft. »Nicht in Ordnung, Mademoiselle, superbe, einfach superbe. Als ich noch im Hause Balmain arbeitete, habe ich Monsieur immer gesagt: Wenn in den Arbeitsräumen große Aufregung herrscht, dann gibt es hinterher rauschenden Applaus ...« Sie hielt inne, zeigte auf die goldenen Stuhlreihen und fügte zuversichtlich hinzu: »Und im Hause Christina gibt es viel Aufregung – also wird die Begeisterung auch sehr groß sein.«

Ein junges Mädchen steckte den Kopf durch die Tür am anderen Ende des Raumes. »Tut mir leid, dass ich stören muss, Miss Christina, aber Madame Roux wird gebraucht.«

»Entschuldigen Sie mich, Mademoiselle«, sagte die erste Vendeuse und ging eilig hinaus.

Christina ging zum Kamin hinüber und stellte sich mit dem Rücken dagegen. Sie schaute über den ganzen Raum hin, die Eingangshalle und das sich daran anschließende Zimmer, ließ ihren Blick über den ersten Laufsteg gleiten und dann über den zweiten. Und vor ihrem geistigen Auge sah sie die Mannequins dahinschreiten, sich drehen, herumwirbeln, halten, posieren und die Kleider so vorteilhaft wie möglich zur Geltung bringen. Sie liebte jedes Teil, das sie entworfen hatte, und konnte nur beten, dass es den anderen Leuten ebenso gehen möchte. Sie fragte sich, wie sie es überhaupt geschafft hatte, wie sie diese Kollektion in so kurzer Zeit herausgebracht hatte, und sie fand keine Antwort. Arbeit, Mühsal, Tränen und Schweiß, murmelte sie leise vor sich hin und entsann sich Winston Churchills bemerkenswerter Zeile aus den Kriegsjahren, als sie noch ein Kind gewesen war.

Dann drehte sie sich um und betrachtete sich im venezianischen Spiegel über dem Kamin. Sie hatte vorher geurteilt, dass sie müde und erschöpft aussähe, und deshalb mehr Rouge aufgelegt, als sie es sonst tat. Aber ihre Haut schien es vollkommen absorbiert zu haben. Sie war schon wieder blass. Vielleicht kam es vom schwarzen Kostüm, das alle Farbe aus ihrem Gesicht zog. Sie benötigte immer mehr Make-up, wenn sie Schwarz trug.

Christina trat einen Schritt zurück, schaute sich an, hielt den Kopf ein wenig schräg und begutachtete das Kostüm. Wunderschön geschnitten und tailliert, war es ein Meisterwerk der Schneiderkunst. Sein einziger Schmuck war eine weiße Gardenie, die an eine Schulter geheftet war – die weiße Gardenie, die sie zu ihrem persönlichen Symbol erkoren hatte, zu ihrem Markenzeichen.

Sie hob die Hand und strich sich übers Haar.

Da erblickte Christina sie im Spiegel, wie sie in der Tür standen und sich unsicher umschauten.

Den Bruchteil einer Sekunde lang dachte sie, ihre Fantasie würde ihr einen Streich spielen. Aber natürlich war das Unsinn. Langsam drehte sie sich ihnen entgegen, machte den Mund auf, um etwas zu sagen. Aber es kam nichts heraus. Sie stand einfach da und sah sie an, konnte sich nicht rühren.

Ihre Mutter trat ein paar Schritte vor und hielt dann unvermittelt inne.

Audra sagte: »Wir mussten kommen ... wir konnten nicht einfach wegbleiben. Nicht heute.«

»O Mummy.«

»Christie, mein Liebling ...«

Beide Frauen bewegten sich gleichzeitig. Dann trafen sie sich in der Mitte des Zimmers.

Audra sah zu Christina empor, und ihre strahlend blauen Augen füllten sich mit Tränen. »Ich habe dich so vermisst ...«

Christina streckte die Hand aus, legte dann die Arme um ihre Mutter und hielt sie fest, als wollte sie sie nie wieder loslassen. »O Mam, du hast mir so sehr gefehlt; du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr.«

Plötzlich trat Vincent zu ihnen, nahm sie beide in den Arm, und alle drei weinten ein bisschen und lachten dann. Schließlich trat Christina einen Schritt zurück und sah ihre Eltern an, und ihr Glück spiegelte sich in ihren strahlenden Augen, ihrem fröhlichen Lächeln.

»Ich bin so froh, dass ihr gekommen seid, so unglaublich froh. Es bedeutet mir so viel, euch hier zu haben.« Dann brach sie ab, betrachtete Audra eindringlich und flüsterte fast: »Hast du mir verziehen, Mutter?«

»Es gibt nichts zu verzeihen, Christie«, entgegnete Audra mit sanfter, liebevoller Stimme. »Ich war zornig und aufgebracht über dich, unglaublich verletzt. Aber nun habe ich eingesehen, dass es falsch war, mich so von dir abzuwenden, wie ich es getan habe. Wie dein Onkel Mike es Daddy und mir vor Kurzem richtig gesagt hat – du musstest tun, was du getan hast.« Ein liebenswürdiges Lächeln verschönte Audras Mund. »Ich habe dir vielleicht die Möglichkeit verschafft, ein besseres Leben zu führen, aber ich kann dieses Leben nicht für dich leben. Das habe ich eingesehen, und ich wusste, dass ich mich nun wieder mit dir versöhnen musste, Liebling.«

Christina beugte sich vor und küsste Audra auf die Wange. »Heute ist der allerschönste Tag für mich, da du und Daddy gekommen seid.«

Dann wandte sie sich zu Vincent, nahm seinen Arm, drückte ihn herzlich, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. »Danke, Daddy, dass du sie hergebracht hast, danke, dass du selbst gekommen bist. Ich liebe euch beide so.«

Vincent legte Christina den Arm um die Schultern. Dann sagte er: »Wir lieben dich auch, Christie, und als deine Einladung mit deinem kleinen Billett kam, da habe ich zu deiner Mutter gesagt, dass wir diesen wichtigen Tag in deinem Leben nicht verpassen dürfen.«