Kapitel 41

Christina Crowther wurde über Nacht zum Superstar im internationalen Modegeschäft.

Der Erfolg stellte sich so unvermittelt ein, die Aufträge brachen derart über sie herein, dass ihr innerhalb von vierundzwanzig Stunden klar wurde, dass sie sich größere Räume zulegen, weitere Leute einstellen und mehr Stoffe besorgen musste. Und zwar sofort. Es gab keine Zeit zu verlieren.

Elise, Germaine und Lucie kümmerten sich um all diese Details schnell und geschickt, während Giselle Roux und ihr kleiner Ausstellungsstab sich mit den Kunden befassten, die durch die Türen des Hauses in der Bruton Street strömten.

Christinas private Kundschaft kaufte großzügig Kleider aus der Kollektion, so wie unzählige neue Kunden. Daneben gab es auch einige gigantische Bestellungen von Kaufhäusern, was nicht nur Christina ganz aus der Fassung brachte, sondern auch die erfahrenere Giselle.

Die Einkäuferin von Bergdorf Goodman in New York war von den Kleidern so begeistert, dass sie fast die ganze Kollektion orderte, und ebenso ging es der Einkäuferin des Haute Couture-Salons von Harte’s in Knightsbridge. Sie war es, die jedem verkündete, Christina sei die Modeentdeckung des Jahrzehnts, und darauf hinwies, dass es einen so sensationellen Erfolg wie diesen nicht mehr gegeben hätte, seit Christian Dior seinen Salon im Jahre 1947 eröffnete und den jetzt so berühmten New Look einführte. Giselle pflichtete ihr bei und sagte: »Ja, es ist genauso, vraiment, Mademoiselle, wirklich genauso.« Christina glaubte ihr.

Die Bestellungen standen für Hunderttausende von Pfund. Mit einem Satz war Christina ins ganz große Geschäft vorgestoßen, von dem ehemaligen Laden des Grünhökers in der King’s Road zum eleganten Stadthaus in Mayfair. Es war ein Riesensprung.

All die Begeisterung und Aufregung drehte sich um die Kollektion, die Christina die »Blumenreihe« genannt hatte. Genau das war es auch, ein Blumenthema, das sich durch alle Teile zog.

Die Abendgarderobe war exquisit und außergewöhnlich. Sie beinhaltete alle möglichen Blumen von der exotischen Orchidee bis zu den einfachsten Sorten. Als Christina Monate zuvor ihre erste große Kollektion entworfen hatte, war ihr klar geworden, dass sie nicht jedes Kleid eigenhändig bemalen konnte. Das wäre viel zu zeitaufwendig. Und so hatte sie mehrere geschickte Künstler angestellt, die ihre Bilder kopierten, wobei sie auf perfekten Duplikaten bestand.

Sie hatte auch einige ihrer Blumenmalereien von Hand auf Stoff reproduzieren lassen, und diese Drucke auf romantischen, fließenden Gewändern aus Chiffon und Georgette waren ebenso eine Sensation wie die handbemalten Kleider. Abend- und Cocktailkleider, die man aus diesen Stoffen anfertigte, würden sich großartig verkaufen und immer beliebt sein, ihr im Laufe der Jahre Millionen Pfund Sterling und Millionen Dollar einbringen.

Andere Abendkleider aus schwereren Seidenstoffen trugen ein einziges, beherrschendes Blumenmotiv. Das befand sich manchmal auf dem Rock, hinten und vorn, auf dem Oberteil und einer Schulter; manchmal wiederholte es sich auch auf Rock und Oberteil. Aber diese einzige Blüte war immer von üppiger Juwelenstickerei umgeben und sah aus wie ein riesiges Schmuckstück. Auch um diese Abendkleider riss man sich sofort, ohne nach dem Preis zu fragen.

Sämtliche Abendkleider aus Christinas Blumenreihe waren luxuriös und sehr weiblich, und den meisten Leuten stockte der Atem, als sie ihrer zuerst ansichtig wurden. Die Farbskala reichte von Weiß und zarten Pastelltönen zu leuchtendem Rot, Gelb, Saphirblau und Rauchschwarz, das Christina immer schon favorisiert hatte.

Das Blumenthema war konsequent beibehalten worden und zeigte sich bei der Tagesgarderobe in der Form der Kleider.

Kostüme, Mäntel und Kleider zeigten einen schmalgeschnittenen Rock, die Oberteile dagegen besaßen eine leichte Fülle, die Schultern waren verbreitert, wenn auch abgerundet, nicht eckig. Und so dachte man beim Anblick dieser Kleidungsstücke an eine Blüte auf einem zarten Stängel.

Manchmal war die Tagesgarderobe eher streng, makellos geschnitten und tailliert, manchmal besaß sie auch etwas Architektonisches – immer aber war sie sehr chic.

Die Stoffe waren leicht und umfassten Seide, Baumwolle, Leinen und leichte wollene Kreppstoffe. Die Farben waren klar, oft grell, mit vielen Rosés, Malventönen, lieblichen englischen Blaus und Grünschattierungen, die von leuchtendem Smaragd bis zum weicheren Limonengrün reichten. Und jedes Gewand, ob für die Tages- oder die Abendgarderobe, war mit den dazu passenden Accessoires versehen, um die Vollständigkeit vorzuführen, die Christina anstrebte.

Christina wurde nicht nur von der Öffentlichkeit gefeiert, sondern war nun auch der Liebling der Presse. Sie waren schlicht begeistert von ihr. Die Moderedakteurinnen von Vogue, Harper’s Bazaar und Queen waren erfahrene Frauen, die alles schon einmal gesehen hatten. Keine von ihnen ließ sich leicht etwas vormachen, und sie konnten auf Anhieb Fassadenhaftes von wirklicher Begabung unterscheiden. Es war ihnen sofort klar, dass Christina keine Eintagsfliege war, sondern von Triumph zu Triumph schreiten würde.

Doch nicht nur die Modezeitschriften, auch die übrige Presse liebte sie.

Sie lieferte eine traumhafte Geschichte. Eine neue Entdeckung, die in aller Munde war – jung, unglaublich begabt, gutaussehend und aus bescheidenen Verhältnissen stammend, ein Mädchen aus der Provinz. Besonders die letzten beiden Punkte machten sie attraktiv für die Presse, da die Leser sich mit ihr identifizieren konnten – auf jeden Fall mit Vincent und Audra, die bei der Eröffnung ihrer Kollektion oft mit ihr zusammen fotografiert worden waren.

Christina genoss ihren Erfolg und sonnte sich richtiggehend darin. Aber sie blieb weiterhin mit beiden Beinen auf der Erde, wusste in ihrem Innersten, dass der schönste Teil ihres Erfolgs der Stolz war, mit dem ihre Eltern auf sie blickten. Sie würde nie deren Gesichter vergessen, als die schönen Mannequins den Laufsteg im hellen Scheinwerferlicht zu donnerndem Applaus entlangparadiert waren.

Und wie Jane später am Abend bemerkte, nachdem die drei Crowthers mit den drei Sedgewicks gespeist hatten: »Sie waren ganz außer sich vor Stolz und Glück, Christie. Ich dachte, sie würden während der Vorführung einfach platzen, und ich glaube wirklich, dein Vater hatte an einer Stelle Tränen in den Augen.« Christina hatte lächelnd genickt, und dann hatte sie Jane die schönen Worte ihrer Mutter erzählt, die noch Wochen später in ihr widerhallten.

Beim Champagnerempfang nach der Vorführung war Audra zu ihr gekommen, hatte etwas entschuldigend gelächelt und dann gesagt: »Das ist viel mehr als Kleider nähen, Christie. Das ist Kunst.«

Obwohl Christina Jane versprochen hatte, im Februar mit ihr in die französischen Alpen zu fahren, konnte sie am Ende doch nur ein langes Wochenende mit ihr verbringen. Im Modehaus stand zu viel Arbeit an, und sie konnte ihr florierendes Geschäft nicht vernachlässigen.

Aber die vier Tage, die sie mit Jane in Alpes d’Huez verbrachte, waren sehr erholsam, und die beiden Mädchen hatten ein Menge Spaß. Sie waren von einer Schar von attraktiven Bewunderern umgeben, die sie abends zu Cocktails oder Fondues und manchmal auch zum Tanzen in eine der rustikalen Bars ausführten.

Christina konnte nicht Ski fahren und wollte es auch nicht lernen, aber es machte ihr Spaß, die athletische Jane die Pisten hinunterfegen zu sehen. Ihre Freundin war eine hervorragende Skifahrerin und gute Schlittschuhläuferin. Und am Sonntagnachmittag, als Christina an der Freiluftbahn saß, folgte ihr Blick gebannt und bewundernd Jane, die über das Eis schoss und ihre Pirouetten drehte.

Da kam Christina eine Idee ... ihr fiel ein, dass Frauen Kleider brauchten, die bequem und locker saßen, gemütlich waren und in denen man sich frei bewegen konnte. Unmittelbar kamen ihr ein paar neue Einfälle für die Winterkollektion. Diese Vorahnung, diese Fähigkeit, kommende Trends vorwegzunehmen, sollte sich als ein weiteres Geheimnis ihres Erfolges erweisen. Denn es war ihr Vorstellungsvermögen, das Christina Crowther aus den Reihen der bloß begabten Designer in die ferne Sphäre der wirklich Brillanten heraushob.

Als sie nach London zurückkehrte, wurden die Einfälle, die ihr an der Eisbahn in den Alpen zugeflogen waren, sofort auf das Zeichenbrett in ihrem Studio im obersten Stockwerk des Hauses in der Bruton Street übertragen. Christina musste ihre Winterkollektion schon ab Mai produzieren lassen, wenn sie diese im September vorführen wollte. Und so arbeitete sie den ganzen Rest des Februars bis in den März hinein unermüdlich, genauso wie Jane.

Janes Karriere als Kostümbildnerin machte große Fortschritte.

Den Kleidern, die sie für ihre Mutter und die übrige Besetzung von Elizabeth, die Königin entworfen hatte, wurde viel Beifall gezollt, und man hatte ihr die Kostümentwürfe für eine weitere Westend-Produktion übertragen. Im Frühling des Jahres 1956 war sie damit beschäftigt, sämtliche Garderobe für einen Film anzufertigen, der bald in den Elstree Studios abgedreht werden sollte, und sobald sie damit fertig war, wollte sie einige Monate nach New York gehen. Sie hatte einen Vertrag unterzeichnet, die Kostüme für eine Broadway-Show zu entwerfen, ein Musical, das etwas ganz Sensationelles werden sollte. Es bedeutete eine große Herausforderung für sie, und sie freute sich auf ihren Aufenthalt jenseits des Atlantiks.

Trotz der vielen Arbeit gelang es den beiden Freundinnen, eine Vielzahl an gesellschaftlichen Aktivitäten zu pflegen, und in vieler Hinsicht war es der anstrengendste Frühling und Sommer, den beide bisher erlebt hatten.

Anfang Mai lud Ralph Sedgewick sie ein, mit in die Villa zu kommen, die er und Dulcie sich den Juni über in Südfrankreich gemietet hatten.

»Lass uns doch fahren«, sagte Jane. »Wir sind beide urlaubsreif, du besonders, und es ist sehr schön in Beaulieusur-Mer. Und weißt du was, Crowther: Nachdem wir uns ein paar Tage erholt haben, können wir uns ein Auto mieten und nach Grasse fahren, damit du dieser Parfümidee nachgehen kannst.«

»Ja, natürlich!«, rief Christina. »Das ist wirklich eine großartige Idee, Jane. Ich würde das sehr gern machen. Morgen werde ich gleich deinen Vater anrufen und ihm sagen, dass wir seine Einladung dankend annehmen.«

In den nächsten Wochen konzentrierte sich Christina auf das Parfüm, das sie unter ihrem Markenzeichen herausgeben wollte. Ihr Name war inzwischen zu beiden Seiten des Atlantiks ein Begriff, und sie wusste, dass ein Parfüm eine sehr gute Idee war.

Diese verdankte sie eigentlich Giselle Roux, der das gleich nach dem großen Erfolg im Januar eingefallen war. »Sie müssen auch ein Parfüm haben, Mademoiselle«, hatte die erste Vendeuse zu Christina gesagt. »So ist es immer Tradition gewesen bei den großen Couturiers ... bei Dior, Chanel, Balmain, Balenciaga, Givenchy. Ja, das müssen Sie, unbedingt, es ist sehr wichtig, Mademoiselle.«

»Aber wie soll ich das denn machen?«, hatte Christina sie gefragt. Die Sache hatte ihr gleich gefallen, und sie sah, wie viele Möglichkeiten darin steckten.

»Zuerst, Mademoiselle, müssen Sie über die Düfte nachdenken ... welche Ihnen am besten gefallen ... den besonderen Duft von les fleurs, von Ihren Lieblingsblumen. Vielleicht die Rose ... das Maiglöckchen ... der Jasmin. Und dann müssen Sie nach Grasse fahren, Mademoiselle, das Herz der französischen Parfümerie-Industrie. Dort wird man Ihnen Ihr spezielles Christina-Parfüm machen, Mademoiselle.«

Christina hatte sich bei ihrer ersten Vendeuse bedankt und versprochen, darüber nachzudenken. Aber sie war viel zu sehr mit den Entwürfen für die Winterkollektion beschäftigt, um das gleich zu tun, obwohl sie es im Gespräch mit Jane schon einmal kurz erwähnt hatte. Und sie hatte es ganz obenan auf die Liste ihrer zukünftigen Projekte gesetzt.

Da sich im Juni die Südfrankreichreise ergab, bat Christina Giselle nun, für sie einen Besuch bei einigen der Herren zu arrangieren, die die Düfte schufen und in Grasse arbeiteten. Und sofort schrieb diese einer Kontaktperson in Paris.

»Gardenie!«, sagte Christina zu Jane, als sie in der zweiten Junihälfte im Mietwagen nach Grasse fuhren. »Die Gardenie muss es sein. Das ist der Duft, auf den ich immer wieder zurückkomme ... der Erinnerungen hervorruft ... vielleicht weil meine Mutter immer Gardenienparfüm benutzte, als ich klein war. Es hieß Gardenia Flower Essence, und Mrs Bell kaufte es ihr immer bei Harrod’s als Geschenk.«

»Ich mag den Geruch von Gardenien auch sehr gern«, erwiderte Jane, »aber du musst dir einen besseren Namen einfallen lassen. Du kannst es nicht einfach Gardenie nennen. Das ist zu prosaisch. Es muss eleganter klingen.«

»Blaue Gardenie«, schlug Christina vor.

»Nein, da gab es doch mal einen Film ...«

»Der hieß Die blaue Dahlie«, konterte Christina lachend. »Hör zu, Janey, mir gefällt Blaue Gardenie wirklich gut. Es klingt so schön, und meine Mutter hat doch die blauesten Augen ...«

Jane lächelte. »Dann muss es wohl Blaue Gardenie sein. Eigentlich gefällt es mir auch, besonders weil du es nach deiner wunderbaren Mutter nennst.« Jane sog plötzlich die Luft ein, die durch die Autofenster hereinströmte. »Du, ich kann die Blumen tatsächlich schon riechen. Wir sind wohl gleich da«, sagte sie und fuhr langsamer.

»Ja«, rief Christina. »Sieh mal, da in der Ferne liegt Grasse. Ich werde nach dem Hotel Ausschau halten, wenn wir in die Stadt kommen ... wir steigen in einem ab, das mir Giselle empfohlen hat – Le Regent.«

Christina und Jane verbrachten drei Tage im schönen Städtchen Grasse, das hoch über Cannes in den Alpes Maritimes liegt. Es war ein reizendes Fleckchen, alt und überall von wundervollen Blumenfeldern und großartigen Rosengärten umgeben. Fragonard, der große französische Maler, war hier geboren worden, und es gab ein Fragonard-Museum, das die Mädchen natürlich bei erster Gelegenheit besuchten. Sie wanderten um die herrliche gotische Kathedrale herum und besuchten die vielen berühmten Gärten.

Aber die meiste Zeit verbrachten sie in verschiedenen Parfümerien, sogen Düfte ein und redeten mit den Chemikern. Schließlich entschied Christina sich für zwei Duftnoten, die man extra für sie herstellen würde und die im nächsten Jahr auf den Markt kommen sollten. Die eine hatte die Gardenie zur Grundlage, die andere Rosen, und sie würden Blaue Gardenie und Christina heißen.