Kapitel 42

Ich glaube nicht, dass ich Hadley Court schon einmal so schön gesehen habe wie heute Abend«, sagte Christina und wandte sich lächelnd Janes Vater zu. »Die Blumen und Kerzen im Haus wirken fast magisch, und die Gärten hier draußen ... sie sind einfach überirdisch im Lichtschein, der aus dem Haus dringt.«

Der berühmte Schauspieler, hochgewachsen, schlank und wie ein Professor aussehend, folgte ihrem Blick über die Rasenflächen seines Landsitzes in Kent.

»Das stimmt, die Gärten sind schön, vor allem wenn man sie von dieser Terrasse aus sieht ... heute Abend ähneln sie einer Bühnenkulisse, fast schon zu vollkommen, um wirklich zu sein. Aber ich denke, es gibt sowieso nichts Hübscheres als einen englischen Sommerabend nach einem strahlenden Tag wie diesem«, sagte Ralph, und seine einschmeichelnde Stimme erfüllte die warme Sommerluft.

Es war eine der gefeiertsten Stimmen der englischen Bühne, und Christina wurde nie müde, ihr zu lauschen.

Dann fuhr Ralph fort: »Du hast magisch gesagt, Christie, und ich meine auch, dass der ganze Abend etwas Magisches hat, alles hat so wundervoll geklappt. Und hier draußen ist es so mild, kein bisschen von dem schrecklichen Wind, den wir sonst so oft abbekommen. Ja, wir haben Glück gehabt – es ist das perfekte Juliwetter für Janeys Party.«

Er drehte sich jetzt ganz zu Christina um und sagte väterlich: »Hast du dich denn auch gut amüsiert, Kleine?«

»O ja, Ralph, danke der Nachfrage. Es ist einfach ein herrlicher Abend gewesen, aber ich bin ein bisschen traurig, dass Jane nun für vier oder fünf Monate nach New York geht – ich werde sie schrecklich vermissen. Aber das klingt so egoistisch. Ich weiß, dass es dir und Dulcie ebenso gehen wird, wenn sie weg ist.«

»Ja«, sagte er, »aber ich hoffe, dass wir am Broadway spielen können, während sie da ist. David Merrick wünscht sich uns für eine neue Komödie, hat uns unser amerikanischer Agent gesagt. Und wie ist es mit dir, Christie, wolltest du nicht auch einen Besuch in den Staaten machen im Oktober? Hat Dulcie mir nicht so was gesagt?« Es klang wie eine Frage. »Oder irre ich mich da?«

Christina verbiss sich ein amüsiertes Lächeln. Ralphs Geistesabwesenheit war ein Standardwitz in der Sedgewickfamilie, und Jane meinte immer, das Einzige, woran sich ihr Vater erinnern könnte, sei seine Rolle in einem Stück.

»Nein, du irrst dich nicht, Ralph. Ich hoffe, dass ich im Herbst nach Amerika fahren kann«, sagte Christie zu ihm. »Meine Kleider sind in New York gut angekommen, und Bergdorf Goodman haben mich eingeladen, meine Winterkollektion dort vorzuführen, natürlich erst, nachdem sie hier in London gezeigt wurde.«

»Gratuliere, Christie, das ist ja großartig.« Er strahlte sie mit seinen warmen haselnussbraunen Augen an. »Also ich muss schon sagen, dass ich wirklich stolz auf dich und meine kleine Janey bin ... ihr habt euch beide großartig entwickelt, seit ihr vom Royal College abgegangen seid und ...«

»Da seid ihr ja!«, rief Jane und schlüpfte durch die Glastüren auf die Terrasse heraus, wobei ihre Füße kaum den Boden berührten. Sie war unglaublich glücklich heute Abend und sah großartig aus. Ihr Christina-Kleid war aus Tüll und Spitze gefertigt und hatte einen weitgebauschten Rock, der mit Schleifen in Silber und Perlen geschmückt war, und er schaukelte wie eine weiche, duftige rosa Wolke, die mit irisierenden Lichtern durchwoben war, um ihre Beine.

»Ich habe schon überall nach euch gesucht. Wie zwei Alte steht ihr hier und nippt an euren Drinks ... und bestimmt klatscht ihr auch«, sagte Jane. »Was ist mir denn entgangen? Nein, sagt es mir nicht. Ihr solltet beide drinnen sein und über den Tanzboden wirbeln.«

Sie grinste sie an, hakte dann ihren Vater ein. »Also wirklich, Daddy, du hast eine Superband besorgt. Sie haben einen tollen Beat und bringen die Leute so richtig in Schwung. Und nun komm, lass uns hineingehen und das Tanzbein schwingen«, sagte sie ausgelassen und ließ ihr ansteckendes mädchenhaftes Lachen erklingen.

Ralph betrachtete sie nachsichtig. »Ich glaube, dazu bin ich ein bisschen zu alt«, meinte er. »Und es ist auch so heiß da drinnen, deshalb sind Christina und ich hierhergegangen, um frische Luft zu schöpfen.«

Er drehte sich wieder zu den Gärten um, stellte seinen Cognacschwenker auf die Steinmauer der Terrasse, griff in die Tasche seines Smokings und holte ein goldenes Zigarettenetui heraus.

Nachdem er sich eine Zigarette angesteckt hatte, fragte er: »Und wo ist denn überhaupt deine Mutter? Sag mir nicht, dass sie da womöglich wie eine Verrückte herumspringt ... nicht bei dieser Hitze, das will ich nicht hoffen, noch dazu in ihrem Alter.«

Jane kicherte. »Wirklich, Vater, du tust so, als sei Mutter steinalt. Sie ist doch erst einundfünfzig. Nein, sie tanzt nicht, sie unterhält sich mit Miles, der eben gekommen ist. Und dazu noch ganz allein ...« Jane machte eine dramatische Pause, verdrehte die Augen und zog eine Grimasse.

»Miles ist da!« Ralph klang und sah außerordentlich erfreut aus.

»Das kann man wohl sagen«, erklang eine amüsierte Männerstimme von der Terrassentür her.

»Miles, alter Junge! Wie schön, dass du es doch noch geschafft hast!« Ralph eilte mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

Die beiden Männer begrüßten sich und schauten sich erfreut an. Sie kannten sich noch nicht lange, hatten einander aber sofort sympathisch gefunden.

Miles sagte: »Tut mir so leid, dass ich es nicht rechtzeitig zum Abendessen geschafft habe, Ralph, aber man hat mich in der Stadt aufgehalten ... konnte da nichts machen ... du kennst das ja ... bei meiner Position.« Er ließ seinen Satz ausklingen, als wolle er andeuten, dass er von irgendeiner wichtigen Regierungsangelegenheit aufgehalten worden war, über die er hier nicht sprechen konnte. Geheime Staatssache oder ähnliches. Miles wusste, dass er sich für sein Zuspätkommen nicht zu entschuldigen brauchte. Politikern sah man diese kleine gesellschaftliche Sünde meist nach, wenn man ihnen nicht überhaupt alles nachsah.

Nun sah er zu Jane hinüber, die er schon im Haus begrüßt hatte und der er nun noch einmal leicht zunickte.

Ralph fragte: »Bist du sicher, dass du wirklich nichts essen möchtest? Am Büfett wird noch serviert. Aber ich muss dir einen Drink holen, Miles Was möchtest du?« Ralph hielt inne, als er sah, dass Miles’ Aufmerksamkeit auf etwas hinter seinem Rücken gerichtet war.

Entschuldigend drehte er sich um. »Mein Gott, wie unhöflich von mir, meine liebe Christina. Verkriech dich doch nicht da hinten. Komm bitte her und lasse dich mit Miles bekannt machen.«

»Ja, Sie müssen Miles kennenlernen«, sagte Miles und trat auf die Terrasse vor.

Jane sagte: »Entschuldigt mich bitte, ich muss mir mal eben ein Gläschen Schampus besorgen.«

Christina trat langsam vor, sich dem blauen Leuchten jener Augen bewusst, die sie so intensiv ansahen. In ihrer Brust zog sich plötzlich etwas zusammen.

Während er sie nähertreten sah, dachte Miles Sutherland, dass er niemals eine anmutigere junge Frau gesehen hatte. Ihr kastanienbraunes Haar war auf den Kopf getürmt und formte eine Lockenkrone. Es war eine merkwürdige Frisur, die an die vierziger Jahre erinnerte, aber sie stand ihr gut. Sie trug ein einfaches Kleid. Chiffon. Blassgrau. Griechischer Stil, eine Schulter entblößt. Eine enge Kette und dazu passende Ohrringe. Graue Steine, die jenen riesigen, leuchtenden grauen Augen glichen, die ihr Gesicht beherrschten. Opale? Mondsteine? Er war sich nicht sicher.

Dann lächelte er, spürte eine gewisse Schüchternheit an ihr, wollte sie beruhigen.

Ralph räusperte sich. »Christina, darf ich dir Miles Sutherland, einen unserer brillantesten Politiker vorstellen, von dem du sicher schon gehört hast. Miles, dies ist Christina Crowther, Janes beste Freundin und Mitbewohnerin, die für uns schon zur Familie gehört.«

»Sehr erfreut«, sagte Christina.

Miles ergriff die kühle, spitz zulaufende Hand und hielt sie fest. Langsam verstärkte er den Druck seiner Finger, wollte sie nicht wieder loslassen. Er begehrte sie sofort. Er wollte sie haben.

»Wie es mich freut, Sie kennenzulernen«, sagte er schließlich und gab ihre Hand widerstrebend frei, dann fügte er hinzu: »Ich habe schon viel über Sie gehört – von meiner Schwester. Sie trägt Ihre Kleider.«

»Ihre Schwester?«, fragte sie und kam sich dumm vor, weil sie nicht wusste, wer seine Schwester war.

»Ja, Susan Radley«, sagte er.

»Lady Radley?«, fragte sie und kam sich noch dümmer vor.

Er lächelte, als ob ihn das amüsierte. »Ja.« Dann sah er zu Ralph hin und sagte: »Ich hätte wirklich nichts gegen einen Drink einzuwenden, alter Junge. Wenn du mir vielleicht die Bar zeigen würdest ...«

»Nein, nein, bleib doch, wo du bist, Miles«, beharrte Ralph. »Was möchtest du denn haben?«

»Scotch wäre schön, vielleicht mit einem Spritzer Soda, vielen Dank, Ralph.«

Ralph Sedgewick sah Christina an. »Du hast ja deinen Cognac überhaupt nicht angerührt, Kleine. Möchtest du vielleicht etwas anderes?«

»Bitte ... ja, vielleicht ein Glas Champagner.« Plötzlich wünschte sie, Ralph würde nicht weggehen und sie mit diesem Mann allein lassen, der sie immer noch so eindringlich mit seinen seltsamen, hypnotisierenden Augen ansah.

Sie waren allein auf der Terrasse.

Miles lächelte träge und sah sie prüfend an, als beantwortete er sich eine Frage, dann holte er eine Schachtel Zigaretten heraus. Schweigend bot er ihr eine an. Sie schüttelte den Kopf.

Nachdem er ein Streichholz angerissen und einen Zug geraucht hatte, sagte er immer noch so amüsiert und überlegen wie zuvor: »Die Fotos in der Zeitung lassen Ihnen aber keine Gerechtigkeit widerfahren ... darauf sehen Sie viel älter aus ... erzählen Sie mir doch mal, wie kommen Sie mit unserer Presse zurecht? Ich finde sie häufig sehr lästig.«

Christina überging das indirekte Kompliment, das er ihr gemacht hatte, und sagte bedächtig: »Ich finde die Presse hier ... ganz ausgezeichnet. Sie sind sehr anständig mit mir umgegangen, aber ich bin ja auch kein herausragender Politiker, der ständig für Schlagzeilen sorgt.«

»Touché.« Er lachte, rückte etwas dichter an sie heran und lehnte sich betont lässig an die Steinbalustrade. »Diese Kette, die Sie da tragen ... sind das Mondsteine?«

»Nein, es sind nur graue Glasperlen, aber dieser milchige Glanz, den sie haben, hat mir gefallen und deshalb habe ich sie gekauft.«

»Tragen Sie auch manchmal Opale?«

Sie schüttelte den Kopf.

Er sah sie eindringlich an, mit einem nachdenklichen, abschätzenden und kühnen Blick.

Sie merkte, dass sie diesen starr erwiderte.

Dann sagte er leise und hastig: »Das sollten Sie versuchen, wissen Sie, Opale würden auf dieser herrlichen Haut wunderschön aussehen ... und zu diesen außergewöhnlichen Augen ...«

Christina war etwas aus der Fassung gebracht. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Die Knie gaben unter ihr nach. Sie setzte sich auf die Balustrade.

Miles Sutherland konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Sie rührte ihn wie schon seit Jahren niemand mehr, und er fühlte seltsame Regungen in sich wach werden. Er empfand ein heftiges körperliches Verlangen nach ihr.

Zu Christinas nicht unbeträchtlicher Erleichterung kam jetzt Ralph auf die Terrasse heraus und brachte ihnen die Drinks.

Sie saß da und nippte an ihrem Champagner, lauschte dem Murmeln ihrer Stimmen, als sie sich ausgiebig über die englische Politik unterhielten. Aber eigentlich vernahm sie gar nichts. Sie betrachtete Miles Sutherland und versuchte herauszufinden, warum er sie so verunsicherte. Seine Persönlichkeit? Dass er ein so bedeutender Mann war? Sein Charisma? Sie wusste es nicht. Er war auch nicht der schönste Mann, dem sie je begegnet war, aber er hatte ein attraktives Gesicht, schmal, intelligent, aus unregelmäßigen Flächen und Winkeln zusammengesetzt. Sein Haar war von einem dunklen, blondschimmernden Braun, das an den Schläfen grau wurde. Er war schlank und vielleicht zwei, drei Zentimeter größer als sie.

Natürlich waren es seine Augen, die sie so in ihren Bann zogen. Sie waren von einem wunderschönen, klaren Blau, das sie an einen englischen Sommerhimmel denken ließ.

Die beiden Männer setzten noch eine Weile ihr Gespräch fort, und sie lauschte ihnen, ließ seine Stimme über sich hingleiten, nahm sie in sich auf, wollte sie sich einprägen. Diese war voller Nuancen und reich moduliert. Sie stellte sich vor, wie er im Unterhaus eine Rede hielt.

Und plötzlich stand Miles vor ihr und wünschte ihr eine gute Nacht.

»Es war reizend, Sie kennenzulernen«, sagte er in gleichgültigem Ton.

Christina rutschte von der Balustrade herunter, ergriff seine Hand und schüttelte sie forsch. »Auch ich habe mich sehr gefreut«, sagte sie mit gekünstelter Fröhlichkeit.

Und später, als sie im Bett lag, fragte sie sich, warum sie sich so enttäuscht und im Stich gelassen fühlte.