Kapitel 43

Jane rief: »Also, der hat ja mächtig starke Nerven, da einfach anzukommen und zu versuchen, mit dir anzubändeln!«

»Er ist nicht einfach angekommen«, korrigierte Christina sie. »Er hat mich in der Bruton Street angerufen. Und er will auch nicht mit mir anbändeln.«

»Klar will er das.«

»Sei doch nicht kindisch, Janey ... beim Mittagessen etwa?« Christina fing an zu lachen.

»Nach dem Mittagessen«, sagte Jane schrill. »Das nennen die Franzosen eine Matinee.«

»Wir sind in London, nicht in Paris, denk daran.«

Nervös biss sich Jane auf die Unterlippe. »Mein Gott, Mummy würde einen Anfall kriegen – sie wäre völlig wütend, wenn sie das wüsste. Schließlich hast du ihn bei uns in Hadley kennengelernt.«

»Du wirst es ihr doch nicht sagen?« Christina klang erschreckt.

»Nein, natürlich nicht.« Jane sah sie schräg von der Seite an. »Manchmal bist du wirklich einfältig, Crowther ... und ganz sicher bist du ausgesprochen dumm, wenn du mit Miles Sutherland ausgehst.«

»Und wieso?«

»Weil er gefährlich ist. Gefährlich fürs Gemüt. Das weiß ich einfach.«

»Jetzt benimmst du dich aber dumm und verstiegen. Wie soll er mir gefährlich werden?«, wollte Christina wissen.

»Zum einen ist er verheiratet.«

»Sie leben getrennt. Das weiß jeder. Es ging schon vor Ewigkeiten durch alle Zeitungen.«

»Aber er hat sich nicht scheiden lassen, Christie.«

»Ich verstehe nicht, warum du hier so ein Theater aufführst, Jane. Miles macht einen netten Eindruck. Ich bin davon überzeugt, dass er anständig und ein Ehrenmann ist.«

Jane lachte schallend. »Ich bin sicher, er ist ein Schuft.«

Christina sah sie überrascht an. »Ich weiß nicht, was heute in dich gefahren ist, warum du solche Vorurteile verbreitest.«

Jane starrte ihre beste Freundin an. »Okay, dann wollen wir doch mal ein paar Tatsachen auf den Tisch legen. Ich will dir gern zugestehen, dass Miles Sutherland gut aussieht, charmant ist und auf Partys eine gute Figur macht. Aber wir wollen doch nicht vergessen, dass er auch im Unterhaus eine gute Figur macht und ein vielversprechender, ehrgeiziger Politiker ist.«

»Irgendwie kapiere ich nicht, worauf du hinauswillst, Janey.«

»Mein Gott, Christina, sei doch nicht so verdammt schwerfällig! Da ist zufällig schon eine Frau in seinem Leben, eine Frau namens Candida Sutherland, seine Gattin und Mutter seiner drei Bälger. Und zufällig ist sie die Tochter – das einzige Kind – von einem der größten Industriemagnaten Englands. Sie hat Berge von Geld und ...«

»Das weiß ich doch alles.«

»Und du kannst verdammt sicher sein, dass Miles Sutherland weiß, wie der Hase läuft, meine Liebe. O ja. Wenn ein Mann Parlamentsabgeordneter ist und einer der Stars der Labour Party, mitten in einer großen Karriere, dann kommt ihm das Geld seiner Frau sehr zupass. Glaubst du, er würde all das aufs Spiel setzen, um ...«

»Jane, nun mach aber mal einen Punkt«, rief Christina. »Du benimmst dich ja absolut lächerlich. So wie du redest, sollte man meinen, dass wir eine heiße Affäre hätten, wo wir doch ...«

»Das will er doch bestimmt! Mir scheint Miles Sutherland mehr als interessiert.«

»... wo ich doch den Mann kaum kenne. Er hat mich doch bloß zum Mittagessen eingeladen.«

Jane sah sie streng an. »Wenn ein Mann wie Miles Sutherland eine Frau wie dich zum Mittagessen einlädt, denkt er nur an eines und nicht ans gute Essen.«

»Ich werde aber mit ihm essen gehen, Jane, da kannst du reden, soviel du willst«, sagte Christina entschlossen.

»Wenn du doch bloß vernünftig wärst ... du bist dem nicht gewachsen.«

»Was meinst du?«

»Seinem verdammten, tödlichen Charme, das süße Gerede und all dieser Kram. Vergiss nicht, er ist ein Politiker, und die sind nicht auf den Mund gefallen.«

»Ich kann schon auf mich aufpassen, Jane.«

»Kannst du nicht.«

Mit fester Stimme sagte Christina langsam: »Meine Mutter hatte einmal eine Freundin – Gwen. Tante Gwen habe ich sie immer genannt, als ich klein war. Sie standen sich sehr nahe als junge Frauen, als sie im Fever Hospital von Ripon arbeiteten. Aber Gwen hat nie viel von Daddy gehalten, darüber war Mummy natürlich wütend, und dann hat Gwen einen Blödmann namens Geoffrey Freemantle geheiratet, der auch zwischen sie trat, so wie mein Vater.«

Christina hielt inne und atmetete tief durch. »Und ich möchte nicht, dass es uns auch so geht, Janey. Das darf nie geschehen. Also lass uns einen Pakt schließen. Wir wollen schwören, dass nie ein Mann zwischen uns treten soll. Wir wollen uns bemühen, über so etwas erhaben zu sein. Wie findest du das?«

»Aber Christie, natürlich bin ich ganz deiner Meinung! Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Männer, mit denen wir zusammen sind, auch nur eine einzige Unstimmigkeit zwischen uns schaffen.«

Einige Stunden danach gingen Christina und Jane ins Le Matelot im Belgravia zum Abendessen.

Beide hatten das kleine, zwanglose Bistro mit maritimem Flair sehr gern. Es erinnerte sie an ihre Südfrankreichreise vor einem Monat.

Als sie bedächtig von ihrem Weißwein nippten und auf den ersten Gang warteten, fragte Jane: »Und was ist aus ihr geworden?«

»Aus wem?«, fragte Christina und sah sie ratlos an.

»Diese Freundin von deiner Mutter – Gwen.«

»Das ist eine traurige Geschichte. Sie ist mit ihrem Geoffrey nicht glücklich geworden. Er hat sie geschlagen.«

»Wie schrecklich!«, rief Jane ganz entsetzt.

»Ja, das kann man wohl sagen.« Christina stützte die Ellbogen auf den Tisch: »Mummy schöpfte schon früh den Verdacht, dass dort irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging – zumindest hat sie es mir später so erzählt. Verstehst du, Tante Gwen hatte immer fürchterliche Unfälle ... fiel die Kellertreppe hinunter und so was. Meine Mutter machte sich Sorgen. Zuerst dachte sie, Gwen sei krank – hätte vielleicht einen Gehirntumor –, und dann wurde ihr plötzlich alles klar. Sie sprach Gwen direkt darauf an, aber natürlich stritt diese alles ab. Und danach haben wir sie nicht mehr getroffen.«

»Und was ist schließlich aus ihr geworden?«, frage Jane.

»Während des Krieges kam sie einmal zu Besuch. Ganz unerwartet. Ich erinnere mich noch so genau, weil sie mir ein paar hübsche Glasperlen mitgebracht hatte. Ich war wohl so zehn, elf damals. Jedenfalls kam sie zum Tee und blieb den Abend über da, und nachdem ich im Bett war, hat sie meiner Mutter alles erzählt. Sie war damals völlig am Ende. Und schließlich hatte meine Mutter sie davon überzeugt, zurück zu ihren Eltern zu ziehen, aber das kostete die Ärmste ziemliche Überwindung, glaube ich.« Christina lehnte sich zurück und trank einen Schluck von ihrem Wein.

»Weiter ... ich bringe dich um, wenn du mir die Geschichte nicht zu Ende erzählst.«

»Meine Mutter hat dann mit Gwens Bruder geredet, mit Charlie«, sagte Christina, »und der hat ihrem Mann gesagt, er solle sich bei Gwen nicht mehr blicken lassen. Und das hat er auch nicht getan.«

»Und da hat sie sich scheiden lassen.«

»Nein, aber Geoffrey starb im Krieg. Er war nicht in der Armee, sondern geschäftlich in London, 1944, glaube ich, und während eines Bombenangriffs ist er umgekommen.«

»Und wo ist Gwen jetzt? Was ist aus ihr geworden?«

Christina lächelte, und ihr Gesicht hellte sich auf. »Ihre Geschichte hatte dann doch noch ein Happy-End, Janey. Sie heiratete meinen Onkel Mike im Jahre 1952. Er war verwitwet und sehr einsam. Meine Mutter hatte ihn dazu überredet, gemeinsam mit Gwen bei uns zu essen. Verstehst du, vor Jahren waren sie einmal ein Liebespaar. Und dann haben sie da wieder angeknüpft, wo sie abgebrochen hatten.«

»Das trifft es wohl nicht so ganz«, entgegnete Jane lachend. »Aber ich bin froh, dass ihr Leben sich schließlich gewandelt hat ... die arme Frau.« Nach einer kurzen Pause sagte sie dann: »Christie, noch was zu Miles ...«

»Ja?«

»Wann gehst du mit ihm essen?«

»Freitag – übermorgen«, sagte Christina.

Jane lehnte sich zurück und zog eine Grimasse, sah ihre Freundin besorgt an. »An dem Tag fahre ich nach New York, und da ich einen Flug um zehn gebucht habe, musst du mich auf jeden Fall abends anrufen und mir erzählen, was passiert ist. Das muss ich unbedingt wissen!«

Christina fing an zu lachen. »O Jane, du bist einfach unmöglich. Nichts wird passieren ... aber ich werde dich anrufen, um sicherzugehen, dass es dir gut geht und dass du sicher im guten, alten Manhattan angekommen bist.«

»Findest du Miles wirklich so unwiderstehlich, Christie? Ich meine, zieht er dich unwahrscheinlich an?«, bohrte Jane hartnäckig.

»Er ist attraktiv«, murmelte Christina und bemühte sich, so nüchtern wie möglich zu klingen, da sie es nicht wagte, Jane ihre wahren Gefühle zu offenbaren.

Er sagte in der letzten Minute ab.

»Es tut mir unglaublich leid«, sagte er entschuldigend, als er am Freitagmorgen mit ihr telefonierte, »aber ich kann mich heute nicht mit Ihnen treffen, so wie wir es geplant hatten ... mir ist etwas dazwischengekommen ... es ist alles sehr kompliziert. Bitte verzeihen Sie mir, Christina. Vielleicht auf ein anderes Mal?«

»Oh«, sagte Christina nur und umklammerte den Hörer fester, als sie hinter ihrem Schreibtisch im Studio in der Bruton Street saß.

»Wissen Sie was, ich habe eine viel bessere Idee!«, rief Miles, als ob ihm gerade ein genialer Einfall gekommen wäre. »Warum essen wir nächste Woche nicht gemeinsam zu Abend? Ich sehe gerade auf meinem Terminkalender, dass ich schon alle Mittagstermine verplant habe ... wie wäre es Dienstagabend?«

»Es wäre schön, Miles, aber leider kann ich da nicht«, sagte Christina, die das aufrichtig bedauerte. »Ich fahre am Montag nach Paris.«

Er lachte ungläubig. »Paris im Juli. Sie werden feststellen, dass alle Pariser geflüchtet sind. Es gibt nur amerikanische Touristen.«

»Ich fahre geschäftlich«, erklärte sie ihm leise, so enttäuscht über das abgesagte Treffen, dass ihre Kehle ganz eng war.

»Geschäftlich oder privat, es ist immer noch eine meiner Lieblingsstädte. Und wann kommen Sie zurück?«

»So in zehn Tagen.«

»Dann werde ich Sie wieder anrufen ... so in zwei Wochen? Wäre Ihnen das recht, Christina?«

»Ja, Miles.«

Nachdem sie eingehängt hatte, starrte sie lange das Telefon an. Es machte sie unruhig, dass er so starke Gefühle in ihr wachrief.