Die Anspannung, die ihn in der Bar etwas verlassen hatte, kehrte beim Essen zurück.
Sie überkam ihn so plötzlich, dass er selbst überrascht war, und erstaunt glaubte er, gleich würde seine Hand anfangen zu zittern. Er legte seine Gabel nieder, lehnte sich zurück und sah Christina an.
Zwischen ihnen stand eine Sturmlaterne auf dem Tisch, und im tanzenden Kerzenlicht hatte ihr Gesicht etwas Geheimnisvolles; als sie sich ein wenig bewegte, fiel ein Schatten auf ihren Mund. Er wollte diesen Mund küssen, ihn unter seinem eigenen zerdrücken, sie nehmen und sie mit aller Kraft seines Körpers lieben. Er fragte sich, warum sie hier im Restaurant ihre Zeit verschwendeten.
Christina griff nach ihrem Glas Montrachet, nahm einen Schluck und betrachtete Miles über den Rand hinweg, empfand die Macht seiner Gegenwart stärker denn je. Von seinem Charisma einmal ganz abgesehen war er ein elegant gekleideter Mann, und das gefiel ihr. Sie beobachtete ihn unauffällig und dachte, wie gut er doch aussah in diesem grauen, kalkweiß gestreiften Anzug und dem blassblauen Hemd, das die Farbe seiner Augen betonte.
Plötzlich bemerkte sie, wie sich diese hypnotisierenden Augen wandelten, dunkler wurden, als ob ihn irgendetwas bedrückte, und etwas wie Reizbarkeit zuckte über sein schmales, intelligentes Gesicht, sein Mund presste sich zusammen.
Was war denn los? Tat ihm sein Verhalten auf einmal leid? Bedauerte er es, nach Paris geflogen zu sein? Sie wurde ganz unruhig. Was, wenn er sich am Ende des Abends nur höflich von ihr verabschiedete und es dabei bewenden ließe? Vielleicht hatte sie sich jenen Ausdruck in seinen Augen in Hadley und vorhin in der Bar nur eingebildet. Vielleicht war es alles nur Wunschdenken. Sie wollte nicht, dass er sie nach dem Essen allein ließ. Sie wollte mit ihm zusammen sein. Sie begehrte ihn.
Ohne zu überlegen, beugte sie sich vor und fragte: »Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Miles?«
»Ganz im Gegenteil, wieso?«, rief er, riss sich zusammen, verdrängte seine erotischen Gedanken. Er griff nach seinem Glas, trank und fragte dann: »Warum fragen Sie?«
»Sie sehen so bedrückt aus ...« platzte sie heraus und hielt dann inne, sah die Belustigung in seinem Gesicht.
»Tatsächlich?« Er stellte sein Glas hin, holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. »Darf ich rauchen?« Er sah sie fragend an. Sie schüttelte den Kopf. Dann fuhr er fort: »Ich habe leider keinen großen Hunger.«
»Ich auch nicht.«
»Das habe ich bemerkt«, murmelte er und warf einen Blick auf ihren Teller. Sie hatte mit den Kalbsmedaillons nur herumgespielt. Wie er hatte sie kaum einen Bissen gegessen.
Nun sah Miles hoch. Ihre Augen trafen sich. Und er sah etwas in ihren Augen, das ihn mit einem Schlag hellwach werden ließ. Sie entblößten ein anderes Verhältnis zu ihm und etwas Sexuelles. Er hatte schon immer gewusst, dass sie sich für ihn interessierte. In Hadley Court hatte er jene Neugierde vermischt mit Nachdenklichkeit in ihrem Gesicht aufblitzen sehen. Sollte sie etwa genauso empfinden wie er? Konnte es sein, dass sie ihn ebenso begehrte wie er sie?
Miles beugte sich vor und sagte ganz ruhig, ohne jede Vorrede: »Wenn Sie mich erst besser kennen, werden Sie bald merken, dass ich ganz hart und offen sein kann, aber zumindest wissen Sie bei mir immer, woran Sie sind. Ich möchte jetzt ganz offen zu Ihnen sein ... wir wollen uns doch heute Abend nicht wie Teenager aufführen. Wir sind beide erwachsen, und Sie wissen ebenso gut wie ich, warum ich nach Paris gekommen bin.« Er streckte den Arm aus und ergriff über den Tisch hinweg ihre Hand. »Ich möchte mit Ihnen zusammen sein, Christie, Sie in meinen Armen halten, Sie lieben, möchte, dass wir uns lieben. Möchten Sie das auch?«
»Ja, Miles, ja«, flüsterte sie.
»Dann sollten wir uns hier nicht länger herumquälen. Ich lasse die Rechnung kommen, und dann gehen wir.«
Er nahm sie in den Arm, sobald sie ihre Suite betreten hatten, und stieß die Tür mit dem Fuß zu.
Er zog sie heftig an sich und presste seinen Mund hart auf ihren, küsste sie leidenschaftlich, öffnete ihre Lippen, schob seine Zunge in ihren Mund, begann, mit ihr zu spielen. Dann presste er sie noch enger an sich, sodass sie seine wachsende Erektion spüren konnte, und ließ seine Hand über ihre Schultern, ihren Rücken und ihre Hüften gleiten.
Christinas Arme waren um seinen Hals geschlungen, sie erwiderte seine Küsse mit einer Glut, die der seinen gleichkam, und als sie ihre Zunge um seine gleiten ließ, fühlte sie, wie ihn ein Schauer überlief.
Christina glaubte, sie müsse mit Miles verschmelzen, Teil von ihm werden. Sie hielt ihn eng an sich gepresst, fürchtete, ihre Beine würden unter ihr nachgeben. Dann riss er sich plötzlich von ihr los und hob sie hoch, trug sie ins Schlafzimmer.
Das Bett war riesig, und die Laken glänzten weiß im Lichtstrahl, der vom Wohnzimmer her einfiel. Er legte sie auf das Bett, zog sein Jackett aus, warf es über einen Stuhl und streifte seine Schuhe ab.
Als er zu ihr schritt, öffnete sie ihre Arme, und er sah die Glut, das Verlangen in ihrem Gesicht. Sein Herz machte vor freudiger Erregung einen Satz. Er streifte ihr die Sandalen ab, warf diese zu Boden und legte sich neben sie aufs Bett. Wieder öffnete sie ihm die Arme, und er umfing sie, drückte sie fest an seine Brust.
»Christie, o Christie«, sagte er, gegen ihren Hals gepresst, »ich begehre dich so. Ich will dich seit dem Abend, als ich dir auf Ralphs Terrasse begegnet bin.«
»Ich weiß, Miles. Und ich will dich auch, habe mich so nach dir gesehnt ...«
Er stützte sich auf, sah in ihr Gesicht hinab, berührte sanft ihre Wange. Dann murmelte er: »Liebling, wenn du nur wüsstest, wie sehr du mich verfolgt hast.« Er küsste sie. Es war ein langer, langsamer Kuss. Sie gab sich ihm ganz hin. Er sog ihre Zunge in seinen Mund und spürte, wie die Erregung ihres langen Küssens in seine Magengrube fuhr. Jeder seiner Sinne drängte zu ihr. Sie zu besitzen war das Einzige, was ihm in diesem Augenblick wichtig war.
Mit der einen Hand streichelte er ihr Gesicht und ihren Hals und ließ seine Finger am Ausschnitt ihres Kleides entlanggleiten. Er berührte ihre Brüste, und er erbebte vor Lust, als er spürte, dass sie keinen Büstenhalter trug.
Er beugte den Kopf über sie, zog den Ausschnitt weg, ließ seine Hand unter eine Brust gleiten und hob sie aus dem Kleid. Er nahm die steif werdende Brustwarze in den Mund. Gleichzeitig hob er ihren Chiffonrock hoch, strich mit der anderen Hand an ihrem Bein entlang, genoss das erotische Gefühl ihres seidenen Strumpfes. Schließlich lag seine Hand auf dem nackten Fleisch ihres Oberschenkels, er hob den Kopf, seufzte tief und presste seinen Mund auf ihren. Als seine Hand sich zwischen ihre Beine vortastete, fühlte er ihre Erregung, wusste, dass sie sich ebenso leidenschaftlich nach ihm sehnte wie er sich nach ihr.
Er flüsterte ihr ins Ohr: »Zieh dein Kleid aus, Liebling.« Er stand auf und begann, seine Kleidung abzulegen.
Auch Christina schlüpfte aus ihren Sachen, sie war ganz unbefangen vor ihm. Zuerst fertig, legte sie sich aufs Bett und beobachtete ihn, wie er zu ihr kam. Miles hatte einen schlanken, sehnigen Körper ohne ein Gramm überflüssiges Fett, und sie spürte seine athletische Härte, seine Kraft, als er sie fest in die Arme schloss und seine langen Beine um sie schlang.
Seine Hände gruben sich in ihre Frisur, zogen die Nadeln heraus, und als ihre Haare frei um ihr Gesicht fielen, schob er noch einmal beide Hände hinein, hielt ihren Kopf fest zwischen ihnen, begann, ihr Gesicht, ihren Hals, ihren Mund zu küssen.
Unvermittelt hörte er auf und sagte mit einer Stimme, die vor Verlangen leise und belegt klang: »Ich muss dich jetzt haben, ich kann nicht anders. Ich kann einfach nicht länger warten, Christie.«
»Ja, ja, ich weiß.«
Er stützte sich über sie auf die Hände, sah auf ihr Gesicht hinab, empfand die überwältigendsten Gefühle für sie. Sofort erblickte er den Glanz in ihrem Gesicht, die Freude und das Verlangen nach ihm in ihren wundervollen Augen, und er wusste alles, was er zu wissen brauchte oder jemals wissen wollte.
Christina berührte sein Haar, ließ ihre Hand über seine straffe Wange gleiten und sah ihm tief in die Augen. »O Miles«, seufzte sie, »o Miles.«
Er ließ sich auf sie sinken, schob seine Hände unter ihr Gesäß und zog sie dichter an sich heran. Als er in sie eindrang, fühlte er, wie eine ungeheure Hitze seinen ganzen Körper versengte, zu seinem Herzen, seinem Kopf aufstieg. Er bewegte sich tiefer in sie hinein, schnell und geschickt. Sie hob sich gegen ihn, und sie fanden sofort ihren Rhythmus. Und triumphierend dachte er: Ich habe es gewusst. Ich wusste, dass es vollkommen sein würde mit ihr, dass wir füreinander bestimmt sind, dass wir eins werden würden.
Und Christina, die sich an ihn klammerte, dachte: Ich habe nie geahnt, dass es so sein könnte. Ich will alles von ihm, jeden Teil von ihm. Ich möchte ihm immer gehören, immer in seinen Armen liegen. Jetzt bin ich sein. Heute Nacht hat er mich zu der Seinen gemacht. Unwiderruflich und vollkommen.
Plötzlich spürte Miles, wie ihn eine riesige Welle der Kraft und Leidenschaft überwältigte, und er konnte sich nicht mehr beherrschen; außerstande, sich länger zurückzuhalten, rief er in ihre aufgelösten Haare: »Mein Liebling, Liebling, ich kann nicht mehr warten, ich komme, o bitte komm, Liebling.«
»Ja, Miles, ja! O Miles!«
»Christie, jetzt. Christie! O Gott!«
Das Streichholz leuchtete im Halbdunkel des Zimmers auf, als er sich eine Zigarette anzündete, den Rauch tief in sich einsog, sich dann zu ihr umdrehte und leise sagte: »Es tut mir leid, das war zu schnell. Das nächste Mal mache ich’s besser.«
»Sei nicht albern, Miles ... es war wundervoll, du bist wundervoll.«
»Ach, du bist voreingenommen, meine Liebe.«
»Ja natürlich, aber trotzdem stimmt, was ich gesagt habe.« Sie lächelte ihn an.
Miles lächelte zurück. Es war ein zärtliches Lächeln, und er legte seinen Arm um sie, zog sie dichter an sich heran, sodass ihr Kopf an seiner Brust ruhte.
»Darf ich dich etwas fragen, Miles?«
»Natürlich.«
»Wie hast du das gemeint, als du gesagt hast, dass es etwas Besonderes zu bedeuten hätte, dass wir beide über den anderen in der Zeitung gelesen und uns daran erinnert haben?«
»Vorhin in der Bar fiel mir plötzlich ein, dass wir vielleicht unbewusst aneinander interessiert waren, schon ehe wir uns auf Janes Party begegneten.«
Sie lächelte, an seine Brust gedrückt. »Ja, so ging es mir, glaube ich.«
»Und mir auch«, gestand er.
Christina sagte offen: »Als ich dich da in Hadley auf die Terrasse heraustreten sah, tat es mir plötzlich in der Brust weh, so als kriegte ich keine Luft mehr, und mir wurde ganz schwindelig.«
Miles lächelte. Sie war so aufrichtig und unbefangen. Nur wenige Frauen hätten ihm gleich zu Beginn einer Beziehung so etwas gestanden. Aber er freute sich darüber. Es bestärkte ihn in seinem Eindruck, dass sie trotz ihres weltklugen Freundeskreises direkt und unschuldig war. Das gefiel ihm an ihr. Es freute ihn, dass sie noch nicht von anderen Männern verdorben war.
»Falls es dich erleichtern sollte, Christie – ich habe auch sofort sehr viel für dich empfunden. Ich wusste, dass ich dich unbedingt wiedersehen musste.« Er zog an seiner Zigarette. »Und ich habe mich wahnsinnig darüber geärgert, dass ich unser Essen in letzter Sekunde absagen musste.«
»Genauso ging es mir ... ich war so enttäuscht, Miles ... und wann hast du beschlossen, nach Paris zu fahren?«
»Anfang der Woche. Am Freitag ist meist nicht viel los im Unterhaus, es geht da fast immer nur um Themen, bei denen man sich einig ist, und um Anträge von einzelnen Abgeordneten. Also wusste ich, dass ich früher gehen konnte, und habe einen Flug gebucht ...«
»Und offenbar hast du auch in der Bruton Street angerufen, um herauszukriegen, wo ich abgestiegen bin.«
»So ist es.«
»Wundert mich aber, dass meine Sekretärin mir gar nichts davon gesagt hat.«
Miles lachte leise. »Ich habe gesagt, ich riefe für Susan Radley an, sie wollte dir Blumen schicken und bräuchte dazu den Namen deines Hotels in Paris. Und ich erklärte ihr, sie solle dir nichts davon sagen, weil es eine Überraschung sein sollte. Ich habe mich als der Florist ausgegeben.«
Christina lachte. »Mein Gott, bist du gerissen«, neckte sie ihn. »Und warum sollte ich es nicht wissen, dass du nach Paris kommst?«
»Ich wollte dich überraschen.«
»Und woher wusstest du, dass ich mich hier nicht mit jemandem treffe? Einem guten Freund? Einem Liebhaber?«
»Ich hoffte und betete darum, dass das nicht der Fall sein würde.« Er drückte die Zigarette aus, beugte sich über sie, küsste sie auf die Stirn und flüsterte: »Freust du dich, dass ich gekommen bin?«
»Ja, Miles, sehr.« Sie schlang die Arme um ihn, und sie küssten sich schweigend, dann legte Christina die Hände auf seine nackte Brust und schob ihn sanft weg, sah zu ihm auf: »Bleibst du morgen auch noch hier?«
»Ja, natürlich. Ich bleibe das ganze Wochenende über hier. Erst Montag früh fliege ich wieder zurück, Süße.« Ein träges Lächeln ging über seinen Mund hin, als er sie an den Schultern nahm, sie auf die Kissen drückte. Er kniete über ihr und streichelte ihre Brüste, ihren Bauch, murmelte: »Und nun lieg ganz still, sag nichts, ich möchte dich auf ganz besondere Weise lieben ...«
Um Mitternacht standen sie auf und gingen aus.
Miles liebte Jazz und nahm sie mit zu einem seiner Lieblingsorte, dem Mars Club dicht bei den Champs-Élysées. Es war dunkel, verräuchert und gemütlich dort, und sie saßen eng zusammengerückt auf einer roten Plüschbank, hielten sich an den Händen, er trank warmen Scotch und sie eiskalten Weißwein. Zwischen den einzelnen Stücken redete er über Jazz, erzählte ihr von Bix Beiderbecke, Charlie Parker und Fats Waller, von Django Reinhardt und Louis Armstrong. Ab und zu küsste er sie plötzlich auf die Wange oder drückte ihr Knie und lächelte sie an, und als die Minuten verstrichen, verliebte Christina sich immer mehr in Miles Sutherland.
Später gingen sie nach Les Halles, zu den alten Märkten, um in einem der kleinen Cafés die berühmte Zwiebelsuppe zu essen. Als sie diese hungrig in sich hineinlöffelten, das geröstete Brot und den zerlaufenen Käse aßen, der obenauf schwamm, erzählte er ihr von seiner Kindheit, wie er in jenem großen, alten Landhaus in Suffolk aufgewachsen war, das seit Jahrhunderten seiner Familie gehört hatte. Sie hörte ihm aufmerksam zu, genoss jedes Wort, freute sich darüber, etwas über seine Jugend, seinen Vater und seine Mutter zu erfahren. Es war fast sechs Uhr früh, als sie ins Ritz zurückkehrten, einander lachend bei den Händen haltend, immer noch hellwach und aufgeregt darüber, einander gefunden zu haben.
Miles machte die Tür ihrer Suite auf und folgte ihr hinein.
»Du wirfst mich doch jetzt nicht hinaus?«, fragte er und zog sein Jackett aus, lockerte den Schlips und streifte die Schuhe ab. »Ich darf doch bei dir schlafen, nicht? Bitte schick mich nicht weg ...«
Ihre Antwort war ein Lächeln, ein tiefes Lächeln, und dann reichte sie ihm die Hand. Er ergriff diese, und sie gingen zusammen ins Schlafzimmer.
Miles schloss die Tür, drehte den Schlüssel um und nahm sie in die Arme, flüsterte immer wieder ihren Namen, als er sie hochhob und zum Bett hinübertrug. Und sie liebten sich noch einmal und schliefen ein und liebten sich wieder, und so ging es das ganze Wochenende lang.