Noch Wochen später fühlte sich Christina leer und niedergeschlagen. Auch Miles war ganz vernichtet und behandelte sie liebevoll und gütig. Aber es dauerte lange, bis ihr Schmerz über das verlorene Baby abnahm.
Schritt für Schritt nahm sie die Fäden ihres Lebens wieder auf und schob ihre Trauer über die Fehlgeburt beiseite. Ihre Arbeit war anspruchsvoll und half ihr dabei weiterzumachen. Es war nicht nur der Verlust des Babys, der Christina zu Anfang des Jahres 1957 zu schaffen machte. Sie war auch zu der Überzeugung gelangt, dass sie und Miles immer von einer Ehefrau behindert sein würden, die sich weigerte, sich von ihm scheiden zu lassen. Unter normalen Umständen hätten sie einfach zusammenleben können, aber ein Politiker war viel zu verletzlich, besonders ein Mann wie Miles, und diese Lösung verbot sich ihnen für immer. Im Februar hatte er nochmals Candida aufgesucht, um sie um eine Scheidung zu bitten. Wieder hatte sie sich geweigert. Und er war ganz niedergeschlagen und gedemütigt in die Walton Street zurückgekehrt; er hatte Christina an jenem Abend sehr leidgetan.
Während er langsam den Scotch mit Soda trank, den sie ihm gemixt hatte, sagte er: »Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes auf die Knie gefallen und habe sie gebeten. Diese Frau ist hart wie Stein.«
Dann war gegen Ende des Monats die Bombe geplatzt. Seine Schwester hatte ihm gesagt, man habe sie in den Cotswold Hills zusammen gesehen. Plötzlich war auch ihr Wochenendhaus, ihre tröstliche Zuflucht, zu einem Gefängnis geworden. Sie mussten ihr Verhältnis immer noch heimlicher und vorsichtiger behandeln.
Zum ersten Mal begannen Miles und sie, sich zu streiten. Zugegebenermaßen kleine, unbedeutende Zänkereien, aber dennoch war die Harmonie, die Ruhe, die sie immer genossen hatten, aus dem Gleichgewicht geraten.
Im April wusste Christina nur dreierlei: Miles würde sich niemals von Candida befreien können, außer vielleicht durch den Tod; seine politische Laufbahn ging immer vor; sie konnte dieses Leben nicht länger ertragen. Ihr Leben war ganz auf ihn fixiert, auf seine Bedürfnisse, die Umstände seiner Arbeit und der Existenz, die er geführt hatte, ehe sie sich begegneten. Sie konnte unmöglich so weitermachen.
Im Juli jenes Jahres wurde es Christina klar, dass es nur eine einzige Lösung ihres Dilemmas gab. Sie musste England verlassen und für längere Zeit in die Staaten gehen. Nur wenn sie eine Distanz zwischen sich und Miles legte, konnte sie je darauf hoffen, diese Beziehung zu beenden. Sie liebte ihn viel zu sehr. Wenn sie in London bliebe, hätte sie niemals die Kraft oder den Willen, ihn aufzugeben. Und sie musste ihn aufgeben, um ihr eigenes Leben zu retten. Der Schmerz, unter dem sie litt, war ein zu hoher Preis für die paar gestohlenen Augenblicke. Und wie er es immer vorausgesagt hatte, wollte sie endlich ein normales Leben, einen Ehemann, Kinder ... und Würde. Sie konnte es nicht länger ertragen, heimlich mit Miles herumzuschleichen.
Sie fragte ihn nicht um Rat und vertraute sich ihm auch nicht an. Sie wusste, dass er sie niemals gehen lassen würde. Wenn sie es ihm sagte, musste es ein Fait accompli sein. Als Erstes ernannte sie Giselle Roux zur Geschäftsführerin des House of Christina, vorläufig auf ein Jahr. Dann gab sie ihren Eltern die Schlüssel zum Apartment in der Walton Street und sagte ihnen, sie sollten es möglichst oft besuchen. Ihre Sekretärin Liz bekam ebenfalls Schlüssel, um sich um die Post und die anderen Alltagsangelegenheiten kümmern zu können, da Christina und Jane die Wohnung nicht aufgeben wollten. Außerdem verfolgte sie den Plan, in New York ein Zweiggeschäft des House of Christina zu eröffnen. Sie besaß genügend Geld, um dieses Projekt zu finanzieren, sowie eine lange Liste von treuen amerikanischen Kunden. Und schließlich war da noch ihre beste Freundin Jane, die ungeduldig auf sie wartete. Schon vor langer Zeit hatte Christina sich Jane anvertraut, und als sie beschloss, sich von Miles zu trennen, hatte sie ihre beste Freundin wieder eingeweiht.
Der Letzte, dem sie es sagte, war Miles.
»Du bist so schön heute Abend, Christie«, sagte Miles, als er sich im Apartment in der Walton Street niederließ und aus ihrer Hand ein Glas Weißwein entgegennahm. »Von sprichwörtlicher Gelassenheit«, sagte er und warf ihr einen Blick zu, der gleichzeitig liebevoll und anerkennend war.
Schnell ging sie unter dem Vorwand, Eis holen zu wollen, in die Küche, plötzlich von ihrer Liebe zu ihm überwältigt. Er sah gut aus in dem hellen, beigefarbenen Sommeranzug. Helle Farben standen ihm immer. Während sie den Eiskübel füllte, begriff sie, dass sie den Abend nicht mit ihm würde verbringen können, wie sie es sich zuvor ausgedacht hatte. Sie musste es ihm sagen. Sofort. Ihr Zusammensein belastete sie zu sehr.
Als sie zurück ins Wohnzimmer trat, sagte er: »Ich habe Limonengrün immer an dir gemocht, Christie, aber du solltest meine Opale zu diesem Kleid tragen.« Er runzelte die Stirn. »Ich habe sie in der letzten Zeit gar nicht mehr an dir gesehen. Magst du sie nicht mehr?«
»Doch, Miles, ich mag sie sehr gern. Aber da sie so wertvoll sind, habe ich sie weggeschlossen.« Dann räusperte sie sich, ließ sich auf der Stuhlkante nieder und sah zu ihm hinüber. So ruhig sie es vermochte, gestand sie: »Miles, ich muss dir etwas sagen.«
Er bemerkte sofort ihren ernsten Tonfall und wusste, dass etwas Schreckliches passiert war.
»Ich werde weggehen, Miles. Ich kann nicht länger hier in England leben«, sagte Christina. Er versuchte sie zu unterbrechen, sie aber hob die Hand. »Nein, Miles, bitte lass mich ausreden – bitte. Du kannst nicht weggehen, du bist Parlamentsabgeordneter, aber ich kann, und ich werde nach New York gehen. Morgen. Mindestens für ein Jahr.«
»Aber Liebling, warum denn, um Gottes willen?«, fragte er wütend, ganz bleich, die Augen starr vor Schock.
»Weil unser gemeinsames Leben unerträglich geworden ist, Miles. Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr, Liebling, aber ich kann es nicht mehr aushalten. Ich muss Distanz zwischen uns schaffen, damit ich ein neues, eigenes Leben anfangen kann, verstehst du das denn nicht?«
»Ich werde Candida noch einmal fragen!«
»Das hilft doch nichts, Miles, das weißt du doch ebenso gut wie ich. Sie wird niemals in eine Scheidung einwilligen. Ich muss mein Leben retten.«
Er sprang auf und kam durchs Zimmer gelaufen, zog sie vom Stuhl hoch und in seine Arme. »Ich liebe dich, Christie. Du bist mein Leben. Um Gottes willen, verlass mich nicht.«
»Ich bin nicht dein ganzes Leben, Miles .... nur ein Teil davon. Da sind deine politische Laufbahn, deine Kinder, aber vor allem deine Karriere. Es wird nicht leicht für dich sein, aber du wirst darüber hinwegkommen ...« Nun konnte sie nicht weitersprechen. Sie glitt aus seinen Armen, ging zum Kamin hinüber.
Er starrte sie an. Es war ihm, als sei die Welt untergegangen. Seine Welt war untergegangen.
Christie sagte: »Miles, wenn du mich liebst, lässt du mich gehen, gibst mich frei ...« Ihr liefen die Tränen über die Wangen, sie konnte es nicht verhindern. »Wenn du mich so sehr liebst, wie du sagst, dann gibst du mir diese Chance, rufst mich nicht mehr an, triffst mich nie wieder. Dann lässt du mir meinen Frieden.«
»Christie«, rief er verzweifelt, »bitte, mein Liebling, wir finden schon einen Weg, eine Lösung.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt nur einen Weg für uns, Miles. Du musst mich gehen lassen.«
Millionen Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf. So viele Dinge, die er ihr nie gesagt hatte, nie mit ihr geteilt hatte, so viele Liebesworte, die er nie ausgesprochen, so vieles, was er ihr noch zu geben hatte. Er liebte sie mit jeder Faser seines Ichs. Und weil er das tat, musste er ihr diese Chance gewähren, um die sie ihn gebeten hatte. Es war zu spät, alles anders zu machen. Zu spät.
Miles machte einen schwankenden Schritt auf sie zu und hielt dann wieder an. Er konnte nicht zu ihr hingehen und sie küssen. Er wagte es nicht.
»Leb wohl, mein Liebling«, sagte er und taumelte aus dem Zimmer. Und während er die Treppen hinablief, war er blind vor Tränen und wusste, dass er niemals wieder so lieben würde.
Sie weinte während des gesamten Atlantikfluges.
Jane holte sie vom Flughafen ab, warf einen Blick auf sie und verstaute sie in der wartenden Limousine.
»Was für ein Glück, dass es dunkle Brillen gibt«, sagte Christie und bemühte sich, normal und lustig zu sein. Dann brach sie prompt in Tränen aus.
Jane nahm sie in die Arme, streichelte ihren Rücken und sagte, sie solle es alles hinausweinen. Christina schluchzte die ganze Fahrt nach Manhattan ohne Pause, während Jane liebevoll und mitfühlend auf sie einredete.
Ihre Tränen wollten nicht versiegen. Aber irgendwie gelang es ihr, sich um ihr Geschäft zu kümmern, sich in die Arbeit zu stürzen. Sie liebte ihre Arbeit, und sie half ihr, den Kummer zurückzudrängen. Sie trauerte um Miles. Irgendwo in den verborgenen Winkeln ihres Herzens wusste sie, dass sie immer um ihn trauern würde. Er war ihre erste Liebe, und sie waren einander so verfallen gewesen.
Aber als die Wochen zu Monaten wurden, gewann sie langsam ihre Selbstbeherrschung zurück, und eines Nachts konnte sie einschlafen, ohne eine einzige Träne zu vergießen.
Beim Frühstück sagte sie zu Jane: »Ich glaube, ich bin jetzt über den Berg. Ich habe mich gestern nicht in den Schlaf geweint.«
»Das freut mich sehr, Christie«, sagte Jane ruhig. Sie hatte von Anfang an verstanden, dass Christie wirklich litt, dass ihr Herz gebrochen war, und so war sie freundlich zu ihr gewesen und hatte sie immer wieder aufgerichtet. Sie hatte auch nie etwas Abfälliges über Miles gesagt. Nun murmelte sie: »Aber es hat lange gedauert, weißt du.«
»Wie meinst du das?«, fragte Christie, die gerade in ihrem Tee rührte, und warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Wir haben jetzt die erste Dezemberwoche, und du bist im Juli hier angekommen. Sechs Monate unter Tränen! Mein Gott! Das muss ein Rekord sein!«
Christina fing an zu lachen.
Jane stimmte ein und sagte dann: »Nun weiß ich, dass es dir wirklich besser geht, Crowther. Und vielleicht kannst du mir jetzt bei meinen Vorbereitungen für die Weihnachtsparty helfen ... unserer Weihnachtsparty.«
»Machen wir eine?«
»Allerdings ... ich möchte, dass du diesen Schauspieler kennenlernst, Simon; hoffentlich magst du ihn, denn ich trage mich mit dem Gedanken, ihn zu heiraten.«
»Wie lange geht das denn schon?«, rief Christina. »Habe ich den nicht schon mal gesehen?«
»Nein, er ist neu ... und ganz hinreißend.«
»Schauspieler sind miserable Ehemänner, Janey.«
»Willst du meinen Vater beleidigen?«, wollte Jane etwas pikiert wissen. »Das würde Mummy aber gar nicht gefallen.«
»Ralph ist anders«, erwiderte Christina.
»Alex Newman auch.«
»Ich dachte, der hieße Simon.«
»Heißt er auch, Christie. Alex Newman ist für dich.«
Abwehrend hob Christina die Hand. »O nein ... ich bin noch nicht wieder bereit für Männer!«
Aber sie hatte nicht mit Alex Newman gerechnet.
Vom ersten Augenblick an begriff sie, dass er wirklich eine Ausnahme bildete. Er besaß eine gewisse Würde, die ihn von anderen unterschied, und diese rührte nicht von seinem dunklen, attraktiven Aussehen oder seinem Charme her.
Jane stellte ihn Christina vor, und diese hatte, während sie seine Hand schüttelte, nicht die geringste Ahnung davon, dass er schon entschlossen war, sie zu heiraten, als er sie quer durchs Zimmer beobachtet hatte.
Er war den ganzen Abend über reizend zu ihr und kümmerte sich sehr aufmerksam um sie. Er brachte sie zum Lachen, sie freute sich an seinem trockenen Humor und merkte, dass sie Gefallen an ihm fand. Aber als er sie für den nächsten Abend um ein Rendezvous bat, schüttelte sie den Kopf. »Vielen Dank, aber ich möchte nicht.«
»Sind Sie noch nicht so weit?«, fragte er ruhig.
Sie fuhr etwas zurück. »Wie meinen Sie das?« Sie fragte sich, ob ihm Jane irgendetwas von ihren Problemen erzählt hatte, darüber, wie unglücklich sie war, aber dann kam sie zur Überzeugung, dass ihre Freundin so etwas niemals tun würde.
»Schauen Sie doch nicht so ärgerlich drein«, sagte Alex lächelnd. »Ich habe sofort gespürt, dass Sie vor Kurzem verletzt worden sind. Von einem Mann. Und ich denke, vielleicht wollen Sie deshalb nicht mit mir essen gehen.« Er grinste ihr ziemlich jungenhaft zu. »Oder Sie mögen mich nicht.«
»Ich mag Sie, Alex, sehr«, entgegnete Christina. »Gut, ich werde morgen Abend mit Ihnen ausgehen.«
Er lächelte und holte ihnen einen weiteren Drink, dann saßen sie noch lange vor dem Kamin, sprachen über dies und das und fanden heraus, dass sie gemeinsame Interessen hatten.
Alex sagte: »Jane hat mir erzählt, dass das House of Christina Anfang nächsten Jahres eröffnet werden wird, also heißt das, dass Sie hierbleiben werden?«
»Das glaube ich nicht«, sagte Christina schnell. »Das Haus in London braucht mich, ich werde wohl immer hin und her pendeln. Ich habe mir ein Jahr gegeben, hier alles in Gang zu bringen.«
»Ich verstehe. Aber Ihr hiesiges Geschäft wird doch größer werden, nicht wahr? So nach und nach. Ich würde denken, dass Sie bei uns doppelt so viel verkaufen könnten wie in London.«
Christina betrachtete ihn interessiert, da sie wusste, dass er ein Bankier war, und den Rest des Abends redeten sie über die Geschäfte. Als alle gegangen waren und sie Jane half, die Gläser und Teller wegzuräumen, stellte sie fest, dass sie über Alex Newman und seine faszinierenden Marketing-Ideen nachdachte.
Während sie mit Jane das Kristall spülte, sagte Christina plötzlich: »Ich mag Alex. Du hattest recht, er ist ein sehr netter Mann und ganz etwas anderes.«
»Und reich«, sagte Jane und grinste sie an. »Aber das interessiert dich ja nicht.«
»Nein. Und komme nicht auf seltsame Ideen, Janey Sedgewick, ich interessiere mich für ihn nur als Freund. Mir haben seine Ansichten übers Geschäft gefallen, und er sagt, er würde mir gern jederzeit behilflich sein.«
»Darauf möcht’ ich wetten«, rief Jane und verdrehte lachend die Augen im Kopf. »Und er ist nicht bloß charmant, schön, reich und intelligent, er ist auch noch ledig.«
»Das klingt ja ganz großartig«, versetzte Christina. »Und warum ist er nicht verheiratet?«
»Ich glaube, er ist geschieden.«
Christina schüttelte den Kopf, und es war, als wollte sie in die Wand verschwinden; dann wandte sie sich ab und ging ins Wohnzimmer.
Jane lief sofort hinter ihr her. »O Christie, Süße, es tut mir ja so leid. Ich wollte dich nicht aufregen.«
»Hast du auch nicht, Janey, wirklich nicht. Ich bin nur noch nicht bereit für andere Männer.«
»Aber geh bitte morgen mit Alex aus. Er ist so nett, und ich weiß, dass er dich mag. Bitte, tue es für mich.«
Und so aß Christina am Abend darauf mit Alex Newman im Le Pavillon. Sie wusste damals noch nicht, dass er derjenige war, der ihre Wunden heilen und sie wieder ganz machen würde.