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A uf dem Weg ins P’tit Bouchon war Lucien zwar noch immer geistesabwesend, aber immerhin dachte er daran, eine neue Geldbörse zu kaufen. Aus schwarzem Rindsleder und geeignet für die Gastronomie. Er übergab sie Paul mit den Worten, dass die alte doch recht abgegriffen gewesen sei. Er habe sie entsorgt. Was wirklich mit ihr geschah, das würde sein Geheimnis bleiben.

In der Küche begutachtete Roland die Fische und Krustentiere, die sein Souschef Alain am frühen Morgen auf dem Markt in Nizza besorgt hatte. Gemeinsam legten sie die Tagesgerichte für die Schiefertafel am Eingang fest. Plats du jour!

Roland boxte Lucien feixend gegen die Schulter. »Deine Chantal von gestern Abend hat mir gefallen.« Er verdrehte die Augen. »Nicht nur, weil sie eine gute sauce au vin zu würdigen weiß.«

Lucien drohte Roland lächelnd mit dem Finger. »Den Pomerol habe ich abgezählt. Ich rate dir, dich nicht noch mal an ihm zu vergreifen.«

Roland langte sich mit Unschuldsmiene an die Brust. »Kommt ganz sicher nicht mehr vor. Ich verwende nur noch unseren Hauswein. Auch wenn die Qualität meiner unvergleichlichen Weinsoße darunter leiden wird.«

Lucien winkte ab. »Quelle connerie … Wir machen mal eine Vergleichsverkostung. Ich wette, du merkst keinen Unterschied.«

»Das machen wir. Ich bestimme den Wetteinsatz.«

»Ich empfehle unseren Hauswein immer gerne«, mischte sich Paul ein. »Ich beteilige mich also an der Wette. Die Weinsoße wird mit ihm keinen Deut schlechter.«

Roland warf einen Topflappen nach ihm.

»Du Judas, fällst mir in den Rücken.«

»Apropos Chantal«, wandte sich Alain an Lucien. »Hast du sie rausgeschmissen? Oder warum war sie heute in aller Herrgottsfrüh in Nizza unterwegs? Ich hab sie auf meinem Weg zum Fischmarkt gesehen.«

Lucien sah ihn erstaunt an.

»In Nizza? Bist du dir sicher?«

»Absolut. Sie hatte noch das Kleid von gestern an.«

»Vielleicht am Bahnhof beim Umsteigen? Chantal wollte zurück nach Paris.«

»Nein, sie war zu Fuß unterwegs in die Altstadt. So kommt sie garantiert nicht nach Paris.«

Hatte sie ihn nicht nur beklaut, sondern auch angelogen?, überlegte Lucien. Von wegen Paris und Musée d’Orsay. Vielleicht stammte sie in Wahrheit aus Nizza? Ihm fiel ein, dass sie gestern Abend Rolands Couma va verstanden und ebenfalls im okzitanischen Dialekt geantwortet hatte: Lou pantai. Spätestens da hätte er misstrauisch werden müssen.

»Ich hab Chantal natürlich nicht rausgeschmissen«, beantwortete er Alains Frage. »Das war ihr freier Wille.«

Wie frei ihr Wille tatsächlich gewesen war, ging ihn nichts an. Welcher Mann gab schon gerne zu, von einer Frau ohne Abschiedskuss verlassen … und zu allem Überfluss auch beklaut worden zu sein? Diese Blöße wollte er sich nicht geben.

»Kannst sie zur Vergleichsverkostung meiner Soßen einladen«, schlug Roland vor. »Ich bin überzeugt, sie hat eine feine Zunge und ein gutes Näschen, sie wird den Unterschied merken.«

Ein gutes Näschen hatte sie ganz sicher, dachte Lucien. Vielleicht nicht für Soßen, aber offenbar für Dinge, die sie sich unter den Nagel reißen konnte. Eine Geldbörse zum Beispiel oder eine Pistole.

»Mache ich gerne«, erwiderte er. Ohne eine Ahnung zu haben, wie er das anstellen sollte.

Er klopfte mit einer Schöpfkelle auf einen umgedrehten Kochtopf.

»Attention, ich muss euch noch was sagen: Ich bin mal für einige Tage weg. Hängt mit dem Tod meines Vaters zusammen, ein dringender Termin …« Das entsprach sogar der Wahrheit, dachte er. »Drei, vier Tage, dann bin ich wieder zurück. Haltet den Laden am Laufen und macht unsere Gäste glücklich. Ach ja, und noch was: Gestern Abend sind uns zwei Griechen zum Lokal gefolgt. Typen, mit denen man sich nicht anlegen möchte. Auf unserem Nachhauseweg waren sie wieder hinter uns her, aber wir konnten sie abschütteln. Keine Ahnung, was sie von uns wollten. Falls sich also jemand im P’tit Bouchon nach uns beziehungsweise nach mir erkundigen sollte, dann stellt euch bitte dumm …«

»Fällt uns nicht schwer«, alberte Paul.

»Sagt, ich sei ein ganz normaler Gast gewesen. Ich hätte bar bezahlt …«

»Und kein Trinkgeld gegeben.«

»Meinetwegen auch das. Jedenfalls habt ihr keine Ahnung, wer ich bin. So ersparen wir uns unnötigen Ärger.«