Kapitel 4: Bullen und Bären bilden eine Zone
Konzept von Unterstützung und Widerstand
Unterstützung und Widerstand – diese Annahmen sind ein relevanter Grundpfeiler der Technischen Analyse. Im englischen Sprachgebrauch als Support (Unterstützung) und Resistance (Widerstand) bezeichnet. Was genau ist nun jedoch ein Widerstand oder eine Unterstützung? Wie entstehen entsprechende Marken, welche Bedeutung haben diese?
Versetzen Sie sich in die Lage eines Aktionärs. Sie haben eine Aktie gekauft, deren Kurs zulegt. Steigt die Aktie in relativ kurzer Zeit, so wird die Neigung zu Gewinnmitnahmen relativ groß sein. Schnelle Gewinne veranlassen die meisten Anleger zu schnellen Verkäufen. Angenommen Sie haben nun verkauft und anschließend fällt die Aktie wieder bis auf Ihr Einstiegsniveau zurück. Da Sie im Bereich der Höchstkurse ihre Gewinne mitgenommen haben, halten Sie sich natürlich für clever und freuen sich. Ihr Selbstvertrauen in puncto Börse ist hoch.
Warum sollten Sie jetzt nicht nochmals das Ganze ein weiteres Mal versuchen? Sie kaufen nochmals zu Ihrem ehemaligen Einstandskurs und wiederum beginnt die Aktie zu steigen. Ihr zweifach erfolgreicher Einstandskurs wird damit zur Unterstützung, einer Käuferzone. Wo werden Sie wahrscheinlich bereit sein zu verkaufen? Zu Ihrem früheren Verkaufskurs, den alten Höchstkursen, die nun zum Widerstandsniveau (Verkäuferzone) geworden sind. Denn spätestens auf diesem Niveau wird noch jemand verkaufen wollen. Zum Beispiel derjenige, dem Sie beim ersten Anstieg Ihre Aktie verkauft haben, wird froh sein, dass er seinen Einstandskurs wiedersieht. Denn er hatte ja zu Höchstkursen gekauft. Nach der nervenaufreibenden Zeit, mit der er mit seinen Aktien im Verlust war, freut er sich nun, sein Geld wiederzuerlangen.
Wird dagegen ein Widerstand gebrochen, so ist der Weg frei nach oben. Denn letztlich gibt es dann keine Verkäufer mehr, und die bisherigen Käufer und auch Akteure, die auf einen Durchbruch gewartet haben, finden sich in ihrer Einschätzung bestätigt und kaufen weiterhin vertrauensvoll in steigende Kurse zu.
Wird ein Widerstand dagegen nicht überschritten, wird bei einer Hausse das erreichte hohe Kursniveau als unüberwindbar betrachtet, so kommt es zu einem Abprall an diesem Niveau. Der Glaube an weiter steigende Kurse nimmt ab und es kommt in Folge zu vermehrten Verkäufen, zu abnehmenden Käufen. Ein Stimmungswechsel setzt sich unter Umständen durch, eine Gipfelbildung oder ein Abwärtstrend könnten sich anschließen.
Abbildung 16: General Electric Comp. von Januar 2010 bis August 2012 – Käuferzone (Unterstützung) und Verkäuferzone (Widerstand) – Wochen-Barchart – chart provided by tradesignalonline.com
Halten sich dagegen bei einer Baisse die Kurse an einem Niveau längere Zeit auf, wird das scheinbar niedrige Kursniveau als gute Unterstützung angesehen. Der Glaube an nicht mehr fallende Kurse nimmt zu und die Nachfrage schwillt an, das Angebot verringert sich. Steigende Kurse (Gewinnchancen) ziehen weitere Käufer in den Markt und es schließt sich unter Umständen eine Aufwärtsbewegung an.
Werden dagegen Unterstützungen gebrochen, so entsteht Handlungsbedarf im Markt. Die bisherigen Optimisten sehen ihre Felle davonschwimmen und müssen aktiv werden. Verluste werden von den professionellen Händlern begrenzt und Positionen verkauft – gern auch in eine Erholung hinein.
Bedeutsam sind die entsprechenden Niveaus, wenn sie über längere Zeit bestehen. Dies stärkt die allgemeine Überzeugung der Marktteilnehmer, dass entweder die Kurse nicht höher klettern können (Widerstand) oder nicht mehr tiefer sinken können (Unterstützung). Wenn Sie als Anleger nicht mehr an fallende Kurse glauben, so werden Sie sicherlich bereit sein zu kaufen. Denken alle so, kann solch eine ausgeprägte Unterstützungszone eine Trendwende nach einem Abwärtstrend anzeigen.
Widerstands- und Unterstützungslinien oder auch breitere Zonen werden waagerecht im Kursverlauf oftmals an Hoch- und Tiefpunkten eingezeichnet. Als Widerstand und Unterstützung können jedoch auch Trendlinien, gleitende Durchschnitte und psychologisch wichtige Kursmarken dienen. Bei einigen Methoden der Technischen Analyse werden auch willkürlich gewählte Niveaus als entsprechende Widerstands- und Unterstützungslinien als relevant erachtet.
Arten von Unterstützung und Widerstand:
Das Bilden einer Unterstützung oder eines Widerstands
Verharren die Kurse nach einer Abwärtsbewegung für eine geraume Zeit auf einem Niveau, kommt es also zu keinem weiteren Verkaufsdruck, so hat sich eine Unterstützung herausgebildet. Die Käufer sind zwar noch nicht in der Überzahl wie in einem Aufwärtstrend, doch im Gegensatz zum vorherigen Abwärtstrend oder der vorangegangenen Abwärtsbewegung treten sie vermehrt auf. Eine Unterstützung kann im Chart als Linie oder auch als breitere Kurszone, als Unterstützungszone konstruiert werden. Eine Unterstützung kann als Käuferzone betrachtet werden. Sind keine Käufer mehr da, fallen die Kurse also unter die Unterstützung, so erhält der Technische Analyst ein Verkaufssignal. Die Masse der Anleger ist jedoch bei fallenden Kursen anfangs kaum bereit zu verkaufen. Es wird versucht, das unangenehme Problem des Verlustes auszusitzen. Bei steigenden Kursen flammt wiederum Hoffnung auf, doch bei stets neu fallenden Kursen wächst die Verzweiflung. Insofern kann jeder neue Abwärtsschub (zum Beispiel durch den Bruch einer Unterstützung) sich dadurch verstärken, dass immer mehr Börsianer bereit sind, ihre Aktien abzustoßen. Der genau gegenteilige Ablauf ist bei einem Widerstand vorhanden. Ein Widerstand ist eine Verkäuferzone.
Neben den beiden Grundannahmen der Technischen Analyse (Kurse bewegen sich in Trends; Kursmuster und deren Folgen wiederholen sich) ist ein weiteres grundlegendes Konzept der Technischen Analyse die Annahme, dass sich Kurse an Unterstützungen und Widerständen aufhalten.
Regeln für Unterstützungen und Widerstände:
Polaritätswechsel
Der Wechsel einer Unterstützung zu einem Widerstand innerhalb eines Abwärtstrends oder der Wechsel von einem Widerstand zu einer Unterstützung in einem Aufwärtstrend wird als Polaritätswechsel bezeichnet.
Exemplarisch sei dieses Verhalten an dem Kursverlauf der Daimler AG dargestellt (Abbildung 17). Am 07.03.2012 markierte die Aktie bei 43,11 Euro ein Tief, das am 05.04.2012 nach unten gebrochen wurde. Ein markantes Tief stellt in der Regel eine Unterstützung dar. Der Bruch des Tiefs war somit als Verkaufssignal zu werten. Die Unterstützungslinie bei 43,11 Euro bildete sich um in eine Widerstandslinie. Relevant im weiteren Verlauf war, dass jedwede Erholung im April bis Anfang Mai 2012 kurz vor der 43er-Marke schon auf deutliches Verkaufsinteresse stieß. Die eigentliche Widerstandslinie bei 43,11 Euro wurde nicht mehr erreicht, ein Anzeichen für die Schwäche der Bullen.
Abbildung 17: Daimler AG von Februar bis August 2012 – Abwärtstrendkanal und mehrere Unterstützungsund Widerstandslinien mit Polaritätswechsel – chart provided by tradesignalonline.com
Der Abprall kurz vor diesem Widerstand führte zu Enttäuschung bei den Börsenteilnehmern, ein erneuter Verkaufsdruck brachte die Aktie unter das Tief im April bei 39,40 Euro (Unterstützung). Auch hier scheiterten, nachdem dieses Tief im Mai unterschritten wurde, die Erholungsversuche nach oben. Anfang Juni brach sodann der Kurs recht dynamisch mit einer längeren schwarzen Kerze unter das Mai-Tief bei 36,69 Euro und signalisierte damit, dass die Bären auch weiterhin das Zepter in der Hand hielten. Die vorherige Unterstützung bei 36,69 Euro wurde zu einem Widerstand.
Sehr schön zu erkennen ist im weiteren Kursverlauf, dass Anfang Juli der Abwärtstrend verlassen werden konnte und auch der Kurs die Marke bei 36,69 Euro wieder erreichen konnte. Ein erstes deutliches Signal für die wiedererlangte Stärke der Bullen. Idealtypisch in diesem Zusammenhang ist auch der Pullback (Rücklauf) Mitte Juli nach dem Bruch des Abwärtstrends an diesen. Nachdem jedoch das anfängliche Hoch im Juli dann Mitte Juli 2012 überwunden werden konnte, etablierte sich auch ein neuer Aufwärtstrend.
Der Polaritätswechsel in einer Abwärtsbewegung kommt einfach dadurch zustande, dass diejenigen Anleger, die bei höheren Kursen gekauft haben, froh sind, nach fallenden Kursen eine Erholung nutzen zu können, um Verluste zu reduzieren oder gar zu ihren Einstandskursen aus der Aktie aussteigen zu können. Zudem orientiert sich der Mensch gern an schon bestehenden Marken (Ankereffekt). Diese »Anker« können zum Beispiel die eigenen Einstandskurse, vormalige Höchst- und Tiefstkurse sowie runde Marken sein. Diese ebenfalls massenpsychologischen Phänomene unterstützen das Konzept von Widerstand und Unterstützung sowie das Konzept der Phasenanalyse (siehe nächster Abschnitt).
Die Phasenanalyse
Sie kennen Börsen-Altmeister André Kostolany? Seine Bücher sind lesenswert – und der angehende Anleger und Trader kann aus diesen Büchern manch erheiternde Erkenntnis über das menschliche Verhalten an der Börse mitnehmen. So beschreibt Kostolany, wie er einst als junger Mann an die Börse kam und ein älterer Börsianer ihm sagte, dass es letztlich nur auf eine Sache ankomme: »Sind mehr Aktien da als Dummköpfe oder sind mehr Dummköpfe vorhanden als Aktien.«
Nichts anderes wollen wir auch als Chartanalysten ergründen: »Sind mehr Käufer oder mehr Verkäufer vorhanden?« Kostolany prägte aber auch den Begriff der »zittrigen Hände«.
Zittrige Hände – starke Hände
So kaufen Privatanleger eher in eine bestehende und schon ausgereifte Hausse hinein und verkaufen bei tiefsten Kursen. Die zittrigen Hände der Kleinanleger verkaufen am Tief und kaufen am Hoch – die starken Hände der Profis dagegen kaufen im Tief und verkaufen am Hoch.
Akkumulation und Distribution
Diese gegensätzliche Handlungsweise von Kleinanlegern und Profis wird verdeutlicht durch die Phasenanalyse. Diese definiert die unterschiedlichen Phasen eines Kursverlaufs. Am oberen Wendepunkt, wenn die zittrigen Hände kaufen und die starken Hände verkaufen, findet demzufolge eine Umverteilung statt. Diese Phase wird als Distribution (Umverteilung) bezeichnet. Distributionsphasen bilden kräftige Widerstandszonen aus. Sie kündigen sich mit stagnierenden Kursen bei hohen Umsätzen an. Es herrscht eine Pattsituation zwischen Bullen und Bären vor.
Abbildung 18: Phasenanalyse: Stagnieren Kurse bei hohen Umsätzen, so herrscht eine Pattsituation zwischen Anbieter und Nachfrager vor. Bei einer Hausse ist dies meist ein Zeichen für eine Gipfelbildung (Distribution), bei einer Baisse oder auf niedrigem Kursniveau bildet sich ein Boden aus (Akkumulation). Je länger dieser Zustand andauert, desto eher ist mit einer Trendwende zu rechnen.
Nach einem ausgeprägten Aufwärtstrend bilden sich entsprechende Gipfel und Trendwendeformationen. So stellen auch Schulter-Kopf-Schulter- oder M-Formationen typische Muster einer Distributionsphase dar. Auch mit der Methodik der Candlesticks lassen sich Distributionsphasen erkennen. So zeigen Doji, kleine Kerzenkörper, aber auch ein Shooting Star bei hohen Kursniveaus und hohen Umsätzen in den übergeordneten Zeitebenen (Wochen- und Monatskerzen) oftmals eine entsprechende Umverteilungsphase an.
In Zeiten tiefster Depression der vielen kleinen Anleger hingegen kaufen zum Ende eines Abwärtsschwungs die starken Hände große Positionen auf. Dieser Prozess wird als Akkumulation (Anhäufung) bezeichnet.
Hier gilt: Stagnierende Kurse bei hohen Umsätzen, eine Pattsituation zwischen Bullen und Bären kann bei einer Baisse oder auf niedrigem Kursniveau eine Bodenbildung anzeigen, eine Akkumulationsphase. Eine umgekehrte (inverse) Schulter-Kopf-Schulter-Formation oder auch eine W-Formation sind typische Trendwendemuster einer solchen Phase.
Die entsprechenden Formationen werden im Kapitel »Formationsanalyse« besprochen. Die Phasen zwischen »Distribution« und »Akkumulation« sind Trendphasen, die Sie als Anleger mit der Trendanalyse erkennen können.