Kapitel 6: Trendkanal, Trendfächer
Der Trendkanal
Eine Trendlinie stellt die Annahme über die Richtung und den Steigungswinkel (Geschwindigkeit) des Trends dar. Jeder Trend hat zusätzlich noch eine Schwankungsbreite, die Volatilität. Über die Dynamik der zukünftigen Volatilität kann eine Annahme getroffen werden. Es wird also versucht, eine Annahme zu treffen, wie sich der Kursverlauf innerhalb einer Bandbreite zukünftig hin- und herbewegen wird.
Abbildung 42: Konstruktion eines Aufwärtstrendkanals
Konstruktion eines Trendkanals bei einem Aufwärtstrend
Die Konstruktion eines Aufwärtstrendkanals ist denkbar einfach. Um die zukünftige Schwankungsbreite des festgestellten Trends zu bestimmen, wird parallel zur Aufwärtstrendlinie eine parallele Linie gezogen. In einem Aufwärtstrend wird diese Parallele durch den höchsten Punkt (H1), der zwischen den beiden Tiefpunkten (T1 und T2), die die eigentliche Aufwärtstrendlinie definierten, konstruiert. Beide Linien stellen den Aufwärtstrendkanal dar. Die parallele Linie wird als Rückkehrlinie bezeichnet. Die Spanne zwischen der Aufwärtstrendlinie und der Rückkehrlinie stellt die angenommene, zukünftige Schwankungsbreite der Aufwärtsbewegung und somit des Trendkanals dar.
Kurszielberechnung: Die Differenz zwischen Aufwärtstrendlinie und Rückkehrlinie stellt die Schwankungsbreite des Aufwärtstrendkanals dar. Diese Differenz kann bei einem Ausbruch aus dem Trendkanal an das Ausbruchsniveau entweder nach oben oder nach unten abgetragen werden.
Wichtig: Konstruieren Sie die parallele Linie bei einem Aufwärtstrendkanal stets an den höchsten Punkt, der zwischen den beiden Tiefpunkten liegt. Lassen Sie die Parallele stets zeitlich hinter T1 beginnen. Denn der Aufwärtstrend beginnt ja auch erst mit dem ersten Tiefpunkt – demzufolge beginnen auch der Aufwärtstrendkanal und dessen mögliche Schwankungsbreite erst nach Beginn des Aufwärtstrends.
Weiterhin relevant: Konstruieren Sie die parallele Linie auch tatsächlich parallel – und fangen Sie zuerst mit der dem Trendkanal zugrunde liegenden Trendlinie an. Versuchen Sie nicht, das Pferd von hinten aufzuzäumen, indem Sie erst die Rückkehrlinie konstruieren – also an den Hochpunkten beginnen in einem Aufwärtstrend – weil die Linie grad so schön passt. Dies wäre methodisch falsch. Fangen Sie immer mit der eigentlichen Trendlinie an. Wird die Rückkehrlinie im weiteren Verlauf nicht mehr berührt durch einen zweiten oder gar dritten Hochpunkt, so erhalten Sie zum Beispiel die Interpretationsmöglichkeit, das eine Schwäche in der Aufwärtsbewegung vorliegt, die Kraft der Bullen erlahmt.
Der Aufwärtstrendkanal
Ein Aufwärtstrendkanal zeigt an, dass die Masse der Marktteilnehmer überwiegend positiv gestimmt ist. Angenommen wird, dass die Kurse oberhalb der Aufwärtstrendlinie ansteigen und dieser Kursanstieg innerhalb einer begrenzten Bandbreite erfolgt.
Ihr maximales Kursziel bei einem Kauf innerhalb eines Aufwärtstrend-Kanals ist die obere Begrenzung des Aufwärtstrendkanals, die Rückkehrlinie.
Idealtypisch ist dieses Verhalten im Kursverlauf des Goldpreises in US-Dollar zu erkennen (Abbildung 43). Hier konnte von Anfang 2009 (T1) über ein Tief im Juli 2009 (T2) eine Aufwärtstrendlinie gezeichnet werden. Die Annahme eines Aufwärtstrends wurde sodann bestätigt, nachdem das Hoch (H1) zwischen T1 und T2 im September 2009 überschritten wurde, ein Kaufsignal. Das Kursziel war hier die Rückkehrlinie des dann konstruierbaren Aufwärtstrendkanals. Dieses Ziel wurde im Dezember 2009 erreicht (H2).
Die über den Kursen verlaufende Rückkehrlinie des Aufwärtstrendkanals stellt einen Widerstand dar. Nach einem Aufwärtstrend nehmen Marktteilnehmer gern Gewinne an einem Widerstand mit. Alle Börsianer sind im Gewinn und es herrscht Optimismus vor. Der erste Abprall an einem Widerstand wird jedoch in der Regel nach einem Aufwärtstrend nicht in einer kompletten Trendwende enden. Eher ist eine Verschnaufpause zu erwarten. Diese Verschnaufpause mit deutlichen Gewinnmitnahmen setzte sich auch im Goldpreis von Dezember 2009 bis ins Frühjahr 2010 durch.
Abbildung 43: Gold in USD von Juni 2008 bis Juli 2012 – Aufwärtstrendkanal – Wochen-Barchart – chart provided by teletrader.com
In einem Aufwärtstrend kann es durchaus profitabel sein, an den unteren Wendepunkten nach Abprall an der Trendlinie zu kaufen. Ein Abprall nach oben stellt eine Bestätigung der Aufwärtstrendlinie und damit auch der bisherigen Annahme steigender Kurse dar. Ein Kauf an der Aufwärtstrendlinie nach Bestätigung dieser geht zudem konform mit der vorherrschenden Trendrichtung! Damit kaufen Sie mit dem langfristigen Trend. The trend is your friendder Trend ist Dein Freund! Dies ist eine der wichtigsten Börsenregeln!
Im Goldpreis konnte daher der deutliche Rücksetzer bis an die Aufwärtstrendlinie und der nachfolgenden Ablösung von dieser gekauft werden (T3). Im weiteren Verlauf wurde die Rückkehrlinie zwar vorerst nicht mehr erreicht. Der Aufwärtstrend war jedoch intakt und wurde noch mehrfach erfolgreich getestet (T3 bis T7).
Wichtig! Ein Kauf einer langfristigen Aufwärtstrendlinie nach deren Bestätigung hat ganz einfach einige praktische Vorteile. Sie können Ihren Stoppkurs, der Ihre Idee von weiterhin steigenden Kursen schützt, unter die langfristige Aufwärtstrendlinie platzieren. In der Regel erreichen Sie so ein sehr gutes Chance-Risiko-Verhältnis. Denn der Stoppkurs dürfte in Relation zum Kursziel (Rückkehrlinie des langfristigen Aufwärtstrendkanals) recht nah an Ihrem Einstand notieren.
Bei einem fortgeschrittenen Aufwärtstrendkanal mit mehreren Tief- und Hochpunkten ist jedoch dann ein Verkauf an der Rückkehrlinie und damit am Widerstand durchaus zu überlegen. Die Kraft einer Aufwärtsbewegung hat sich oftmals nach vier bis fünf Tief- und Hochpunkten erschöpft. Da auch die Annahme der Schwankungsbreite des Trendkanals grundsätzlich wieder fallende Kurse innerhalb des Aufwärtstrendkanals zulässt, kann bei einem Abprall an der Rückkehrlinie eines ausgeprägten Aufwärtstrendkanals daher verkauft werden. Im Goldpreis-Chart (Abbildung 43) können Sie dieses Verhalten gut erkennen. Der Aufwärtstrend hatte sich abgearbeitet und bei H3 ein vorläufiges Hoch erreicht. Der Aufwärtstrend wurde sodann nochmals bei T7 bestätigt – das Hoch bei H3 jedoch bis August 2012 nicht mehr überwunden und der Aufwärtstrend gar seitlich verlassen. Interessant am Kursverlauf des Goldpreises sind auch die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Tiefpunkten. So liegen die letzten beiden Tiefpunkte bei T6 und T7 enger beieinander als die vorherigen Tiefpunkte – dies zeigt eine erste deutliche Schwäche im Aufwärtstrend an. Auch der Bruch der Aufwärtstrendlinie nach T7 in zeitlich engem Abstand zum vorherigen Tief mahnte hier zur Vorsicht. Ein Investor, der noch kurz nach T7 Gold gekauft hätte, wäre daher gut beraten gewesen, schon frühzeitig einen Stopp über oder an seinen Einstand zu setzen, nachdem der Goldpreis kurzfristig weiter anstieg. So wäre das Investment bei dem nachfolgenden Kursverlauf auch ausgestoppt worden – ohne Gewinn, aber auch ohne Verlust. Erinnern Sie sich bitte an eine weitere wichtige Börsenregel: Substanzerhalt des Depots hat Vorrang.
Versuch und Irrtum
Betrachten Sie Börse stets als Versuch und Irrtum. Warten Sie auf die für Sie aussagekräftigen Signale, setzen Sie Ihre Stopps entsprechend Ihrer Risikoneigung und sichern Sie mit Stopps vor allem die Idee, die Sie mit einem Investment verbinden. Kaufen Sie in einem Aufwärtstrend mit der Rückkehrlinie als Kursziel, und der Aufwärtstrend wird verlassen, dann ist Ihre Idee hinfällig geworden. Sie müssen Abstand nehmen von Ihrer Idee, und damit von Ihrem Investment.
Wird der Aufwärtstrendkanal nach unten durchbrochen, also auch die Aufwärtstrendlinie geknackt, erhalten Sie in der Regel ein Verkaufssignal, insbesondere dann, wenn auch das letzte Tief unterschritten wird. Das Kursziel hierbei wird ebenso wie beim Seitwärtstrend durch die Schwankungsbreite des Aufwärtstrendkanals bestimmt. Im Gegensatz zum Seitwärtstrend empfiehlt sich jedoch stets die grafische Ableitung in Form einer Kursziellinie.
Abbildung 44: DAX von Januar 2010 bis September 2011 – Kursziel-Ableitung nach Bruch des Aufwärtstrendkanals – Tageslinienchart – chart provided by tradesignalonline.com
In Abbildung 44 im Chart des DAX von 2010 bis September 2011 bildete sich ein Aufwärtstrendkanal, der Anfang August 2011 nach unten verlassen wurde. Ein Verkaufssignal. Wird nun die Schwankungsbreite des Trendkanals nach unten parallel verschoben, also im eigentlichen Sinne einfach der Trendkanal nach unten verdoppelt, so erhalten Sie eine Kursziellinie, die auch im Zeitablauf leicht ansteigend ist. Im Beispiel-Chart wurde das Kursziel recht dynamisch erreicht und auch übertroffen. Zwei weitere Verkaufssignale sind zudem im Chart erkennbar: Das Erste schon innerhalb des Aufwärtstrendkanals. Eine Seitwärtsbewegung von April bis Juli 2011 wurde nach unten verlassen – deren Schwankungsbreite nach unten abgetragen ließ als Kursziel die Aufwärtstrendlinie zu. Zudem wurde die eher psychologisch relevante runde 7.000er-Marke Ende Juli 2011 geknackt. Ein weiteres Verkaufssignal ergab sich, nachdem das bisherige Jahrestief 2011 nach Ausbruch aus dem Aufwärtstrendkanal durchstoßen wurde. Dieses Verkaufssignal bestätigte zudem nochmals den Bruch der Aufwärtstrendlinie als Verkaufssignal.
Ein Hinweis: Sofern Sie nicht den Index direkt über Optionsscheine, Futures et cetera handeln und vor allem in Aktien investieren, ist natürlich trotzdem eine Analyse der relevanten Aktienindizes sinnvoll. Erhalten Sie zum Beispiel im DAX ein deutliches Verkaufssignal, so werden sich in der Regel auch die Aktien, die im DAX enthalten sind, schwächer entwickeln.
In Abbildung 45 ist der Kursverlauf der Aktie der SAP AG dargestellt im Zeitraum November 2009 bis November 2011. Anfang August 2011 erfolgte ein Ausbruch aus dem Aufwärtstrendkanal per Wochenschlusskurs: ein Verkaufssignal. Kursziel war die nach unten abgetragene Schwankungsbreite des Trendkanals – grafisch abgeleitet durch die »Verdoppelung« des Trendkanals nach unten. Das Kursziel wurde dynamisch erreicht. Die Kursziellinie fungierte im weiteren Verlauf auch als Unterstützungslinie.
Sowohl der langfristige Investor als auch der kurzfristige Trader erhielten somit Anfang August 2011 Verkaufssignale. Und auch wenn die Kurse einige Wochen später wieder deutlich anstiegen – so war ein Verkauf doch Anfang August 2011 vollkommen gerechtfertigt. Denn letztlich weiß niemand, wie sich die Kurse im weiteren Verlauf entwickeln. Im weiteren Verlauf traten diverse Kaufsignale ein, die wiederum einen Rückkauf der zuvor verkauften Aktien erlaubten.
Wie oben dargestellt, ist eine Kursziellinie, da diese auch als Unterstützungslinie gelten kann, sinnvoller als die rechnerische Ableitung des Kursziels – ausgehend von der Schwankungsbreite des verlassenen Trendkanals. Zudem gibt es noch einen weiteren Grund, eher eine grafische Ableitung zu nutzen als die rechnerische Ableitung des Kursziels. Betrachten Sie hierzu bitte einmal Abbildung 46. Dargestellt ist der Kursverlauf der Fresenius Medical Care KGaA (FMC) von Januar 2010 bis Oktober 2011. Die Aktie konnte seit dem Frühjahr 2010 deutlich innerhalb einer klar definierten Bandbreite ansteigen (Aufwärtstrendkanal). Dieser Trendkanal wurde dann Anfang November 2011 verlassen, ein Verkaufssignal. Interessant auch der nachfolgende kleine Kursanstieg nach oben an die zuvor gebrochene Aufwärtstrendlinie. Diese kurzfristige Erholung stellt einen Pullback dar, einen technischen Rücklauf an die zuvor gebrochene Aufwärtstrendlinie.
Abbildung 45: SAP AG von November 2009 bis November 2011 – Kursziellinie fungiert als Unterstützung – chart provided by tradesignalonline.com
Mithin war nach weiteren fallenden Kursen im Dezember 2011 davon auszugehen, dass der Kurs in Richtung der Kursziellinie fällt. Das rechnerische Kursziel aus der Schwankungsbreite (circa 6,30 Euro) des Trendkanals konnte bei circa38,50 Euro festgelegt werden. Die Gewinnmitnahmen verliefen jedoch nicht allzu dynamisch, der Kursrückgang erreichte nicht mehr das rechnerische Kursziel, wohl aber Mitte Januar 2011 die Kursziellinie. Diese wirkte als Unterstützung. Mit dem erfolgreichen Test dieser Linie und nachfolgend wieder steigenden Kursen hatte sich das Abwärtspotenzial aus dem Verkaufssignal abgearbeitet.
Wird jedoch die Rückkehrlinie eines Trendkanals nach oben durchbrochen, so weist dies auf eine Beschleunigung der Aufwärtsbewegung hin – ein Kaufsignal. Auch hier können Sie die Schwankungsbreite des verlassenen Trendkanals nach oben an das Ausbruchsniveau abtragen zur Errechnung eines Kursziels – oder einfach den Aufwärtstrendkanal verdoppeln.
Abbildung 46: FMC von Januar 2010 bis Oktober 2011 – Kursziellinie als Unterstützung – Tageslinienchart – chart provided by tradesignalonline.com
Aussagekräftig ist ein entsprechendes Kaufsignal stets dann, wenn die Steigung des Aufwärtstrendkanals eher bedächtig erfolgt. Die Stimmung ist dann zwar grundsätzlich positiv, aber auch von einer gewissen abwartenden Haltung geprägt. Bricht der Markt dann nach oben aus, so ist dies oftmals ein Impuls, auf den die an der Seitenlinie stehenden Börsianer nur gewartet haben, um einzusteigen. In Abbildung 47 ist ein solcher Ausbruch dargestellt – in einem sehr kurzfristigen Zeitfenster, dem Stundenchart. Sie können als kurzfristig orientierter Trader die gesamte Trend- und Formationsanalyse auch für den Tageshandel nutzen. Die Aussagekraft der dann erfolgten Signale ist natürlich ebenfalls der Zeitebene angepasst, demzufolge erhält ein Signal im Stundenchart auch nur eine Signalwirkung für die nächsten Stunden.
Abbildung 47: EUR/USD vom 20. August bis 12. September 2012 – Ausbruch aus einem Aufwärtstrendkanal – Stundenbarchart – chart provided by teletrader.com
Ein dagegen zeitlich länger anhaltendes Signal mit Ausbruch aus einem Aufwärtstrendkanal können Sie im Kursverlauf der Daimler AG erkennen (Abbildung 48). Im Zeitraum März 2003 bis März 2007 zeigte sich ein langfristiger Aufwärtstrendkanal, der Ende März 2007 nach oben verlassen wurde. Ein Kaufsignal. Die Verdoppelung der Schwankungsbreite war hier das Kursziel nach oben. Wie Sie aber unschwer erkennen können, stiegen die Kurse auch anfänglich. Im weiteren Verlauf wurde das Kursziel aber nicht erreicht, vielmehr hatte der Kurs eher Schwierigkeiten, sich deutlich nach oben abzusetzen, da Mitte 2007 auch ein Rücksetzer an die obere Begrenzung des Trendkanals erfolgte. Auch der nachfolgende deutliche Anstieg erwies sich bis Jahresende 2007 als nicht nachhaltig. Das Kursziel wurde auch im zweiten Anlauf nicht erreicht. Dieser Umstand signalisierte eine Schwäche im Kursverlauf. Wenn nach vorherigem Ausbruch aus einem Aufwärtstrendkanal die Kraft der Bullen nicht ausreicht, einen Kurs dynamisch nach vorn zu bringen, ist Vorsicht geboten! Denn die eher zu erwartende Euphorie einer breiten Masse von Anlegern ist dann nicht vorhanden. Ein Rückfall in den vormals verlassenen Trendkanal ist zudem ein Verkaufssignal, da dann der vorherige Ausbruch nach oben sich als Fehlsignal erweist. Diejenigen Anleger, die noch euphorisch gekauft haben (die Kurse können ja nur noch steigen) werden bitter enttäuscht – und die Anleger, die schon länger dabei sind, sehen ihre Buch-Gewinne dahinschmelzen. Beide Gruppen werden aktiv und nehmen Gewinne mit oder begrenzen ihre Verluste. Mit der Folge, dass die Kurse weiter fallen.
Oftmals führt dieses Verhaltensmuster dann zu einem Test der eigentlichen Aufwärtstrendlinie des Aufwärtstrendkanals. Im Kursverlauf der Daimler AG wurde im Juni 2008 die Aufwärtstrendlinie erreicht und im weiteren Verlauf gebrochen. Ein weiteres Verkaufssignal.
Abbildung 48: Daimler AG von Ende 2002 bis Ende 2008 – Ausbruch aus einem Aufwärtstrendkanal als Fehlsignal – Wochenbarchart – chart provided by tradesignalonline.com
Sie können dann natürlich wiederum den Aufwärtstrendkanal verdoppeln und nach unten abtragen. So erhalten Sie Ihr Kursziel beziehungsweise besser Ihre Kursziellinie nach Ausbruch aus dem Aufwärtstrendkanal. Ein Beispiel für dieses Verhaltensmuster wurde schon zu Beginn des Buches vorgestellt. Die Abbildung des NASDAQ Composite auf Seite 38 (Abbildung 6) als auch des historischen Charts des DOW JONES auf Seite 23 (Abbildung 3) zeigt jeweils einen Aufwärtstrendkanal, der in einer Phase der Euphorie erst nach oben verlassen wurde. Das Kursziel nach oben wurde hier allerdings nicht mehr vollumfänglich erreicht. Anschließend fiel der Index wieder zurück und die Euphorie schlug um in Depression.
Angeborenes Verhalten: Trends werden fortgeschrieben
Dieses Verhaltensmuster, »Depression nach Euphorie« oder auch »Ernüchterung nach Euphorie« ist ein durchaus häufiges Verlaufsmuster in Kursverläufen, die eine längere Aufwärtsbewegung aufzeigen. So erfahren immer wieder Aktien, Branchen oder Rohstoffe eine erhöhte Aufmerksamkeit, werden zu Modeerscheinungen in der Welt der Börse und wecken die Gier der Masse der Marktteilnehmer. Jeder will dabei sein nach dem Motto: »Die Kurse können nur noch steigen!«
Dahinter steckt ein angeborenes menschliches Verhalten, dass Trends gern fortgeschrieben werden. Kaufen nach einem ausgeprägten Aufwärtstrend sodann die letzten Marktteilnehmer, die letzten breiten Käuferschichten den Trend, kommt es in der Regel zu einer bubble , einer Blasenbildung und dem Ende des Aufwärtstrends. Ein Beispiel hierfür ist auch der Goldpreisanstieg in den Jahren 2002 bis 2011 (Abbildung 49). Ein mehrjähriger Aufwärtstrend, der hohe mediale Aufmerksamkeit zum Ende des Trends erfuhr.
Abbildung 49: Euphorie und Ernüchterung im Goldpreis von 2005 bis 2013 mit Fehlausbruch aus einem langfristigen Aufwärtstrendkanal in 2011. Rückkehrlinien als Kursziele sowie nach Fehlausbrüchen als Warn- und/oder Verkaufssignale – chart provided by Metastock
Goldexperten sahen den Goldpreis in 2011 schon bei 5.000 US-Dollar und höher, Goldinvestment-Clubs gründeten sich, und letztlich kauften breitere Käuferschichten Gold direkt oder indirekt über entsprechende Wertpapiere. Im Zuge der Euphorie schoss der Goldpreis in 2011 über die obere Trendkanalbegrenzung (Rückkehrlinie) des seit 2005 gültigen Aufwärtstrendkanals hinaus.
Dies war ein Signal für eine Euphorie-Situation und mögliche Beschleunigung der Aufwärtsbewegung – doch der recht zügige Rückfall in den Trendkanal zeigte das Ende des Trends an. Die Euphorie schlug um in eine abwartende Haltung, der sodann auch Ernüchterung folgte mit Break eines seit 2009 laufenden Aufwärtstrends. Mitte 2013 wurde sodann ein langfristiges Verkaufssignal mit Bruch des langfristigen Aufwärtstrends und der bis dahin gültigen Unterstützung bei circa 1.500 US-Dollar generiert. Schon 2011 konnte mit dem Fehlausbruch aus dem Aufwärtstrendkanal nach oben zudem davon ausgegangen werden, dass zumindest ein hohes Risiko für ein nachfolgend negatives Szenario mit Test und Break des langfristigen Aufwärtstrendkanals bestand. Im vorliegenden Kursverlauf des Goldpreises liegt zudem noch eine Besonderheit vor. So kann neben dem langfristigen, seit 2005 konstruierbaren Aufwärtstrendkanal natürlich auch ein Trendkanal mithilfe des seit 2009 laufenden Aufwärtstrends gebildet werden. Auch dessen obere Begrenzung wurde Ende 2011 kurzzeitig nach oben verlassen. Zudem bildete sich am Top eine kleine M-Formation als Gipfelbildung aus. So präsentierte der Goldpreis Ende 2011 mit mindestens drei Faktoren Warn- und Verkaufssignale, die auf ein Ende des langfristigen Aufwärtstrends hinwiesen. Zuvor hingegen stellten die beiden Rückkehrlinien der seit 2005 und 2009 gültigen Aufwärtstrendkanäle auch Kursziele dar.
Der Abwärtstrendkanal
Ein Abwärtstrendkanal zeigt an, dass die Masse der Marktteilnehmer überwiegend negativ gestimmt ist. Angenommen wird, dass die Kurse unterhalb der Abwärtstrendlinie fallen und dieser Kursverfall innerhalb einer begrenzten Bandbreite erfolgt. Ebenso wie beim Aufwärtstrendkanal wird zuerst eine Abwärtstrendlinie (über den Kursen) konstruiert. Erst dann erfolgt die Bestimmung der Schwankungsbreite durch die Konstruktion einer parallel verlaufenden Rückkehrlinie. Der tiefste Punkt zwischen den ersten zwei Hochpunkten definiert die Schwankungsbreite des Abwärtstrendkanals. Die Rückkehrlinie des Abwärtstrendkanals verläuft im Gegensatz zum Aufwärtstrendkanal unter den Kursen. Entsprechend der Annahme der Schwankungsbreite in einem Abwärtstrend könnte nun der Anleger erwarten, dass sich eine gute Kaufgelegenheit an der Rückkehrlinie ergibt. Denn entsprechend der Annahme des Trendkanals müsste sich der Kurs ja eigentlich von dort aus wieder erholen.
Abbildung 50: Konstruktion eines Abwärtstrendkanals
In einem Abwärtstrend empfiehlt es sich aber nicht, ohne eindeutige Trendwendesignale, an der unter den Kursen verlaufenden Rückkehrlinie zu kaufen. Die Gründe dafür sind:
Zur Erläuterung: Die unter den Kursen verlaufende Rückkehrlinie des Abwärtstrendkanals kann als Unterstützung betrachtet werden. Der Kauf einer Unterstützung nach einem ausgeprägten Abwärtstrend beinhaltet einfach die Gefahr, dass bei einem Fall unter eine solche Unterstützung panikartige Verkäufe einsetzen. Die Gefahr der Zunahme der Schwankungsbreite sowie der Beschleunigung des Abwärtstrends durch Angstverkäufe wäre somit vorhanden.
Denn in einem Abwärtstrend wartet die überwiegende Anzahl der Börsianer erst ab. Anfänglich hoffen die Anleger auf bessere Kurse, um bei weiter fallenden Notierungen diese einfach zu ignorieren. Dies führt zu einer Anhäufung von Buchverlusten. Irgendwann ist dann jedoch der Punkt erreicht, indem die Masse den schmerzhaften Buchverlust nicht mehr ignorieren kann. Bei einer fortgeschrittenen Abwärtsbewegung wächst der psychologische Druck auf die Masse der Anleger, die bislang verdrängten Buchverluste zu realisieren. Die Masse der Anleger wird anfangen zu verkaufen. Der angestaute psychologische Druck kann dann nur noch entladen werden, indem die Reißleine gezogen wird.
In der Regel wird eine entsprechende Verkaufswelle dynamisch ablaufen. Daher ist ein Kauf an der Rückkehrlinie des Abwärtstrendkanals, ohne weitere eindeutige Indizien, dass eine Trendwende eintreten sollte, nicht sinnvoll. Ein Bruch dieser Unterstützung führt sehr häufig zu der oben beschriebenen Panikreaktion. Warten Sie daher als gewiefter Anleger vielmehr auf eine aussagekräftige Bodenbildung oder nutzen Sie gar eine solche Panikreaktion, um auf fallende Kurse zu wetten.
Abbildung 51: Philipp Holzmann AG von 1989 bis 1999 im Abwärtstrendkanal – Tageslinienchart – chart provided by Metastock
Die Philipp-Holzmann-Aktie (Abbildung 51) befand sich Mitte 1996 nach einer längerfristigen Abwärtsbewegung an der Rückkehrlinie beziehungsweise an der unteren langjährigen Trendkanalbegrenzung. Ein Ausbruch nach unten signalisierte eine Beschleunigung der Abwärtsbewegung. Käufe ohne klare Bodenbildung sind daher an der Rückkehrlinie eines Abwärtstrendkanals nicht anzuraten, da der Anleger antizyklisch gegen die vorherrschende starke Verkaufsneigung und die Angst der Masse der Marktteilnehmer kaufen würde. Eine Rückkehr in den Trendkanal Anfang 1997 ließ zwar anschließend die Annahme zu, dass die Philipp-Holzmann-Aktie wieder in die bisherige Schwankungsbreite zurückfinden könnte (kurzfristiges Kaufsignal). Dieses kurzfristige Kaufsignal hatte die Abwärtstrendlinie als Kursziel. Dies war jedoch natürlich recht spekulativ, da gegen den vorherrschenden Trend investiert wurde. Trotzdem wäre dieses Signal durchaus umzusetzen gewesen, da auch der Ausbruch aus dem Trendkanal nach unten nicht das hieraus ableitbare Kursziel erreichte (eine Schwäche der Bären) und mit dem Rückkehr (Rebreak ) in den Trendkanal das vorherige Verkaufssignal zusätzlich als Fehlsignal interpretiert werden durfte, als Bärenfalle. Sie können aber gut erkennen, dass ein Investment gegen einen intakten Abwärtstrend stets das Risiko beinhaltet, dass die Kurse grundsätzlich weiter fallen. So stürzte der Kurs im Jahre 1998, ausgehend von der Abwärtstrendlinie, wieder deutlich nach unten und generierte auch mit wiederholtem Ausbruch aus dem Abwärtstrendkanal im Augst 1998 ein klares Verkaufssignal. Das hieraus ableitbare Kursziel, die nach unten abgetragene Schwankungsbreite des Trendkanals, wurde dabei noch übertroffen. Auch wenn sich der Kurs nochmals in 1999 erholen konnte: Festzustellen bleibt, dass ein Kauf an der vermeintlichen Unterstützung, der Rückkehrlinie eines Abwärtstrendkanals, stets als sehr spekulativ betrachtet werden muss.
Panik im Markt
Ein Ausbruch aus einem Abwärtstrendkanal nach unten stellt also stets eine Beschleunigung einer Abwärtsbewegung dar, eine Panikreaktion der Börsianer. Ein solches Verhaltensmuster zeigte auch der DAX in der Finanzkrise 2008 (Abbildung 52).
Von Mai 2008 bis September 2008 bildete sich im DAX ein kurzfristiger Abwärtstrendkanal innerhalb eines längerfristigen, seit Jahresanfang 2008 bestehenden Abwärtstrendkanals. Der Erstere wurde mit neuen Jahrestiefs in 2008 nach unten verlassen. Zu diesem Zeitpunkt waren nun zwei Szenarien aus Sicht der einfachen Trendanalyse ableitbar:
1. Szenario : Nach Verdoppelung der Schwankungsbreite des kurzfristigen Abwärtstrendkanals ergab sich ein Kursziel im Bereich der 5.000er-Marke.
2. Szenario : Da das Kursziel aus Szenario 1 unter der unteren Begrenzung (Rückkehrlinie) des langfristigen Trendkanals verlief, war auch ein Ausbruch aus diesem Trendkanal einzuplanen. Demzufolge musste mit weiteren Kursverlusten auch deutlich unter die 5.000er-Marke gerechnet werden, da natürlich die Kursziellinie des breiteren Trendkanals weitaus tiefer angesetzt werden musste.
Die obigen zwei Szenarien erfüllten einen wichtigen Zweck: Auch nachdem der DAX in 2008 schon kräftig gefallen war, konnte im September 2008 nochmals mit deutlich fallenden Kursen gerechnet werden. Entweder setzte man nun als Anleger auf Shortpositionen – wettete also auf fallende Kurse – oder verkaufte bestehende Aktienpositionen, um weitere Verluste zu verhindern.
Abbildung 52: DAX von Dezember 2007 bis März 2009 – Abwärtstrendkanäle – chart provided by tradesignalonline.com
Der aufmerksame Leser wird im DAX-Chart sicherlich schon bemerkt haben, dass die nachfolgende Schwankungsbreite des DAX – nach Ausbruch aus dem breiteren Abwärtstrendkanal – dann innerhalb der Rückkehrlinie des Trendkanals und der Kursziellinie erfolgte. Die Kursziellinie stellte somit eine »ungefähre« Unterstützungslinie und die Rückkehrlinie eine Widerstandslinie dar. Ein weiteres Beispiel soll verdeutlichen, warum es sinnvoller ist, nicht nur beim oben besprochenen Aufwärtstrendkanal, sondern auch bei einem Abwärtstrendkanal zur Kurszielbestimmung nicht blindlings rechnerisch vorzugehen, sondern eine Kursziellinie zu nutzen.
Betrachten Sie hierzu die Abbildung 53. Abgebildet ist der Kursverlauf der Deutschen Telekom AG von 12/1999 bis 10/2003. Der kräftige, langfristige Abwärtstrendkanal wurde im November 2002 verlassen. Auch hier konnte die Schwankungsbreite verdoppelt werden, um ein Kursziel nach Ausbruch aus dem Trend herzuleiten. Beachten Sie aber bitte Folgendes: Nach einem langfristigen Abwärtstrend ist oftmals das Vertrauen in steigende Kurse derart vernichtet, dass es einer längeren Bodenbildungsphase bedarf, um auch wieder einen Aufwärtstrend zu etablieren. Letztlich ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass nach langfristigen Abwärtstrends, die gebrochen werden, nochmals ein Rücksetzer erfolgt. Die überwiegende Mehrheit der Börsianer »traut dem Braten« nicht und verkauft lieber in die Erholung hinein. So setzen oftmals nach einem Bruch eines Abwärtstrends und einer nur kurzfristigen Erholung Verkäufe ein. Kurzfristig war der Bruch des langfristigen Abwärtstrends auch ein Kaufsignal in der Aktie der Deutschen Telekom. Das rechnerische Kursziel aus der kompletten Schwankungsbreite des Trendkanals wurde aber nicht erreicht. Vielmehr trat eine volatile Seitwärtsbewegung über mehrere Monate ein. Mit Erreichen der Kursziellinie war dann die Wirkung des Trendbruchs auch vollständig abgearbeitet. Dieses Signal spielte somit für die weitere Entwicklung des Kurses keine Rolle mehr.
Abbildung 53: Deutsche Telekom von Dezember 1999 bis Oktober 2003 – Abwärtstrendkanal – chart provided by tradesignalonline.com
Der Kreuzwiderstand
In den vorherigen Abschnitten wurden Trendkanäle besprochen. Selbstverständlich können Sie auf allen Zeitebenen, ob in den Wochen- oder Tageskursen bis hin zum Day-Trading Trendkanäle konstruieren. Innerhalb eines langfristigen Aufwärtstrendkanals sind mittel- oder kurzfristige Gegenbewegungen normal. Sie können somit innerhalb von langfristigen Aufwärtstrendkanälen auch Abwärtstrendkanäle – oder gar weitere, steiler und kurzfristig verlaufende Aufwärtstrendkanäle konstruieren. Verläuft innerhalb eines langfristigen Aufwärtstrendkanals ein kurzfristigerer, steilerer Aufwärtstrendkanal, so treffen sich deren Rückkehrlinien, sie kreuzen sich. Entsprechende Schnittpunkte zweier Rückkehrlinien werden als Kreuzwiderstand bezeichnet.
Da die Rückkehrlinie in einem Aufwärtstrendkanal als Widerstand angenommen wird, und zwei Rückkehrlinien, die sich kreuzen, diese Wirkung noch verstärken, gelten entsprechende Kreuzwiderstände als sehr aussagekräftige Widerstandslinien. Diese Niveaus sind selten überwindbar. Kurse werden von Kreuzwiderständen jedoch geradezu magisch angezogen und stellen damit sehr aussagekräftige Kursziele dar. Im umgekehrten Fall von zwei Abwärtstrendkanälen kann von einer Kreuzunterstützung gesprochen werden.
Abbildung 54: Kreuzwiderstand – Schnittpunkt zweier Rückkehrlinien von gleichgerichteten Trendkanälen mit verschiedener zeitlicher Ausprägung.
Ein interessantes Beispiel für einen Kreuzwiderstand zeigt der Kursverlauf des DAX im Jahre 2010 (Abbildung 55). Nach einer volatilen Phase bis in den Herbst hinein und einem Ausbruch über eine Widerstandslinie konnte Mitte September 2010 ein langfristiger Aufwärtstrendkanal konstruiert werden. Zusätzlich konnte mit einem neuen Hoch am 13.10.2010 auch ein seit Anfang September 2010 laufender kurzfristiger Aufwärtstrendkanal gezeichnet werden. Die beiden Rückkehrlinien dieser Trendkanäle kreuzten sich in einem Bereich von circa 6.800 Punkten. Damit war nach einem Kauf Mitte Oktober im Bereich von 6.450 Punkten immerhin noch mindestens 350 Punkte Kurspotenzial vorhanden. Dieses Kursziel – ausgehend von der Trendanalyse – wurde unterstützt durch die Formationsanalyse. So konnte – ebenfalls im September und noch vor Ausbruch nach oben im Oktober 2010 – ein ansteigendes Dreieck im Chart erkannt werden. Dieses Dreieck ist im Chart gestrichelt dargestellt. Das ableitbare Kursziel ausgehend vom Dreieck lag oberhalb der 7.000er-Marke. So konnten Sie Mitte Oktober 2010 mit Bleistift und Lineal bewaffnet im DAX einen erfolgreichen Trade planen, der mit etwas Geduld zu einem kräftigen Gewinn führte. Dieses Beispiel zeigt Ihnen zwei Dinge: 1. Börse und Technische Analyse ist einfach und 2. verknüpfen Sie natürlich die bislang vorgestellte Trendanalyse mit der im weiteren Verlauf des Buches vorgestellten Formationsanalyse.
Abbildung 55: DAX von Januar bis Dezember 2010 mit Aufwärtstrendkanal und Kreuzwiderstand, Ausbruch aus einem Dreieck – chart provided by tradesignalonline.com
Die Kreuzunterstützung
Kreuzunterstützungen bilden sich hingegen, wenn sich die Rückkehrlinien zweier Abwärtstrendkanäle kreuzen. Im Gegensatz zu den oben vorgestellten Kreuzwiderständen sind Kreuzunterstützungen jedoch deutlich seltener, da Abwärtsbewegungen in der Regel dynamischer und unkontrollierter verlaufen als Aufwärtsbewegungen. Als Beispiel sei der Kursverlauf der Krones AG von Ende 2015 bis Anfang 2017 in Abbildung 56 erläutert. Der Wert erfuhr von einem Hoch ausgehend im Dezember 2015 eine deutliche Abwärtsbewegung. Diese beschleunigte sich nochmals ausgehend von dem zweiten Berührungspunkt der seit 12/2015 gültigen Abwärtstrendlinie im Juni 2016. Anfang August 2016 konnte sodann eine zweite, steilere Abwärtstrendlinie und letztlich zwei Abwärtstrendkanäle konstruiert werden.
Abbildung 56: Krones AG von November 2015 bis Februar 2017. Der Schnittpunkt der Rückkehrlinien zweier Abwärtstrendkanäle stellt sowohl ein Kursziel als auch eine Kreuzunterstützung dar – chart provided by Metastock
Die Kreuzung der beiden Rückkehrlinien im Bereich 83,90 Euro stellte somit ein Kursziel, aber auch eine mögliche Unterstützung dar. Im weiteren Verlauf wurden Erholungen verkauft und der Kurs erreichte im September 2016 das Kurszielniveau. Die eigentliche »Kreuzung« der beiden Rückkehrlinien wurde jedoch nicht direkt berührt. Interessant an diesem Chart ist hingegen, dass die Rückkehrlinie des zeitlich längeren Abwärtstrends als Unterstützung fungierte und sich der Aktienkurs der Krones AG auch nach Break des kurzfristigeren Abwärtstrends deutlich erholen konnte. Nach einer mehrwöchigen Stabilisierung setzte sich sodann eine Bodenbildung durch und auch der langfristige Abwärtstrend konnte verlassen werden.
Kreuzwiderstand und Kreuzunterstützung – In Verbindung mit horizontalen Marken
Die obigen Beispiele von Kreuzwiderstand und Kreuzunterstützung beziehen sich lediglich auf die Nutzung von Auf- oder Abwärtstrendkanälen. In Verbindung mit dem Konzept der horizontalen Widerstände sowie Unterstützungen kann auch von einem Kreuzwiderstand gesprochen werden, sofern zum Beispiel eine Abwärtstrendlinie auf einen schon bestehenden Widerstand oder eine Widerstandszone triff. So könnte sodann eine Erholung (Korrektur im Abwärtstrend) an den Widerstand UND die Abwärtstrendlinie hieran wieder nach unten abprallen. Wird ein solcher Kreuzwiderstand gebrochen, ist von stärkeren Kurssteigerungen auszugehen, da eben dann sowohl ein Abwärtstrend als auch eine horizontale Widerstandslinie oder gegebenenfalls Widerstandszone geknackt werden kann.
Im umgekehrten Falle einer Kreuzunterstützung geht der Chartist davon aus, dass eine Aufwärtstrendlinie eine waagerechte Unterstützungslinie oder -zone schneidet. Die Kurse befinden sich also im Aufwärtstrend über der Unterstützung und laufen sodann in einer Korrektur an die Abwärtstrendlinie UND die Unterstützung heran. Letztlich erhalten entsprechende Kreuzungspunkte eine hohe Aussagekraft, da hier mindestens zwei Unterstützungen verlaufen – eben die Aufwärtstrendlinie als auch die horizontale Unterstützungslinie. Würde ein solch bullisher Kreuzungspunkt unterschritten, wäre dies ein Hinweis auf das Fehlen von potenziellen Käufern und wäre bei Break dementsprechend ein Verkaufssignal.
Die Idee von Kreuzungspunkten, die eine starke Aussagekraft hinsichtlich der Häufung von Bullen oder Bären aufweisen, lässt sich natürlich noch weiterentwickeln. So könnten auch psychologisch bedeutsame Zahlen, wie runde Tausender zum Beispiel im DAX (10.000er-Marke, 13.000 Punkte et cetera) in Verbindung mit Trendlinien oder Trendkanälen Kreuzungspunkte darstellen.
Abbildung 57: Abwärts-Trendfächer
Der Trendfächer
Der Trendfächer oder auch Trendlinienfächer zeigt an, dass die vorherrschende Marktrichtung an Kraft verliert und eine Bodenbildung (Abwärtstrendfächer) oder eine Gipfelbildung (Aufwärtstrendfächer) vorliegen könnte.
Ausgeprägte Trends haben die Eigenschaft, gegenteilige Marktmeinungen vollständig auszulöschen. So ist nach längeren Abwärtstrends viel Vertrauen in eine Aktie oder in den Markt zerstört worden. Es besteht ein ausgesprochenes Misstrauen der Masse der Marktteilnehmer in steigende Kurse. So ist es nach einem ausgeprägten Abwärtstrend relativ selten, dass das Vertrauen der Marktteilnehmer in steigende Kurse sehr schnell wiederkehrt und sich ein neuer Aufwärtstrend direkt an einen Trendbruch eines Abwärtstrends anschließen kann. Erst nach einer meist längeren Bodenbildung können eine entsprechende Gegenbewegung und ein neuer Aufwärtstrend beginnen. Eine Bodenbildung ist letztlich der Aufbau von Vertrauen darin, dass die Kurse nicht weiter fallen werden und die Chance auf wieder steigende Kurse besteht. Eine Form der möglichen Bodenbildung stellt daher der abwärtsgerichtete Trendfächer dar.
Abbildung 58: Fielmann AG von Ende 1997 bis Anfang 2000 – Trendfächer – nach Break der dritten Fächerlinie kommt es zu einer stärkeren Gegenbewegung – chart provided by Metastock
Im umgekehrten Falle eines unter Umständen mehrjährigen Aufwärtstrends wird derart viel Vertrauen in die positiven Marktkräfte geschaffen, dass sich die Masse der Marktteilnehmer kaum noch vorstellen kann, dass solch ein Trend zu Ende gehen kann. Rücksetzer werden daher vorerst von der Masse der Anleger als Einstiegsgelegenheit erachtet. So werden die ersten Abschwünge dazu genutzt, um entweder neu einzusteigen, Positionen zu verbilligen oder aufzustocken. Eine längere Seitwärtsphase und die Abflachung des Aufwärtstrends in Form eines Trendfächers zeigen an, dass ein langsamer Prozess der Stimmungsänderung eintritt. Neue Hochs werden nur noch ohne Dynamik nach oben erreicht. Es schwindet die positive Grundhaltung im Markt. Nicht selten beginnt nach einem aufwärtsgerichteten Trendfächer ein Abwärtstrend.
Allgemein wird angenommen, dass der Break einer dritten, flach verlaufenden Fächerlinie zur gegenläufigen Bewegung führt, da dann entweder genügend Vertrauen nach einem Aufwärtstrend zerstört oder nach einem Abwärtstrend aufgebaut wurde. Diese Regel ist jedoch eher eine »Faustformel«. Relevant ist zudem, dass eine Fächerlinie nicht der strengen Definition einer Trendlinie folgen muss. Insbesondere im Beispiel der adidas AG in Abbildung 59 können Sie erkennen, dass die zweite und dritte Trendfächerlinie nicht der Definition eines Abwärtstrends entspricht, da keine neuen Tiefs vorliegen. Trotz der eher schwammigen Definition eines Trendfächers, der auch für sich allein genommen nicht als Trendwende-Muster aussagekräftig ist, können Sie die Stimmung im Markt, das Verhältnis von Bullen und Bären ermitteln.
Abbildung 59: adidas AG von September 2007 bis Juni 2011 – Trendfächer – nach Break der dritten Fächerlinie entwickelt sich ein neuer Aufwärtstrend – chart provided by tradesignalonline.com
Letztlich erfolgreich sind stets die Verknüpfung von unterschiedlichen Zeitebenen (lang-, mittel- und kurzfristige Trendanalysen) sowie die Beachtung von Fehlsignalen und die eigene Flexibilität hinsichtlich einmal getroffener Annahmen. Werden diese in Frage gestellt oder erweisen sich schlicht als falsch, so muss eben umgedacht werden. Zeigt Ihnen der Markt einen Stimmungswechsel, so muss unter Umständen gar eine Position geschlossen oder gedreht werden (zum Beispiel der Wechsel einer Long- in eine Shortposition).
Ein interessantes historisches Beispiel für einen solchen Stimmungswechsel mit einem aussagekräftigen Fehlsignal nach einem abwärtsgerichteten Trendfächer zeigt der Kursverlauf des Index des Neuen Marktes im Jahre 2000. So brachte der Break der dritten Linie des Abwärtstrendfächers im August 2000 im Nemax-All-Share ein Kaufsignal (Abbildung 60). Dieses wurde auch durch steigende Umsätze bestätigt. Doch kurz darauf wurden der kurzfristige Aufwärtstrend sowie darauffolgend auch die bis dahin stärkere Unterstützung bei 5000 Punkten unterschritten. Insbesondere der Bruch der Unterstützung war ein sehr ernst zunehmendes Verkaufssignal. Ein Technischer Analyst, der noch im August 2000 ein Kaufsignal identifizierte und damit steigende Kurse prognostizieren konnte, musste also schon einen Monat später seine Meinung revidieren und kundtun, dass die Reise wohl recht dynamisch gen Süden verlaufen würde. Das Kaufsignal erwies sich als klassisches Fehlsignal. Wie in den obigen Kapiteln schon angeführt, exemplarisch auch am Seitwärtstrend, sind Fehlsignale aussagekräftige Signale in der Technischen Analyse. Daher waren nach dem Rückfall der Kurse und der Enttäuschung der letzten verbliebenen Bullen deutlich fallende Kurse zu erwarten. Technische Analyse ist eben ein dynamischer Prozess, was heute gilt, kann morgen schon Schnee von gestern sein.
Abbildung 60: Nemax 50 von Februar bis Oktober 2000 – Trendfächer mit Fehlsignal – chart provided by Metastock
Absolut relevant ist es für Anleger und auch kurzfristige Trader, stets den groben Überblick zu behalten. Verzetteln Sie sich nicht in kleinsten Details und analysieren Sie nicht nur eine Zeitebene. In Abbildung 61 ist im Goldpreis ein Trendfächer dargestellt – basierend auf einem Wochen-Barchart. Der Bruch der dritten Fächerlinie Anfang Juli 2007 hätte nun dazu führen können, Gold zu verkaufen oder auf fallende Kurse zu wetten. In der Regel halten private Anleger dann zu lange fest an Ihrer Einschätzung – hier der Wette auf fallende Kurse – und versuchen, Verluste auszusitzen. Der nachfolgende leichte Anstieg und nochmals nachgebende Kurse Mitte August 2007 könnten dann Grund zur Hoffnung geben, dass die Einschätzung richtig ist und der Goldpreis fallen wird. Sie sehen natürlich auf einen Blick, dass dies nicht erfolgte und der Goldpreis eher kräftig ansteigen konnte. Wo lag nun der Fehler in der Analyse?
Abbildung 61: Gold in USD von September 2005 bis Mai 2008 – Trendfächer im Wochenschlusskurschart unter der 3. Fächerlinie – Ein Fehlsignal – chart provided by tradesignalonline.com
Der Fehler bei diesem Trendfächer und der Einschätzung fallender Kurse lag bei diesem Beispiel vor allem in der Vernachlässigung der langfristigen Perspektive. In Abbildung 62 ist der langfristige Aufwärtstrendkanal im Goldpreis seit 2001 dargestellt. Dieser Aufwärtstrendkanal wurde Anfang 2006 nach oben verlassen. Das Kursziel, der nach oben verdoppelte Aufwärtstrendkanal, wurde recht dynamisch erreicht. Die nachfolgende Übertreibung der Kurse, die Euphorie im Goldpreis, wurde anschließend in einer längeren, volatilen Seitwärtsbewegung abgebaut. Die obere Begrenzung des Aufwärtstrendkanals fungierte hierbei als Unterstützungslinie. Ein nachhaltiger Rückfall in den zuvor verlassenen Aufwärtstrendkanal erfolgte nicht. Die Kraft der Aufwärtsbewegung seit 2001 hatte sich somit seit 2006 verstärkt. Der Trendfächer zeigte lediglich die Seitwärtsbewegung an. Erst ein deutlicher Rückfall in den Aufwärtstrendkanal wäre ein Verkaufssignal gewesen. So konnte der Anstieg im September und Oktober 2007 als Kaufsignal gelten, da sich die Kurse von einer langfristigen Unterstützungslinie nach oben ablösten. Versuchen Sie stets, erst die langfristigen Zeiträume zu analysieren.
Abbildung 62: Gold in USD von 2001 bis 2010 – Rückkehrlinie eines langfristigen Aufwärtstrendkanals als Unterstützung – chart provided by tradesignalonline.com
Beginnen Sie Ihre Analysen mit den übergeordneten Stimmungsbildern! Erst dann befassen Sie sich auch mit den mittel- und kurzfristigeren Zeitebenen. Eine Verknüpfung der Zeitebenen zeigt Ihnen ein umfassendes Stimmungsbild und lässt eine sehr gute Interpretation oder bei Vorlage geeigneter Signale auch eine entsprechend aussagekräftige Prognose des weiteren Kursverlaufs zu.