Kapitel 8: Formationsanalyse
Die zweite Grundannahme der Technischen Analyse: Chartmuster und deren Folgen wiederholen sich
Die erste Grundannahme der Technischen Analyse ist die Annahme, dass sich Kurse stets in Trends bewegen. Von dieser Grundannahme leitet sich die im vorherigen Kapitel besprochene Trendanalyse ab.
Die zweite Grundannahme geht davon aus, dass sich die Masse aller Börsenakteure in ähnlichen Marktsituationen stets gleich verhält. Das Verhalten der Masse spiegelt sich in Kursverläufen wider. Hierbei wird vorausgesetzt, dass die Masse aller Marktteilnehmer trotz der einzelnen Individuen und den sicherlich stark abweichenden individuellen Meinungen als homogen zu betrachten ist.
Die zweite Grundannahme der Technischen Analyse wird durch die Methode der Formationsanalyse untersucht. Bekannte Kursverlaufsmuster und deren bekannte Folgen bilden die Grundlage der Formationsanalyse. Neben der Trendanalyse ist die Formationsanalyse der wichtigste Bereich der Technischen Analyse.
Die klassische Formationsanalyse wird auch als Barchartanalysetechnik bezeichnet. Denn die einzelnen Chartmuster (oder auch als Formationen bezeichnet), die nachfolgend näher erläutert werden, sind mit Hilfe der Barcharts (Balkencharts) entstanden. Zur Formationsanalyse gehören Trendbestätigungs- und Trendumkehrformationen sowie neutrale Formationen. Auch Kurssprünge, sogenannte Lücken, im Englischen als Window
oder Gap
(oder GAP) bezeichnet, werden neben dem Volumen in Verbindung mit dem Kursverlauf in der Formationsanalyse untersucht.
Die im folgenden Kapitel vorgestellte Candlestick-Methode kann durchaus zur Formationsanalyse gezählt werden, weist doch diese Chartdarstellungsform auch eine Vielzahl von selbstständigen Formationen (ebenso die Point & Figure-Methode) auf. Sowohl Candlesticks als auch Point & Figures werden jedoch innerhalb der Technischen Analyse als eigenständige Methoden betrachtet.
Einführung in die Formationsanalyse
Woran denken Sie bei dem Begriff Formation? Schließen Sie einmal für fünf Sekunden die Augen und stellen Sie sich bitte Ihre Idee einer Formation vor Ihrem geistigen Auge vor.
Woran haben Sie gerade gedacht? An ein Chartmuster? Derjenige, der sich noch nicht am Börsenbazillus vollends infiziert hat, denkt vielleicht beim Begriff »Formation« auch an den Tanzsport und die Bewegungen im Formationstanzen. An Tänzerinnen und Tänzer, die ein anmutiges, bewegtes Bild schwingender Körper im harmonischen Gleichklang hervorbringen. Harte Arbeit und viel Übung, Spaß an der Sache und eine gehörige Portion Engagement gehören dazu, um eine Gruppe von unterschiedlichsten Menschen beim Formationstanz zu einem homogenen und dabei auch dynamischen Bild zusammenzufügen. Dynamischer Tanz und eine klare Definition des Tanzablaufes, des Charakters eines Tanzes, passen oftmals nicht zusammen. Doch die Definition der Formation, des Handlungsablaufes eines Tanzes ist festgelegt. Mit entsprechenden Freiheitsgraden der Gestaltung und des Ausdrucks der Tänzer und Tänzerinnen.
An der Börse ist das ähnlich. Eine Kursformation ist genau definiert. In der Definition ist das Aussehen des Bildes, der zeitliche Ablauf sowie das Wesen, der Charakter der Formation enthalten. Da jedoch ein Kursverlauf ein dynamisches Gebilde darstellt, wird kaum eine Formation stets exakt einer anderen, gleichartigen Formation entsprechen.
Der Technische Analyst muss mit entsprechenden
»Freiheitsgraden« die Formation im Kursverlauf erkennen und deren Aussagekraft ergründen. Die Erfahrung des Analysten beziehungsweise des engagierten Privatanlegers ist dabei durchaus ausschlaggebend.
Erfahrung resultiert aus einem Lernvorgang. Sie sollten also möglichst viele Bilder von Formationen lernen. Ihr Gehirn speichert diese Bilder und ruft diese bei aktuellen Chartsituationen ab. Sie sind dann in der Lage, aktuelle Verlaufsmuster mit den abgespeicherten Bildern zu vergleichen. Die Rechenleistung, die dabei unser Gehirn vollbringt, ist geradezu erstaunlich. Bisher ist es nicht in befriedigendem Maße gelungen, diese Eigenschaft des Gehirns oder die Leistung eines versierten Chartisten mittels eines Computerprogrammes zu ersetzen. Unterschätzen Sie sich selbst hierbei nicht. Schon ein wenig Übung, Disziplin und eine kleine Portion Selbstvertrauen reichen aus, um Formationen im Kursverlauf zu entdecken und Erfolg an der Börse zu haben.
Einige Hinweise zum schnellen Erlernen von Formationen erhalten Sie am Ende des Kapitels Formationsanalyse.
Was ist eine Formation, ein Chartmuster?
Eine Formation ist ein bekanntes Verlaufsmuster im Chart mit bekannten Folgen, aufgrund derer eine Prognose über den zukünftigen Kursverlauf möglich sein sollte.
Formationen haben folgende Eigenschaften:
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definierter Kursverlauf,
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Klassifikation nach erwarteten Folgen,
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zeitlich definierte Ausprägung,
-
bestimmtes Umsatzverhalten innerhalb der Formation sowie bei Ausbruch aus der Formation.
Klassifikation von Formationen:
Die Klassifikation richtet sich nach den erwarteten Folgen eines Verlaufsmusters, einer Formation. Da diese Folgen nach einem entsprechenden Muster in der Vergangenheit am häufigsten aufgetreten sind, wird einfach davon ausgegangen, dass sich diese Folgen auch bei einer aktuellen Situation wiederholen. Dies ist zwar statistisch annehmbar, aber keine Garantie. Mit Statistik ist vieles berechenbar und die Angabe eines prozentualen Wertes, wie wahrscheinlich eine bestimmte Folge eines bekannten Musters ist, stellt keine Garantie dar, dass diese Folge tatsächlich so eintrifft. Chartanalyse oder Technische Analyse – jedwede Methode, die Börse und deren Kursverläufe scheinbar zu kontrollieren, ist nur ein Hilfsmittel, um Aussagen über mögliche Kursverläufe zu treffen.
Eine weitere Warnung: Ein sehr häufiger Fehler bei Technischen Analysten ist es, dass aufgrund einer sich unter Umständen erst bildenden Formation sowohl die noch nicht vollendete Formation als auch schon deren Folgen vorweggenommen werden. Um hinterher verwundert zu erkennen, dass der Markt ja völlig anders reagiert hat und die angenommene Formation sich nicht mehr vollendete. Die Antizipation von Formationen vor Vollendung dieser ist ein klarer methodischer Fehler.
Sicherlich besteht im praktischen Alltag eines Anlegers oder Traders auch die Möglichkeit, innerhalb einer sich potenziell bildenden Formation zu handeln. So zum Beispiel, um ein besseres Chance-Risiko-Verhältnis für einen eventuell bevorstehenden Ausbruch zu erlangen. Dies erfordert aber auch Disziplin und ein flexibles Handeln des Börsianers, denn das Risiko einer Fehlannahme, einer Nichterfüllung der getroffenen Annahme der Ausbildung einer Formation muss dabei stets berücksichtigt werden.
Die nachfolgende Klassifizierung der wichtigsten Formationen teilt diese in trendumkehrende, trendbestätigende und trendneutrale
Formationen ein. Beachten Sie aber bitte: Der Übergang zwischen den einzelnen Klassifizierungen ist fließend. So sind insbesondere Dreiecke, obwohl diese in einem intakten Trend in der Regel Trendfortsetzungs-Charakter besitzen, auch häufig Trendwendemuster.
Übersicht und Klassifizierung der relevantesten Formationen
Die Stimmung kippt – Trendumkehrformationen
Abbildung 68: Schulter-Kopf-Schulterformation umgekehrte oder inverse SKS-Formation (head-and- shoulders-top/-bottom) – idealer Verlauf entweder nach einem langfristigen Aufwärts- oder Abwärtstrend.
Abbildung 69: M- und W-Formation – Doppelhoch Doppeltief (double top/double bottom) – Zwei Hochs oder Tiefs als Trendumkehrformationen sind »normal«, letztlich können
sich auch mehrere Tops oder Tiefs ausbilden, so zum Beispiel eine »Dreifache Spitze« oder ein »Dreifacher Boden« (triple top/triple bottom)
Abbildung 70: Untertassen (rounding top/rounding bottom) – Längerfristige Trendumkehr, ein eher seltenes Muster
Abbildung 71: V-Formation als Bodenbildung – Panikreaktion mit schneller Erholung
Abbildung 72: Umgekehrtes oder inverses symmetrisches Dreieck (broadening top) – Insbesondere nach langfristigen Aufwärtstrend eine Gipfelbildung mit der Eigenart von Fehlausbrüchen nach oben
Abbildung 73: Umkehrtage (reversal days, intraday reversal) – Sehr kurzfristige Stimmungsumschwünge innerhalb eines Tages oder innerhalb von wenigen Perioden (Umkehrinseln)
Abbildung 74: Keile (wedge formation) – Die Schwankungsbreite lässt in Trendrichtung nach, zwei zueinander laufende Linien bilden Keil-Formationen
Der Trend ist intakt – trendbestätigende Formationen
Abbildung 75: Rechtwinklige Dreiecke (right angel triangle) – Bei ansteigenden Dreiecken (ascending formation) wird ein Widerstand angegriffen, bei absteigenden, fallenden Dreiecken (descending triangle) hingegen eine Unterstützung attackiert. Daher gelten diese Dreiecke im Auf- beziehungsweise Abwärtstrend jeweils als potenziell trendbestätigend
Abbildung 76: Kurzfristige und Wimpel (flags and pennants) nach einer kräftigen Aufwärts- oder umgekehrt nach einer Abwärtsbewegung sind in der Regel Trendfortsetzungsmuster!
Abbildung 77: Kurslücken, Fenster (Gaps, Windows) sind Kurs- und umsatzlose Bereiche im Chart, die durch einen Kurssprung von einer Periode zur nächsten entstehen – der Trend verstärkt sich somit in der Regel (Ausnahmen sind hierbei nach der Anzahl der Kurslücken im Chart zu beachten!)
Unsicherheit – trendneutrale Formationen
Abbildung 78: Rechtecke (rectangle/trading range) stellen Seitwärtsbewegungen im Kursverlauf dar, eine Phase der Unsicherheit mit unklarer Ausbruchsrichtung
Abbildung 79: Symmetrische Dreiecke (symmetrical triangle) stellen eine ausgeprägte Phase der Unsicherheit im Markt dar
Euphorie im Markt – die Schulter-Kopf-Schulter-Formation
Die Schulter-Kopf-Schulter-Formation (head-and-shoulders top
oder bottom
– abgekürzt SKS) ist eine der bekanntesten und leider auch sehr oft missverstandenen Formationen. Dabei ist sie eine der aussagekräftigsten Formationen innerhalb der Methodik der Technischen Analyse, die eine Gipfelbildung oder eine Bodenbildung (inverse SKS) anzeigen kann.
Bei einer Schulter-Kopf-Schulter-Formation ist die Masse der Marktteilnehmer nach einem ausgeprägten Aufwärtstrend in einer euphorischen Stimmung (»die Kurse können nur noch steigen«). Eine entsprechende Phase der Euphorie ist oftmals der Beginn vom Ende eines Aufwärtstrends, eine SKS zeigt somit eine Gipfelbildung an.
Abbildung 80: Schulter-Kopf-Schulterformation umgekehrte oder inverse SKS-Formation (head-and- shoulders-top/-bottom) – Eine der bekanntesten und oftmals falsch angewendeten Gipfelbildungen! Die horizontale Linie wird als Nackenlinie bezeichnet, ein Ausbruch unter beziehungsweise über diese Linie sollte mit steigenden Umsätzen einhergehen und bestätigt den Ausbruch.
Eine Bodenbildung liegt dagegen vor, sofern sich die Schulter-Kopf-Schulter-Formation nach einem ausgeprägten Abwärtstrend umgekehrt ausbildet. Die Marktteilnehmer sind dann in der Regel in einer panischen (»die Kurse können nur noch fallen«) oder depressiven (»Aktien lohnen sich nicht«) Stimmung. Wichtig: Die SKS oder inverse SKS erhält ihre Aussagekraft nur, wenn bestimmte Merkmale vorliegen, wenn der Charakter der Formation, eine Gipfelbildung nach Euphorie oder Bodenbildung nach Depression auch erfüllt ist!
Merkmale der Schulter-Kopf-Schulter-Formation
Kursverlauf:
Die Formation bildet sich nach einem ausgeprägten Aufwärtstrend mit drei Hochs aus. Das mittlere Hoch ist das höchste und wird als Kopf bezeichnet. Die umgebenden Hochs werden Schultern genannt. Schulter-Kopf-Schulter-Formationen können abweichend von der idealen Form auch komplexere Kursverläufe mit mehreren Schultern annehmen. Idealtypisch ist die Höhe der
Schultern und somit der Abstand der beiden Schultern vom Kopf annähernd gleich. Die Unterstützungslinie, die die Korrekturtiefs zwischen den Hochs verbindet, wird als Nackenlinie bezeichnet. Diese verläuft im Idealfall waagerecht. Auch auf- oder abwärtsgeneigte Nackenlinien sind regelkonform.
Zeitliche Ausdehnung:
mindestens ein Monat bis zu mehrere Jahre.
Umsatzverhalten:
Das Volumen ist rückläufig und in der linken Schulter und dem dortigen Hoch am höchsten. Insbesondere das dritte Hoch (rechte Schulter) weist deutlich schwächere Umsätze als bei den beiden davor liegenden Hochs auf. Ein Umsatzanstieg bei Durchbruch der Nackenlinie bestätigt die Relevanz des Richtungssignals.
Charakter:
Innerhalb der ersten beiden Hochs ist im Gesamtmarkt beziehungsweise für den entsprechenden Wert nach einem längerfristigen Aufwärtstrend eine Phase der Euphorie der Marktteilnehmer zu beobachten. Es findet ein umfangreicher Distributionsprozess statt.
Besonderheiten:
Die Schulter-Kopf-Schulter-Formation (SKS) erhält nur dann eine sichere Aussagekraft, wenn ein ausgeprägter, idealerweise auch langfristiger Aufwärtstrend vorangeht und ein Bruch desselben im Kopf oder im Bereich der rechten Schulter vorliegt. Dieses ist das wesentliche Merkmal einer aussagekräftigen SKS. Je nach gewählter Zeitebene können jedoch auch kurzfristige oder mittelfristige Aufwärtstrends innerhalb der Schulter-Kopf-Schulter-Formation verlassen werden. Die Aussagekraft ist dann allerdings eingeschränkt. Relevant ist zudem, dass die zeitliche Spanne und die Kursdimension des vorangegangenen Aufwärtstrends einen deutlich höheren Umfang (mindestens den Faktor 2, besser 3) als die der SKS aufweisen sollte. Nur so kann sich die Phase der Euphorie im Markt ausbilden. Aussagekräftiger sind natürlich noch höhere Verhältnisse, da sich dann in der Aufwärtsbewegung mehr Euphorie im Markt entwickeln kann und
die nachfolgende Ernüchterung umso stärker ausgeprägt ist.
Signal:
Die Formation ist vollendet, wenn die Nackenlinie durchbrochen wird. Nach Durchbruch erfolgt oftmals ein Pullback, ein kurzfristiger Rücklauf der Kurse an die Nackenlinie.
Kursziel:
Die horizontale Differenz zwischen dem mittlerem Hoch und der Nackenlinie wird nach unten an das Ausbruchsniveau (in der Regel die Nackenlinie) abgetragen.
Abbildung 81: Ableitung des Kursziels bei einer SKS
Beispiele für Schulter-Kopf-Schulter-Formationen
Eine idealtypische Schulter-Kopf-Schulter-Formation bildete sich von 1996 bis 1997 im Kursverlauf von NIKE aus, einem US-amerikanischen Sportartikelhersteller. Nachfolgend eine umfassende Erläuterung des Kursverlaufs mit Beginn eines Kaufsignals 1994:
Nach einem kurzfristigen Abwärtstrend Ende 1993 erhielt der Technische Analyst Anfang 1994 ein Kaufsignal. Eine vollendete W-Formation (Erläuterung nachfolgend) zeigte an, dass die Mehrzahl
der Marktteilnehmer sich in Kauflaune befand und der vormalige Verkaufsdruck sein Ende gefunden haben sollte. Zu Beginn eines neuen Aufwärtstrends steigen die Marktteilnehmer in der Regel noch vorsichtig ein. Doch mit weiterhin steigenden Kursen wachsen die Zuversicht und das Vertrauen auch der eher ängstlichen Marktteilnehmer an. Die stetig steigenden Kurse zogen auch völlig neue Käuferschichten an, die unter Umständen NIKE bisher als uninteressante Aktie betrachtet hatten. Die Kauflust der Masse der Marktteilnehmer und deren Vorliebe für NIKE nahmen zu. Der Aufwärtstrend beschleunigte sich und Ende 1996 (linke Schulter) erreichte der Kursverlauf neue Höchstwerte. Der anschließende Rückgang von circa 64 US-Dollar bis auf circa 53 US-Dollar war jedoch noch nicht das Ende des Aufwärtstrends.
Ein Anleger, der zum Beispiel erst bei einem Niveau von rund 35 US-Dollar in NIKE eingestiegen war, konnte sich weiterhin getrost zurücklehnen und seinen Gewinn laufen lassen. Das Niveau um 53/55 erwies sich als Unterstützung und wurde genutzt, um in diese Aktie einzusteigen. Diejenigen, die bisher diesen Expresszug des schnellen Geldverdienens verpasst hatten, wollten nun endlich »zum Zuge kommen« und investieren. Denn was schon so lange gestiegen war, konnte doch nur weiter steigen. Der Rücksetzer wurde gekauft, wie schon die vorherigen Rücksetzer im Aufwärtstrend.
Abbildung 82: NIKE von 1993 bis 2001, Schulter-Kopf-Schulter-Formation als Gipfelbildung nach langfristigem Aufwärtstrend – chart provided by CQG
Diese scheinbare Sicherheit führte letztlich zur Euphorie, und Anfang 1997 kam es zu einem weiteren starken Anstieg. Die Kurse erreichten einen Höchststand von circa 76 US-Dollar (Kopf der SKS). Mit den neuen Höchstkursen war auch die Definition eines Aufwärtstrends (jedes neue Hoch liegt höher als das vorangegangene Hoch) bestätigt. Der Anleger konnte beruhigt seine Gewinne weiter laufen lassen. Nun schien jedoch im Kursverlauf eine Wende einzutreten. Die Kurse fielen recht dynamisch zurück auf das ursprüngliche Ausgangsniveau des letzten Kursanstiegs, auf circa 53 US-Dollar. Innerhalb dieses Rückfalls waren zudem zwei steile langfristige Trendlinien gebrochen worden. Dies waren die ersten zwei Verkaufssignale im Kursverlauf. Weiterhin stimmte der Rückfall auf das alte Tief bei rund 53 US-Dollar nicht mehr mit der
Aufwärtstrenddefinition überein (jedes neue Tief liegt höher als die vorangegangenen Tiefs). Unser Anleger begann nun, aufgrund der ersten Verkaufssignale, seine NIKE-Aktien langsam zu verkaufen (erste Teilgewinnmitnahmen). Doch vor allem sind bei einem entsprechenden Kursverlauf die letzten »Euphoriker« sämtlich im Verlust. Hier tritt in der Regel Ernüchterung ein.
Doch der langjährige Aufwärtstrend in NIKE hatte die meisten Anleger bis dahin gut behandelt und es gab nicht wenige neue Anleger, die nochmals auf weiterhin steigende Kurse vertrauten und nicht glauben wollten, dass der Aufwärtstrend vorbei sein könnte.
Der folgende Anstieg Mitte 1997 stellte das letzte Gefecht dar. Hier stiegen die Anleger ein, die entweder mit NIKE schon Gewinne gemacht hatten und eventuell zu früh verkauft hatten – also nochmals mit ihrer geliebten Aktie Geld machen wollten – oder es investierten Anleger, die bisher nur zugeschaut hatten und meinten, dass es in jeder Korrektur sinnvoll sei, nun endlich NIKE kaufen zu müssen. Doch die Masse der Marktteilnehmer nahm eher eine abwartende Haltung ein. Nach der starken Euphorie kehrte allgemeine Ernüchterung ein, neue Käufermassen traten nicht aufs Parkett. Das heißt, nur eine kleine Anzahl von Anlegern trieb nochmals den Kurs auf rund 64 US-Dollar nach oben. Doch gerade dieses Niveau wurde von den langjährig investierten Anlegern genutzt, um NIKE abzustoßen. Da der Verkaufsdruck größer, die Nachfrage immer kleiner wurde, fielen die Kurse wiederum auf das Niveau um 53 US-Dollar. Diese Zone hatte sich in der Vergangenheit als Käuferzone dargestellt, als Unterstützung (in der Schulter-Kopf-Schulter-Formation als Nackenlinie bezeichnet). Doch es gab dort plötzlich keine Käufer mehr. Das Interesse war verflogen. Die Enttäuschung derjenigen, die in den Jahren 1996 und 1997 eingekauft hatten in der trügerischen Sicherheit eines langfristigen Aufwärtstrends, war dagegen umso größer. Der Handlungsbedarf der Marktteilnehmer steigt im Idealfall nach Bruch einer Nackenlinie deutlich an. Nach der Euphorie hieß es bei Kursen unter 53 US-Dollar: »Rette sich wer kann.« Doch auch die Langfristanleger, die bisher noch nicht aufgrund der vorherigen Verkaufssignale aktiv
geworden waren, sahen nun ihre Felle davonschwimmen und mussten handeln, wenn sie ihre Gewinne noch retten wollten. Die Masse begann zu verkaufen.
Interessant ist bei diesem Beispiel, dass das ableitbare Kursziel, die nach unten abgetragene Schwankungsbreite der SKS, im vorliegenden Fall erst nach einer erneuten deutlichen Erholung erreicht wird. Sofern Sie also einmal eine Wette auf fallende Kurse nach Ausbildung einer SKS eingehen, denken Sie bitte immer daran, dass ein Kursziel nicht immer erreicht werden MUSS.
Typisch für viele Anleger ist es, Verluste aussitzen zu wollen. Dies kann durchaus über mehrere Jahre erfolgen. Werden die alten Kursniveaus nach zuvor deutlichen Verlusten wieder erreicht – so wie bei NIKE 1999 oder 2001 – werden diese Aktien dann mit einem Seufzer der Erleichterung verkauft. Der Anleger ist froh, ohne oder mit nur kleineren Verlusten ausgestiegen zu sein. Daher haben idealtypische Schulter-Kopf-Schulter-Formationen und deren Bandbreite auch eine nicht zu unterschätzende Langzeitwirkung. Das Schulterniveau erwies sich bei NIKE als langfristiges Widerstandsniveau.
Die Hoffnung, Verluste auszusitzen, hätte bei NIKE durchaus im Laufe der Jahre Früchte getragen. Die Aktie stieg in den letzten Jahren über das Niveau der Höchstkurse der SKS deutlich an. Hoffnung hat jedoch an der Börse nichts verloren. Es kann sein, dass es durchaus einmal gut geht und Sie nach Jahren des Wartens und Bangens Ihre Verluste in einen Gewinn verwandeln können. Sinnvoller ist es allerdings, bei Verkaufssignalen auch aktiv zu werden. Denken Sie stets daran: Vorrang hat stets der Substanzerhalt Ihres Depots. Schmerzvolle Verluste haben die Anleger nicht nur in der Finanzkrise 2008 oder anderen Crashs, sondern vor allem in der DOT-COM-Blase zur Jahrtausendwende erfahren. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Aktie der EM.TV AG.
Der Kursverlauf der EM.TV AG zeigte nach einem längeren Aufwärtstrend und Euphorie im Markt im Jahre 2000 eine komplexe
und auch nicht vollkommen ideale SKS. Die Nackenlinie war schräg aufwärts gerichtet. Die Höhe der Schultern war nicht auf gleichem Niveau und die rechte Schulter wies noch eine kurze Erholung ausgehend von der Nackenlinie auf, eine kleine zweite rechte Schulter. Die Symmetrie stimmte jedoch und der Bruch der langfristigen Aufwärtstrendlinie innerhalb des Kopfes (Euphorie) ist ein wesentliches Merkmal der SKS. Die anschließende Vollendung der SKS zog weitere Kursverluste nach sich. Das Kursziel aus der SKS wurde mehr als übertroffen.
Doch nicht nur Privatanleger sind in Gefahr, in Euphorie zu geraten. Auch Profis sind Menschen und können sich emotional nicht immer gegen den Mainstream stemmen. So zeigte sich Ende der 90er-Jahre im Zins- und Anleihemarkt eine Phase der Euphorie. Steigende Zinsen und damit ein fallender Deutscher Renten-Index wurden allgemein nicht mehr erwartet.
Abbildung 83: EM.TV & Merchandising AG von Juni 1998 bis November 2000, Wochenbarchart, Schulter-Kopf-Schulter-Formation als Gipfelbildung nach
langfristigem Aufwärtstrend – chart provided by Metastock
Abbildung 84: Deutscher Renten-Index von 1994 bis 2000, Monatsbarchart. Eine mehrmonatige SKS zeigte eine Gipfelbildung nach einem langfristigen Aufwärtstrend an. Innerhalb der SKS wird eine über einjährige langfristige Trendlinie gebrochen – chart provided by Metastock
Der deutsche Rentenindex (REX) spiegelt die Wertentwicklung deutscher Staatsanleihen wider. Fallen die Zinsen, steigt der Index und vice versa. Eine Schulter-Kopf-Schulter-Formation beim deutschen REX trat 1998/1999 als Gipfelbildung nach mehrjährigem Aufwärtstrend auf. In dieser Phase war eine gewisse Euphorie bei den Marktteilnehmern zu spüren. Die Masse der Marktteilnehmer rechnete nicht mehr mit stark steigenden Zinsen. Ein erstes Warnsignal war der Bruch des seit Anfang 1999 bestehenden Aufwärtstrends (gestrichelt dargestellt), doch der deutsche REX erholte sich anschließend. Das vorangegangene Hoch konnte
allerdings nicht mehr überschritten werden, es bildete sich eine rechte Schulter. Ein weiteres Verkaufssignal war der Bruch des etwas flacher verlaufenden circa 1,5-jährigen Aufwärtstrends innerhalb der rechten Schulter. Die Vollendung der Schulter-Kopf-Schulter-Formation war der Bruch der Nackenlinie kurz nach dem Bruch des Aufwärtstrends. Entsprechend der Kurszielbestimmung aus der Schulter-Kopf-Schulter-Formation konnte ein Rutsch bis auf den langjährigen Aufwärtstrend, der seit 1994 Bestand hatte, prognostiziert werden. Doch auch dieses »Mindestkursziel« wurde nach unten durchschritten.
Hinweis zum Kursziel bei einer SKS
Bei einer Schulter-Kopf-Schulter-Formation wird das errechnete Kursziel als »Mindestkursziel« bezeichnet. Dies bedeutet, dass dieses Kursziel nicht nur erreicht, sondern auch übertroffen werden kann. Beachten Sie dabei jedoch, dass jedes Kursziel immer nur eine Annahme über ein mögliches Szenario darstellt. Ein Kursziel stellt keine Garantie für den prognostizierten Ablauf dar.
Wesentlich bei einer Formationsanalyse ist es zudem, dass die entsprechenden Annahmen auch oftmals nur dann bestätigt werden und eintreffen, sofern eine exakte Analyse und Interpretation im Einklang mit den idealtypischen Verhaltensmustern erstellt wird. Und für die Schulter-Kopf-Schulter-Formation gilt: Aussagekräftig ist diese Formation nur in einer Phase der Euphorie im Markt. Auch vermeintliche Profis wenden die SKS einfach falsch an, wenn dieser Parameter nicht berücksichtigt wird (vorhergehender ausgeprägter Aufwärtstrend), und lediglich die grafische Struktur einer SKS beachtet wird. Ein Beispiel soll Letzteres verdeutlichen:
Versetzen Sie sich hierzu einmal zurück in die Zeit vor der Jahrtausendwende. In 1998 fiel der DAX dramatisch – um sich Ende 1998 wieder zu erholen. Skepsis gegenüber der Erholung war eher im Markt zu finden als Euphorie. Nach dem drastischen Vertrauensverlust in steigende Kurse durch die Baisse in 1998 setzte sich im weiteren Verlauf ein ausgedehnter Sägezahnmarkt durch. In dessen Verlauf wurden im DAX zwischen Oktober 1998 bis Oktober
1999 von einigen Technischen Analysten in den Medien drei Schulter-Kopf-Schulter-Formationen ausgemacht.
Die erste SKS: Eine kurzfristige Schulter-Kopf-Schulter-Formation im Zeitraum von Oktober bis Dezember 1998. Übersehen wurde hierbei, dass der vorangegangene starke Abwärtstrend (Juli – Oktober 1998) keinerlei Euphorie aufkommen ließ. Ein zweites wesentliches Merkmal fehlte zudem: ein langfristiger Aufwärtstrend, der innerhalb der Formation hätte gebrochen werden können. Und auch die Proportionen zwischen der zeitlichen Dauer der vorangegangenen Aufwärtsbewegung und der zeitlichen Dauer der SKS passten einfach nicht. Damit waren die SKS und das Verkaufssignal, der Bruch der vermeintlichen Nackenlinie, nicht aussagekräftig.
Abbildung 85: DAX von Oktober 1998 bis Oktober 1999 mit drei fehlerhaften Interpretationen von potenziellen Schulter-Kopf-Schulter-Formationen – chart provided by Metastock
Die zweite SKS: Eine kurzfristige Schulter-Kopf-Schulter-Formation
im Zeitraum von April bis Juni 1999. Da der DAX in einem übergeordneten Seitwärtstrend verlief und der Schulter-Kopf-Schulter-Formation wiederum kein langfristiger Aufwärtstrend voranging, war auch diese SKS ohne jedwede Aussagekraft. Die Bandbreite (Höhe) der Schulter-Kopf-Schulter-Formation war zudem nicht größer als der gesamte vorherige kurzfristige Aufwärtstrend. Auch dieses Merkmal einer fehlerhaften Symmetrie war ein Zeichen für eine sehr untergeordnete Rolle und geringste Aussagekraft der Formation.
Die dritte SKS: Eine langfristige Schulter-Kopf-Schulter-Formation im Zeitraum April bis September 1999 mit »prognostiziertem« Kursziel bis 3.200 Punkte. Die erste Schulter war die oben beschriebene zweite SKS – der Kopf das Hoch im Juli 1999 und die rechte Schulter der Bereich im September 1999. Doch auch hier war kein ausgeprägter Aufwärtstrend im Verhältnis zu der Formationshöhe erkennbar. Euphorie fehlte gänzlich und langfristige Aufwärtstrends wurden innerhalb der Formation nicht gebrochen. Der Schwachpunkt der letzten angenommenen Schulter-Kopf-Schulter-Formation war vor allem, dass hier eine Formation vorweggenommen wurde, die noch gar nicht vollendet war. Die Nackenlinie, welche bei circa 4.950 Punkten verlaufen sollte, wurde nie durchbrochen.
Publiziert von Experten im Internet oder auch im Börsen-Fernsehen jagten die entsprechenden negativen Prognosen aufgrund der Schulter-Kopf-Schulter-Formationen natürlich dem Börsenlaien einen gehörigen Schrecken ein. Relevant für Sie als Anleger ist es daher, stets die Interpretationen der »Profis« kritisch zu hinterfragen. Denn wie dargestellt, ist eben eine rein grafische Formation kein Garant für die Aussagekraft der eigentlich sehr passablen Schulter-Kopf-Schulter-Formation, sofern diese eben auch die Ernüchterung nach einer Euphoriephase anzeigt. Achten Sie immer auf den einer Formation innewohnenden Charakter.
Nur ein Trend kann umgekehrt werden!
Wie oben dargelegt, treten die rein grafischen Gebilde einer
Chartformation auch in Seitwärtstrends auf. Wenn Sie jedoch ein klassisches Umkehrmuster wie eine Schulter-Kopf-Schulter-Formation in einem Sägezahnmarkt entdecken, seien Sie bitte vorsichtig in der Interpretation. Denn dann befindet sich die Masse der Marktteilnehmer nicht in einer gleichgerichteten aufwärtsgerichteten Verhaltenstendenz. Es zeigt sich eher eine Pattsituation zwischen Bullen und Bären. Umkehrsignale und Umkehrformationen bedingen also auch eines vorhergehenden Trends. In einem trendlosen, unsicheren Markt ist die Aussagekraft einer Trendumkehrformation entsprechend eingeschränkt oder gar völlig bedeutungslos.
Ein weiteres Beispiel für die falsche Anwendung einer vermeintlichen SKS aus der jüngeren Vergangenheit zeigt der DAX in 2009:
Im Sommer 2009 wurde im Kursverlauf des DAX von manchen Chartisten und Börsianern eine SKS ausgemacht. Das Ende der Erholung nach der Finanzkrise – das Vertrauen in steigende Kurse war allgemein noch sehr angeschlagen – wurde schon ausgerufen. Die grafische Interpretation war durchaus korrekt. Zudem wurde ein jedoch eben nur kurzfristiger Aufwärtstrend im Kopf der SKS gebrochen. Es fehlte aber auch hier wieder Euphorie im Markt, um dieser SKS eine nachhaltige Aussagekraft zu geben. Spätestens nach dem nur sehr kurzzeitigen Ausbruch unter die vermeintliche Nackenlinie mit sodann sehr schneller Erholung UND dem Bruch des kurzfristigen Abwärtstrend-Kanals nach oben hätte hier ein Umdenken erforderlich sein müssen. Der Ausbruch aus dem Abwärtstrendkanal konnte zudem als klares Kaufsignal gedeutet werden – der Abwärtstrendkanal stellte eine Flagge (Erläuterung nachfolgend) dar. Die Annahme einer SKS war hier einfach schlicht und ergreifend falsch gewesen.
Abbildung 86: DAX von Oktober 2008 bis August 2009 mit fehlerhafter Interpretation des Kursverlaufs – chart provided by Metastock
Wie kann eine Phase der Euphorie festgestellt oder gemessen werden?
Einerseits zeigt Ihnen die allgemeine Marktstimmung, ob eine Phase der Euphorie vorliegt. Sofern Ihr Nachbar, Ihre Schwiegermutter oder der Taxifahrer über Aktien sprechen und selbst die großen Boulevard-Zeitungen Anlageempfehlungen thematisieren, dann ist das Ende einer Hausse nicht mehr weit. Eine allgemeine Blase ist entstanden, entsprechend den massenpsychologischen Ansteckungseffekten. Aber auch die Technische Analyse zeigt Ihnen mit einfachen Hilfsmitteln an, ob ein Markt oder eine Aktie sich in einem eher euphorischen, überbewerteten oder auch in einem depressiven, vollends ausgebombten Zustand befindet.
Hierzu können Sie einen Indikator, den gleitenden Durchschnitt verwenden. Ein gleitender Durchschnitt ist das arithmetische Mittel einer Reihe von Kursen. Ein gleitender Durchschnitt über 200-Tage rechnet sämtliche Schlusskurse dieser 200 Handelstage zusammen
und dividiert diese Summe durch 200. In Abbildung 87 ist der DAX von 1998 bis 2010 dargestellt mit seinem 200-Tage gleitenden Durchschnitt (kurz 200-GD oder auch 200-Tagelinie genannt). Sie können gut erkennen, dass diese Linie den Kursverlauf des DAX sehr stark glättet. In einem kräftigen Aufwärtstrend verläuft dieser Indikator, der 200-GD, unterhalb der Kurse und in einem Abwärtstrend oberhalb der Kurse. Pendelt dagegen der Kurs um die 200-Tagelinie, so liegt eher eine Phase der Unsicherheit vor.
Je schneller der DAX steigt oder auch fällt, nimmt der Abstand des DAX von der 200-Tagelinie zu, entweder mit einem positiven oder negativen Vorzeichen. Je größer nun dieser Abstand ist (berechnet als prozentualer Abstand des DAX von der 200-Tagelinie), desto höher ist auch im positiven Fall die Möglichkeit einer Euphorie im Markt oder im negativen Fall die Wahrscheinlichkeit einer depressiven Verstimmung. Eine Schulter-Kopf-Schulter-Formation, die ja eigentlich eine Trendumkehr anzeigen sollte, die jedoch in einer Phase auftritt, bei der der DAX in der Nähe des 200er-GD notiert, hat somit auch keine sonderlich hohe Aussagekraft. Denn es liegt weder eine Euphorie noch eine Depression (mit einer inversen SKS) im Markt vor.
Im unteren Teil des dargestellten Charts (Abbildung 87) ist der prozentuale Abstand des DAX-Schlusskurses zum 200er-GD abgetragen. Dieser Indikator wird als Disparitätsindex oder auch als KAIRI, je nach Chartsoftware unterschiedlich, bezeichnet. In der Vergangenheit zeigte sich im DAX stets eine ausgeprägte Euphorie-Situation, sofern dieser Indikator einen Wert von über 20 Prozent erreichte. Eine starke depressive Stimmung dagegen darf bei einem Wert unter -15 Prozent angenommen werden.
Diese Angaben sind Erfahrungswerte. Letztlich können Sie dies jedoch als grobe Richtschnur betrachten. Erhalten Sie ein Verkaufssignal, einen Trendbruch oder einen Ausbruch aus einer Trendumkehrformation in einer Phase der »Euphorie« mit einem hohen positiven Wert des Indikators, dann ist die Aussagekraft dieses Signals einfach höher als bei einem gleichartigen
Verkaufssignal, welches direkt in der Nähe des 200er-GD auftritt, so wie im Falle der vermeintlichen SKS im Jahre 2009. Interessant natürlich auch die Phase 1998/99. Auch hier war keine starke Übertreibung nach oben festzustellen, die einer SKS eine hohe Aussagekraft verliehen hätte. Nachfolgend ein Beispiel für eine aussagekräftige Schulter-Kopf-Schulter-Formation. Betrachten Sie hierzu bitte den Kursverlauf des Hang-Seng-Index (Abbildung 88).
Abbildung 87: DAX von 1996 bis 2013 mit 200-Tage gleitendem Durchschnitt. Eingekreist sind die Phasen mit fehlerhaften SKS-Interpretationen – chart provided by Metastock
Dieser verlief von 2003 bis 2007 in einem langfristigen Aufwärtstrendkanal. In Form einer Übertreibung (Euphorie) brach der Kurs noch Ende 2007 kurz über die obere Begrenzung des Aufwärtstrendkanals nach oben aus, um sodann aber eine Kehrtwende einzuleiten. Der Ausbruchsversuch scheiterte und stellte somit auch ein Fehlsignal dar, mit entsprechend negativen Konsequenzen. Nach Test der Aufwärtstrendlinie in 2008 und leichter Erholung hiervon kam der Kurs nochmals zurück. So zeigte sich Anfang 2008 eine SKS mit schräg verlaufender Nackenlinie. Der Aufwärtstrend wurde kurz vor dem Bruch der Nackenlinie in der rechten Schulter verlassen. Der Bruch der Nackenlinie stellte sodann ein Verkaufssignal dar. Entsprechend der Ableitung des Kurszieles
konnte auf fallende Kurse gewettet oder Aktienengagements verkauft werden.
Abbildung 88: Hang Seng von 2002 bis 2012 – Eine SKS im Zeitraum 2007/2008 mit vorherigem Fehlausbruch über die obere Trendkanalbegrenzung (Anzeichen von Euphorie) – chart provided by Metastock
Schulter-Kopf-Schulter-Formationen
sind sehr aussagekräftige Trendwendemuster, sofern alle Parameter stimmig sind. Abbildung 89 zeigt den Kursverlauf der RIB Software AG. Dieser Wert bildete in 2014 in den Wochenkerzen eine potenzielle Schulter-Kopf-Schulter-Formation aus. Der langfristige Trend wurde im Kopf gebrochen. Anfang Oktober 2014 bestand somit das Risiko weiterer Verluste.
Doch Vorsicht! Ein Merkmal für eine sehr hohe Aussagekraft der
Formation fehlte hier – die zeitliche Dimension der SKS selbst betrug circa sieben Monate (von März bis Oktober 2014), der vorherige Aufwärtstrend lief von Juni 2013. Somit war die zeitliche Dimension des Aufwärtstrends bis zum Beginn der SKS von rund acht bis neun Monaten nur unwesentlich länger als die eigentliche SKS. Die Seitwärtsbewegung seit März 2014 konnte somit auch nur eine einfache Konsolidierung darstellen.
Abbildung 89: RIB Software AG von März 2013 bis Oktober 2014 – Eine potenzielle SKS in den Wochenkerzen. Die Aussagekraft war jedoch eingeschränkt. Abgebildet sind drei mögliche Szenarien sowie Widerstands- und Unterstützungszone – chart provided by guidants.com
Abbildung 89 stellt sowohl die potenzielle SKS dar als auch mögliche Szenarien (Richtungspfeile) sowie eine Unterstützungs- und Widerstandszone. Der Chart entstammt einer Analyse, die der Autor am 09.10.2014 auf der Internetplattform
www.godmode-trader.de
veröffentlichte.
Im weiteren Verlauf des Oktobers 2014 wurde die SKS auch vollendet mit Bruch der Nackenlinie (Abbildung 90). Doch weiteres Verkaufsinteresse kam nicht mehr auf. Auch ein wiederholter Bruch der Nackenlinie im November 2014 lockte keine Verkäufer mehr. Vielmehr zeigte sich, dass der Markt bereinigt war und all die Verkäufer, die bereit gewesen waren, den Wert aus ihren Depots zu jagen, nun allein dastanden. Es gab nachfolgend keine Verkäufer mehr und der Wert konnte in den Folgemonaten kräftig ansteigen. Der »Fehlausbruch« unter die Nackenlinie zeigte eher an, dass nun die Bullen das Zepter in die Hand nahmen und der Weg insbesondere nach Bruch des Abwärtstrendkanals nach oben frei war.
Abbildung 90: RIB Software AG von Ende 2013 bis Oktober 2015 – Fehlausbrüche unter die potenzielle SKS in den Wochenkerzen ließen nach Bruch des Abwärtstrendkanals wieder steigende Kurse erwarten – chart provided by guidants.com
Neben den oben besprochenen Schulter-Kopf-Schulter-Formationen in idealer grafischer Ausprägung mit linker und rechter Schulter sowie einem Kopf können sich auch komplexere Formationen ausbilden, mit mehreren Schultern.
Ein Beispiel für eine recht komplexe SKS bildete sich im Kursverlauf der KRONES AG von 2015 bis 2016 aus (Abbildung 91). Nach einem langfristigen Aufwärtstrend, der in 2012 begann, konsolidierte der Wert innerhalb eines langfristigen Aufwärtstrendkanals und bildete hierbei zwei linke Schultern, einen Kopf und eine breit gezogene rechte Schulter aus.
Mit Bruch der Nackenlinie, die in diesem Beispiel eher als breitere Unterstützungszone ausgemacht werden konnte, setzten sodann auch deutlichere Verkäufe ein. Zudem wurde vorab der langfristige Aufwärtstrend verlassen. Interessant ist allerdings, dass Ende Oktober 2016 der Wert ein doppeltes Tief ausbildete und sich mit Break des hier gültigen Zwischenhochs eine W-Formation ausbildete. Diese wurde nachfolgend auch vollendet und der Abwärtstrend verlassen – die Aktie konnte in den Folgemonaten wieder in Richtung der alten Tops ansteigen. Das Kursziel aus der komplexeren SKS wurde nicht erreicht.
Abbildung 91: KRONES AG von 2013 bis Oktober 2016 – Eine komplexe SKS im Kursverlauf im Zeitraum mehrerer Monate von 2015 bis Mitte 2016 mit sich bildender W-Formation Ende Oktober 2016 – chart provided by guidants.com
Börse und Chartanalyse ist daher stets als dynamischer Prozess zu verstehen. Aus dem Bruch des langfristigen Aufwärtstrends und der Unterstützungszone (Nackenlinie) der SKS ein Verkaufssignal abzuleiten war richtig – ebenso sinnvoll wäre jedoch dann ein Kauf nach Vollendung der W-Formation UND nach Bruch des Abwärtstrends gewesen. Letztere Entscheidung auch im Einklang mit der langfristigen Perspektive der Monatskerzen. In Abbildung 92 ist die langfristige Zeitebene der Monatskerzen (Candlestick-Darstellung) abgebildet. Die in den Tageskerzen komplexe SKS wird in den Monatskerzen »geglättet« und kann hier gut als SKS erkannt werden. Relevant ist jedoch auch stets ein Tief einer längeren weißen Monatskerze als potenzielles Unterstützungs- und somit Käuferniveau. Das Tief vom März 2015 (lange weiße Kerze) bei 86,25 Euro fungierte als wesentliche Unterstützung, die Ende 2016 auch
bestätigt wurde. Ein Kauf in Verbindung mit der W-Formation in den Tageskerzen erhielt somit auch aus langfristiger Perspektive eine erhöhte Aussagekraft! Versuchen Sie stets, die lang- und kurzfristigen Zeitebenen zu verknüpfen.
Abbildung 92: KRONES AG von 2011 bis 2017 – Verknüpfung von kurz- und langfristigen Zeitebenen als Erfolgsfaktor in der Chartanalyse. Relevante Unterstützung in den Monatskerzen UND eine W-Formation in den Tageskerzen als Chance einer Bodenbildung Ende 2016 – chart provided by guidants.com
Fortsetzungs-SKS
Eine weitere Möglichkeit, das grafische Bild einer SKS als Signalgeber zu nutzen, besteht in der »Fortsetzungs-SKS«. Die Schulter-Kopf-Schulter-Formation wird hierbei als Fortsetzungsmuster im Abwärtstrend betrachtet. Die Sinngebung mag allerdings eher fraglich erscheinen, da im Abwärtstrend Euphorie als der SKS innewohnendes Charaktermerkmal völlig fehlen sollte.
Die Idee ist vielmehr, dass der Glaube der Marktteilnehmer an
weiterhin fallende Kurse innerhalb der Formation abnimmt und Erholungen, also die Schultern sowie der Kopf der Formation, Kaufneigung widerspiegeln, die jedoch bei Bruch der Nackenlinie arg enttäuscht wird und dementsprechend auch Handelsnotwendigkeit bei den vorherigen Käufern erzwingt. Ein Beispiel zeigt der Kursverlauf der E.ON-Aktie innerhalb eines langfristigen Abwärtstrendkanals Anfang 2016 in den Tageskerzen.
Abbildung 93: E.ON SE von September 2015 bis März 2016 – Eine potenzielle »Fortsetzungs-SKS« im Kursverlauf, die jedoch nicht mehr vollendet wurde – chart provided by guidants.com
Die Formation wäre jedoch erst bei einem Fall unter die Nackenlinie bei circa 7,82 Euro vollendet – das Kursziel aus der SKS im Chart wurde grafisch abgeleitet. Im weiteren Verlauf wurde diese potenzielle Formation jedoch nicht mehr vollendet. Die E.ON-Aktie lief noch über den Sommer 2016 seitwärts und fiel erst im September 2016 deutlich abwärts. Zum späteren Zeitpunkt war die Fortsetzungs-SKS hinfällig. Der Ausbruch aus der rund einjährigen Kursbandbreite (Range
) war allerdings ein kräftiges Verkaufssignal, und der Kurs rutschte sodann deutlich nach unten.
Grundsätzlich können Sie alle Formationen in allen beliebigen Zeitebenen nutzen, um entsprechende Richtungssignale zu erhalten. So können Sie auch im Day-Trading im 5-Minuten-Chart Formationen nutzen. Diese haben dann selbstverständlich nur eine sehr kurzfristige zeitliche Aussagekraft. Sehr kurzfristige Signale können für den kurzfristig orientierten Day-Trader auch die Stundenkerzen erbringen. Achten Sie jedoch darauf, dass Sie die Zeitebenen nie isoliert für sich betrachten, sondern die Zeitebenen (zum Beispiel Monat, Woche, Tag, Stunde) miteinander verknüpfen. Im kurzfristigen Chart ist es dann sinnvoll, in Richtung der mittel- und langfristigen Trends zu handeln.
Für den privaten Anleger jedoch gilt ein relevanter Grundsatz: Große Formationen haben große Auswirkungen, kleine Formationen nur kleine Wirkungen.
Achten Sie, um zu investieren, auf die aussagekräftigen lang- und mittelfristigen Formationen, die sich über mehrere Wochen oder gar Monate ausbilden. Haben Sie Geduld und handeln Sie stets die Signale, mit denen Sie sich wohlfühlen, die aussagekräftig sind und mit denen Sie sich schon längere Zeit beschäftigt haben.
Abbildung 94: E.ON SE von September 2015 bis Oktober 2016 - Chartanalyse als dynamischer Prozess. Die Fortsetzungs-SKS wurde nicht vollendet – Erst mit Ausbruch aus der einjährigen Range ergab sich ein kräftiges Verkaufssignal – chart provided by guidants.com
Depression im Markt – Die umgekehrte Schulter-Kopf-Schulter-Formation
Für die Bodenformation einer Schulter-Kopf-Schulter-Formation, der umgekehrten oder inversen SKS, gelten die gleichen Merkmale wie bei der oben besprochenen bullishen Variante – analog jeweils umgekehrt. Statt eines Distributionsprozesses läuft der Markt in eine umfassende Akkumulationsphase hinein, einer Umverteilung von Wertpapieren von den »zittrigen« in die »starken« Hände.
Ein interessantes Beispiel für eine solche Akkumulationsphase zeigt der Kursverlauf des US-Unternehmens Caterpillar in Abbildung 95. Im Zuge der Finanzkrise 2008 rutschte der Kurs ordentlich in den
Keller. Eine erste Erholung Ende 2008 erwies sich als Strohfeuer. Die Kurse purzelten Anfang 2009 nochmals drastisch. Von dieser Abwärtsbewegung erholte sich der Kurs jedoch und brach auch im Kopf der Formation den recht steilen Abwärtstrend. Anschließend fiel der Kurs etwas zurück und bildete hierbei die rechte Schulter aus. Die Nackenlinie der umgekehrten SKS verläuft bei diesem Beispiel recht schräg, der Bruch der Nackenlinie erwies sich als gutes Kaufsignal. Beachten Sie bitte, wie dynamisch, mit viel Kraft die Nackenlinie nach oben genommen wird. Zudem zeigt sich auch ein deutlicher Umsatzanstieg bei Ausbruch aus der umgekehrten SKS. Damit war hier ein interessantes Kaufsignal gegeben.
Abbildung 95: Caterpillar von April 2007 bis Ende 2010 – Eine inverse, nicht idealtypische SKS mit nach unten schräg laufender Nackenlinie – chart provided by tradesignalonline.com
Lediglich die Proportionen stimmen nicht. Der zeitliche Umfang der
umgekehrten SKS ist hier sogar ausgedehnter als der gesamte vorherige Abwärtstrend. Auch der Umfang der Kursspanne der inversen SKS ist in etwa gleich der Kursspanne der vorherigen Abwärtsbewegung. Damit war die Aussagekraft durchaus eingeschränkt, das maximal ableitbare Kursziel fraglich. Für eine gute Aussagekraft sprachen hingegen die deutliche Depression im Markt im Kopf der inversen SKS und natürlich das idealtypische Umsatzverhalten.
Letztlich konnte hier nach Bruch der Nackenlinie ein Kauf gewagt werden, denn der der Formation innewohnende Charakter, die Akkumulation in einer depressiven Phase, war gegeben. Innerhalb der Formation wurde ein Abwärtstrend verlassen, nachfolgend wurde ein weiterer Abwärtstrend geknackt und es bildete sich ein neuer Aufwärtstrendkanal. Entsprechend der wichtigen Börsenregel: Gewinne laufen lassen – konnte auch im weiteren Verlauf ein schöner Gewinn erzielt werden. Kursziele waren einerseits die Rückkehrlinie des seit dem Tief konstruierbaren Aufwärtstrendkanals als auch für das beste anzunehmende Szenario das Kursziel aus der inversen SKS. Übung: Zeichnen Sie einmal Abwärts- und Aufwärtstrendlinien oder Kanäle in den Kursverlauf ein.
Eine ebenfalls nicht idealtypische inverse SKS sei nachfolgend in Abbildung 96 vorgestellt. Letztlich bringt nicht immer der lehrbuchhafte Verlauf einer Formation den Erfolg mit sich, sondern eher das richtige Erkennen des Charakters der Formation im Marktkontext.
Abbildung 96: Celesio AG von Januar 2011 bis März 2012 – Komplexe inverse SKS als Bodenbildung – chart provided by Metastock
Im Kursverlauf der Celesio AG bildete sich ein rund halbjähriger Abwärtstrend aus. Nicht ungewöhnlich ist es, wenn nach einem Abwärtstrend der Versuch einer Bodenbildung vorerst in Form einer Seitwärtsbewegung beginnt. Die Marktteilnehmer sind sich unsicher über die weitere Richtung. Kurzfristige Erholungen werden so verkauft und einige Bullen halten dagegen und kaufen eine vermeintliche Unterstützung. So bildete sich eine Range, eine Seitwärtsbewegung aus. Im Kursverlauf der Celesio AG wurde die anfängliche Range von August bis Ende September 2011 jedoch nach unten verlassen. Ein Verkaufssignal. Mit der recht zügigen Erholung und der Rückkehr in die vorherige Range konnte dieses Verkaufssignal als Fehlsignal, als Bärenfalle interpretiert werden. Die Chance auf eine Bodenbildung stieg damit an. Das Vertrauen in
steigende Kurse war jedoch noch nicht wiederhergestellt, immerhin hatte die Aktie zuvor rund die Hälfte ihres Wertes eingebüßt.
Neues Vertrauen in steigende Kurse nach einem derartigen Kurseinbruch bedarf auch der Zeit. So pendelte der Kurs bis zum Ende des Jahres 2011 innerhalb der Range hin und her. Das gesamte Verlaufsmuster seit August 2011 bis Ende 2011 konnte hierbei als umgekehrte SKS interpretiert werden. Eine komplexe umgekehrte Schulter-Kopf-Schulter-Formation mit mehreren linken und rechten Schultern. Die beiden konstruierbaren Abwärtstrendlinien wurden in den rechten Schultern gebrochen, die obere Begrenzung der Range konnte als Nackenlinie bezeichnet werden. Der Ausbruch aus der umgekehrten SKS war somit in Verbindung mit dem Bruch der Trendlinien ein Kaufsignal. Interessant auch hier der kurzfristige Rücklauf an die Nackenlinie nach vorherigem Ausbruch, ein mustergültiger Pullback. Das ableitbare Kursziel wurde erreicht.
Ein weiteres Beispiel für eine umgekehrte SKS ist in Abbildung 97 dargestellt (Währungspaar Euro zum US-Dollar). Innerhalb eines ausgeprägten Abwärtstrendkanals bildete sich eine umgekehrte, allerdings nicht ideale Schulter-Kopf-Schulter-Formation heraus. Denn die Nackenlinie ist nicht horizontal, sondern deutlich abwärtsgerichtet. Innerhalb der SKS wurde ein kurzfristiger, rund viermonatiger Abwärtstrend im Bereich der rechten Schulter getestet und auch mit Bruch der Nackenlinie deutlich gebrochen. Erstes Kursziel war hierbei die Abwärtstrendlinie sowie als zweites Kursziel sodann das aus der inversen SKS ableitbare Aufwärtspotenzial.
Somit konnte auch eingeplant werden, dass der Abwärtstrendkanal verlassen werden könnte. Mithin konnte auch ein drittes Kursziel, entsprechend der nach oben abgetragenen Schwankungsbreite des potenziell verlassenen Trendkanals, konstruiert werden. Letztlich läutete der Bruch der Nackenlinie eine Kehrtwende ein, die nachfolgend in Verbindung mit dem Bruch des langfristigeren Abwärtstrends ein gutes Kaufsignal darstellte. Ein Vorgriff auf die Erläuterung der Candlesticks sei hier erwähnt: Der Bruch der
Nackenlinie mit einer langen weißen Wochenkerze unterstreicht hier das Kaufsignal als aussagekräftig, da eine lange weiße Kerze, die insbesondere einen Widerstand knackt, eine deutliche Stimmungsverbesserung darstellt.
Das Kursziel aus der inversen SKS wurde relativ schnell erreicht. Anzumerken bleibt, dass im besprochenen Beispiel des EUR/USD diese Formation nur eine eher kurzfristige Bedeutung hatte und kein gegenteiliger langfristiger Aufwärtstrend eintrat. Denn einerseits war im Gegensatz zur Schulter-Kopf-Schulter-Formation bei NIKE (Abbildung 82) der Zeitraum des direkt vor der SKS befindlichen Abwärtstrends hier auch kürzer, damit jedoch auch dem Prognosezeitraum entsprechend kurzfristiger. Und andererseits war das Vertrauen in steigende Kurse nach der kräftigen Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar in den vorherigen Jahren noch nicht wiederhergestellt. Erst nach einer längeren Phase der Unsicherheit bis ins Jahr 2002 und mit Ausbruch aus einem langfristigen symmetrischen Dreieck konnte der Euro ab Mitte 2002 wieder zugewinnen (Abbildung 98).
Abbildung 97: Währungspaar EUR/USD von September 1999 bis März 2001 – Candlesticks auf Wochenbasis. SKS im Zeitraum September bis Dezember 2000 – chart provided by tradesignalonline.com
Abbildung 98: Währungspaar EUR/USD von September 1999 bis Juli 2003 – Candlesticks auf Wochenbasis – chart provided by tradesignalonline.com
Einen interessanten Kursverlauf zeigte die Aktie des französischen Medienkonzerns Videndi S.A. im Zeitraum 2008 bis 2016. Im Laufe der Finanzkrise bildete sich ein Abwärtstrendkanal, der erst 2013 verlassen wurde. Von Mitte 2011 bis Mitte 2013 bildeten die Monatskerzen eine inverse Schulter-Kopf-Schulter-Formation (Abbildung 99).
Als Nackenlinie fungierte statt einer horizontalen Widerstandslinie eine Widerstandszone. Mit einer Pendelbewegung um die Abwärtstrendlinie zum Jahreswechsel 2012/2013 und längeren weißen Monatskerzen im Juli, September und Oktober 2013 wurde die inverse SKS vollendet und der Wert konnte weiter zugewinnen. Allerdings wurde das grafisch abgeleitete Kursziel aus der inversen SKS erst nach einem nochmaligen Rücksetzer zum Ende des Jahres
2014 hin erreicht. Die vorherige Nackenlinie (Widerstandszone) wurde sodann zur Unterstützungszone. Nachdem jedoch das Kursziel Mitte 2015 erreicht wurde, setzte wiederum eine Trendwende ein (mit Bruch eines im Chart allerdings nicht eingezeichneten langfristigen Aufwärtstrends wurde diese Trendwende untermauert).
Vorsicht besteht letztlich stets bei nicht idealtypisch ausgeprägten Formationen, bei denen einzelne Merkmale der Definition fehlen. Die Aussagekraft ist sodann eingeschränkt, die ableitbaren Kursziele fragwürdig. Da Trendwende-Formationen jedoch oftmals mit Euphorie im Markt nach Aufwärtstrends oder Depression nach Abwärtstrends auftreten, somit nach Phasen einer Übertreibung im Kursverlauf und die nachfolgenden Reaktionen (Ernüchterung oder Erleichterung) in der Regel dynamisch verlaufen, können auch nicht ideal ausgeprägte Formationen einen Hinweis auf starke Kursbewegungen geben – sofern andere Merkmale im Markt, zum Beispiel mathematisch vom Kursverlauf abgeleitete Indikatoren oder Stimmungsindikatoren auf Über- oder Untertreibungen hinweisen. Hier sei nochmals auf Seite 147 ff. verwiesen und die Anwendung der 200-Tagelinie und deren prozentualer Abstand zum eigentlichen Kurs, um eine Über- oder Untertreibung zu erkennen.
Abbildung 99: Vivendi S.A. von Ende 2005 bis Anfang 2016 – Inverse SKS im langfristigen Bild der Monatskerzen – chart provided by guidants.com
Daneben können aber auch Tageszeitungen und deren Überschriften, als weitere Mosaikbausteine für eine Analyse des Marktes, einen Aufschluss über die allgemeine Stimmung der Börsianer geben. Als Beispiel (Abbildung 100) sei dies am Kursverlauf des 100 Werte umfassenden britischen Leitindex FTSE 100 dargestellt. So fehlt hier ein langfristiger Abwärtstrend – die Zeitspanne der inversen SKS ist deutlich länger als die des vorangegangenen Abwärtstrends. Die inverse SKS somit nicht ideal.
Abbildung 100: FTSE 100 von Ende 2012 bis Mitte 2017 – Inverse SKS im britischen Leitindex – chart provided by guidants.com
Doch schon vor dem britischen Referendum zum Brexit am 23. Juni 2016 war die Stimmung im Markt von Skepsis und großer Unsicherheit geprägt. Unsicherheit mögen die Marktteilnehmer nicht und halten sich in der Regel vor größeren Events zurück. Nachdem jedoch der Brexit beschlossen wurde, fiel die Unsicherheit über die weitere Richtung von den Anlegern ab. Der Londoner Aktienmarkt stieg nach der Entscheidung der Briten zum Brexit kräftig an. Zudem wurden in Verbindung mit einem kräftig fallenden britischen Pfund britische Aktien wieder attraktiv.
Im Markt schienen die Verkäufer zu fehlen – diese hatten sich scheinbar schon vor dem Referendum vom britischen Markt verabschiedet. Unter diesen Aspekten wurde der Ausbruch aus einer inversen SKS im FTSE 100 ein aussagekräftiges Signal. Zudem ließ der Kursverlauf des britischen Pfunds zum US-Dollar (GBP/ USD) auch eine weitere Abwertung des britischen Pfunds erwarten,
nachdem sich im dortigen Kursverlauf im ersten Halbjahr 2016 eine inverse SKS ausgebildet hatte (nach langfristigem Abwärtstrend), die jedoch nach dem Brexit-Referendum als Bodenbildung mit neuen Tiefs hinfällig wurde (Abbildung 101). Mit weiterhin fallenden Kursen im GBP/USD auch mit Ausbruch aus dem Abwärtstrendkanal nach unten konnte so von einer dynamischen Abwertung ausgegangen werden, die wiederum die Exportchancen der britischen Aktien steigern sollte.
Die Stimmung für britische Aktien und somit für den Leitindex FTSE 100 hellte sich zusehends auf. Diese Entwicklung war durchaus prognostizierbar. Technische Analyse erklärt nicht hinterher, was vorher niemand wusste! Als Beispiel sei es erlaubt, auf eine Chartanalyse vom 08. Juli 2016 hinzuweisen, die der Autor mit dem Titel
FTSE 100 – Vollendete inverse SKS!
und der Aussicht eines Kursziels bis circa 7.000 Punkten auf dem Internetportal
www.wallstreet-online.de
veröffentlichte.
Abbildung 101: GBP/USD von Mitte 2014 bis Mitte 2017 – Inverse SKS im ersten Halbjahr 2016 im Währungspaar GBP/USD wurde nach dem Brexit-Referendum als potenzielle Bodenbildung hinfällig. Mit Ausbruch aus dem Trendkanal nach unten ergab sich
weiteres Abwärtspotenzial entsprechend der nach unten abgetragenen Schwankungsbreite des Trendkanals – chart provided by guidants.com
Der Trend am Ende – M- und W-Formationen
M- oder W-Formationen signalisieren das Ende eines Trends und sind daher Trendumkehrformationen. Idealerweise bilden M- oder W-Formationen den Abschluss eines langfristigen Trends.
Merkmale der M- /W-Formation
Kursverlauf:
Bildet zwei Hochs (Tiefs) auf annähernd gleichem Niveau nach einem Auf- oder Abwärtstrend aus.
Abbildung 102: M- und W-Formation – Doppelhoch beziehungsweise ein Doppeltief (double-top/double bottom) nach einem ausgeprägten Trend als Umkehrformationen
Komplexere Formationen mit drei Hochs (Tiefs) werden als dreifaches Hoch (Tief) beziehungsweise triple top
beziehungsweise triple bottom
bezeichnet. Die Unterstützungs- (Widerstands-) linie, die am Korrekturtief (-hoch) zwischen den beiden Hochs (Tiefs) liegt,
wird als Nackenlinie bezeichnet.
Das Volumen nimmt oftmals beim zweiten Hoch in der M-Formation und beim zweiten Tief der W-Formation ab. Der Durchbruch der Nackenlinie bei der M/W-Formation erfolgt mit höheren Umsätzen.
Zeitliche Ausdehnung
: mindestens zwei Wochen bis zu einem Jahr.
Umsatzverhalten
: Das Volumen ist innerhalb der Formation rückläufig. Die Umsätze nehmen beim zweiten Hoch (Tief) ab. Der Durchbruch der Nackenlinie erfolgt mit höheren Umsätzen und bekräftigt dann das Verkaufs- beziehungsweise Kaufsignal.
Charakter
: Die M-Formation stellt meist den Abschluss von primären Trends dar. Innerhalb des ersten Hochs ist im Gesamtmarkt beziehungsweise für den entsprechenden Wert eine Phase der Euphorie der Marktteilnehmer zu beobachten. Bei W-Formationen liegen dagegen eher mittel- bis kurzfristigere Trends vor. W-Formationen, die innerhalb eines übergeordneten langfristigen Aufwärtstrends auftreten, bilden dabei oft den Abschluss einer Korrektur, das Ende eines kurzbis mittelfristigen Abwärtstrend im übergeordneten Bullenmarkt aus.
Signal
: Die Formation ist vollendet, wenn die Nackenlinie durchbrochen wird. Nach Durchbruch erfolgt oftmals ein Pullback.
Kursziel
: Die horizontale Differenz zwischen dem Hoch (Tief) der M- beziehungsweise W-Formation und der Nackenlinie wird nach unten (oben) an der Ausbruchsstelle abgetragen.
Abbildung 103: grafische oder rechnerische Kurszielableitung bei einer M-Formation – Entsprechend umgekehrt bei einer W-Formation
Die Definitionen der vorgestellten Formationen beziehen sich in der Regel auf Charts, die mit Tagesschlusskursen (im Linienchart) oder mit den Eröffnungs-, Hoch-, Tief- und Schlusskursen (zum Beispiel bei Tageskerzen oder Tages-Barchart) erstellt worden sind. Selbstverständlich treten diese Formationen, auch alle anderen Chartformationen, wie schon bei der Schulter-Kopf-Schulter-Formation beschrieben, auch in kurzfristigeren Zeiträumen auf. So können M- oder W-Formationen, Dreiecke, Keile oder auch eine SKS mit entsprechend kurzfristiger Aussagekraft im Swing- oder Day-Trading genutzt werden. Formationen in den sehr kurzfristigen Zeitebenen von zum Beispiel Stundenkerzen bis hin zu den 5-min-Kerzen sind durchaus praktikabel für den erfahrenen Anwender.
Beispiele für M- und W-Formationen
Nachfolgend einige Beispiele für M- und W-Formationen. So bildete sich im Kursverlauf der Südzucker AG nach einer Abwärtsbewegung
ein erstes Tief im November 2016 aus, welches als Unterstützung nochmals im Dezember 2016 bestätigt wurde. Interessant ist hierbei, dass sich nach dem zweiten Tief eine sehr lange weiße Kerze ausbildete, die auf die Kraft der Bullen hinwies.
Abbildung 104: Südzucker AG von September 2016 bis Februar 2017 – W- und eine potenzielle, noch nicht vollendete M-Formation – chart provided by guidants.com
Nachdem Rücksetzer zudem im weiteren Verlauf aufgefangen wurden (lange Lunte an der zweiten schwarzen Kerze nach der sehr langen weißen Kerze) und der Kurs folgend ein Gap (Kurslücke) nach oben ausbildete, pendelte der Wert zwar kurzfristig um die Nackenlinie, doch letztlich konnte sich das positive Szenario weiter durchsetzen (Abbildung 104). So wurde Ende 2016 innerhalb eines langfristigen Aufwärtstrendkanals eine W-Formation nach oben verlassen. Das Kursziel aus der W-Formation wurde erreicht und noch übertroffen, doch die Erholung war von kurzer Dauer. Schon im Januar und Februar 2017 zeigten zwei Hochs auf annähernd
gleichem Niveau deutliche Verkaufsneigung (Widerstandszone) an. Eine sehr lange schwarze Tageskerze Ende Februar stellte nun wiederum die Kraft der Bären dar und signalisierte die Möglichkeit einer Trendwende in Verbindung mit einer potenziellen M-Formation.
Zum Zeitpunkt des dargestellten Kursverlaufs war die M-Formation jedoch noch nicht vollendet – erst der Break der Nackenlinie stellte das Verkaufssignal der M-Formation dar. Als relevant im weiteren Verlauf ist auch das Gap Mitte Januar 2017 zu bewerten. Ein Gap (Kurslücke) ist erst einmal eine klare Kundgebung einer starken Stimmung im Markt – hier einer positiven Stimmungsverbesserung. Im Umkehrschluss wäre im weiteren Verlauf ein Fall unter die Gap-Unterkante sehr negativ, da sich dann die vorherigen Käufer aus dem Markt beziehungsweise dem Wert verabschiedet hätten. In Verbindung mit der potenziellen M-Formation wären so weiterhin fallende Kurse ein deutliches Verkaufssignal. Das negative Szenario setzte sich im weiteren Verlauf auch durch. Die Südzucker-Aktie verlor kräftig und fiel bis Mitte 2017 unter 20 Euro.
Im langfristigen Bild der Südzucker-Aktie (Abbildung 105) wird auch deutlich, dass die M-Formation und deren Tops unter dem Oktober-Hoch 2016 blieben. Das Kaufinteresse nahm ab, das Unvermögen der Bullen, das Oktober-Hoch 2016 zu erreichen und zu knacken, wies auf eine Schwäche im Aufwärtstrend hin. Auch der Umstand, dass die obere Begrenzung des langfristigen Aufwärtstrendkanals Anfang 2017 nicht mehr erreicht werden konnte, stellte eine sich abschwächende Kraft in der Aufwärtsbewegung dar. Eine Vollendung der M-Formation als Verkaufssignal erhielt somit eine hohe Aussagekraft als Verkaufssignal.
Abbildung 105: Südzucker AG von Ende 2014 bis Ende 2017 – Trendwende nach M-Formation – chart provided by guidants.com
Eine typische M-Formation als »historisches« Beispiel können Sie im Chart der adidas-Salomon AG erkennen (Abbildung 106). Hier sind zudem die abnehmenden Umsätze im zweiten Hoch der M-Formation gut ersichtlich. Das Interesse an adidas-Salomon ging zurück, die Mehrzahl der Marktteilnehmer nahm eine abwartende Haltung ein. Ein neues Hoch und damit eine Bestätigung des Aufwärtstrends kamen nicht zustande. Nachdem im weiteren Verlauf die Unterstützungslinie (Nackenlinie) der M-Formation UND der langfristige Trend gebrochen wurden, stieg der Handlungsbedarf extrem an. Mit ausgesprochen hohen Umsätzen stürzte die Aktie innerhalb von zwei Monaten um über die Hälfte ihres Wertes ab. Für den starken Kursrückgang gab es selbstverständlich auch fundamentale Fakten.
Die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung der adidas AG nach der Fusion 1997 mit dem defizitären
Sportartikelhersteller Salomon war der ausschlaggebende Grund für den Verkaufsdruck auch der großen institutionellen Anleger. Im weiteren Verlauf erwies sich die Akquisition des vorwiegend auf den Wintersport fokussierten Unternehmens Salomon als sehr verlustreiches Geschäft. 2005 wurde Salomon wieder verkauft. Der Charttechniker konnte jedoch schon frühzeitig klare Verkaufssignale identifizieren und zum Ausstieg spätestens bei einem Niveau um 140 Euro raten (Anmerkung: Der Euro als »Buch-Währung« trat erst Anfang 1999 in Kraft, der Kursverlauf ist jedoch rückwirkend auch für 1997/98 in Euro angegeben).
In den Folgejahren konnte sich sodann in der adidas-Aktie eine Bodenbildung durchsetzen und im weiteren Verlauf der letzten Jahre ein langfristiger Aufwärtstrend ausbilden. Langfristige Trends bauen Vertrauen in eine Bewegung auf. Insofern ist es stets etwas mit Vorsicht zu betrachten, wenn kurzfristige Formationen auftreten. Diese können, müssen aber nicht zwangsläufig zu einer übergeordneten Trendwende führen. Kurzfristige Korrekturbewegungen sind allerdings einzuplanen.
Abbildung 106: adidas-Salomon AG von September 1996 bis Oktober 1999 – M-Formation als Gipfelbildung – chart provided by Metastock
So zeigte sich in der adidas-Aktie eine M-Formation im Herbst 2016 von August bis Oktober 2016 (Abbildung 107). Rücksetzer wurden jedoch recht zügig aufgefangen, das Kursziel aus dieser M-Formation wurde nicht erreicht und mit neuen Hochs im März 2017 konnte der Wert kräftig zulegen. Eine weitere M-Formation bildete sich jedoch direkt anschließend im März/April 2017, die Anfang Mai 2017 vollendet wurde. Mit Break der Nackenlinie und eines Rückfalls in einen vorherigen kurzfristigen Aufwärtstrendkanal konnte zumindest von kurzfristigen Gewinnmitnahmen mit Test (Berührung) der Aufwärtstrendlinie ausgegangen werden entsprechend der Kurszielableitung aus der M-Formation. Letztlich wurde das Kursziel, die Aufwärtstrendlinie auch erreicht – doch erst nach einer volatilen Pendelbewegung. Die Aufwärtstrendlinie selbst wurde erfolgreich Ende Mai 2017 verteidigt (nicht abgebildet).
Die vorgestellten M-Formationen zeigten daher jeweils nur kurzfristige Bewegungen an, aber noch keine Trendwenden aus langfristiger Sicht. Um sich vor entsprechenden Fehlsignalen zu schützen, kann es sinnvoll sein, die Zeitebenen miteinander zu verknüpfen. Eine Möglichkeit wäre es, die Monatskerzen der Candlesticks zu nutzen. Diese zeigen sehr gut die »Grundstimmung« der Börsianer in einem Markt oder in einer Aktie an. Und die Grundstimmung in der adidas-Aktie war durchaus positiv, lange weiße Monatskerzen, die steigende Kurse darstellten, trafen auf nur vereinzelte kleinere schwarze (negative) Monatskerzen (Abbildung 108).
Abbildung 107: adidas von Mitte 2016 bis Mai 2017 – M-Formationen mit kurzfristiger Aussagekraft – chart provided by guidants.com
Zudem definieren lange weiße Monatskerzen zwei wesentliche Unterstützungsniveaus:
-
Die Mitte einer langen weißen Kerze und
-
das Tief einer langen weißen Kerze stellen relevante Unterstützungsmarken dar.
Sie können in Abbildung 108 erkennen, dass nach Vollendung der M-Formationen in den eher kurz- bis mittelfristigen Tageskerzen zwar Gewinnmitnahmen/ Verkäufe erfolgten (eingekreiste Bereiche in den Monatskerzen stellen die kurzfristigen Bereiche der M-Formationen in den Tageskerzen dar). Doch jeweils im Bereich der Mitte der langen weißen Monatskerzen Juli 2016 und März 2017 wurden »die Hände aufgehalten« (Käufer nutzten schwächere Tage, also Kurs-Rücksetzer, um in den Wert einzusteigen). Für den langfristig orientierten Anleger ist zudem relevant, dass vor allem auch die Tiefs dieser Monate nicht unterschritten wurden. Der lange, vertrauensbildende Aufwärtstrend gepaart mit der positiven Grundstimmung ließ eine Trendwende noch nicht zu.
Abbildung 108: adidas von 2014 bis 2017. Monatskerzen – Eine positive vertrauensbildende langfristige Aufwärtsbewegung – chart provided by guidants.com
Kontext der Trendanalyse
Letztlich gilt es also, die auftretenden Formationen, ob SKS, M- oder W-Formationen, Dreiecke et cetera stets in den Kontext der
Trendanalyse zu stellen sowie relevante Widerstands- oder Unterstützungszonen mit zu beachten. Ein hierfür interessantes Beispiel liefert die Aktie von Microsoft (Abbildung 109).
Nachdem der Kurs in der Finanzkrise 2008 kräftig unter die Räder kam, schloss sich ab 2009 wieder eine Aufwärtsbewegung an, die jedoch Ende 2009 bis Anfang 2010 von einer M-Formation beendet wurde. Diese erhielt wiederum in Verbindung mit den Hochpunkten der Vorjahre (Widerstandszone) als auch aufgrund des hohen prozentualen Abstands (Indikator KAIRI oder Disparitätsindex genannt) zwischen dem Kurs der Microsoft-Aktie und der 200-Tagelinie (moving average simple
) und der somit vorhandenen »überkauften« Chartsituation eine besondere Aussagekraft.
Die Anleger, die den Wert über die Finanzkrise hinaus gehalten hatten, waren unter Umständen erleichtert, ihre Einstiegskurse oder Buchgewinne wiederzusehen und verkauften aus dem Gefühl der Sicherheit. Die Anleger, die wiederum in 2009 sowie der nachfolgenden Aufwärtsbewegung eingestiegen waren, nahmen nun an bekannten Widerstandsmarken ihre Gewinne mit. So setzte sich zum Sommer 2010 eine kurzfristige Abwärtsbewegung ein, das Kursziel aus der M-Formation wurde erreicht oder abgearbeitet, wie der Chartanalyst sagen würde.
Abbildung 109: Microsoft von 2001 bis 2011 – M-Formation beendet 2010 Aufwärtsbewegung – hohe Aussagekraft der M-Formation in Verbindung mit einem hohen positiven Wert eines Indikators (KAIRI oder Disparitätsindex) – chart provided by tradesignalonline.com
Beachten Sie aber stets Folgendes: Sehr wichtig für den Chartanalysten ist es, dass erst der Bruch der Nackenlinie eine M- oder W-Formation auch vollendet. Versuchen Sie bitte nicht, diese Formationen vorwegzunehmen, zu antizipieren. Sie betreten dann gefährliches Pflaster! Kaufen Sie zum Beispiel eine Aktie in der Vermutung, dass sich eine W-Formation bilden könnte, so brauchen Sie dabei durchaus eine Portion Glück. Unter Umständen erweist sich die vorweggenommene W-Formation im weiteren Verlauf als Rechteck mit Ausbruch nach unten. Ebenso könnte sich eine vermeintliche Gipfelbildung als bloße Pause in der Aufwärtsbewegung entpuppen.
So bildeten sich in der Aktie des chilenischen Bergbaukonzerns, der ANTOFAGASTA PLC innerhalb einer Aufwärtsbewegung diverse doppelte Hochs aus, die jedoch keineswegs zur Vollendung einer M-Formation führten (Abbildung 110). Ein frühzeitiger Verkauf oder gar eine Wette auf fallende Kurse wären somit in der Regel nicht optimal gewesen.
Abbildung 110: ANTOFAGASTA PLC von September 2008 bis Februar 2010 – Auf Vollendung einer Formation achten! Erst eine kleine vollendete M-Formation UND der Bruch des langfristigen Aufwärtstrends führten zu einem Ende desselben – chart provided by tradesignalonline.com
Die Aussagekraft einer Formation kann neben Indikatoren (Stichwort zum Beispiel KAIRI beziehungsweise Disparitätsindex) oder mithilfe der Trendanalyse und dem Konzept von Unterstützung und Widerstand auch aufgrund der Reaktion des Marktes nach Bruch der Signallinie bestimmt werden. Fällt die Abwärtsbewegung nach
Bruch der Nackenlinie sehr dynamisch aus in Verbindung mit hohen Umsätzen, entsteht also im Markt recht hoher Handlungsbedarf bei den Börsianern, so darf davon ausgegangen werden, dass sich eine solche Bewegung auch weiter fortsetzt und dass in diesem Falle das negative Verkaufssignal auch eine hohe Signifikanz besitzt.
Als Beispiel sei hierfür der Kursverlauf der ProSiebenSat1 Media SE erläutert (Abbildung 111). Der Wert befand sich seit 2015 in einer Abwärtsbewegung, deren Dynamik sich zum Ende 2016 hin nochmals beschleunigte. Der wiederholte Ausbruch aus dem Abwärtstrendkanal nach unten im November 2016 ließ Panik im Wert aufkommen und ein Ausverkauf setzte ein. Im Dezember 2016 waren die Verkäufer jedoch aus dem Markt gefegt und eine dynamische Erholung konnte sich durchsetzen (V-Formation – Erläuterung nachfolgend). Mit einer Rückkehr (Rebreak
) in den Abwärtstrendkanal konnte sich der Wert anschließend weiter erholen – Ziel wäre hier aus technischer Sicht die Abwärtstrendlinie gewesen. Diese wurde auch nach einer volatileren Pause Anfang 2017 im weiteren Verlauf Ende März 2017 erreicht.
Doch auch in Verbindung mit einer relevanten Widerstandszone – resultierend aus mehreren Tiefs und Hochs 2016 – konnte der Wert die Abwärtstrendlinie nicht mehr nachhaltig knacken. Es bildeten sich zwei Tops, eine M-Formation, die mit einem dynamischen Bruch der Nackenlinie vollendet wurde. Sowohl der Abprall an der relevanten Widerstandszone als auch das Unvermögen, die Abwärtstrendlinie nachhaltig in Verbindung mit der Widerstandszone zu knacken, erhöhten hier die Aussagekraft der M-Formation. Zudem fiel der Wert mit Bruch der Nackenlinie auch wieder deutlich in seinen Abwärtstrendkanal zurück, ein weiteres Schwächeanzeichen. Interessant sind auch der hohe Umsatzanstieg einhergehend mit Bruch der Nackenlinie und auch der nachfolgende Pullback.
Die vorherigen Beispiele der M-Formationen wurden in der Regel mit einem Candlestick-Chart oder einem Barchart dargestellt. Hierbei werden auch die volatilen Bewegungen innerhalb der
gewählten Periode (zum Beispiel Tag oder Woche) aufgezeigt. Trendlinien, Widerstands- oder Unterstützungslinien werden damit auch an die jeweiligen teils extremen Hoch- oder Tiefpunkte angelegt. In den vergangenen Jahren haben sich vor allem als Darstellungsweise die Candlesticks als Standard-Darstellung eingebürgert. Barcharts gerieten hingegen in den letzten Jahren in den Hintergrund und sehr selten werden von Technischen Analysten oder in den Chartanalysen, die in den Medien veröffentlicht werden, auch Liniencharts verwendet.
Dabei kann Ihnen ein Linienchart durchaus wertvolle Hinweise liefern. Ein Linienchart basiert in der Regel nur auf Schlusskursen, die dann als fortlaufende Linie dargestellt werden. Somit wird allerdings das »Rauschen« der Börse, die volatilen Irrungen und Wirrungen innerhalb einer Periode auch geglättet. Die Stimmung an der Börse oder in einem Wert wird so fokussiert auf den Schlusskurs dargestellt. Die »Glättung« der Stimmung kann durchaus in der Suche nach Formationen und Anlagechancen von Vorteil sein.
Abbildung 111: ProSiebenSat1 Media SE von Ende 2015 bis Mitte 2017 – Eine M-Formation (Pfeil) am Abwärtstrend beendet die Korrekturbewegung nach einer V-Formation – chart provided by guidants.com
Linienchart glättet die Stimmung – Vorteil bei Formationen
Ein Linienchart ist in der Regel schneller visuell zu erfassen als ein komplexer Candlestick- oder Barchart. So können sie schneller alle Titel eines Index nach von Ihnen gewünschten Formationen untersuchen. Zudem gilt, dass eine Formation, die im Linienchart deutlich auftritt, oftmals aussagekräftiger ist, als wenn die Formation lediglich im Candlestick- und/oder Barchart definiert werden kann. Sinnvoll ist es sodann, die jeweiligen Chartdarstellungsformen miteinander zu verknüpfen. Finden Sie im Linienchart Formationen, so können die komplexeren Darstellungsformen die Formationen bestätigen und als Timing-Instrument dienen. Ein schönes Beispiel für die Verknüpfung von Linien- und Candlestick-Chart bietet der Kursverlauf der Symrise AG (Abbildungen 112 und 113).
Eine W-Formation im Linienchart zeigte 2009 eine potenzielle Trendwende an. In Verbindung mit einem Candlestick-Chart zeigte sich, dass die Tiefs der W-Formation eine schon bestehende Unterstützung (Luntenspitze) bestätigten. Die W-Formation erhielt somit eine höhere Aussagekraft. Auch der »Farbwechsel« der Candlesticks von vorwiegend negativen, fallenden Kerzen hin zu längeren positiven Kerzen auch nach Vollendung der W-Formation zeigte an, dass sich eine Bodenbildung und Trendwende vollzog. Weiterhin kann natürlich auch eine Analyse des Gesamtmarktes stets sinnvoll sein. Steigt Butter, steigt Käse! So zeigten sich Anfang 2009 in diversen Aktien und Kursverläufen Trendwendemuster, die auf ein Ende der Finanzkrise hindeuteten. Ein Kauf der Symrise-Aktie erschien somit aus charttechnischer Sicht mit W-Formationen im Linien- und Candlestick-Chart als eine erfolgversprechende Investition.
Abbildung 112: Symrise AG von 2007 bis 2010 – Linienchart mit W-Formation – chart provided by tradesignalonline.com
In der Symrise-Aktie kam es nach Vollendung der W-Formation zu keinen kräftigen Rücksetzern mehr, die Nackenlinie der W-Formation fungierte in den darauffolgenden ein bis zwei Wochen als Unterstützung.
Abbildung 113: Symrise AG von September 2007 bis Mitte 2010 – Candlestick-Chart mit W-Formation Anfang 2009 – chart provided by tradesignalonline.com
Es kann allerdings auch anders kommen! So bildete sich 2005 im Kursverlauf der Walt Disney-Aktie nach einem allerdings eher mittel- bis kurzfristigen Abwärtstrend eine W-Formation aus (Abbildung 114). Mit Bruch der Nackenlinie konnte der Wert auch erst dynamisch ansteigen, scheiterte sodann aber an der Abwärtstrendlinie. Auch ein kräftiger Fall unter die Nackenlinie, die nun eine Unterstützung darstellte, mahnte mit einer deutlichen Rückkehr in den Abwärtstrendkanal zur Vorsicht. Anleger, die hier nach Vollendung der Nackenlinie in den Wert eingestiegen waren, sahen ihre Felle davonschwimmen und dürften auch verkauft haben. Erst der nochmalige Ausbruch aus dem Abwärtstrend Anfang 2006 und in Folge ein Anstieg über die Tops im Bereich 26 US-Dollar bei hohen Umsätzen hellte die Chartsituation auf.
Abbildung 114: Walt Disney von Januar 2005 bis April 2006 – Eine W-Formation September/Oktober 2005 im Abwärtstrend – chart provided by tradesignalonline.com
Entsprechende kräftigere Rücksetzer nach einer W-Formation sind durchaus im Abwärtstrend einzuplanen. Auch ist es natürlich immer sinnvoll, bei Aktien deren fundamentale Situation mit zu berücksichtigen und insbesondere bei bestehenden Abwärtstrends nicht nur aus rein charttechnischen Aspekten eine Aktie kaufen zu wollen. Ein mahnendes Beispiel hierfür ist der Kursverlauf der Solarworld AG (Abbildung 115). Diese Modeaktie und Anlegers-Liebling noch in den Jahren 2003 bis 2007 mit deutlich ansteigenden Kursen kam in den Folgejahren unter die Räder. Der Wettbewerbsdruck nagte am Gewinn – mittlerweile ist das Unternehmen pleite und beantragte im Mai 2017 Insolvenz. Die vermeintlichen Bodenbildungen im Kursverlauf als W-Formationen zum Beispiel 2008/2009 (eher die Idee der W-Formation als eine
ideale Ausbildung) oder 2011 erwiesen sich sämtlich als Fehlsignale. Zwar konnten Kurssteigerungen jeweils nach Bruch der Nackenlinien verzeichnet werden. Doch der jeweilige Rückfall unter die Nackenlinie mahnte zur Vorsicht, liegt dann doch auch ein Fehlausbruch, eine »Bullenfalle« im Kursverlauf vor. Ein deutliches Verkaufssignal wiederum stellt der Fall unter ein Tief einer W-Formationen dar.
Letztlich gilt: Vor Fehlsignalen in den Chartdarstellungen eines Barcharts oder auch Candlestick-Charts kann Ihnen die Verknüpfung zwischen der geglätteten Stimmung eines Liniencharts und den anderen Chartformen hilfreich sein!
Abbildung 115: Solarworld AG von 2007 bis 2012 – W-Formationen als Fehlsignale im Kursverlauf als trendbestätigende Muster – chart provided by Metastock
W-Formationen als Trendbestätigung
Das aus der W-Formation nach oben ableitbare Kursziel (Abtragen der Schwankungsbreite der W-Formation an das Ausbruchsniveau) kann im negativen Fall (siehe oben Solarworld) nach unten an das Ausbruchsniveau abgetragen werden. Denn all die Käufer, die hoffnungsvoll innerhalb der W-Formation oder bei Bruch der Nackenlinie in den Wert eingestiegen sind, erhalten eine kalte Dusche und die Ernüchterung über fallende Kurse zwingt sodann in der Regel zu Verkäufen.
W-Formationen können somit auch als »Trendbestätigungs-Formationen« gelten! Sofern das Tief einer W-Formation unterschritten wird, ist der Charakter der Bodenbildung, des Aufbaus von Vertrauen in eine Aktie hinfällig und die Verkäufer übernehmen wieder das Zepter. Wird also, wie im Beispiel der Solarworld-Aktie, die sich in einem übergeordneten Abwärtstrend befand, ein neues Tief generiert, so bestätigt dieses Tief natürlich auch entsprechend der Trenddefinition einen Abwärtstrend oder Abwärtstrendkanal. Im letzteren Falle ist sodann die untere Begrenzung des Trendkanals ein weiteres Kursziel.
Aussagekräftig hingegen sind W-Formationen, die innerhalb eines langfristigen Aufwärtstrend auftreten und eher kurz- bis mittelfristige Korrekturbewegungen beenden.
Betrachten Sie hierzu den Kursverlauf der Kuka-Aktie, eines deutschen Nebenwertes, spezialisiert auf die Herstellung von Robotern für die Industrie und seit 2016 überwiegend in chinesischer Hand (Abbildung 116). In 2011 konnte sich eine Bodenbildung durchsetzen, die sodann in 2012 einen Aufwärtstrend ausbildete. Kurzfristige W-Formationen, die allerdings nicht der idealen Definition eines doppelten Tiefs entsprachen (unter anderem, da deutliche Abwärtstrends fehlten), beendeten Korrekturbewegungen, und der Bruch der Nackenlinien der Formationen versprachen jeweils eine Fortsetzung der Aufwärtsbewegung, die sich Ende 2012 mit Ausbruch aus dem Aufwärtstrendkanal zudem noch beschleunigte.
Abbildung 116: Kuka AG von August 2011 bis Februar 2013 – Nicht ideale W-Formationen als Kaufsignale – chart provided by tradesignalonline.com
Im Chart der US-Software-Aktie Check Point Software auf Wochenbasis (Barchart – Abbildung 117) ergab sich 2010 ein ähnliches Muster, eine W-Formation, die mit zwei markanten Tiefs einen langfristigen Aufwärtstrend berührte als auch kurzzeitig nach unten verließ. Diese W-Formation ist streng genommen eigentlich keine – zumindest nicht nach der herkömmlichen Definition. Doch wie immer man den Kursverlauf bezeichnen möchte. Relevant ist nicht immer die Definition, sondern die Idee, der Charakter einer Formation. Im Beispiel der Check Point-Aktie baute sich nach einem Kurseinbruch und Test des Aufwärtstrends wieder langsam Vertrauen auf und mit Bruch der »Nackenlinie« sowie Rückkehr in den Aufwärtstrendkanal war der Wert bereinigt, die potenziellen Verkäufer aus dem Wert gedrängt und die Chance auf eine
Fortsetzung der Aufwärtsbewegung war gegeben. So konnte die Aktie im weiteren Verlauf auch wieder an das natürliche Kursziel eines Aufwärtstrendkanals ansteigen, an die obere Begrenzung des Trendkanals (Rückkehrlinie).
Am Beispiel der Check Point-Aktie wird jedoch nochmals deutlich: Beachten Sie auch stets die langfristigen Perspektiven und verknüpfen Sie diese mit den mittel- oder kurzfristigen Zeitebenen.
Abbildung 117: Check Point Software von 2008 bis 2010 – Wochenbarchart – Nicht ideale W-Formation als »Idee« und erfolgreichem Test der langfristigen Aufwärtstrendlinie – chart provided by tradesignalonline.com
Ein »historisches« Beispiel aus dem Jahre 1997: Gut zu erkennen ist auch die W-Formation im Chart der Preussag AG (Abbildung 118). Die zeitliche Differenz zwischen den beiden Tiefpunkten von vier Monaten zeigte eine aussagekräftige W-Formation in der Preussag-
Aktie Ende 1996 an. Anfang 1997 wurde das Niveau der Zwischenerholung, die Nackenlinie überschritten. Das Kursziel wurde relativ schnell erreicht, ein zusätzliches Kaufsignal nach dem Bruch der Nackenlinie stellte auch das Überwinden des langfristigen Abwärtstrends dar.
Interessant zudem, dass das erste Tief der W-Formation nur knapp oberhalb der Rückkehrlinie des Abwärtstrendkanals auftrat. Da die Rückkehrlinie, die untere Begrenzung des Trendkanals, nicht mehr erreicht wurde, erhält der Chartanalyst die Information, dass die Kraft der Abwärtsbewegung sich langsam erschöpft haben könnte. Da sodann das zweite Tief das erste Tief als Unterstützung bestätigte und nachfolgend auch eine Kurslücke nach oben gebildet wurde, erhielt die W-Formation in diesem Szenario eine höhere Aussagekraft. Mit Bruch der Nackenlinie war sodann ein Kursziel oberhalb der Aufwärtstrendlinie ableitbar und somit letztlich auch ein zweites Kursziel möglich, die nach oben gespiegelte Schwankungsbreite des Abwärtstrendkanals, das ebenfalls recht zügig abgearbeitet wurde.
Abbildung 118: Preussag AG von 1993 bis 1997 – W-Formation mit Kurslücke und Bruch einer Abwärtstrendlinie, Unterstützung im Bereich der Rückkehrlinie des Abwärtstrendkanals – chart provided by Metastock
An der Börse wechseln sich Phasen der Übertreibung mit Phasen der Untertreibung ab. Im Kursverlauf der Allianz-Aktie wird dieses Phänomen durchaus sichtbar. Im langfristigen Bild der Monatskerzen (Abbildung 119 – eine »Candle« stellt jeweils den Zeitraum eines Monats dar) ist ein langfristiger Aufwärtstrend von 2012 bis Ende 2015 erkennbar, der zum Jahreswechsel 2016 mit zwei längeren schwarzen Monatskerzen im Januar und Februar 2016 verlassen wurde. Zudem kann der Zeitraum von Anfang 2015 bis Anfang 2016 als eine langfristige M-Formation interpretiert werden. Diese wurde mit einem Monatsschlusskurs unter der Nackenlinie im Juni 2016 vollendet. Eine lange schwarze Monatskerze wie im Juni 2016 signalisiert eine bearishe, negative Grundstimmung im Markt. Die Börsianer sind eher depressiv und verkaufen. Auch die vorherige, rund einjährige Pendelbewegung mit Ausbildung der M-Formation lässt die Marktteilnehmer verzagen und die Hoffnung auf steigende Kurse schwindet.
Ein Aufwärtstrend lag im Sommer 2016 nicht mehr vor. Doch mit den nachfolgenden Monaten Juli, August und September 2016 setzte sich die depressive Stimmung nicht mehr fort und der Wert stabilisierte sich. Die M-Formation als langfristiges Trendwendemuster brachte hier keinen weiteren Verkaufsdruck empor. Die negative Grundstimmung noch vom Juni 2016 änderte sich in eine neutrale Verfassung, die sodann umschlug in eine positive Erwartungshaltung mit zwei weißen, positiven Monatskerzen im Oktober und November 2016. Im Oktober 2016 wurde auch der Abwärtstrend geknackt. Der Ausbruch aus der M-Formation erwies sich somit als Fehlsignal, der Markt war bereinigt und die lange schwarze Monatskerze vom Juni 2016 konnte rückblickend als »Sell-off«, als Verkaufspanik klassifiziert werden.
Fehlausbrüche oder Fehlsignale sind in der Chartanalyse ein wertvolles Instrument! Denn hier handelt es sich in der Regel um »Bullen-« oder »Bärenfallen«. Der Markt ist sodann bereinigt und
der Kurs kann sich oftmals dynamisch in die dem Fehlsignal entgegengesetzte Richtung durchsetzen. Im vorliegenden Beispiel zeigen die Monatskerzen die »Grundstimmung« in einem Wert oder Markt an. Für Anlageentscheidungen hingegen wäre die Verknüpfung mit Wochen- oder Tageskerzen zu empfehlen.
Abbildung 119: Allianz von 2012 bis 2019 – Monatskerzen mit langfristiger M-Formation als Fehlsignal – chart provided by guidants.com
Daher werfen wir einen Blick auf die Tageskerzen im Zeitraum August 2015 bis Dezember 2016 (Abbildung 120). Der Kurs verlief innerhalb eines Abwärtstrends, der sich nach dem zweiten Hoch der langfristigen M-Formation ausgebildet hatte. Innerhalb dieses Abwärtstrends ist auch eine »Trendfortsetzungs-SKS« zu erkennen und im Juni/Juli 2016 eine kleine, kurzfristige W-Formation. Da die Tiefs der W-Formation nur knapp oberhalb der unteren Begrenzung eines Abwärtstrendkanals verliefen, deutete dieser Umstand wiederum auf eine Schwäche der Abwärtskraft hin. Die Vollendung der W-Formation gelingt allerdings nicht im ersten Anlauf, doch
auch der nachfolgende Ausbruch aus der Kursbandbreite (Range) von Mitte August bis Oktober 2016 mit Bruch der Abwärtstrendlinie ist positiv zu vermerken. Eine hohe Aussagekraft erhielten diese Kaufsignale dann in Verbindung mit den Monatskerzen, die auf eine Bärenfalle ausgehend von der M-Formation in der langfristigen Perspektive hinwiesen.
Abbildung 120: Allianz August 2015 bis Dezember 2016 – Tageskerzen mit »Trendfortsetzungs-SKS« und einer W-Formation – chart provided by guidants.com
Empfehlung zur M- und W-Formation
M/W-Formationen sind wie alle anderen Formationen auch bei kürzeren Zeitebenen anwendbar. Relevant bleibt letztlich bei allen Formationen, das Verhalten der Masse der Marktteilnehmer zu erkennen. Versuchen Sie stets, nicht einfach schematisch vorzugehen, sondern das der Formation und dem Kursverlauf innewohnende Verhaltensmuster zu identifizieren. Versuchen Sie hierfür, den Kursverlauf mit einfachen Worten zu beschreiben. Eine erste Beschreibung des Kursverlaufs ohne Interpretation hilft Ihnen,
den Zustand des Marktes zu erkennen und sich vor Fehlinterpretationen zu schützen.
Fragen Sie sich zuerst: Was sehe ich? Beschreiben Sie dann ohne Meinung, ohne Wertung den Kursverlauf mit einfachen Worten. Erst anschließend fragen Sie sich dann bitte: Wie ist meine Schlussfolgerung aus der Beschreibung des Kursverlaufs? So können Sie sich davor schützen, etwas in den Chart hineinzuinterpretieren, was Sie unter Umständen gern sehen möchten. Denn ist erst einmal eine Aktie gekauft, so wird der Anleger nach positiven Nachrichten Ausschau halten und negative Nachrichten verdrängen. So wird auch gern in einem Chart eine positive Meinung hinein »gewünscht« – obwohl der Chart vielleicht klar und eindeutig verrät: verkaufen.
So handeln Sie die M- und W-Formation
Beispiele in Lehrbüchern behandeln oftmals die ideal-typischen Formationen und zeigen eher die Theorie an. Die Praxis hält dann Überraschungen vor. Doch ohne einen »theoretischen Unterbau« wird auch ein Praktiker nicht erfolgreich handeln können. Anhand einiger weiterer Beispiele für die M- und W-Formationen sei aufgezeigt, wie diese Formationen gehandelt werden können.
Die nachfolgenden grundsätzlichen Ausführungen können Sie natürlich auch für jede andere Formation nutzen. In Abbildung 121 ist der Kursverlauf der Petro Welt Technologies AG dargestellt – die zum Zeitpunkt der Bildung einer W-Formation noch als C.A.T. Oil AG fungierte. Nach einem knapp halbjährigen Abwärtstrendkanal und Bildung der W-Formation wurde sowohl die Nackenlinie als auch die Abwärtstrendlinie mit einer längeren weißen Tageskerze Mitte Mai 2014 geknackt. Das hieraus ableitbare Kursziel konnte mit circa 20 Euro angegeben werden – entsprechend der Kurszielableitung aus der W-Formation als auch entsprechend der Kurszielableitung nach Ausbruch aus dem Abwärtstrendkanal. Zudem verlief bei circa 20 Euro eine kräftige Widerstandszone.
Abbildung 121: Petro Welt Technologies AG von Ende 2013 bis Mitte 2014 – W-Formation und Bruch eines Abwärtstrends mit einer weißen Tageskerze = Kaufsignal – chart provided by guidants.com
Die lange weiße Tageskerze zeigte hier die Kraft der Bullen an – der Markt hatte sich für ein positives Szenario entschieden. Als Faustregel darf gelten: lange weiße Kerze bricht Widerstand = Kaufsignal. So hätte hier eine erste Position gekauft werden können, die bei einem durchaus zu erwartenden Pullback (Rücklauf an die Nackenlinie) nochmals hätte aufgestockt werden können. Die Dynamik des Ausbruchs führte dann allerdings zu weiteren Kursgewinnen ohne Pullback. Ein Stoppkurs – das heißt eine Änderung in der Annahme weiterhin steigender Kurse – hätte hier unter den vorherigen Luntenspitzen in den Tageskerzen zum Beispiel unter 15,30 oder unter 14,80 Euro gelegt werden können. Mit weiterhin ansteigenden Kursen verminderte sich allerdings das Chance-Risiko-Verhältnis eines Neueinstiegs. Denn mit einem Ziel von circa 20 Euro und weiterem Positionsaufbau bei Kursen über dem Hoch der zweiten weißen Tageskerze nach Ausbruch bei 17,74
Euro sowie Stoppkursen im Bereich der Mitte der ersten Tageskerze (die Mitte einer längeren weißen Kerze stellt in der Regel ein Unterstützungsniveau dar) versprach der Kursverlauf kein überragendes Verhältnis mehr zwischen Risiko und Chance. Insofern hätte die erste Position nicht weiter aufgebaut werden müssen.
Sehr schön zu sehen ist im weiteren Verlauf in Abbildung 122, dass zwar das Ziel von 20 Euro auch erreicht wurde, doch im weiteren langfristigen Verlauf der Wert deutliche Kurseinbußen hinnehmen musste. Daher gilt: Bauen Sie eine Position an erreichten Kurszielen durchaus in Verbindung mit Verkaufssignalen oder Signalen, die auf eine Stagnation hindeuten, auch ab. Laufen Sie den Kursen nicht hinterher. Verpassen Sie einmal den »Zug« oder einen optimalen Einstand, wenden Sie sich anderen Chancen zu. Zusätzlich sind natürlich die fundamentalen Daten zu berücksichtigen und bei der damaligen C.A.T. Oil AG kam es zu einigen Unwägbarkeiten hinsichtlich der weiteren geschäftlichen Entwicklung. Die Anleger nahmen daher Gewinne mit und nutzen den Kursanstieg im Mai und Juni 2014 dazu, um bestehende Positionen abzubauen. Der Kurs fiel anschließend, bis sich Anfang 2016 eine weitere kleine W-Formation bildete.
Abbildung 122: Petro Welt Technologies AG von Oktober 2013 bis Oktober 2016 – Eine W-Formation muss nicht den Beginn einer neuen langfristigen Aufwärtsbewegung darstellen, Chartanalyse ist ein dynamischer Prozess, der einer stetigen Anpassung an das aktuelle Geschehen bedarf – chart provided by guidants.com
Interessant wäre es natürlich stets, die Ausbruchsrichtung aus einer Formation schon vor einem möglichen Ausbruch zu handeln. Sofern man die Zeitebenen miteinander verknüpft, ist es durchaus möglich, im kurzfristigeren Zeitfenster entsprechend kurzfristige Signale umzusetzen. Bildet sich zum Beispiel in den übergeordneten, langfristigen Zeitebenen (Monats-, Wochenkerzen) eine Formation, die jedoch noch im Begriff ist, sich zu entwickeln, so darf der Anleger Ausschau halten nach Signalen in den untergeordneten Zeitebenen (Tages- und Stundenkerzen). Liegt zum Beispiel in den mittel- bis kurzfristigen Zeitebenen eine weitere Formation oder ein Trend vor, so können in den untergeordneten Zeitebenen sodann Kauf- oder Verkaufssignale generiert werden, die zumindest einen Ausbruch aus der übergeordneten Formation andeuten.
Ein sehr schönes Beispiel hierfür liefert der Kursverlauf der BASF-Aktie Ende 2014 Anfang 2015 (Abbildung 123). In den Wochenkerzen bildete sich nach einer Abwärtsbewegung und an einer schon bestehenden Unterstützungszone eine nicht ideale W-Formation aus. Nicht ideal daher, da der vorherige Abwärtstrend einfach zu kurz ist. Doch längere weiße Wochenkerzen mit Break der Nackenlinie bei 76,53 Euro unterstrichen die Kraft der Käufer. Der Wert konnte nicht nur das Kursziel aus der W-Formation erreichen, sondern noch deutlich überbieten, bevor es im April 2015 wieder zu rückläufigen Kursen kam.
Abbildung 123: BASF von November 2012 bis Mai 2015 – W-Formation in den Wochenkerzen – chart provided by Metastock
Die Tageskerzen (Abbildung 124) hingegen bildeten schon Ende 2014 eine kurzfristige kleine W-Formation aus, die nach Vollendung mit Bruch der Nackenlinie bei 71,01 Euro ein Kaufsignal generierte
mit dem Anlageziel 75 bis 76 Euro. Somit war nach Vollendung der kleinen W-Formation zumindest die Chance gegeben, dass sich eine größere W-Formation ausbildet und ein Bruch der dann vorliegenden Nackenlinie bei 76,53 Euro sich eine nochmals kräftigere Aufwärtsbewegung anschließen könnte. Die »kleine« W-Formation bildete hierbei das rechte Tief der »größeren« W-Formation.
Trotzdem gilt natürlich: Antizipieren Sie keine Formation! Zwar ist es legitim, ausgehend von kurzfristigeren Signalen auf die Bildung und eine mögliche Vollendung einer Formation in einem übergeordneten Zeitrahmen zu wetten – doch kurzfristige Signale haben in der Regel eine kurzfristige Wirkung. Vorsicht ist daher natürlich immer anzuraten und im Zweifel gilt, dass man sich stets für sein Depot entscheiden sollte. Depoterhalt ist relevant. An der Börse sollte man sich nie fragen, was man gewinnen kann, sondern stets, was man verlieren könnte.
Abbildung 124: BASF von Juni 2014 bis März 2015 – Kleine W-Formation zum Jahreswechsel 2014/15 deutet die Bildung der größeren W-Formation an – chart provided by Metastock
Vor allem bei Aktien ist zudem nicht nur die charttechnische Perspektive zu beachten, sondern auch zu fragen, wann welche Zahlen zu erwarten sind. So zeigte sich in der Fraport-Aktie Anfang August 2014 eine potenzielle Bodenbildung (Abbildung 125). Die Kurse bildeten ein zweites Tief, doch eine Ablösung nach oben und eine klare Bildung einer W-Formation war noch nicht erkennbar. Die Börsianer warteten vielmehr auf die Bekanntgabe der neuesten Quartalszahlen, die am 07. August 2014 veröffentlicht werden sollten. Nun kann der Anleger jedoch Szenarien ausgehend vom Chartbild entwickeln. Ein Fall unter das bisherige Tief bei 48,78 Euro dürfte sodann weiteres Abwärtspotenzial durchsetzen – ein Anstieg hingegen über 50 Euro eine Erholung an das Zwischenhoch bei 51,30 Euro offerieren und ein Break dieser Marke sodann eine W-
Formation vollenden mit Potenzial in Richtung 54 Euro. Letzteres positive Szenario wäre zudem verbunden gewesen mit der Chance auch weitere Kursgewinne, da dann die gesamte zeitliche Spanne der W-Formation sich als Bärenfalle, als Fehlausbruch unter eine relevante Unterstützung bei circa 51,30 Euro (Ausbildung von November 2013 bis April 2013), entpuppen würde.
Abbildung 125: Fraport von Oktober 2013 bis August 2014 – Vor Bekanntgabe von Zahlen mit drei möglichen Szenarien – chart provided by guidants.com
Doch die Zahlen wurden direkt nach Bekanntgabe negativ aufgenommen (Abbildung 126). Der Wert fiel zuerst – um sich anschließend wieder zu erholen. Eine W-Formation bildete sich jedoch im Kursverlauf zu keinem Zeitpunkt. Anmerkung: In den beiden Charts der Fraport-Aktie ist zusätzlich ein ansteigendes Dreieck eingezeichnet mit entsprechend abgeleitetem Kursziel – auch hier ist gut zu erkennen, dass das Kursziel nicht innerhalb eines adäquaten Zeitrahmens erreicht wurde.
Abbildung 126: Fraport Oktober 2013 bis September 2014 – Nach Bekanntgabe der Zahlen mit kurzfristigen Abgaben – chart provided by guidants.com
Anhand der Fraport-Aktie wird auch deutlich, dass Chartanalyse ein dynamischer Prozess ist. Annahmen über die Richtung von Kursen, Formationen et cetera können sich recht schnell als Trugschluss erweisen, Szenarien werden hinfällig. Insofern kommt es stets darauf an, nicht an einmal getroffenen »Wunsch-Szenarien« festzuhalten, sondern flexibel mit dem Markt mitzuschwingen.
Als Erfolgsfaktor und um die Aussagekraft von Chartanalysen und deren wahrscheinlichstes Szenario zu erhöhen, bietet sich jedoch die Verknüpfung von Zeitebenen an.
Hierzu eine Erläuterung: Ausgehend von den Wochenkerzen und der Trendanalyse konnte noch Anfang Februar 2017 im DAX mit
weiterhin steigenden Kursen ausgegangen werden (Abbildung 127). Ausgehend von einem Tief im Juni 2016 über die Tiefs im November 2016 konnte im deutschen Leitindex ein Aufwärtstrendkanal konstruiert werden. Dessen obere Begrenzung (Rückkehrlinie) stellte hierbei ein Kursziel dar.
Auch die vor allem seit Dezember 2016 überwiegend positiven weißen Wochenkerzen zeigten eine bullishe Grundstimmung im Markt an. Demzufolge war es sinnvoll aus Sicht der lang- und mittelfristigen Perspektive, Rücksetzer grundsätzlich aufzufangen oder kurzfristige Kaufsignale zu beachten, um in den bestehenden übergeordneten Aufwärtstrend einzusteigen.
Zusätzlich konnte nach Ausbruch aus dem breiten Abwärtstrendkanal Anfang August 2016 die Schwankungsbreite des Trendkanals nach oben abgetragen werden. Neben der Rückkehrlinie des Aufwärtstrendkanals stellte somit die Kursziellinie (im Chart gestrichelt dargestellt) ein weiteres Kursziel dar. Die Kreuzung sowohl der Kursziellinie mit der Rückkehrlinie des Aufwärtstrendkanals mit der Widerstandslinie, die aus dem Hoch bei 12.390 Punkten vom April 2015 resultierte, war somit ein zusammengefasstes Kursziel. Die Tageskerzen wiederum bestätigten Anfang Februar 2017 eine Unterstützungszone (Käuferzone) im Bereich 11.500 Punkten. Ein sehr kurzfristiger, korrektiver Abwärtstrend wurde verlassen.
Abbildung 127: DAX von Januar 2015 bis September 2017 – Wochenkerzen mit Aufwärtstrendkanal und Kursziel nach Ausbruch aus dem Abwärtstrendkanal – chart provided by Metastock
Abbildung 128: DAX von Juni 2016 bis Juni 2017 – Tageskerzen bestätigen Anfang Februar 2017 eine Unterstützungszone und ein kurzfristiger Abwärtstrend (korrektiv) wurde verlassen, ein Kaufsignal in Verbindung mit dem Kursziel aus der Trendanalyse – chart provided by Metastock
Die Aussagekraft der Analyse wurde noch durch ein sehr kurzfristiges Kaufsignal in den Stundenkerzen erhöht (Abbildung 129). Hier bildete sich eine kleine W-Formation und der in den Tageskerzen schon sichtbare korrektive Abwärtstrend wurde verlassen mit Break der Nackenlinie der W-Formation. So konnte Anfang Februar der vorherige Rücksetzer – der auch als Marktbereinigung interpretiert werden durfte – gekauft werden, um in Richtung des übergeordneten Ziels von circa 12.390 Punkten zu investieren. Das positive Szenario wäre erst bei einer Rückkehr in den Abwärtstrend sowie folgend mit neuen Februar-Tiefs hinfällig geworden.
Abbildung 129: DAX vom 24. Januar bis 15. Februar 2017 – Stundenkerzen mit W-Formation als Timing-Instrument im übergeordneten Aufwärtstrend der Wochen- und Tageskerzen – chart provided by guidants.com
Eine komplexe Chartanalyse, die auf der Verknüpfung unterschiedlicher Zeitebenen beruht, ist letztlich aussagekräftiger als ein Bild allein. Eine Chartanalyse besteht aus mehreren Mosaikbausteinen, um einen Gesamtüberblick über das Marktgeschehen und die Stimmung an der Börse zu erhalten. Hierfür ist es je nach Geschmack des Anlegers oder Chartisten allerdings nicht unbedingt erforderlich, Monats-, Wochen- und Tageskerzen oder gar Stundenkerzen zu verwenden. Auch die Verknüpfung eines langfristigen Tagesliniencharts mit einem kurzfristigen Tages-Barchart wäre eine weitere Möglichkeit, lohnende Investment- oder Trading-Chancen zu erkennen.
Dreiecke: Ruhe vor dem Sturm – abwartende Unsicherheit
Unsicherheit im Markt über die weitere Richtung ist ein sehr häufiges Verhaltensmuster. Unsicherheit kann hierbei sowohl eine Pause in einer Trendbewegung darstellen als auch oftmals eine Trendwende einleiten. Denn nach einer kräftigen Auf- oder Abwärtsbewegung bedarf es in der Regel einer gewissen Zeit, bis sich im Markt ein Stimmungsumschwung durchsetzen kann. Wird die Phase der Unsicherheit sodann verlassen, entscheidet sich also der Markt in die eine oder andere Richtung, so treten auch die Marktteilnehmer auf den Plan, die bislang an der Seitenlinie dem Marktgeschehen eher zugeschaut haben. Als recht häufige Formationen deuten Dreiecke, ob ansteigende, fallende oder symmetrische sowie umgekehrte Dreiecke generell auf Unsicherheit der Börsianer hin. Die schwankende Erwartungshaltung der Börsianer über die zukünftige Kursrichtung spiegelt sich in Dreiecken wider. Dreiecke treten in allen Zeitebenen auf.
Abbildung 130: Aixtron SE von 2011 bis 2016 – Monatskerzen mit einem langfristig fallenden Dreieck – chart provided by Metastock
Bei rechtwinkligen Dreiecken erfolgt meist ein Ausbruch in Richtung der waagerechten Begrenzung eines Dreiecks, die entweder einen Widerstand bei ansteigenden oder eine Unterstützung bei fallenden Dreiecken darstellt. Diese Annahme resultiert aus den vorherigen höheren Hochs oder tieferen Tiefs eines rechtwinkligen Dreiecks. Zudem können diese Formationen als Pause im intakten Trend interpretiert werden und sind sodann kurzfristiger Natur. Selbstverständlich können sich rechtwinklige Dreiecke auch über mehrere Monate entwickeln und als Trendumkehrformation entpuppen, so über die Jahre 2012, 2013 und 2014 in der Aktie der Aixtron SE. Derartig langfristige Formationen haben in der Regel sehr starke Auswirkungen bei einem Ausbruch (Abbildung 130).
Abbildung 131: Rational AG von 2010 bis 2019 – Zwei ansteigende Dreiecke als Trendfortsetzungsmuster – chart provided by guidants.com
Bei allen Formationen gilt jedoch, dass der Marktkontext, die Trendsituation, nicht außer Acht gelassen werden sollte. So bildete sich im SDAX-Wert Rational AG über 2013 bis 2015 (Abbildung 131) nach einem ausgeprägten Aufwärtstrend ein ansteigendes Dreieck, das sehr kurzfristig Ende 2015 erst nach unten verlassen wurde. Dieses Verkaufssignal wurde allerdings von den Marktteilnehmern nicht angenommen und entpuppte sich sehr zügig als Bärenfalle, als technischer Fehlausbruch mit der Konsequenz kräftig steigender Kurse und eines Ausbruchs aus dem Dreieck nach oben. Diese Entwicklung war mit Rückkehr (Rebreak
) in das Dreieck prognostizierbar! Sowohl das Kursziel aus dem Dreieck als auch die obere Begrenzung des nun konstruierbaren langfristigen
Aufwärtstrendkanals als zweites Kursziel wurden erreicht.
Nach einer Euphorie-Situation (Ausbruch aus dem langfristigen Aufwärtstrendkanal nach oben) setzte jedoch ab Anfang 2016 eine Konsolidierung ein, die wiederum ein zweites langfristiges ansteigendes Dreieck hervorbrachte. Der Ausbruch aus diesem Dreieck Mitte 2017 erwies sich nochmals als übergeordnetes Kaufsignal mit steigenden Kursen. Doch zu beachten war, dass der Kursverlauf ebenso wie Anfang 2016 nochmals aus dem Trendkanal nach oben ausbrach (Euphorie). Demzufolge war nach Abarbeitung des Kursziels aus dem Dreieck auch durchaus mit neuerlichen Gewinnmitnahmen zu rechnen. Ende 2017 wurde so die Luft vorerst »dünner«.
Abbildung 132: Goldpreis in USD vom 18. Mai bis 30. Mai 2017 – Symmetrisches Dreieck in den Stundenkerzen – chart provided by guidants.com
Symmetrische Dreiecke spiegeln die im Markt bestehende Unsicherheit noch drastischer wider. Bei einem symmetrischen, also zulaufenden Dreieck, nehmen die Marktteilnehmer langsam eine abwartende Haltung ein und warten auf eine Entscheidung. Allgemein gilt, dass sich natürlich die Trend- und Formationsanalyse auch für die sehr kurzfristigen Zeitebenen des »Day-Trading« eignet. So können vor allem Dreiecke nicht nur in den mittel- bis langfristigen Zeitebenen der Tages-, Wochen- oder gar Monatskerzen verwendet werden, sondern auch in den Stundenkerzen oder noch kurzfristigeren Zeiträumen. In Abbildung 132 sehen Sie den Goldpreis auf Stundenbasis. Jede Kerze umfasst also den Zeitraum einer Handelsstunde. Im Kursverlauf bildete sich ein symmetrisches Dreieck, welches sodann recht dynamisch mit weißen Stundenkerzen nach oben verlassen wurde. Für den kurzfristigen Händler ein Kaufsignal.
Abbildung 133: DAX von September 2012 bis November 2013 – Tagesbarchart. Umgekehrtes (inverses) Dreieck mit Fehlausbruch nach oben und nachfolgend deutlichen Kursverlusten. Doch eine langfristige Trendwende trat nicht ein – chart provided by Metastock
Bei einem umgekehrten symmetrischen Dreieck (inverses Dreieck) hingegen nimmt die Unsicherheit deutlich im Zeitablauf zu und zerstört eher das Vertrauen in einen Trend. Daher ist das umgekehrte Dreieck häufig ein Trendumkehrmuster mit Fehlausbrüchen nach oben nach einem Aufwärtstrend.
Chartanalyse funktioniert – und doch sollte der geneigte Leser stets auf Überraschungen vorbereitet sein. Vorsicht ist in der Praxis durchaus angebracht. Denn letztlich gilt: »Handle, was Du siehst!« Bildet sich im Kursverlauf ein umgekehrtes Dreieck, so wie in der Abbildung 133 im DAX von Anfang 2013 bis Mitte 2013, mit einem Fehlausbruch nach oben, so besteht selbstverständlich
entsprechend der Statistik und Erfahrung des Chartanalysten eher die Möglichkeit deutlich fallender Kurse und einer Trendwende.
Doch im vorliegenden Beispiel konnte sich der deutsche Leitindex nach einer ersten kräftigen Abwärtsbewegung an der 200-Tagelinie stabilisieren und sich von dort aus wieder erholen. Ende 2013 wurden gar neue Tops im DAX erzielt. Chartanalyse ist daher immer ein dynamischer Prozess – Annahmen werden getroffen und bei Vorlage neuer Erkenntnisse, die ein Festhalten an der ursprünglichen Annahme verhindern, über Bord geworfen. Verhält sich der Kursverlauf nicht wie erwartet, sollte der Anleger seine Analyse stets überdenken und alternative Szenarien einplanen.
Relevant ist es bei Dreiecken (und allen Formationen, die Unsicherheit darstellen), dass die Hoch- und Tiefpunkte alternierend sind. Erst die Pendelbewegung macht ein Dreieck aus, denn die volatilen Bewegungen spiegeln die Unsicherheit des Marktes wider. Diese Unsicherheit ist bei symmetrischen Dreiecken in der Regel noch stärker ausgeprägt als bei rechtwinkligen Dreiecken.
Dreiecke sind sehr häufige und aussagekräftige Formationen. Die unterschiedlichen Ausprägungen der Dreiecke werden nachfolgend einzeln erläutert.
Rechtwinkliges ansteigendes Dreieck (ascending triangle)
– die Kaufneigung nimmt zu
Ein rechtwinkliges, ansteigendes Dreieck ist als eine trendbestätigende Formation innerhalb eines Aufwärtstrends und als eine Trendumkehrformation innerhalb eines Abwärtstrends zu interpretieren. Dies ist eher eine Faustregel, denn das eigentliche Richtungssignal ergibt sich erst bei Ausbruch aus dem Dreieck.
Die untere Begrenzung des Dreiecks stellt per Definition keine Trendlinie dar, da keine neuen Hochpunkte vorliegen. Die obere Begrenzung ist eine Widerstandslinie. Gegen diese rennen die Bullen an und kaufen im Verlauf auf stets höheren Tiefs nach. Damit besteht
die höhere Chance auf einen Ausbruch nach oben (Kaufsignal) über den Widerstand. Ein Verkaufssignal ergibt sich natürlich bei Break der unteren Begrenzung.
Abbildung 134: Ansteigendes Dreieck
Merkmale des rechtwinkligen, ansteigenden Dreiecks
Kursverlauf:
Das rechtwinklige, ansteigende Dreieck weist mindestens zwei Hochpunkte auf annähernd gleichem Niveau sowie mindestens zwei Tiefpunkte auf. Das zweite Tief liegt höher. Wichtig:
Die Hoch- und Tiefpunkte wechseln sich ab.
Zeitliche Ausdehnung:
zwei Wochen bis zu mehrere Jahre. Dreiecke sind generell aber auch bei kürzeren Zeitebenen, so im Day- oder Swing-Trading zum Beispiel auf Basis von Stundencharts anwendbar.
Umsatzverhalten:
Das Volumen stagniert oder ist innerhalb der Formation rückläufig. Der Ausbruch aus einem Dreieck erfolgt mit höheren Umsätzen und bekräftigt das jeweilige Richtungssignal.
Charakter:
Ein Dreieck stellt vor allem eine Phase der Unsicherheit im Markt dar. Das rechtwinklige, ansteigende Dreieck zeigt jedoch ein leichtes Übergewicht der Bullen und somit die Chance auf einen Ausbruch nach oben an.
Besonderheiten:
Das Dreieck verliert an Bedeutung, wenn die Kurse in die Spitze des Dreiecks und somit in das letzte Viertel der zeitlichen Gesamtausdehnung des Dreiecks hineinlaufen. Die vorherrschende Unsicherheit setzt sich in diesem Szenario einfach weiter fort, ohne dass sich der Markt entscheidet.
Signal:
Das Dreieck ist erst bei Ausbruch vollendet. Ein Ausbruch nach oben generiert ein Kaufsignal, ein Ausbruch nach unten ein Verkaufssignal. Nach Ausbruch erfolgt oftmals ein Pullback.
Kursziel:
Die Kurszielbestimmung kann
auf zweierlei Weiseerfolgen. Bei der ersten Methode wird die horizontale Differenz zwischen dem zweiten Punkt des Dreiecks und der gegenüberliegenden Begrenzung an das Ausbruchsniveau abgetragen. Die zweite Möglichkeit der Kurszielbestimmung ergibt sich aus der Trendanalyse. Denn bei einem Ausbruch über den Widerstand entsteht ein neues Hoch. Damit kann dann die untere Begrenzung des Dreiecks als Aufwärtstrendlinie definiert werden und mit ihr ein Aufwärtstrendkanal konstruiert werden. Dessen Rückkehrlinie stellt das hieraus ableitbare Kursziel dar.
Abbildung 135: Kurszielbestimmung bei einem rechtwinkligen, ansteigenden Dreieck mithilfe der Trendanalyse
Anmerkung zur Kurszielbestimmung entsprechend der Schwankungsbreite des Dreieck: Die Chartanalysten sind sich nicht immer einig, ob der erste oder der zweite Punkt eines Dreiecks (oder auch anderer Formationen wie zum Beispiel eines Keils oder eines Wimpels) zur Kurszielbestimmung herangezogen werden sollte. Nach meiner Auffassung beginnt jedoch das eigentliche Dreieck erst mit dem zweiten Punkt. Die »zweite« Linie der Formation kann erst
am zweiten Punkt angelegt werden – somit ist der erste Punkt nicht sinnvoll, um eine mögliche »Energie« beziehungsweise Handlungsnotwendigkeit der Masse der Marktteilnehmer, die sich innerhalb der Formation aufbaut und bei Ausbruch entlädt, abzuschätzen. Letztlich müsste die zweite Linie nach links verlängert werden, um eine mögliche Schwankungsbreite der Formation ausgehend vom ersten Berührungspunkt zu ermitteln.
Doch ebenso wie bei Trendkanälen ist es methodisch nicht korrekt, Trendlinien als auch Begrenzungslinien von Formationen nach links zu verlängern. Denn als Chartanalyst wollen wir die Stimmung des Marktes einfangen, wir wollen erkennen, in welchem Zustand sich unser »manisch-depressiver Patient« befindet. Ist er unsicher? Oder doch euphorisch oder eher zu Tode betrübt? Im Dreieck und auch anderen Formationen kristallisiert sich die Stimmung erst im weiteren Zeitablauf nach Beginn einer Formation.
Abbildung 136: RWE von Juni bis Dezember 1998 – Ansteigendes Dreieck mit Ausbruch nach unten in Richtung der vorherigen Abwärtsbewegung – chart provided by Metastock
In der Regel signalisieren ansteigende Dreiecke ein bullishes Szenario. Dies ist jedoch keine Garantie dafür, dass es nicht anders kommen könnte. Bei der RWE-Aktie trat nach einem kurzfristigen Abwärtstrend im Oktober 1998 ein ansteigendes Dreieck auf, das nach unten aufgelöst wurde (Abbildung 136). Auch ein sehr langfristiges ansteigendes Dreieck 2007 markierte das Ende einer langfristigen Aufwärtsbewegung im DAX (Abbildung 137). So bildete sich vor der Finanzkrise 2008 im DAX ein recht langgezogenes Dreieck seit Juli 2007 aus sowie eine ideale kurzfristige M-Formation mit Nackenlinie bei 7.777 Punkten von Ende November bis Anfang Januar 2008 aus. Der Ausbruch aus dieser kurzfristigen M-Formation nach unten war hier ein erstes Verkaufssignal mit Kursziel »untere Dreiecksbegrenzung«.
Abbildung 137: DAX von März 2007 bis Mai 2008 – Eine kurzfristige M-Formation (welche allerdings erst den zweiten oberen Berührungspunkt des langfristigen Dreiecks bildet) innerhalb eines ansteigenden Dreiecks. Ein Vorbote für eine drastische
Abwärtsbewegung – chart provided by tradesignalonline.com
Das heißt, der Anleger hätte schon Anfang 2008 nach Vollendung der M-Formation einerseits auf fallende Kurse wetten oder andererseits Gewinne der Vorjahre absichern können. Der dynamische Bruch des langfristigen Dreiecks verhieß sodann weitere Kursverluste. Aufgrund der vorherigen kurzfristigen M-Formation konnte jedoch schon zuvor ein entsprechender kräftiger Kursverfall prognostiziert werden – entsprechend der Kurszielableitung der M-Formation war durchaus mit einem Ausbruch aus dem Dreieck mit Kursen in Richtung 6.600 Punkten zu rechnen. Die Verknüpfung der Zeitebenen, die Verknüpfung von zum Beispiel Tagesmit Wochencharts oder Stunden- mit Tagescharts ist letztlich ein Erfolgsfaktor an der Börse. Kurzfristige Signale und kurzfristige Formationen können somit die Entstehung einer langfristigen Formation sowie die Ausbruchsrichtung aus einer übergeordneten Formation andeuten oder entsprechend den Kurszielableitungen der kurzfristigen Formationen gar prognostizieren.
Handeln Sie, was Sie sehen!
Grundsätzlich gilt: Ansteigende Dreiecke nach einem Aufwärtstrend sind in der Regel Trendfortsetzungsformationen. Doch wie schon im obigen Beispiel des DAX 2007/2008 gut erkennbar, rennen die Bullen gegen einen Widerstand an, und ein Scheitern nach oben verspricht dann eher fallende Kurse.
Abbildung 138: C.H. Robinson Worldwide von März 2010 bis August 2011 – Ansteigendes Dreieck (mit leicht fallender oberer Begrenzung) mit Ausbruch nach unten – chart provided by tradesignalonline.com
Vor allem kurzfristige »Bullenfallen« sind zu beachten. Sofern die obere Begrenzung eines ansteigenden Dreiecks zwar nach oben verlassen wird, nachfolgend aber die Optimisten und somit Anschlusskäufe fehlen UND der Kurs wieder in das Dreieck zurückfällt, besteht eher die Aussicht auf deutlich fallende Kurse. Dementsprechend gilt, dass Sie als Anleger stets das handeln sollten, was Sie sehen! Auch Statistiken oder Lehrbuch-Meinungen über die Signalqualität von Formationen helfen im praktischen Alltag eines Börsianers nicht immer weiter. Nur der Markt hat Recht!
So bildete sich in der US-Aktie C.H. Robinson Worldwide Inc. in 2011 ein Dreieck aus (Abbildung 138). Die obere Begrenzung konnte entweder als Widerstandszone oder als leicht fallende
Begrenzungslinie konstruiert werden. Diese wurde im Sommer 2011 kurzfristig nach oben verlassen, doch nachfolgend erfolgte ein Bruch der unteren Dreiecksbegrenzung. In Verbindung mit dem Unvermögen der Bullen, den Wert nach oben zu treiben, war der Ausbruch aus dem Dreieck nach unten sodann ein relevantes Verkaufssignal, welches zudem mit einem kräftigen Abwärtsgap (Kurslücke nach unten) an Aussagekraft gewann.
Rechtwinklig fallendes Dreieck (descending triangle)
– die Unterstützung hält?
Das rechtwinklige, fallende Dreieck weist die gleichen Merkmale auf wie das ansteigende Dreieck – nur eben umgekehrt. Es sollte daher mindestens zwei Tiefpunkte auf annähernd gleichem Niveau sowie mindestens zwei Hochpunkte aufweisen. Das zweite Hoch liegt tiefer. Es gilt als eher trendbestätigende Formation innerhalb eines Abwärtstrends und als eine Trendumkehrformation innerhalb eines Aufwärtstrends. Denn die untere Begrenzung stellt nun eine Unterstützung dar, gegen die die Bären Sturm laufen. Das Risiko eines Ausbruchs nach unten ist aufgrund der fallenden Hochpunkte (Übergewicht der Bären) innerhalb des Dreiecks größer als ein Ausbruch nach oben. Beachten Sie aber stets: Ein Signal ergibt sich erst bei Ausbruch aus dem Dreieck.
Abbildung 139: Fallendes Dreieck
Die Kurszielbestimmung erfolgt ebenso wie bei einem rechtwinkligen ansteigenden Dreieck entweder aufgrund der Schwankungsbreite des Dreiecks – abgetragen an das Ausbruchsniveau oder entsprechend der Trendanalyse. Bei einem Fall unter die Unterstützung entsteht ein neues Tief. Damit kann dann die obere Begrenzung des Dreiecks als Abwärtstrendlinie definiert werden und mit ihr ein Abwärtstrendkanal konstruiert werden. Dessen Rückkehrlinie stellt sodann ein weiteres Kursziel dar.
Rechtwinklige, fallende Dreiecke – oder kurz lediglich fallende Dreiecke genannt – eignen sich sowohl für die sehr kurzfristige Analyse, bis hin zum »Day-Trading«, als auch für die langfristige Chartanalyse eines konservativen Anlegers.
Abbildung 140: E.ON von 2003 bis 2011 – Fallende Dreiecke als langfristige Gipfelbildungen nach Aufwärtsbewegungen – chart provided by guidants.com
Ein Beispiel für die Anwendung von fallenden Dreiecken präsentiert der Kursverlauf der E.ON SE von 2003 bis 2011 (Abbildung 140). Ein fallendes Dreieck von Anfang 2008 bis September 2008 zeigte eine potenzielle Gipfelbildung nach einem sehr langfristigen Aufwärtstrend an. Zudem prallte der Kurs zum Jahreswechsel 2007/2008 an der oberen Begrenzung eines Aufwärtstrendkanals nach unten ab und der Kurs lief sodann unter kräftigen
Schwankungen seitwärts aus dem Trendkanal heraus – unter Bildung des fallenden Dreiecks.
Mit Ausbruch aus dem Dreieck wurde die Gipfelbildung vollendet und die Kursziele aus dem Dreieck wurden abgearbeitet. Sowohl die nach unten abgetragene Schwankungsbreite des Dreiecks als auch die untere Begrenzung des Abwärtstrendkanals, der sich unter der Annahme, dass die obere Begrenzung des Dreiecks mit neuen Tiefs auch eine Abwärtstrendlinie darstellte. Im Zuge der Finanzkrise rutschte der Wert zudem weiter abwärts. Die nachfolgende Erholung in 2009 wurde wiederum mit einem leicht fallenden Dreieck von August 2009 bis Mai 2010 mit einem Verkaufssignal nach Ausbruch aus diesem zweiten Dreieck nach unten beendet.
Langfristig fallende Dreiecke spiegeln in der Regel sehr aussagekräftig die zunehmend abwartende Tendenz der Marktteilnehmer wider. So bildete sich im Kursverlauf von Cisco Systems über mehrere Jahre hinweg ein fallendes Dreieck (Abbildung 141). Eingeschlossen war hier auch die Finanzkrise 2008. Nachdem sich die Aussichten für den Wert 2012/2013 aufhellten, war letztlich der Ausbruch aus dem langfristigen Dreieck auch ein langfristig wirkendes Kaufsignal. Der Wert konnte in den vergangenen Jahren seit Ausbruch kontinuierlich ansteigen und seinen Wert verdoppeln. Das aus dem Dreieck ableitbare Kursziel wurde bis Mitte 2018 allerdings nur knapp erreicht. Relevant ist im dargestellten Chart, dass der Wert Ende 2017/Anfang 2018 an der oberen Trendkanalbegrenzung stoppte. Somit konnte der langfristig orientierte Anleger hier auch Teilgewinne knapp unter dem Kursziel aus dem langfristigen Dreieck aktiv mitnehmen oder Stoppkurse gestaffelt nachziehen.
Bildet sich im Kursverlauf ein langfristiges Dreieck aus, so kann der Anleger natürlich schon innerhalb des Dreiecks bei einem Bruch eines eher kurz- bis mittelfristigen Abwärtstrends auch auf einen Test der oberen Begrenzung des langfristigen Dreiecks spekulieren. Hierbei muss aber der Anleger stets im »Hinterkopf« behalten, dass schnelle Richtungswechsel innerhalb eines Dreiecks aufgrund der
vorhandenen Unsicherheit, die das Dreieck ja widerspiegelt, stets auftreten können. Eine klare Risikobegrenzung durch Stoppkurse und Gewinnabsicherungen sind daher oberste Pflicht des Anlegers!
Abbildung 141: Cisco Systems von 2007 bis 2019 – Langfristiges fallendes Dreieck – chart provided by guidants.com
Ein weiteres Beispiel für ein langfristiges fallendes Dreieck: Abbildung 142 – Bayer AG. Der Kursverlauf spiegelt Unsicherheit durch hohe und schnelle Schwankungsbewegungen seit April 2017 bis Januar 2018 (rechtes Dreieck im Chart) wider. Die Unsicherheit im Markt über die weitere Richtung der Aktie entwickelte sich vor allem nach Bruch eines Aufwärtstrends im Sommer 2017. Anfang Februar 2018 kam es sodann bei höheren Umsätzen zu einer kräftigen Abwärtsbewegung, die wiederum im April 2018
aufgefangen wurde. Das Kursziel aus dem fallenden Dreieck wurde nach Ausbruch nicht mehr erreicht. Doch die nachfolgende Erholung stoppte im Bereich der unteren Dreiecksbegrenzung, die nun statt einer Unterstützung als Widerstandszone zu betrachten war. Letztlich war der Ausbruch aus dem Dreieck nach unten ein Verkaufssignal. Interessant im Kursverlauf der Bayer-Aktie ist auch der vorherige Zeitraum vom Juni bis Dezember 2017.
Abbildung 142: Bayer AG von Dezember 2015 bis Juni 2018 – Symmetrisches und fallendes Dreieck – chart provided by Metastock
Hier entwickelte sich ein symmetrisches Dreieck (erstes Dreieck im Chart). Nach Ausbruch aus dieser Formation zum Jahresende 2017 konnte die Bayer-Aktie kräftig ansteigen und innerhalb eines Aufwärtstrendkanals auch das Kursziel aus dem symmetrischen Dreieck deutlich übertreffen. Beachten Sie: Das Umsatzverhalten innerhalb der hier dargestellten beiden Dreiecke entspricht nicht
unbedingt dem idealen Verlauf. Umsatzanstiege bei Ausbruch zeigten allerdings Handlungsbedarf im Markt an und erhöhten so die Aussagekraft der jeweiligen Kauf- und Verkaufssignale. Das symmetrische Dreieck wird im nachfolgenden Abschnitt behandelt.
Symmetrisches Dreieck – der Markt schaut zu
Das symmetrische Dreieck ist eine trendneutrale Formation.
Im symmetrischen Dreieck drückt sich die schwankende und deutlich unsichere Erwartungshaltung der Börsenakteure über die zukünftige Marktrichtung aus. Innerhalb eines symmetrischen Dreiecks herrscht eine Pattsituation zwischen Angebot und Nachfrage vor. Die Schwankungsbreite nimmt jedoch kontinuierlich ab, die Börsenakteure nehmen eine zunehmend abwartende Haltung ein. Die Unsicherheit über die weitere Richtung bleibt jedoch bestehen. Daher ist bei dieser Formation die Richtung des Ausbruchs vollkommen im Unklaren. Ein Ausbruch erfolgt sodann allerdings oftmals dynamisch, da bei Ausbruch sich der Markt entscheidet und die abwartenden Marktteilnehmer mit Ausbruch wieder aktiv werden.
Abbildung 143: Symmetrisches Dreieck
Merkmale des symmetrischen Dreiecks
Kursverlauf:
Das symmetrische Dreieck weist mindestens zwei Tiefpunkte sowie mindestens zwei Hochpunkte auf. Das zweite Tief liegt höher als das vorangegangene Tief und das zweite Hoch notiert unter dem ersten Hoch. Achten Sie besonders darauf, dass sich die Hoch- und Tiefpunkte abwechseln – die Pendelbewegung steht für den Charakter der Formation, die Unsicherheit im Markt.
Zeitliche Ausdehnung:
zwei Wochen bis zu mehrere Jahre.
Umsatzverhalten:
Das Volumen stagniert oder ist innerhalb der Formation rückläufig. Der Ausbruch aus einem Dreieck erfolgt mit höheren Umsätzen und bekräftigt dann das jeweilige Richtungssignal.
Charakter:
Da aufgrund von fallenden Hoch- und steigenden Tiefpunkten weder die Bullen noch die Bären ein Übergewicht im Markt haben, stellt das symmetrische Dreieck eine umfassende Phase der Unsicherheit im Markt dar. Mit zunehmender Dauer dieser Phase halten sich immer mehr Marktteilnehmer zurück, die Schwankungsbreite nimmt ab.
Besonderheiten:
Das Dreieck verliert vollkommen an Bedeutung, wenn die Kurse in die Spitze des Dreiecks und somit in das letzte Viertel der zeitlichen Gesamtausdehnung des Dreiecks hineinlaufen.
Signal:
Das Dreieck ist erst bei Ausbruch vollendet. Ein Ausbruch nach oben generiert ein Kaufsignal, ein Ausbruch nach unten ein Verkaufssignal. Nach Ausbruch erfolgt oftmals ein Pullback.
Kursziel:
Die horizontale Differenz zwischen dem zweiten Punkt des Dreiecks und der gegenüberliegenden Begrenzung wird an das Ausbruchsniveau abgetragen.
Symmetrische Dreiecke sind in der Regel sehr aussagekräftige Formationen. Die Unsicherheit der Marktakteure über die weitere Richtung, die sich im Dreieck widerspiegelt, baut über den Zeitraum des Dreiecks auch Handlungsnotwendigkeiten bei den Akteuren auf. Diejenigen, die sich innerhalb des Dreiecks auf steigende Kurse vorbereitet haben, sehen sich bei einem Ausbruch nach oben bestätigt und bauen sodann Positionen auf oder kaufen nach – die Pessimisten hingegen müssen ihre Wetten auf fallende Kurse glattstellen. So wird die Aufwärtsbewegung noch unterstützt.
Im umgekehrten Fall eines Ausbruchs nach unten mit fallenden Kursen setzt auch eine erste Panikreaktion bei den Optimisten ein. Positionen mit Wetten auf steigende Kurse oder bestehende Longpositionen werden verkauft. Der Abgabedruck steigt somit eher
an. Auch fühlen sich die Bären in ihrer Einschätzung bestätigt und verkaufen unter Umständen nochmals den Markt beziehungsweise gehen Wetten auf fallende Kurse ein. Symmetrische Dreiecke eignen sich zudem hervorragend als Richtungsgeber in allen Zeitebenen. So sind auch sehr langfristige Zeiträume mit symmetrischen Dreiecken aussagekräftig, ebenso können diese Formationen in den sehr kurzfristigen Zeitebenen, so zum Beispiel Stundenbis 5-Minuten-Kerzen angewendet werden.
Ein Beispiel: Im Währungspaar EUR/USD bildete sich in den Monatskerzen, die die sehr langfristige Perspektive darstellen und auch die »Grundstimmung« in einem Markt wiedergeben, in den Jahren 2009 bis 2014 ein symmetrisches Dreieck aus (Abbildung 144). Die kräftigen Schwankungen im Währungspaar spiegelten die übergeordnete Verunsicherung der Devisenhändler über die weitere Entwicklung des Euro gegenüber dem US-Dollar wider. Mit alternierenden Hochund Tiefpunkten Ende 2009, Mitte 2010, Mai 2011 und Juli 2012 passten auch die zeitlichen Proportionen, die ein aussagekräftiges Dreieck ausmachen. Nach dem vierten Berührungspunkt im Juli 2012 konnte sich eine mehrmonatige Aufwärtsbewegung, ein Aufwärtstrendkanal innerhalb des Dreiecks durchsetzen. Mit Bruch dieses Aufwärtstrendkanals mit einer schwarzen Monatskerze und in Folge weiterer schwarzer Monatskerzen war zumindest ein Test der unteren Dreiecksbegrenzung in 2014 zu erwarten. Der dann erfolgte Ausbruch aus dem Dreieck im Dezember 2014 mit einer weiteren längeren schwarzen Monatskerze war somit ein übergeordnetes Verkaufssignal.
Entsprechend der Kurszielableitung aus dem Dreieck (Schwankungsbreite des Dreiecks gemessen am zweiten Berührungspunkt abgetragen an das Ausbruchsniveau) musste auch mit der Parität von 1 EUR/USD gerechnet werden. Ein weiteres Kursziel war allerdings auch die untere Begrenzungslinie (Rückkehrlinie) des neuen Abwärtstrendkanals in den Monatskerzen. Dieses Kursziel wurde auch erreicht – die Parität hingegen nicht mehr. Vielmehr entwickelte sich in den Jahren 2015 bis 2017 ein
weiteres symmetrisches Dreieck. Dieses wurde auch Ende 2016 nach unten verlassen. Doch hierauf setzten keine weiteren Anschlussverkäufe mehr ein. Ganz im Gegenteil. Der Ausbruch aus dem zweiten Dreieck wurde vom Markt nicht mehr als Verkaufssignal angenommen.
Abbildung 144: EUR/USD von 2003 bis 2018 – Zwei langfristige symmetrische Dreiecke in den Monatskerzen – chart provided by guidants.com
Die Stimmung war zudem auf einem Tiefpunkt, und auch die Bankenschätzungen für den EUR/USD wiesen eher nach unten. Selbst Kursziele deutlich unter der Parität wurden in dieser Phase der »Depression« von Devisenexperten der Banken genannt. Doch der EUR/USD konnte sich in den nachfolgenden Monaten stabilisieren und mit einer Reihe von weißen Monatskerzen zulegen. Das Verkaufssignal Ende 2016 erwies sich so als Fehlausbruch, als Bärenfalle. Dieses technische Fehlsignal ließ jedoch dann die
Prognose zu, dass ein Boden gefunden war und der Markt eher bereit war, wieder anzusteigen. Der Ausbruch aus dem symmetrischem Dreieck Mitte 2017 nach oben war somit nur folgerichtig und ein Kaufsignal. Das abgeleitete Kursziel wurde jedoch in den Folgemonaten nicht mehr vollumfänglich abgearbeitet.
WICHTIG: Die übergeordnete Stimmung in einem Markt geben die Monatskerzen oder die langfristige Perspektive gut wieder. Der Anleger als auch der kurzfristig orientierte Trader sollte diese Tendenz stets beachten. Der Erfolgsfaktor an der Börse liegt in der Verknüpfung der Zeitebenen. Zeigen Ihnen die Monatskerzen ein deutliches Verkaufssignal mit klaren Kurszielen an, so können Sie die kurzfristigen Zeitebenen (Tages- und/oder Stundenkerzen) als Timing-Instrument nutzen, um in einen Trend zu investieren. Im vorliegenden Beispiel konnte der sonst eher kurzfristig orientierte Devisenhändler versuchen, bei Ausbruch aus den vorliegenden langfristigen Dreiecken dann auch mittel- bis langfristige Positionen aufzubauen.
Bleiben wir bei dem Währungspaar EUR/USD. Nach der kräftigen Erholung in 2017 stoppte die Aufwärtsbewegung Anfang 2018. Eine Pendelbewegung innerhalb einer Range zwischen circa 1,25 bis 1,22 EUR/USD folgte dem Anstieg (Abbildung 145). Diese Pendelbewegung konnte in den Wochenkerzen wiederum als symmetrisches Dreieck eingefasst werden. Eine abermalige Phase der Unsicherheit zeichnete sich ab. Diese Phase wurde sodann mit einer langen schwarzen Wochenkerze (der Markt hatte sich entschieden) nach unten verlassen. Ausgehend von dem Kursziel des Dreiecks konnte mindestens mit einem Test der runden 1,20 EUR/USD gerechnet werden.
Ein weiteres Kursziel, die nach unten abgetragene Schwankungsbreite des gebrochenen Aufwärtstrendkanals, offerierte hingegen ein Kursziel in den Bereich um 1,17 EUR/USD. Somit konnte der Trader entsprechend diesen Kurszielen Wetten auf fallende Kurse (Shortpositionen) aufbauen, um im Bereich 1,17 EUR/USD dann anfangen, diese abzubauen, in Verbindung mit
kurzfristigen Kaufsignalen oder Hinweisen auf eine Stabilisierung.
Sehr schön zu sehen ist die Phase der Unsicherheit innerhalb des Dreiecks in den Wochenkerzen anhand der sehr kleinen Kerzenkörper von Ende Februar bis Mitte April 2018. Kleine Kerzenkörper, ob weiß oder schwarz, mit Dochten und Lunten, spiegeln hier die Unsicherheit der Marktakteure wider. Der Anleger und Trader sollte sich bei entsprechenden Phasen und vor allem bei Dreiecken auf eine kräftige anschließende Bewegung einstellen. Erkennen Sie zum Beispiel in den Wochenkerzen ein Dreieck und eine aussagekräftige Verunsicherung der Börsianer, so können Sie letztlich die Tages- und Stundenkerzen als Timing-Instrument nutzen, als Richtungssignalgeber. So brach am 23. April 2018 der EUR/USD mit einer längeren schwarzen Tageskerze nach unten aus dem Dreieck aus, ein Verkaufssignal (Abbildung 146). Da auch nachfolgend die schwarzen, also negativen Tageskerzen überwogen, wurden auch die Kursziele (Dreieck, Trendkanal) stets wahrscheinlicher. Erholungen konnten so im Abwärtstrend stets verkauft werden.
Abbildung 145: EUR/USD von Februar 2017 bis August 2018 – Wochenkerzen – Symmetrisches Dreieck als Gipfelbildung in Verbindung mit einem Bruch eines Aufwärtstrendkanals – chart provided by Metastock
Abbildung 146: EUR/USD von Dezember 2017 bis Juni 2018 – Symmetrisches Dreieck wird mit einer längeren schwarzen Tageskerze am 23. April 2018 nach unten verlassen: Ein Verkaufssignal! – chart provided by Metastock
Symmetrische Dreiecke treten in allen Zeitebenen und in allen börsennotierten Wertpapieren, Rohstoffen, Devisenkursen sowie Indizes auf. Getreu dem Motto der Technischen Analyse, dass sich Kursmuster und deren Folgen wiederholen, möchte ich Ihnen nun ein Beispiel für ein klassisches und besonders ideales symmetrisches Dreieck vorstellen. In Abbildung 147 sehen Sie ein symmetrisches Dreieck im DAX.
Abbildung 147: DAX von Juni bis November 1999 – Symmetrisches Dreieck mit Ausbruch nach oben – chart provided by Metastock
Im Verlauf des Jahres 1999 nahm die Masse der Börsenakteure eine abwartende Haltung gegenüber dem DAX ein. Die Schwankungsbreite ging vom Juli bis Oktober 1999 zurück, und erst bei Ausbruch aus dem symmetrischen Dreieck Ende Oktober 1999 bei circa 5.400 Punkten mit einer langen weißen Tageskerze stieg der Handlungsbedarf der Marktteilnehmer an. Der dynamische Ausbruch war ein klares Kaufsignal. Kursziele ergaben sich nun nach mehreren Deutungsmöglichkeiten. Einerseits natürlich ein Kursziel von circa 6.100 Punkten entsprechend der Schwankungsbreite des Dreiecks nach oben abgetragen. Zuvor war ein etwas geringeres Kursziel noch einzuplanen, die obere Trendkanalbewegung eines kurzfristigen Aufwärtstrendkanals mit der unteren Dreiecksbegrenzung als Aufwärtstrendlinie (gestrichelt dargestellt).
Abbildung 148: DAX von Dezember 1998 bis März 2000 – Symmetrisches Dreieck im Kontext der übergeordneten Chartsituation – chart provided by Metastock
Nicht zu vergessen ist jedoch stets das übergeordnete langfristige Bild (Abbildung 148). So verlief die untere Dreiecksbegrenzung annähernd gleich mit einer langfristigen Aufwärtstrendlinie, die im Dezember 1998 startete. Mithin war zusätzlich die obere Trendkanalbegrenzung dieses Aufwärtstrendkanals ein weiteres Kursziel. So ergaben sich zudem mit der Schwankungsbreite des Dreiecks UND dem übergeordneten Aufwärtstrendkanal zwei Kursziele im Bereich 6.100 bis circa 6.500 Punkten. Interessant zudem die nach dem Ausbruch erfolgte kräftige Aufwärtsbewegung, die fast nur aus weißen Tageskerzen mit einer Reihe von Tageshöchstkursen bis an die runde 6.000er-Marke.
Diese Aufwärtsbewegung kann als »Fahnenstange« definiert werden. Die kurzfristige Konsolidierung mit Gewinnmitnahmen bis 6.000
Punkte stellte somit noch keinen generellen Stimmungsumschwung dar. Vielmehr bildete sich mit schnellen Richtungswechseln ein sehr kleines symmetrisches Dreieck Ende November 1999 aus, ein »Wimpel« (Erläuterung ab Seite 227 ff.). Der nachfolgende Ausbruch aus dem Wimpel mit einer langen weißen Tageskerze war somit ein weiteres Kaufsignal, ebenso der Ausbruch aus dem langfristigen Aufwärtstrendkanal nach oben. Die hieraus ableitbaren Kursziele aus dem Wimpel als auch nach Ausbruch aus dem Aufwärtstrendkanal wurden zügig in 2000 erreicht.
In Abbildung 149, der Aktie der DMG MORI AG, vormals Gildemeister AG, können Sie gut erkennen, dass sich über das Frühjahr 2011 ein Abwärtstrend etablierte und kräftige Kursverluste bis Ende 2011 zu verzeichnen waren. Verkaufssignale ergaben sich unter anderem mit Vollendung eines allerdings nicht idealen fallenden Dreiecks im Sommer 2011 sowie nachfolgend mit Ausbruch aus einer volatilen Seitwärtsbewegung Ende September 2011. Dieses letzte Verkaufssignal wurde vom Markt jedoch nicht mehr angenommen. Der Wert konnte sich bis Ende 2011 unter Schwankungen stabilisieren. Diese schnellen Richtungswechsel auch in Verbindung mit der vorherigen Seitwärtsbewegung spiegelten die Unsicherheit im Markt über die weitere Entwicklung des Unternehmens und des Aktienkurses wider. Der Kursverlauf bildete hierbei zwei symmetrische Dreiecke aus – ein längeres und ein kürzeres. Anfang 2012 wurden beide Dreiecke UND der langfristige Abwärtstrend geknackt – ein Kaufsignal nach einer mehrmonatigen Bodenbildung, die den Börsianern das Vertrauen in das Unternehmen und in steigende Kurse zurückbrachte.
Im Chart der DMG MORI AG kann man nun darüber diskutieren, welche Signale wirklich entscheidend waren für die weitere Kursentwicklung. Waren die Ausbrüche aus den beiden symmetrischen Dreiecken relevanter als der Bruch des langfristigen Abwärtstrends? Oder doch umgekehrt? Letztlich erhält der Anleger mit mehreren positiven Signalen natürlich eine höhere Aussagekraft für ein positives Szenario.
Abbildung 149: DMG MORI AG (Gildemeister AG) von April 2011 bis März 2012 – Symmetrische Dreiecke als Bodenbildung und Kaufsignal nach Ausbruch sowie Bruch eines langfristigen Abwärtstrends sowie vorab einem fallenden Dreieck mit Verkaufssignal und einer volatilen Range mit Fehlausbruch nach unten – chart provided by tradesignalonline.com
Auch können bei mehreren Signalen durchaus mehrere unterschiedliche Kursziele abgeleitet werden. Bei der DMG MORI AG konnten Kursziele entsprechend den jeweiligen Schwankungsbreiten der beiden Dreiecke als auch eines recht breiten Abwärtstrendkanals an das Ausbruchsniveau abgetragen werden.
Ein weiteres Beispiel für ein symmetrisches Dreieck als Bodenbildung in Verbindung mit einem Bruch eines Abwärtstrends bildet der Kursverlauf des Währungspaares USD/JPY im Zeitraum Juni bis Oktober 2012 dar (Abbildung 150). Im Oktober 2012 konnte das Währungspaar USD/JPY aus einem Dreieck in Verbindung mit
einem Abwärtstrend nach oben ausbrechen. Hierbei verlief die obere Begrenzung des Dreiecks recht ähnlich wie die Abwärtstrendlinie. Letztlich ein Kaufsignal, welches zudem noch untermauert wurde aufgrund der Tatsache, dass ein Tief von Anfang Juni 2012 noch im September zweifach »getestet« wurde. Der Markt schien kein weiteres Abwärtspotenzial mehr aufzuweisen, die Unterstützungslinie ausgehend vom Juni-Tief wurde verteidigt und nachfolgend konnte der US-Dollar gegenüber dem japanischen Yen kräftig aufwerten. Grundsätzlich gilt jedoch: Große (lang- bis mittelfristige) Formationen haben große Auswirkungen, kleine (kurzfristige) Formationen haben kleine Auswirkungen.
Abbildung 150: USD/JPY von Mai bis Dezember 2012 – Symmetrisches Dreieck, Unterstützung und Bruch eines Abwärtstrendkanals – chart provided by Metastock
Insofern sollte der Anleger und auch Trader stets nach langfristigen, größeren Formationen Ausschau halten. Ein Beispiel hierfür ist die
Aktie des US-Unternehmens United Technologies Corp. Nach der Finanzkrise konnte der Wert kräftig zulegen. Diese Aufwärtsbewegung stoppte jedoch Mitte 2011 und es entwickelte sich eine volatile Pendelbewegung im langfristigen Bild über die Jahre 2011 bis Anfang 2013. Mit einem Ausbruch aus dieser Pendelbewegung, einem symmetrischen Dreieck (Abbildung 151), wurde die Konsolidierung abgeschlossen und der Weg war wieder frei für eine Fortsetzung der Aufwärtsbewegung entsprechend dem Kursziel aus dem Dreieck nach oben.
Abbildung 151: United Technologies Corp. von Anfang 2009 bis Ende 2014 – Symmetrisches Dreieck als Konsolidierung – chart provided by tradesignalonline.com
Wie schon erwähnt: Selbstverständlich können Sie alle Formationen nicht nur im lang- und kurzfristigen Zeitfenster eines Anlegers nutzen, sondern auch im sehr kurzfristigen Trading bis hin zum Day-Trading anwenden. Aussagekräftig sind im kurzfristigen Trading
Stundenkerzen. Formationen und Dreiecke, die sich hier über einige Tage ausbilden und in den Stundenkerzen gut erkennbar sind, jedoch eher nur eingeschränkt in den Tageskerzen ersichtlich sind, erhalten demzufolge eine gute Aussagekraft für einen Trader, der nur einen Zeithorizont von wenigen Stunden oder ein bis drei Tagen hat.
So bildete sich im Dow Jones Industrial Average, dem US-Leitindex auf Stunden-basis vom 27. Juni 2018 bis zum 06. Juli 2018 ein kleines symmetrisches Dreieck aus (Abbildung 152). Dieses wurde mit einer längeren weißen Stundenkerze nach oben verlassen. Die kurzfristige Verunsicherung hatte sich gelegt, und der Dow Jones konnte trotz des Handelsstreits zwischen den USA und China zulegen. Das Kursziel aus dem Dreieck wurde recht zügig abgearbeitet. Ein kurzfristig orientierter Trader konnte hier auf steigende Kurse setzen. Nachdem das Kursziel erreicht wurde, fiel der Index jedoch wieder, nach der Androhung weiterer Strafzölle durch US-Präsident Trump, zurück. Ein Lehrbeispiel für die Anwendung der Formation auch für das kurzfristige Trading, aber ebenso ein Lehrbeispiel, dass Anleger und Trader auch aktiv Gewinne oder zumindest Teilgewinne an erreichten Kurszielen mitnehmen sollten.
Abbildung 152: Dow Jones vom 14. Juni bis 17. Juli 2018 – Symmetrisches Dreieck in den Stundenkerzen als Trading-Instrument – chart provided by guidants.com
Umgekehrtes symmetrisches Dreieck (broadening top)
– Gefühlschaos der Anleger
Zwei auseinanderstrebende Begrenzungslinien zeigen an, dass die Schwankungsbreite und somit die Unsicherheit der Marktteilnehmer zunimmt. Tritt eine derartig zunehmende Unsicherheit nach einem mittel- bis langfristigen Trend auf, so kann davon ausgegangen werden, dass das umgekehrte Dreieck eine Trendwende andeutet. Denn eigentlich steigt ja nach längerfristigen Aufwärtstrends die Sicherheit an. Das umgekehrte Dreieck zeigt allerdings eine Zunahme der Verwirrung an, aufgrund der Zunahme der schnellen Richtungsänderungen, der Zunahme der Schwankungsbreite im
Markt. Das Vertrauen der Masse in steigende Kurse nach einer Zunahme der Emotionen und schnellen Richtungswechseln muss als arg eingeschränkt gelten. Unsicherheit über die weitere Richtung ist hier die Folge. Da keine klare Richtung erkennbar ist, wird eine Gipfelbildung nach einem Aufwärtstrend wahrscheinlicher.
Merkmale des umgekehrten symmetrischen Dreiecks
Kursverlauf:
Das umgekehrte symmetrische Dreieck weist mindestens zwei Tiefpunkte sowie mindestens zwei Hochpunkte auf, die abwechselnd auftreten. Das zweite Tief liegt tiefer als das erste. Das zweite Hoch notiert höher als das erste Hoch.
Zeitliche Ausdehnung:
mindestens ein Monat bis zu ein Jahr. Dreiecke sind generell aber auch bei kürzeren Zeitebenen, so im Day-Trading anwendbar.
Umsatzverhalten:
Das Volumen steigt innerhalb der Formation an. Der Ausbruch aus einem umgekehrten Dreieck erfolgt nicht unbedingt mit höheren Umsätzen. Die Marktteilnehmer haben schon innerhalb des Dreiecks ihre Bestände getauscht.
Charakter:
Steigende Hoch- und fallende Tiefpunkte spiegeln die zunehmende Unsicherheit und hohe Emotionalität der Akteure wider. Das umgekehrte Dreieck stellt eine umfassende Phase der Unsicherheit im Markt dar.
Besonderheiten:
Das Dreieck verliert vollkommen an Bedeutung, wenn die Kurse sich in der Mitte des Dreiecks wieder beruhigen und einen neuen, kurzfristigen Auf- oder Abwärtstrend ausbilden. Ein aussagekräftiges umgekehrtes Dreieck als Gipfelbildung nach einem Aufwärtstrend liegt insbesondere dann vor, wenn ein Fehlausbruch über die obere Begrenzung erfolgt.
Signal:
Das Dreieck ist erst bei Ausbruch vollendet. Ein Ausbruch nach oben generiert ein Kaufsignal, ein Ausbruch nach unten ein Verkaufssignal. Auf Fehlsignale beziehungsweise Fehlausbrüche
nach oben nach vorherigen langfristigen Aufwärtstrends ist besonders zu achten.
Kursziel:
Die horizontale Differenz zwischen dem mindestens vierten oder bei komplexeren Abläufen dem vorletzten Punkt des Dreiecks und der gegenüberliegenden Begrenzung wird an das Ausbruchsniveau abgetragen.
Ein ausgesprochen lehrreiches inverses Dreieck trat im deutschen Aktienindex, dem DAX von November 2017 bis Januar 2018 auf (Abbildung 153). Nach einer kräftigen Aufwärtsbewegung und einem Hoch bei 13.537 Punkten am 07. November 2017 konsolidierte der DAX unter volatilen Schwankungen hin und her. Die vorherige Hausse-Stimmung verhinderte einen schnellen Absturz. Die Optimisten unter den Börsianern nutzten die Rücksetzer unter die runde 13.000er-Marke als vermeintliche Kaufchance. Die Pessimisten hingegen nahmen lieber Gewinne mit und sicherten sich zudem mit Wetten auf fallende Kurse über Aktien- und Index-Optionen oder den DAX-Future ab. Am 23. Januar konnte der DAX sodann mit Ausbruch aus dem inversen Dreieck zwar ein neues Hoch bei 13.596 Punkten erreichen. Doch Anschlusskäufe fehlten und am folgenden Handelstag trumpften die Bären auf.
Abbildung 153: DAX von September 2017 bis März 2018 – Ein umgekehrtes Dreieck mit Fehlausbruch als Gipfelbildung – chart provided by Metastock
Es bildete sich eine längere schwarze Kerze mit Rückkehr in das umgekehrte Dreieck. Die lange schwarze Tageskerze signalisierte ein Übergewicht der Bären, der Verkäufer und wies auf das Fehlen von Käufern hin. Damit war schon zu diesem Zeitpunkt die Aussage möglich, dass aufgrund des Fehlausbruchs aus dem Dreieck die Party ihr Ende finden dürfte und der DAX sich in einer Gipfelbildung befand. Diese Annahme wurde durch weiterhin fallende Kurse bestätigt. Letztlich fiel der DAX im weiteren Verlauf auch aus dem Dreieck sehr dynamisch nach unten heraus. Direkt nach dem ersten Handelstag nach Ausbruch nach unten konnte der DAX zwar eine Erholung starten, doch diese Erholung erwies sich lediglich als Strohfeuer, als Pullback. Das aus dem Dreieck abzuleitende Kursziel wurde jedoch vollumfänglich erst nach einer kurzfristigen Erholung
Anfang März 2018 erreicht. Auch wenn sich der DAX im Mai 2018 wieder erholte und kurzfristig über 13.000 Punkte anstieg.
Für den Anleger ist es durchaus sinnvoll, entsprechende Signale einer Gipfelbildung wie im Falle eines umgekehrten Dreiecks zu nutzen, um Gewinne mitzunehmen oder Positionen zum Teil mitzunehmen. Im Vordergrund steht stets, das Depot abzusichern und das Kapital zu erhalten. Selbst wenn der DAX in den kommenden Jahren das Hoch vom Januar 2018 überwindet, so war der Hinweis auf eine Gipfelbildung zum aktuellen Zeitpunkt des Verkaufssignals ernst zu nehmen.
Anmerkung: Berücksichtigen Sie bei der Analyse des deutschen Aktienindex auch die Chartsituation der US-Leitindizes Dow Jones, Nasdaq 100 und S&P 500. Kommt es in diesen Indizes zu Gipfelbildungen und verzeichnet auch der DAX eine ebensolche, so erhält natürlich die Gipfelbildung im DAX eine weitaus höhere Aussagekraft, als wenn die US-Indizes weiter aufwärtsstreben. Im besprochenen Kursverlauf Ende 2017/Anfang 2018 wies zum Beispiel der Dow Jones eine starke Übertreibungsphase, eine Euphoriesituation auf. Somit erhielt die Gipfelbildung im DAX eine recht hohe Aussagekraft. Chartanalyse ist aber immer ein dynamischer Prozess. Der Analyst trifft eine Annahme. Wird diese Annahme jedoch nicht bestätigt, tritt also ein alternatives oder gänzlich nicht erwartetes Szenario ein, so muss der Analyst auch ein neues Szenario und neue Annahmen treffen.
So bildete der DAX im Jahr 2013 ein inverses Dreieck aus (im abgebildeten Chart das rechte inverse Dreieck). Dessen obere Begrenzung wurde auch erst geknackt, anschließend ging es wieder abwärts. Der Ausbruch nach oben war ein Fehlsignal, eine Bullenfalle (Abbildung 154).
Somit musste Ende Mai 2013 von einer Gipfelbildung ausgegangen werden und selbst ein Ausbruch aus dem Dreieck nach unten unter die runde 7.000er-Marke als Worst-Case-Szenario war anzunehmen. Nach fallenden Kursen im Juni 2013 stabilisierte sich der Kurs
allerdings, und nach einer mehrwöchigen Seitwärtsbewegung konnte der DAX im Herbst 2013 neue Hochs erklimmen. Ein erstes Signal, dass das umgekehrte Dreieck an Aussagekraft verliert und somit als Gipfelbildungsformation in Frage gestellt wird, erhielt hier der Chartanalyst bei einem Verlassen des kurzfristigen Abwärtstrends innerhalb des Dreiecks in Verbindung mit der Rückeroberung der 8.000er-Marke Anfang Juli 2018
Abbildung 154: DAX von August 2012 bis Mai 2013 – Umgekehrte Dreiecke im Kursverlauf – chart provided by Metastock
Umgekehrte, inverse Dreiecke treten allerdings nicht nur als potenzielle Gipfelbildungen auf, sondern können auch einen Boden darstellen. Im letzten Quartal 2012 präsentierte sich der DAX mit einer mehrwöchigen Konsolidierung und Mitte November 2012 fallenden Kursen und einem Ausbruch nach unten aus einem inversen Dreieck (im abgebildeten Chart das linke inverse Dreieck).
Die zunehmende Schwankungsbreite nach dem vorherigen Aufwärtstrend zeigte die Emotionalität und Unsicherheit der Börsianer im deutschen Aktienmarkt an. Der Break der unteren Dreiecksbegrenzung war hierbei ein weiteres Verkaufssignal. Doch der tags darauf eintretende Stimmungsumschwung mit Rückkehr in das umgekehrte Dreieck sowie folgend weißen Tageskerzen (positive Stimmung, Übergewicht der Bullen) signalisierte, dass das vorherige Verkaufssignal eine Panikreaktion der letzten verbliebenen Bären war. Der Markt war bereinigt und mit der Bärenfalle, dem Fehlausbruch nach unten konnte der DAX sodann wieder aufwärts klettern.
Flaggen und Wimpel (flags and pennants)
– kurze Verschnaufpausen im Trend
Flaggen und Wimpel sind Trendbestätigungsformationen.
Wimpel und Flaggen zeigen stets Gewinnmitnahmen an. Die zeitliche Ausdehnung ist jedoch sehr kurzfristig. Die Flagge stellt hierbei eine Sonderform eines sehr kurzfristigen Ab- oder Aufwärtstrendkanals dar. Der Wimpel wiederum darf als Sonderform eines sehr kurzfristigen und kleinen symmetrischen Dreiecks verstanden werden.
Erläuterung: Laufen Kurse in einem sehr steilen, schnellen Trend auf- oder abwärts (Fahnenstange), so nimmt die Neigung zu Gewinnmitnahmen bei kurzfristig agierenden Börsenhändlern und Anlegern natürlich zu. Es werden schnelle Gewinne mitgenommen. Verharren die Kurse sodann in einer relativ engen Bandbreite, so zeigen diese kurzfristigen Gewinnmitnahmen noch keine Trendwende an. Es liegt lediglich eine Pause in der kräftigen Auf- ober Abwärtsbewegung vor. Insbesondere, wenn die Fahnenstange eine Abfolge von weißen oder schwarzen Tageskerzen aufweist, kann bei einem Ausbruch aus der kurzfristigen Pause in Trendrichtung davon ausgegangen werden, dass die Kurse mit in etwa gleicher Intensität wie zuvor weiterlaufen. Hier regiert dann die Kaufpanik (Angst, etwas zu verpassen) oder die Verkaufspanik (Angst vor
weiteren Verlusten).
Wimpel und Flaggen zeigen entsprechende Pausen nach einer Fahnenstange an. Im idealen Fall einer Fahnenstange mit Wimpel oder Flagge kann demzufolge die gesamte Kursbandbreite der Fahnenstange an das Ausbruchsniveau des Wimpels oder der Flagge abgetragen werden. Fehlt indes eine eindeutige Fahnenstange, so erhält der Chartist zwar jeweils ein Richtungssignal bei Ausbruch aus einer Flagge oder einem Wimpel, dieses hat sodann allerdings nur eine kurzfristige Bedeutung entsprechend der Schwankungsbreite der Flagge oder des Wimpels.
Merkmale von Flaggen und Wimpeln
Kursverlauf:
Der Wimpel ist ein kleines, sehr kurzfristiges symmetrisches Dreieck mit entsprechenden Eigenschaften, eine Flagge hingegen ist ein enger, sehr kurzfristiger Ab- oder Aufwärtstrendkanal. Relevant hierbei ist allerdings nicht, wie bei den bisherigen Formationen oder einem Trendkanal, dass die Tiefs und Hochs alternierend sind. Oftmals weisen die sehr kurzfristigen Wimpel und Flaggen eher eine Häufung von Kursen innerhalb einer Range auf, die die Form eines kleinen symmetrischen Dreiecks oder eines Ab- beziehungsweise Aufwärtstrendkanals besitzt.
Zeitliche Ausdehnung:
wenige Tage bis drei Wochen.
Umsatzverhalten:
Das Volumen stagniert oder ist innerhalb der Formation rückläufig. Der Ausbruch aus der Pause (Wimpel, Flagge) im vorherrschenden Trend erfolgt mit höheren Umsätzen und bekräftigt dann das jeweilige Richtungssignal. So der Idealfall – aufgrund der eher kurzfristigen Ausrichtung der Formationen ist jedoch der Idealfall selten und das Umsatzverhalten nicht eindeutig.
Charakter:
Kurzfristige Gewinnmitnahmen deuten eine Pause im Trend an.
Besonderheiten:
In der Regel sind Flaggen dem jeweiligen vorherigen Trend oder der Fahnenstange entgegengerichtet. Seltener sind hingegen Flaggen in Richtung des vorherrschenden
Trends, diese weisen, sofern auch eine Fahnenstange voraus läuft, nochmals auf die Stärke des jeweiligen Trends hin. Letztlich steht der Charakter der Formation und nicht die ideale Ausprägung des Kursverlaufs im Vordergrund.
Signal:
Das Dreieck ist erst bei Ausbruch vollendet. Ein Ausbruch nach oben generiert ein Kaufsignal, ein Ausbruch nach unten ein Verkaufssignal. Nach Ausbruch erfolgt oftmals ein Pullback.
Kursziel:
Nach Ausbruch aus der Formation (in Trendrichtung) geht es in etwa gleicher Intensität weiter. Die Kursbandbreite einer vorangegangen »Fahnenstange« stellt – abgetragen am Ausbruchsniveau – das Kursziel dar. Fehlt eine Fahnenstange, ist jedoch ein vorherrschender Trend vorhanden, so kann die Schwankungsbreite der Formationen als Kursziel genutzt werden.
Abbildung 155: Kurszielbestimmung bei Flagge und Wimpel
Ein idealer Wimpel trat im DAX Ende 1999 auf (Abbildung 156). Nach einer Seitwärtsbewegung konnte der deutsche Leitindex durchstarten und beendete mit einer kräftigen Aufwärtsbewegung eine Phase der mehrwöchigen Unsicherheit. Die Ende Oktober bis Mitte November 1999 wie an einer Perlenschnur aufgereihten weißen Tageskerzen mit stets ansteigenden Tagestiefs konnten als eine ideale »Fahnenstange« identifiziert werden. Das nachfolgende kleine symmetrische Dreieck stellte einen Wimpel dar, der lediglich eine Pause im kräftigen Aufwärtstrend signalisierte mit kurzfristigen
Gewinnmitnahmen. Mit Ausbruch aus dem Wimpel mit einer langen weißen Tageskerze konnte sodann die Kursdifferenz der Fahnenstange an das Ausbruchsniveau abgetragen werden. Dieses Kursziel wurde recht zügig Ende Dezember 1999 abgearbeitet.
Eine interessante Flagge trat im Währungspaar EUR/USD zum Jahreswechsel 2010 auf (Abbildung 157). Nachdem ein Aufwärtstrend Anfang Dezember 2009 gebrochen wurde, wertete der Euro kräftig ab. Ende 2009/ Anfang 2010 pausierte diese Abwärtsbewegung im EUR/USD und bildete hierbei einen kurzfristigen Aufwärtstrendkanal aus, der zudem nach oben nur an wenigen Tagen gebrochen wurde. Dieser Ausbruch erwies sich jedoch sehr schnell als Bullenfalle und mit einem Bruch des kurzfristigen Aufwärtstrends (Flagge) konnte die Schwankungsbreite der vorangegangenen Abwärtsbewegung (Fahnenstange) an das Ausbruchsniveau der Flagge zur Kurszielableitung abgetragen werden. Dieses Kursziel wurde sodann zügig erreicht und noch übertroffen.
Abbildung 156: DAX Ende 1999 – Ideale Fahnenstange mit Wimpel und Kursziel – chart provided by Metastock
Abbildung 157: EUR/USD von September 2009 bis März 2010 – Flagge im Abwärtstrend nach Fahnenstange – chart provided by tradesignalonline.com
Als Beispiel für Flaggen als kurzfristige Gegenbewegungen innerhalb eines Abwärtstrends ist der Kursverlauf des DAX vom Juli bis Oktober 1998 dargestellt (Abbildung 158). Innerhalb des dynamischen Abwärtstrends im DAX 1998 traten drei Flaggen auf. Die erste Flagge nach Fahnenstange ließ auch nach Ausbruch aus dieser mit einer langen schwarzen Tageskerze (deutliches Übergewicht der Verkäufer) weitere Kursverluste erwarten. Die zweite und vor allem auch die dritte Flagge traten nicht mehr nach einer Fahnenstange auf. Insofern war die Stabilisierung und nachfolgende Erholung im Oktober 1998 durchaus einzuplanen. Im Oktober 1998 bildete sich eine kleine W-Formation.
Abbildung 158: DAX von Juli bis Oktober 1998 – Drei Flaggen im Abwärtstrend – chart provided by Metastock
Bei der Formationsanalyse ist es auch relevant, die Formationen als solche nicht exakt nach dem »Lehrbuch« zu identifizieren, sondern das der Formation innewohnende Verhaltensmuster zu erkennen. Im Abwärtstrend des Dax stellten die Flaggen drei kurze Erholungsversuche dar. Diese wurden von Marktteilnehmern genutzt, um Positionen abzubauen oder um Gewinne aus kurzfristigen Long-Positionen mitzunehmen. Nach der dritten Flagge hingegen und einem Kursverlust von knapp 2.000 Indexpunkten war das Pulver der Bären verschossen.
Keilformation – (wedge formation)
die Lage spitzt sich zu
Trendumkehrformation
Erläuterung: Dreiecke spiegeln grundsätzlich Unsicherheit im Kursverlauf wider – ebenso Keile oder auch Rechtecke. Im Gegensatz zu vor allem symmetrischen Dreiecken stellen Keile auch eine Tendenz dar, da bei Keilen beide Begrenzungslinien in die gleiche Richtung laufen. Fallende Keile (falling wedge) haben somit eine Abwärtstrendlinie und eine untere Begrenzungslinie mit zwei fallenden Tiefpunkten, steigende Keile (rising wedge) wiederum eine Aufwärtstrendlinie mit einer oberen Begrenzungslinie, die an mindestens zwei steigenden Hochpunkten angelehnt wird.
Abbildung 159: Fallender und steigender Keil (wedge formation) – Die Schwankungsbreite lässt in Trendrichtung nach, zwei zueinander laufende Linien bilden Keil-Formationen
Steigende oder fallende Keile gelten jedoch, obwohl die Kurse auf- beziehungsweise abwärts streben, als potenzielle Trendwendemuster. Denn die obere Begrenzungslinie des aufwärtsgerichteten sowie die untere Begrenzungslinie des abwärtsgerichteten Keils deuten an, dass die Kurse nicht mehr die Kraft haben, einen Trendkanal auszubilden. Keile könnten somit auch als Sonderfall eines Trendkanals aufgefasst werden, bei dem jedoch eine Schwäche in der Trendrichtung festgestellt werden kann. Wird daher ein aufwärtsgerichteter Keil nach unten verlassen, so ist dies bearish zu werten, da dann natürlich auch die
Aufwärtstrendlinie, als untere Begrenzung des Keils, gebrochen wird. Die zuvor erlahmenden Aufwärtskräfte verstärken hier den Bruch des Aufwärtstrends als Verkaufssignal. Steigende Keile mit Ausbruch nach unten erhalten zusätzlich eine höhere Aussagekraft als Trendwendemuster, sofern der Keil im mittel- bis kurzfristigen Zeitfenster nach einer langfristigen Aufwärtsbewegung auftritt. Wird jedoch der steigende Keil nach oben verlassen, so deutet dies auf eine Beschleunigung der Aufwärtsbewegung hin.
Umgekehrt gilt die obige Erläuterung natürlich für fallende Keile. Wird ein mittel- bis kurzfristig fallender Keil nach einem langfristigen Abwärtstrend nach oben verlassen, so besteht die Chance auf eine Bodenbildung und einen neuen Aufwärtstrend. Wird der Keil hingegen hier in Trendrichtung nach unten verlassen, so muss mit einer Beschleunigung der Abwärtsbewegung gerechnet werden. Die zuvor fallenden Hochpunkte in Verbindung mit der grundsätzlichen Abwärtsbewegung zeigen die Schwäche der Bullen in einer Abwärtsbewegung an.
Merkmale von Keilen
Kursverlauf:
Zwei zueinanderstrebende aufwärts- oder abwärtsgerichtete Begrenzungslinien zeigen an, dass die Schwankungsbreite nachlässt und der vorherrschende Trend an Kraft verliert (mindestens jeweils zwei alternierende Hochund Tiefpunkte).
Zeitliche Ausdehnung:
mehrere Wochen bis Monate.
Umsatzverhalten:
Das Volumen stagniert oder ist innerhalb der Formation rückläufig. Der Ausbruch aus einem Keil erfolgt mit höheren Umsätzen und bekräftigt dann das jeweilige Richtungssignal.
Charakter:
Die Kraft eines Trends nimmt ab. Das Handelsinteresse lässt nach, die Schwankungsbreite nimmt ab.
Besonderheiten:
Eine Keilformation verliert vollkommen an Bedeutung, wenn die Kurse in die Spitze des Keils hineinlaufen.
Signal:
Der Keil ist erst bei Ausbruch vollendet. Ein Ausbruch nach oben generiert ein Kaufsignal, ein Ausbruch nach unten ein Verkaufssignal. Nach Ausbruch erfolgt oftmals ein Pullback.
Kursziel:
Die horizontale Differenz zwischen dem zweiten Punkt des Keils und der gegenüberliegenden Begrenzung wird an das Ausbruchsniveau abgetragen.
In Abbildung 160 können Sie eine langfristige Keilformation im Goldpreis erkennen. Diese Formation wurde Mitte 2015 nach unten verlassen – ein weiteres Verkaufssignal, welches sich jedoch schon recht schnell mit Rückkehr in die Keilformation als Bärenfalle erwies. Doch der Goldmarkt schwächelte im Herbst 2015 nochmals und der wiederholte Ausbruch aus der Keilformation Ende 2015 deutete auf Verkaufsdruck hin. Es fehlten jedoch Verkäufer – der wiederholte Ausbruch aus der Keilformation nach unten erwies sich wiederum als Bärenfalle.
Fehlsignale sind wie schon weiter oben angeführt durchaus sehr aussagekräftige Signale der Chartanalyse, da diese eher eine Marktbereinigung widerspiegeln. Im Markt gab es nach der zweiten Verkaufswelle zum Ende 2015 hin keine weiteren Verkäufer mehr. Die Bullen hatten sodann leichtes Spiel. Die Fehlausbrüche aus diesem Keil zeigten eine Bodenbildung an. Mit Rückkehr in die Keilformation wurde ein Kaufsignal generiert – im besten Szenario konnte somit nicht nur ein Test, sondern auch ein Ausbruch aus der Keilformation nach oben angenommen werden. Es folgte auch eine kräftige Aufwärtsbewegung bis Mitte 2016. Im langfristigen Bild bewegte sich der Goldpreis mit der oberen Begrenzung der Keilformation zusätzlich seit 2013 in einem Abwärtstrend. Mit Ausbruch aus der Keilformation dementsprechend ein langfristig positives Signal.
Abbildung 160: Goldpreis in USD von Anfang 2013 bis Ende 2016 als Linienchart und Fehlausbrüchen Ende 2015 aus einer langfristigen Keilformation – Bodenbildung mit einem doppelten Tief – chart provided by Metastock
Die Bodenbildung zum Jahreswechsel 2015/2016 war zudem mit einem doppelten Tief im Tages-Barchart aussagekräftig (Abbildung 161). Diskussionswürdig ist, ob dieses doppelte Tief im Dezember 2015 als W-Formation interpretiert wird oder nicht. Formationen treten eben in der Praxis nicht immer entsprechend der genauen Definition eines Musters auf. Relevanter ist es, das der Formation innewohnende Verhaltensmuster zu erkennen. Dass nach Euphorie und einer starken Sicherheit über die weitere Richtung eben in der M-Formation im Markt Ernüchterung einsetzt – und die Käufer fehlen.
Im umgekehrten Fall des doppelten Tiefs und einer W-Formation nach einer Phase der Depression im Markt, haben die Verkäufer ihr
letztes Pulver verschossen und der ist Markt leergefegt. Somit konnte vom Gesamtbild im Goldpreis Anfang 2016 einerseits eine Bodenbildung in Form einer nicht idealen W-Formation und zusätzlich ein Fehlausbruch aus einer langfristigen Keilformation als Kaufsignal angenommen werden. Ziele waren demzufolge einerseits die obere Begrenzung der Keilformation sowie andererseits die an das Ausbruchsniveau abgetragene Schwankungsbreite der Keilformation nach oben. Diese Ziele wurden jedoch nicht vollumfänglich erreicht. Interessanterweise beendete sodann ein fallendes Dreieck die Aufwärtsbewegung von Anfang bis Mitte 2016.
Abbildung 161: Goldpreis in USD von Juni 2015 bis Oktober 2016 – Ein doppeltes Tief im Tages-Barchart zeigt eine potenzielle Bodenbildung an – Ein fallendes Dreieck beendete die Aufwärtsbewegung – chart provided by Metastock
Der Kurs von International Paper (Abbildung 162) verlief innerhalb mehrerer Monate in einem klaren Abwärtstrend, dessen Kraft jedoch nachließ. Dies verdeutlichte die sich dem Abwärtstrend annähernde
untere Begrenzung des Kursverlaufes. Ein Keil als Trendwendeformation konnte festgestellt werden. Ein kräftiges Kaufsignal ergab sich in Verbindung mit hohen Umsätzen bei Ausbruch aus dem Keil, interessant auch hier, ähnlich wie im vorab besprochenen Goldpreis, die vorherigen leichten Fehlausbrüche (Bärenfallen) aus der Keilformation nach unten.
Abbildung 162: International Paper von Januar 2000 bis Februar 2001 – Keil als langfristige Bodenbildung – chart provided by Metastock
Rechtecke (trading range, congestion area)
– Pattsituation zwischen Bären und Bullen
Trendneutrale Formation
Zwei waagerechte Linien (jeweils durch mindestens zwei Hochs und Tiefs gekennzeichnet) bilden eine Bandbreite, eine Range oder auch einen »Sägezahnmarkt«, in deren Bereich die Kurse hin und her pendeln. Innerhalb dieser Bandbreite herrscht eine Pattsituation zwischen Angebot und Nachfrage, daher ist bei dieser Formation die
Richtung eines Ausbruchs nicht prognostizierbar.
Merkmale von Rechtecken
Kursverlauf:
Das Rechteck weist mindestens zwei Tiefpunkte sowie mindestens zwei Hochpunkte auf. Die Tiefs als auch Hochpunkte liegen jeweils auf annähernd gleichem Niveau. Im Idealfall liegen so zwei waagerechte Begrenzungslinien vor, die eine Bandbreite ausbilden, in deren Bereich die Kurse hin und her pendeln. Die Pendelbewegung steht für den Charakter der Formation, der abwartenden Haltung und Unsicherheit im Markt.
Zeitliche Ausdehnung:
zwei Wochen bis zu mehrere Monate, auch langfristige »Sägezahnmärkte« mit mehreren Jahren sind möglich.
Umsatzverhalten:
Das Volumen stagniert oder ist innerhalb der Formation rückläufig. Der Ausbruch aus einem Rechteck erfolgt mit höheren Umsätzen und bekräftigt dann das jeweilige Richtungssignal.
Charakter:
Da aufgrund von fallenden Hoch- und steigenden Tiefpunkten eine Pattsituation zwischen Käufern und Verkäufern vorliegt, stellt das Rechteck eine neutrale Formation dar, in der sich die abwartende Haltung der Marktteilnehmer ausdrückt. Je länger das Rechteck andauert, desto stärker wandelt sich jedoch der Charakter von »abwartend« hin zu »Unsicherheit«.
Besonderheiten:
Ein Ausbruch aus einem länger bestehenden Rechteck erfolgt oft nach einem Fehlausbruch in die entgegengesetzte Richtung und verläuft sodann sehr dynamisch.
Signal:
Ein Ausbruch aus dem Rechteck nach oben generiert ein Kaufsignal, ein Ausbruch nach unten ein Verkaufssignal. Nach Ausbruch erfolgt oftmals ein Pullback. Auf Fehlsignale ist zu achten!
Kursziel:
Die horizontale Differenz zwischen dem zweiten Punkt des Rechtecks und der gegenüberliegenden Begrenzung wird an das Ausbruchsniveau abgetragen.
Abbildung 163: Kurszielbestimmung bei einem Rechteck
Rechtecke können sehr aussagekräftige Richtungssignale generieren, sofern sich diese klar definiert im Kursverlauf offenbaren. Die abwartende Haltung im Markt spiegelt hierbei wider, dass im Zeitablauf des Rechtecks eher die kurzfristigen Marktteilnehmer tätig sind, die mittel- bis langfristig orientierten Anleger hingegen an der Seitenlinie stehen und eine abwartende Haltung eingenommen haben. Wird sodann die abwartende Haltung verlassen, entscheidet sich also der Markt in die eine oder andere Richtung, treten auch die sich bislang zurückhaltenden Marktteilnehmer wieder auf den Plan
und investieren – oder verkaufen bei fallenden Kursen. Auch Absicherungsgeschäfte sowie Wetten auf nachgebende Kurse drücken die Kurse. Bei steigenden Kursen wiederum werden Longpositionen aufgebaut, Optionen und Wetten auf steigende Kurse eingenommen oder gar Wetten auf fallende Kurse müssen glattgestellt werden. Dies unterstützt in der Regel eine Aufwärtsbewegung.
Ein Beispiel für ein kurzfristiges Rechteck, einer Seitwärtsbewegung mit Hochpunkten als Widerstandszone und Tiefpunkten, die eine Unterstützungszone generierten, zeigt Abbildung 164, die E.ON SE-Aktie in 2013. Nach einem kräftigen Kursverfall liefen die Kurse von Anfang Mai 2013 bis Mitte Juni 2013 innerhalb eines Rechtecks, welches sodann mit einer längeren schwarzen Tageskerze nach unten verlassen wurde. Das hieraus ableitbare Kursziel wurde noch leicht übertroffen. Im weiteren Verlauf zeigte sich allerdings eine Bodenbildung und der Kurs konnte wieder kräftig anziehen. Kurzfristige Formationen haben kurzfristige Auswirkungen – langfristige Formationen haben hingegen langfristige Auswirkungen!
Abbildung 164: E.ON SE von März bis November 2013 – Ein kurzfristiges Rechteck mit Verkaufssignal sowie Kursziel nach unten – chart provided by guidants.com
Entscheidend für den Börsenerfolg ist allerdings nicht immer die Idealform einer Formation. Vielmehr sollte dem Charakter der Formation der Vorzug bei der Interpretation gegeben werden. So bildete sich im US-Leitindex Dow Jones Industrial Average im Jahre 2105 eine längere Seitwärtsbewegung aus, die auch als Rechteck interpretiert werden konnte (Abbildung 165). Anfang März 2015 konnte der Dow mit einem nochmaligen Ausbruch aus einem Aufwärtstrendkanal ein neues Hoch verbuchen. Doch Anschlusskäufe fehlten anschließend. So pendelte der Dow erst einmal seitwärts.
Der langfristige Aufwärtstrend schaffte Vertrauen in steigende Kurse
und Rücksetzer wurden so aufgefangen. Die abwartende Haltung der Marktteilnehmer nahm jedoch zu, die Seitwärtsbewegung zwischen rund 17.580 Punkten als Unterstützung und dem März-Hoch bei 18.2886 Punkten als Widerstand verlief recht schwankend. Im Mai 2015 konnte der Index dann ein neues Hoch erreichen, doch dieser nur sehr leichte Ausbruch nach oben verlief im Sande. Die nachfolgenden Hochpunkte lagen zudem stets etwas tiefer und die Tiefs tiefer – mit erstem Ausbruchsversuch nach unten Anfang Juli 2015. Allerdings vollzog sich der entscheidende Ausbruch erst Mitte August 2015 nach unten.
Abbildung 165: Dow Jones von September 2013 bis September 2015 – Ausbruch aus einem längerfristigen Rechteck nach unten – chart provided by Metastock
In Verbindung jedoch mit den Wochenkerzen, die erst mit einem Wochenschlusskurs Anfang August 2015 einen Ausbruch signalisierten sowie der Trendanalyse (Abprall an der oberen
Trendkanalbegrenzung nach Fehlausbrüchen nach oben) konnte ein aussagekräftiges Verkaufssignal nach einer längerfristigen Seitwärtsbewegung, einem Rechteck identifiziert werden (Abbildung 166). In Folge wurde das Kursziel aus dem Rechteck als auch der langfristige Aufwärtstrend erreicht und noch deutlich überschritten.
Abbildung 166: Dow Jones von August 2013 bis Dezember 2015 – Wochenkerzen zeigen Verkaufssignal mit Wochenschlusskurs unterhalb des Rechtecks! – chart provided by Metastock
Chartanalyse funktioniert – doch als Analyst, Anleger oder Trader sollte man stets die Trend- und Formationsanalyse als Fundament jeder Analyse kombinieren sowie unterschiedliche Zeitebenen miteinander verknüpfen. Trotzdem ist man nicht dagegen gefeit, einmal »falsch« zu liegen. So bildete sich in der Lanxess-Aktie von Anfang 2017 bis Anfang 2018 eine langfristige Seitwärtsbewegung aus, die man nun entweder als Rechteck oder auch als ansteigendes
Dreieck interpretieren konnte (Abbildung 167).
Mitte Januar 2018 konnte der Wert mit einer langen weißen Wochenkerze aus diesen Formationen nach oben ausbrechen – doch Anschlusskäufe fehlten und zwei Wochen später rutschte die Aktie wieder deutlich abwärts. Der Ausbruch erwies sich als Bullenfalle, als Fehlsignal der Chartanalyse. Nun hätte man aufgrund des Fehlausbruchs auch mit einem Ausbruchsversuch unter das untere Niveau des Rechtecks rechnen müssen! Doch im weiteren Verlauf des Jahres 2018 pendelte der Wert lediglich weiterhin seitwärts und testete wiederholt die obere Rechteckbegrenzung. Erst im weiteren Verlauf Mitte Oktober 2018 kam es zu deutlichen Verlusten! Beachten Sie bitte stets: Technische Analyse untersucht das Massenverhalten der Börsianer. Sie ist aber keine Wissenschaft mit exakten Folgen der jeweils untersuchten Verhaltensmuster. Irrungen und Wirrungen gehören dazu und eben auch Fehlsignale. Nur der Markt hat Recht! Richten Sie Ihr Handeln am Markt aus!
Abbildung 167: Lanxess AG von Juni 2016 bis Dezember 2018 – Rechteck mit Fehlsignal Anfang 2018 – chart provided by Metastock
Ein Beispiel für diese Handelsrichtschnur sei an der Aktie des US-Unternehmens Immunex Corp. erläutert (Abbildung 168). Der Aktienkurs dieses Biotech-Unternehmens verlief in 1999 innerhalb eines Seitwärtstrends, einem Rechteck. Nach einem Aufwärtstrend warteten die Marktteilnehmer auf neue Nachrichten. In der Regel sind Rechtecke nach ausgeprägten Trends eher trendbestätigend, es hätte hier ein Ausbruch nach oben erwartet werden können. In diesem Falle wurde jedoch ein Verkaufssignal nach Break der unteren Rechteckbegrenzung generiert. Das Kursziel wurde auch erreicht.
Der nachfolgende Rebreak in die Bandbreite des Rechtecks stellte Ende Oktober 1999 wiederum ein Kaufsignal dar, ebenso das Überwinden der oberen Widerstandslinie im Dezember 1999. Der
Rücksetzer nach Ausbruch aus dem Rechteck nach unten erwies sich somit als Marktbereinigung, es gab keine Verkäufer mehr! Der Anleger durfte also flexibel bleiben und sich stets am Markt orientieren. Mit dieser Handelsrichtschnur (Nur der Markt hat Recht!) konnte sodann auch der kräftige Aufwärtstrend bis ins Frühjahr 2000 mitgenommen werden. Anschließend allerdings krachte der Wert wieder zurück, nachdem Medikamente nicht den Erwartungen entsprachen. 2002 wurde das Unternehmen sodann vom Konkurrenten Amgen übernommen.
Abbildung 168: Immunex von Februar bis Dezember 1999 – 3-Tage-Barchart – chart provided by Metastock
Rechtecke können natürlich auch für das kurzfristige Trading aussagekräftige Signale hervorbringen. So bildete sich im DAX in den Stundenkerzen vom 15. Februar 2018 bis zum 26. Februar 2018 ein Rechteck aus. Dieses wurde nach oben verlassen. Ein Kaufsignal! Doch im Chart (Abbildung 169) können Sie gut erkennen, dass das aus dem Rechteck ableitbare Kursziel in den nachfolgenden
Stundenkerzen nicht mehr erreicht wurde.
Vor allem mit einer Rückkehr der Kurse in das Rechteck wies dies auf eine Schwäche der Bullen hin. Vorsicht war somit angebracht. Der Ausbruch nach oben ein Fehlausbruch, eine Bullenfalle! Der anschließende Ausbruch aus dem Rechteck nach unten mit einer längeren schwarzen Stundenkerze war somit nur konsequent und stellte sodann ein Verkaufssignal für den kurzfristig orientierten Händler dar.
Abbildung 169: DAX vom 07. Februar bis 08. März 2018 – Rechteck als Signalgeber im Stundenchart – chart provided by guidants.com
Letztlich gelten die Methoden der Trend- und Formationsanalyse in
allen Zeitebenen. Kurzfristige Formationen und Zeitebenen haben jedoch nur entsprechend kurzfristige Auswirkungen, langfristige Zeitebenen hingegen langfristige Auswirkungen. Eine hohe Aussagekraft gewinnen Formationen jedoch stets in Verbindung mit Kurslücken (Erläuterung der Gaps gesondert im Abschnitt »Der Sprung der Masse – das Gap«). Entscheidet sich der Markt nach einer Phase der Unsicherheit oder einer abwartenden Haltung dynamisch in die eine oder andere Richtung, steigt also der Handlungsbedarf der Börsianer kräftig an, so ist auch das Ausbruchssignal relevant.
Abbildung 170: Wal-Mart von Oktober 2011 bis Juli 2012 mit Gap innerhalb des Rechtecks nach Bärenfalle – chart provided by Metastock
Im Kursverlauf der Aktie des US-Einzelhandelsunternehmens Wal-Mart Stores Inc. bildete sich im Frühjahr 2012 ein Rechteck aus (Abbildung 170). Nach einem kleinen Rücksetzer (Fehlausbruch nach unten bei hohen Umsätzen) konnte der Wert innerhalb der
Formation einen kräftigen Kurssprung von einem Tag auf den anderen verzeichnen. Dieses Gap wies auf weiterhin steigende Kurse mit der Chance auf einen Ausbruch aus dem Rechteck nach oben hin.
Ein klassisches Break-away-Gap (Ausbruchslücke) zeigte sich hingegen bei der britischen Supermarktkette Tesco PLC (Abbildung 171). Nach einer abwartenden Haltung (Rechteck) fiel der Wert nach Bekanntgabe negativer Nachrichten kräftig. Ein Gap nach unten wies auf eine einseitige starke Stimmungsverschlechterung hin. In Verbindung mit dem Ausbruch aus dem Rechteck ein starkes Verkaufssignal!
Abbildung 171: Tesco PLC von August 2011 bis März 2012 – Ausbruchslücke nach unten als Verkaufssignal – chart provided by tradesignalonline.com
Die hohe Schule der Panik: V-Formation
Trendumkehrformation
V-Formationen sind Panikreaktionen einer Masse von Börsenteilnehmern. Hier regiert entweder die Angst oder die Gier. Bei V-Formationen gerät die Masse in eine kollektive Depression oder in einen kollektiven Kaufrausch. Diese Panik tritt meist am Ende eines längeren Trends auf. Wesentliches Merkmal der V-Formation ist, dass entweder ein sell-off
(Ausverkauf) oder bei einer umgekehrten V-Formation ein blow-off
(Blasenbildung) stattfindet. Der Markt erfährt eine Bereinigung. Die wirklich letzten Pessimisten beziehungsweise Optimisten aus der Masse aller Marktteilnehmer haben ihre Ressourcen in den Markt geworfen. Diese Übertreibungen werden entsprechend schnell korrigiert.
Nach der Gegenreaktion, die ein Bestandteil der V-Formation ist, entsteht oftmals eine seitwärts gerichtete »Plattform« mit geringer Schwankungsbreite. Beachten Sie bitte, dass häufig keine fundamentalen Neuigkeiten beim Eintreten einer V-Formation verfügbar sind. Es handelt sich im Idealfall der V-Formation um reine Börsenpsychologie. Trotzdem gilt natürlich, dass auch im Zuge von Unternehmensmeldungen, News et cetera sich eine V-Formation ausbilden kann. Überaus hilfreich kann es allerdings sein, bei kräftigen Marktbewegungen, bei sehr schnellen Kursbewegungen von Aktien, entweder in den Medien zu recherchieren oder direkt das Unternehmen zu konsultieren, um zu erfahren, ob eine fundamentale Neuigkeit den Kurs getrieben hat, eine wichtige Sitzung (Aufsichtsrat-Sitzung) stattgefunden hat und wann die nächsten Zahlen oder Meldungen veröffentlicht werden. Fehlen fundamentale Nachrichten, so ist die Bildung einer V-Formation zumindest möglich.
Da V-Formationen die Angst und Gier der Börsianer vortrefflich widerspiegeln, soll nachfolgend ein Versuch der Erklärung gegeben werden, wie sich diese zwei außerordentlich wichtigen Triebkräfte an der Börse entwickeln.
Angst – schnelle Antriebskraft
Ist ein Anleger in einer Aktie, Rohstoff, Devise oder Index et cetera investiert, die nur den Weg nach unten kennt, so wird gemeinhin die Hoffnung eine Weile hochgehalten. Der Anleger wird jede kleine Kurserholung als Anzeichen einer Trendwende interpretieren. Doch jedes neue Tief wirft ihn unweigerlich auf den Boden der Realität zurück und die Hoffnung auf eine Kehrtwende schwindet. Irgendwann wird er der Meinung sein, dass die Kurse nur noch fallen können. Das bislang vergebliche Abwarten auf Besserung, die ansteigenden Buchverluste im Depot zehren an den Nerven. Der psychologische Druck des Verlustes, der nach neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen nicht nur seelische, sondern durchaus auch körperliche Schmerzen verursachen kann, sucht nach Erlösung, nach Entspannung. Diese wird jedoch nur bei einem Ausstieg aus der Verlust-Position gewährt.
Sofern auch der psychologische Druck der Masse der Anleger ansteigt, entsteht Angst im Markt. Diese übernimmt nun die Regie des Handelns und die Masse der Anleger verkauft panikartig. Die Devise lautet: Rette sich, wer kann. Eine Beschleunigung eines Abwärtstrends tritt meist dann ein, wenn neue Tiefstkurse erreicht werden und die Masse der Anleger keinerlei Gewinne mehr vorzuweisen hat in einer Aktie oder im breiten Gesamtmarkt. Die Panikreaktion tritt auch ein, wenn nach langfristigen Abwärtstrends Unterstützungen gebrochen werden. Stop-loss-Aufträge können diese Entwicklungen zudem noch anheizen. Wenn relevante Unterstützungslinien gebrochen werden, wird aufgrund von Stop-loss-Aufträgen unlimitiert und automatisiert verkauft. Treffen diese Verkaufsaufträge sodann auf nur wenige Käufer, rauschen die Kurse abwärts und der Verkaufsdruck der bislang noch investierten Anleger nimmt zu.
Gier frisst Hirn
Im umgekehrten Fall einer Aufwärtsbewegung ist der Anleger unter Umständen noch nicht investiert. Der Anleger hat die Aufwärtsbewegung schon längere Zeit verfolgt, doch bisher nicht den Mut gefunden einzusteigen. Er hat aber womöglich eine geraume Zeit damit zugebracht, sich über entgangene Gewinne zu ärgern.
Verpasste Chancen sind für die meisten Menschen fast schwerer zu ertragen als echte Verluste. So baut sich vergleichbar mit einer Abwärtsbewegung ein psychologischer Druck auf, der eine psychische Entlastung erst mit einem Kauf erfährt. Denn je höher die Kurse steigen, umso größer werden die verpassten Gewinne. Entgangene Gewinne interpretiert unser Gehirn als Verlust – ein angeborenes menschliches Verhaltensmuster.
Irgendwann werden alle Regeln über Bord geworfen und panikartig wird in den Markt investiert. Der Anleger möchte um nichts in der Welt diesen Trend verpassen. Denn morgen gibt es keine Aktien mehr. Eine Beschleunigung eines Aufwärtstrends tritt dann ein, wenn eine Masse von Marktteilnehmern von neuen Höchstkursen, meist auch Allzeithochs oder auch dem Bruch von relevanten historischen Widerständen angelockt wird und ein langfristiger Trend vorliegt, der scheinbare Sicherheit von ewig steigenden Kursen vorgaukelt. Sofern die letzten potenziellen Käufer ihre Ressourcen in den Markt geworfen haben, fehlt es an neuen Käufern und der Trend kippt um – Ernüchterung greift um sich.
Merkmale der V-Formation
Kursverlauf:
Eine kräftige Abwärts- oder Aufwärtsbewegung, der sich eine ebensolche schnelle Gegenbewegung anschließt, bildet im Kursverlauf ein V aus. In der Regel bildet sich nach der Panikreaktion eine Seitwärtsphase, eine »Plattform« mit geringer Schwankungsbreite aus. V-Formationen sind jedoch auch ohne Plattform möglich.
Zeitliche Ausdehnung:
eine Woche bis maximal drei Monate.
Umsatzverhalten:
Das Volumen schwillt in der anfänglichen Bewegung der V-Formation an. Ein sehr hohes Volumen im Bereich der Spitze gibt der V-Formation eine hohe Aussagekraft.
Charakter:
V-Formationen sind Panikreaktionen des breiten Börsenpublikums. Nach einem längeren Abwärtstrend tritt Verkaufs- oder nach einem langfristigen Aufwärtstrend Kaufpanik ein.
Besonderheiten:
Die Übertreibung im Kursverlauf nach unten oder oben wird recht schnell korrigiert. Der anfängliche Ausbruch erfolgt oftmals auch mit einem Ausbruch aus einem Trendkanal. Dieser Ausbruch erweist sich dann in Folge als Fehlsignal.
Signal:
Das eigentliche Signal ist ein Verlassen der Plattform in Richtung der vorherigen Gegenbewegung.
Kursziel:
Die horizontale Differenz zwischen dem Extrempunkt der V-Formation und der Mitte der Plattform wird an das Ausbruchsniveau der Plattform abgetragen.
Über- und Untertreibungen gehören an den Börsen zum normalen Verhaltensmuster. Trotzdem ist eine klassische Ausprägung einer V-Formation eher selten. Vor allem in den vergangenen Jahren gewann die Formation an Seltenheitswert. Denn im Zeitalter des schnellen Börsenhandels, gepaart mit einer hohen Informationsdichte, werden Rücksetzer als auch schnelle Kursanstiege, denen eine gewisse fundamentale Begründung fehlt, recht schnell zum Kauf oder Verkauf genutzt.
Ein Beispiel für eine V-Formation stellt der Zeitraum im Herbst 2016 der Pro-SiebenSat.1 Media SE dar. Nach einem längerfristigen Abwärtstrendkanal rutschte der Wert aus diesem nach unten heraus (Abbildung 172). Die Verkaufspanik nahm zu – doch bis Jahresende erholte sich der Wert wieder deutlich. Nach Ausbildung einer Plattform und Ausbruch aus dieser nach oben konnte die Aktie an Wert zugewinnen. Das Kursziel aus der V-Formation wurde allerdings erst nach weiteren leichten Rücksetzern sodann im Mai 2017 erreicht. Mit einem Fehlausbruch aus dem Abwärtstrendkanal nahm der Wert hingegen seit dem Sommer 2017 seine Abwärtsbewegung wieder auf. Dies verdeutlicht wiederum, dass sich ein Anleger stets flexibel verhalten sollte. Sofern das gewünschte Szenario – in diesem Falle eine Erholung entsprechend der V-Formation – eintritt und Kursziele oder Abwärtstrendlinien erreicht werden, sollte stets eine Neubewertung erfolgen. Neue Signale erzwingen eine Neueinschätzung. Im vorliegenden Chart der
ProSiebenSat.1 Media SE trat mit zwei Hochpunkten im April und Mai 2017 eine M-Formation auf, eine Gipfelbildung.
Aussagekräftig sind V-Formationen in Verbindung mit einem längerfristigen Abwärtstrend. Die Panik nimmt zum Ende einer Abwärtsbewegung hin zu. Die Sicherheit über die Trendstärke wächst an, die Masse der Marktteilnehmer geht davon aus, dass die Kurse nur noch fallen können.
Abbildung 172: ProSiebenSat.1 Media SE von Ende 2015 bis Mitte 2016 – Erholung nach V-Formation, M-Formation als Ende der Erholung – chart provided by guidants.com
Abbildung 173 zeigt ein weiteres Beispiel für eine V-Formation, die auf Angst und Panik im Markt hindeutete. Mit Bruch einer relevanten Unterstützungslinie kam die Aktie des britischen Pumpenherstellers Weir Group im Herbst 2011 unter die Räder. Unlimitierte Stop-loss-Aufträge unter relevanten Unterstützungslinien werden sodann recht häufig ausgelöst und verstärken eine Abwärtsbewegung. Nach einer kräftigen aber sehr kurzfristigen Abwärtsbewegung drehte die
Stimmung, Schnäppchenjäger kauften den Wert, und der Ausbruch unter die Unterstützungslinie erwies sich im Nachhinein als Bärenfalle. Nach einer kurzen Verschnaufpause (Plattform der V-Formation) konnte sich die Erholung zudem recht stürmisch weiter fortsetzen.
Zwei klassische Beispiele stellen hierbei die Kursverläufe der Fresenius Medical Care SE (Abbildung 174) sowie der Henkel AG (Abbildung 175) dar.
Abbildung 173: Weir Group von März 2011 bis März 2012 – V-Formation als Bärenfalle – chart provided by tradesignalonline.com
Abbildung 174: Fresenius Medical Care SE von März 1998 bis Mai 1999 – V-Formation als Ende eines Abwärtstrends – Panikverkäufe als Bereinigung im Markt – chart provided by Metastock
Im Oktober 1998 trat nach längerem Abwärtstrend ein starker Kursverfall in der Aktie der Fresenius Medical Care SE ein. Diese »Übertreibung« nach unten wurde innerhalb kürzester Zeit korrigiert – nach der ausgesprochen starken Gegenreaktion verharrte die Aktie Ende Oktober in einer engeren Seitwärtsbewegung, der Plattform. Anschließend mit Ausbruch aus der Plattform wurde das Kursziel aus der V-Formation erreicht und somit auch der langfristige Abwärtstrend gebrochen.
Im Chart der Henkel AG kam es Anfang 2000 zu einer ausgeprägten V-Formation. Nach einem seit Juli 1998 bestehenden Abwärtstrend durchbrach die Aktie Anfang 2000 eine wesentliche Unterstützung bei 55 Euro. Dieser Break löste eine Verkaufswelle aus. Die Gegenreaktion verlief ebenso schnell und heftig und brachte die Aktie wieder von circa 46 Euro auf über 60 Euro. Eine V-Formation
signalisierte das Ende des Abwärtstrends nach einem Bruch der Abwärtstrendlinie. Als Plattform kann eine sehr volatile Pendelbewegung von Mai bis Juli 2000 gelten.
Abbildung 175: Henkel von Februar 1998 bis März 2001 – V-Formation nach Bruch einer relevanten Unterstützung beendet den Abwärtstrend (3-Tage-Barchart) – chart provided by Metastock
Letztlich gilt, wie bei allen anderen Formationen, dass nicht so sehr die grafische Idealform einer Formation relevant ist, sondern der Charakter des Verhaltensmusters! Insbesondere ist bei V-Formationen nicht immer eindeutig, wie die Plattform definiert werden kann, wie am obigen Beispiel der Henkel-Aktie deutlich wird. Am Kursverlauf der Kupferhütte Aurubis AG (Abbildung 176) ist dieses Verhaltensmuster im Chart jedoch gut zu erkennen. Nach einer Abwärtsbewegung setzte sich Verkaufspanik durch, der dann eine sehr schnelle Erholung folgte.
Abbildung 176: Aurubis von Dezember 2010 bis Juni 2011 – V-Formation als Panikreaktion des Börsenpublikums – chart provided by tradesignalonline.com
Eine kurze Plattform über einige Handelstage brachte ein Kaufsignal hervor – doch im April 2011 setzten nochmals leichte Gewinnmitnahmen ein. Erst ein Anstieg über das Aprilhoch konnte den Wert zu einer weiteren kräftigen Aufwärtsbewegung animieren. Die V-Formation stellte das Ende der Abwärtsbewegung mit einem Ausverkauf dar. Das umgekehrte Verhaltensmuster, eine Euphorie nach einer längeren Aufwärtsbewegung mit nachfolgender Ernüchterung, stellt die umgekehrte V-Formation dar. Allerdings sind inverse V-Formationen ausgesprochen selten. Denn Abwärtsbewegungen laufen in der Regel recht dynamisch ab, Aufwärtsbewegungen hingegen, die eine Kaufpanik oder Gier der Marktteilnehmer, eine Euphoriesituation darstellen, sind einfach seltener anzutreffen. Ein Beispiel könnte der Kursverlauf der
Deutsche Telekom AG Anfang 2000 darstellen. Der Hype um Aktien und um die neue Volksaktie, die T-Aktie, erreichte das breite Börsenpublikum. Eher unerfahrene Börsianer sprangen auf den Zug auf. Im März 2000 erreichte die Euphorie ihren Gipfel und Ernüchterung machte sich breit. Im Kursverlauf der Abbildung 177 können Sie allerdings gut erkennen, dass das umgekehrte V eher als Idee zu verstehen wäre.
Abbildung 177: Dt. Telekom von Juni 1999 bis Januar 2001 – V-Formation als Idee als Ende der Aufwärtsbewegung im Frühjahr 2000 – chart provided by Metastock
Eine klare Plattform lässt sich nicht eindeutig identifizieren. Eine kurze Seitwärtsbewegung von Ende April bis Anfang Mai 2000 ließe sich am ehesten als solche definieren. Doch auch ohne V-Formation sind Verkaufssignale zu erkennen. So bildete sich eine Schulter-Kopf-Schulter-Formation aus, in deren rechter Schulter ein Aufwärtstrend gebrochen wurde. Im weiteren Verlauf wurde ein fallendes Dreieck
als auch ein kurzfristiges symmetrisches Dreieck nach unten verlassen.
Wichtig: Der Chartanalyst trifft eine Annahme, sofern ein bestimmtes Verhaltensmuster im Kursverlauf mit bekannten Folgen erkennbar ist. Je klarer natürlich dieses Verhaltensmuster auch auftritt, desto größer ist auch die Aussagekraft. Die Schwierigkeit bei der V-Formation und insbesondere der inversen V-Formation ist allerdings die Seltenheit dieses Verhaltensmusters und somit auch der eingeschränkten statistischen Auswertung, gleiches gilt übrigens auch für das nachfolgend beschriebene Muster, der Untertasse.
Abbildung 178: South West Airlines Co. von November 2013 bis Februar 2015 – Inverse V-Formation, die sich als falsch herausstellt – chart provided by guidants.com
Ein letztes Beispiel für eine inverse V-Formation, die allerdings eine Fehlannahme war. Im Kursverlauf (Abbildung 178) der US-
Billigfluglinie Southwest Airlines trat nach einer kräftigen Aufwärtsbewegung in 2014 von Mitte September 2014 bis Mitte Oktober 2014 eine kurzfristige Abwärtsbewegung auf. Diese Bewegung wurde von Analysten als V-Formation eingestuft. Doch nachdem der kurzfristige Abwärtstrend mit hohen Umsätzen gebrochen werden konnte, erreichte der Wert zum Jahresende 2014 neue Tops.
Untertasse – langsames Erwachen (rounding top, rounding bottom)
Trendumkehrformation
Eine ebenfalls seltene Formation stellt die Untertasse dar, die eine länger andauernde Boden- oder Gipfelbildung signalisiert. Der Meinungsumschwung tritt hier relativ langsam ein, erstreckt sich über Wochen bis zu mehrere Monate. Eine geringe Kursschwankungsbreite innerhalb der Boden-/Gipfelbildung ist als Merkmal zu beachten. Trotz der Seltenheit der Formation sei einmal eine Untertasse in Abbildung 179 vorgestellt. Der Aufwärtstrend verliert an Dynamik, wird seitwärts verlassen und nach einer Phase der Unsicherheit mit leicht fallenden Hochpunkten neigt sich die Waage gen Süden und der Kursverlauf verzeichnet leicht fallende Hochpunkte und tiefere Tiefs.
Letztlich kann der Anleger hier zwar eine inverse Untertasse als Gipfelbildung erkennen, doch auch der Bruch des Aufwärtstrendkanals und in Folge ein Fall unter relevante Unterstützungslinien lassen Verkaufssignale erkennen. Zusätzlich bedarf es bei einer »idealen« Untertasse eines »Henkels« am rechten Rang. Das heißt, laut Lehrbuch sollte sich nach dem langsamen Abschwung nach unten (respektive nach einem Aufschwung nach oben bei einer Untertasse als Bodenbildung) eine nochmalige Seitwärtsbewegung in engem Rahmen anschließen. Der Ausbruch aus diesem »Henkel« wiederum soll ein Signal generieren. Der »Henkel« kann allerdings auch als kurzfristiges Rechteck identifiziert werden. Eine Untertasse, ob als Gipfel- oder Bodenbildung, stellt daher eher eine Kombination von Auf- und Abwärtstrends sowie
Rechtecken oder Phasen der Unsicherheit dar, die für sich zusammengenommen eine längere Boden- oder Gipfelbildung darstellen, die im Sonderfall eine Untertasse ausbilden.
Merkmale einer Untertasse
Kursverlauf:
In Verbindung mit einer engeren Handelsbandbreite wechselt die Stimmung von einem Trend in den anderen. Anschließend bildet sich ein kurzfristiges Rechteck aus, das als »Henkel« der Untertasse bezeichnet wird.
Zeitliche Ausdehnung:
mehrere Wochen bis zu mehrere Monate.
Umsatzverhalten:
Das Volumen verringert sich zur Mitte der Untertasse hin, um anschließend stetig zu steigen. Ein Ausbruch aus einem »Henkel« erfolgt idealerweise mit einer Kurslücke bei ansteigenden Umsätzen.
Charakter:
länger andauernde Boden-/Gipfelbildung. Der Meinungsumschwung tritt hier relativ langsam ein.
Besonderheiten:
Eine recht seltene Formation, deren Kursverlauf zudem nicht klar definiert ist. Daher ist auch die Signalgenerierung nicht eindeutig, sofern ein »Henkel« fehlt.
Signal:
Im Idealfall wird das Signal einer Untertasse bei Ausbruch mit einer Kurslücke aus der sich anschließenden Seitwärtsbewegung, dem »Henkel« generiert.
Kursziel:
Die horizontale Differenz zwischen dem Scheitelpunkt der Untertasse und dem Ausbruch aus einem »Henkel« wird an das Ausbruchsniveau in Richtung des Ausbruchs abgetragen.
In Abbildung 179 ist eine Gipfelbildung bei American Express erkennbar, die sich über mehrere Monate hinzog. Dieser Gipfel kann als rounding top
beziehungsweise umgekehrte Untertasse beschrieben werden. Die für eine Untertasse typische Plattform fehlt jedoch. Das Umsatzverhalten bestätigt dagegen die Gipfelbildung sowie die Trendwende. Allerdings darf im Kursverlauf sowohl der
Bruch des langfristigen Aufwärtstrends als Verkaufssignal ebenso gewertet werden wie der dynamische Rutsch Anfang 2001 unter die runde Marke von 50 US-Dollar.
Abbildung 179: American Express von Ende 1998 bis April 2001 – Fragwürdige inverse Untertasse ohne Henkel – chart provided by Metastock
Die Untertasse wurde der Vollständigkeit halber mit aufgeführt. Und dient eher zur Veranschaulichung der Maxime »Weniger ist mehr!«
Denn Dreiecke, Rechtecke sowie Keile und letztlich eine aussagekräftige Schulter-Kopf-Schulter-Formation in Verbindung stets mit der Trend- und Formationsanalyse reichen aus, um an der Börse erfolgreich zu arbeiten. Auch weitere Formationen werden von den Chartisten oftmals besprochen, so zum Beispiel auch der Diamant, der jedoch noch seltener gebildet wird als eine Untertasse. (Anmerkung: Der Diamant ist eine Kombination aus einem umgekehrten Dreieck, welchem sich direkt ein symmetrisches Dreieck anschließt.) Zudem sind diese Formationen in der Praxis derart unbestimmbar, dass der geneigte Leser sich bitte auf die
Formationen konzentrieren sollte, die nicht nur in der Theorie, sondern vor allem in der Praxis erfolgreich angewendet werden können sowie eine statistisch hinlänglich verwertbare Anzahl an Mustern hervorbringen.
Abschließend sei ein Beispiel zum Diamanten gegeben. Der DAX bildete vom Sommer 2017 bis in den Sommer 2018 hinein eine volatile Seitwärtsbewegung aus (Abbildung 180). Auf ein umgekehrtes Dreieck (Zunahme der Unsicherheit und Volatilität) folgte ein symmetrisches Dreieck (Unsicherheit und zunehmend abwartende Haltung). Diese potenzielle Gipfelbildung konnte auch als Diamant betrachtet werden. In meinem Expertenstream auf der Internet-Plattform Guidants
schrieb ich hierzu am 17. August 2018 folgende Antwort auf eine Frage eines Lesers:
DAX – Diamant, Dreieck, SKS oder nur eine Pause? Liebe Leser, die Frage wird heiß diskutiert. Hat sich im DAX im langfristigen Bild eine Schulter-Kopf-Schulter-Formation ausgebildet – oder doch eher ein Diamant beziehungsweise ein symmetrisches Dreieck? Nun nach meiner Ansicht ist ein Diamant ein derart seltenes Exemplar der Formationen, und zudem oftmals widersprüchlich definiert, dass vor allem die statistische Aussagekraft in Frage gestellt werden darf.
Letztlich ist es allerdings nicht so wichtig – denn ein Ausbruch aus der rechten Seite des Diamanten, dem symmetrischen Dreieck, wäre so oder so negativ. Allerdings muss noch die Frage gestellt werden, ob denn das vorliegende Dreieck idealtypisch ist – und das ist es aufgrund der Proportionen nicht unbedingt. Die ersten Berührungspunkte liegen doch recht weit entfernt von den jeweils zweiten Punkten. Trotzdem wäre natürlich ein Fall unter ca. 12.100 Punkten negativ. UND eine SKS? Naja – eine SKS wäre erst vollendet, wenn die Nackenlinie gebrochen werden würde – und im DAX wäre dies erst erfolgt, wenn entweder die Unterstützungszone als Nackenlinie und somit ein Fall unter 11.725 Punkten erfolgt oder man eine abwärtsgerichtete Nackenlinie konstruiert und diese dann gebrochen wird. Letztlich aber nicht so entscheidend, welchen
Namen man dem Kind gibt, unter 12.100 etc. wird es kritisch ... zumal dann auch die sehr langfristigen Aufwärtstrends kippen.
Soweit meine damalige Erläuterung. Die Chartsituation war natürlich brenzlig und eine Gipfelbildung musste eingeplant werden. Doch zum damaligen Zeitpunkt waren die Formationen entweder noch nicht eindeutig vollendet oder gar verlassen und ließen noch keine Verkaufssignale zu. Auch eine nochmalige Erholung ausgehend von der Unterstützungslinie (untere Dreiecksbegrenzung) war einzuplanen.
Abbildung 180: DAX von Oktober 2015 bis Februar 2019 – Dreiecke, Diamant oder gar eine SKS? Die Frage am 17. August 2018 – chart provided by Metastock
Fazit: Formationsanalyse ist ein wesentlicher Baustein in der Technischen Analyse, um langfristig erfolgreich zu handeln. Die Trend- und Formationsanalyse ist die Basis jeder Chartanalyse, die
mit Bleistift und Lineal einfach umsetzbar ist. Große Formationen haben große Auswirkungen, kleine Formationen nur kurzfristige Aussagekraft. Der Anleger sollte daher gezielt nach lang- bis mittelfristigen Formationen suchen, um eine hohe Trefferquote zu erzielen.
Der Sprung der Masse – das Gap
Neben den oben besprochenen Formationen können auch Kurslücken als eigenständige Formationen, also Verhaltensmuster einer Masse von Marktteilnehmern mit bekannten Folgen betrachtet werden. Eine Kurslücke entsteht, wenn zum Beispiel von einem Tag zum anderen der Kurs plötzlich in die Höhe schnellt – oder in die Tiefe abtaucht – und sich so im Barchart oder in den Candlesticks über Nacht eine Lücke bildet. Eine solche Lücke kennzeichnet also einen umsatz- und kurslosen Bereich. Die Bezeichnung ist allerdings recht unterschiedlich. Lücken werden auch als Fenster oder im englischen Sprachgebrauch als Window
sowie Gap
betitelt. Im weiteren Verlauf des Buches wird die Kurslücke entsprechend der gebräuchlichsten Verwendung in der Sprache der Chartisten als Gap bezeichnet.
Abbildung 181: IBM von Mai bis September 2009 – Gaps nach oben als Kaufsignale – chart provided by tradesignalonline.com
Ein Gap drückt stets eine intensive Stimmungsverbesserung oder –verschlechterung aus. Denn ein Gap ist eine eindeutige Reaktion der Marktteilnehmer in eine Richtung. Gaps sind damit grundsätzlich einmal trendbestätigend (Beispiel Abbildung 181 – IBM sowie 182 – Comcast Corp.). Erst wenn ein Gap geschlossen wird und der Kurs eine dem Gap entgegengesetzte Richtung annimmt, wird die Wirkung des Gaps negiert und unter Umständen setzt gar eine Trendwende ein.
Abbildung 182: Comcast Corp. von Juni 2011 bis Januar 2013 – Trendbestätigende Gaps als Unterstützungen im Aufwärtstrend – chart provided by tradesignalonline.com
Gaps stellen auch wichtige Unterstützungs- oder Widerstandszonen dar. Liegt ein Aufwärtsgap vor, so werden die plötzlich steigenden Kurse auch das Interesse von Börsianern wecken, die sich bislang nicht mit diesem Wert befasst haben.
Auch Anleger, die vor einem Gap den Wert zwar beobachtet haben, aber noch nicht eingestiegen sind, könnten nun zu der Auffassung gelangen, dass es besser wäre, eher zu spät als gar nicht einzusteigen. Leichte Rücksetzer in den Bereich des Gaps werden so von diesen Marktteilnehmern aufgefangen.
Die Kurslücke wird so zu einer potenziellen Käuferzone, einer Unterstützung. Wird das Gap hingegen geschlossen – per Periodenschlusskurs, so wird auch die potenzielle Unterstützung
gebrochen und die starke einseitige Meinungskundgebung kehrt sich ins Gegenteil um. Dies gilt letztlich auch im umgekehrten Falle eines abwärtsgerichteten Gaps (Abbildung 183 – Dell Inc.). Dieses Gap gilt als Widerstand. Börsianer, die bislang nicht aktiv waren, verkaufen nun oder wetten auf fallende Kurse. Bestehende Positionen, die in den Verlust laufen, erhöhen den Abwärtsdruck. Die Anleger sehen ihre Felle davonschwimmen.
Abbildung 183: Dell Inc. von Juni 2011 bis Mai 2013 – Breites Gap nach unten als Verkaufssignal – chart provided by tradesignalonline.com
Im Idealfall versuchen diese Börsianer eine technische Gegenbewegung, eine Erholung in den Bereich des Gaps zu nutzen, um entweder bestehende Positionen zu verkaufen oder um auf fallende Kurse zu wetten. Wichtig ist allerdings, dass dies der Idealfall ist, dass Kurse sich kurzfristig für eine Gegenbewegung in den Bereich des Gaps bewegen. Je größer zudem das Gap, desto
größer darf auch die damit einhergehende Stimmungsverbesserung oder -verschlechterung angenommen werden. Somit kann es nach einem Gap auch einfach ohne Gegenbewegung in Richtung des Gaps weitergehen. Somit ist auch die oftmals zu hörende Meinung: »Fenster wollen geschlossen werden.« in das Reich der Mythen einzuordnen. Insbesondere bei ausgeprägten Trends werden Gaps oftmals überhaupt nicht oder erst Wochen, Monate oder gar Jahre später geschlossen.
Ein Beispiel für ein Gap (Abbildung 184), das seit Jahren nicht geschlossen wurde, zeigt der Kursverlauf der Brenntag AG. Anfang 2012 konnte der Wert aus einem symmetrischen Dreieck nach oben ausbrechen und im Zuge dieses Ausbruchs auch ein Gap generieren. Diese Kurslücke wurde bis 2018 nicht mehr geschlossen.
Abbildung 184: Brenntag AG von Juni 2011 bis Mai 2012 – Gap als Bestätigung der Aufwärtsbewegung nach Ausbruch aus einem symmetrischen Dreieck – chart provided
by tradesignalonline.com
Werden hingegen Gaps geschlossen, so besteht grundsätzlich die Chance auf einen Stimmungsumschwung. Solange dieses aber nicht erfolgt, sind Gaps trendbestätigend zu interpretieren. Abbildung 185 zeigt den Kursverlauf der Hewlett-Packard-Aktie. Hier kam es von Anfang 2011 bis in den Herbst 2013 zu einer Abwärtsbewegung. Jeweils fünf Gaps unterstrichen die Abwärtsbewegung. Erst nach einem Ausverkauf Ende 2012 und einem Aufwärtsgap konnte der Wert wieder ansteigen.
Abbildung 185: Hewlett-Packard von Oktober 2010 bis Mai 2013 – Gaps als trendbestätigende Muster – chart provided by tradesignalonline.com
Mit der Bildung eines Gaps verstärkt sich grundsätzlich ein Trend. Aus diesem Umstand ergeben sich folgende Investitionsregeln bei Fenstern:
Regeln bei Gaps
1. In Richtung des Gaps investieren!
2. Unterstützung und Widerstände bei Gaps:
Gaps bilden und bestätigen im Allgemeinen Unterstützungs- oder Widerstandszonen. Die vorherrschende Tendenz gilt erst dann als beendet, wenn Gaps auf Schlusskursbasis der gewählten Periode durchbrochen werden.
Im Allgemeinen gilt:
Oberkante bis zur Mitte eines Gaps = Unterstützung in einer Hausse
Unterkante bis zur Mitte eines Gaps = Widerstand in einer Baisse
3. Prognose nach der Anzahl der Gaps
Bei den Japanern gilt Folgendes: Wird ein Gap nach drei folgenden Sitzungen nicht geschlossen, gilt es als trendbestätigend (Die Zahl drei gilt unter japanischen Chartanalysten als magische Zahl).
Nach 6-8 Gaps innerhalb eines Trends gilt ein Markt als müde und erschöpft. Die Neigung zu Gewinnmitnahmen und einer Gegenbewegung wächst im Markt an.
Nach 8-10 Gaps innerhalb eines Trends ist der Markt vorerst ausgelaugt und bereit zu einer Trendwende oder einer ausgeprägten Korrektur.
Besonders aufmerksam sollten daher Trendwendeformationen oder neutrale Muster wie zum Beispiel Dreiecke, Island Reversal, Doji et cetera nach einer Reihe von Gaps beobachtet werden. Gaps sind auch Pausen im Trend und können damit Abschwächungen des vorherrschenden Trends sein.
4. Wird ein Gap nach einem Trend geschlossen, gilt der Trend als beendet.
Abbildung 186: The Travelers Co. von Ende 2011 bis Mitte 2013 – Ein erstes Gap nach oben im Oktober 2012 beendet den Aufwärtstrend, ein zweites Gap bestätigt den Ausbruch aus dem Dreieck – chart provided by tradesignalonline.com
Wenn Ereignisse oder Stimmungsänderungen eintreten, so dass der Aktienkurs von einem Tag auf den anderen auf einem neuen Niveau als angemessen gilt (Gapöffnung), müssen erst neue Ereignisse oder erneute Stimmungsänderungen eintreten (positive bei Schließen eines Baissefensters beziehungsweise negative bei Schließen eines Haussefensters), um den Aktienkurs wieder auf das alte Niveau (vor Eröffnung des Gap) zu bringen. Wenn der Markt diese Kraft (negativ oder positiv) aufbringt, vollzieht sich meist eine Trendwende nach ausgeprägtem Trendverlauf. Ausgesprochen deutlich wird dieses Verhalten, sofern auch Kursziele abgearbeitet sind, die aus Sicht der Trend- oder Formationsanalyse abgeleitet werden können. Abbildung 186 zeigt den Kursverlauf der The Travelers Co.-Aktie, einem US-Versicherer. Der Ausbruch aus einem Aufwärtstrendkanal
im Oktober 2012 wies auf eine Euphorie-Situation hin. Der anschließende Rebreak in den Trendkanal UND das Schließen des vorherigen Gaps deutete auf eine Konsolidierung sowie weitere Gewinnmitnahmen im Aufwärtstrendkanal hin. Der Aufwärtstrend wurde selbst nicht mehr berührt (Stärke der Bullen) und nach einer Konsolidierung (symmetrisches Dreieck) konnte mit einem zweiten Gap auch der Aufwärtstrendkanal nach oben verlassen werden.
Merkmale von Gaps
Gaps treten innerhalb eines Tages in sehr kurzfristigen Zeitintervallen auf, so im Day-Trading auf Basis der 3- oder 5-Minuten-Kerzen. In Charts auf Tagesbasis von einem Tag auf den anderen, in Wochencharts hingegen treten Gaps seltener auf, da dann die Kurslücke nur bei einem Kurssprung von Freitag zu Montag auftreten kann.
Ein Gap ist also eine starke einseitige Markttendenz. Ein Gap hat natürlich kein Volumen. Folgt einem Gap jedoch ein hohes Volumen, so kann dies eine Bestätigung für die Richtung des Gap sein. Eine Kurszielableitung ist in der Regel ausgehend vom Gap nicht möglich, eine Ausnahme bildet das running gap
(Fortsetzungslücke, siehe unten). Die Frage ist lediglich, ob man stets im Chart zweifelsfrei erkennen kann, mit welcher Art von Gap man es gerade zu tun hat. Ist das Gap eine »gewöhnliche Lücke« (common gap
), zeigt es also lediglich eine kurze Pause oder eine zufallsbedingte Kursnotierung im Chart an oder liegt vielleicht doch eher eine andere Art vor? Die Chartisten haben auch hierzu Klassifizierungen vorgenommen, die zumindest eine Hilfestellung geben können, um aufgrund von Gaps die vorherrschende Stimmung der Börsianer zu ergründen:
Arten von GAPs (Lücken)
common gap
(Bereichslücke, gewöhnliche Lücke): tritt innerhalb einer Seitwärtsbewegung oder einer Formation auf. Sie können die wahrscheinliche Ausbruchsrichtung andeuten, sind meist jedoch ohne Bedeutung.
breakaway gap
(Ausbruchslücke): tritt beim Ausbruch aus einer Seitwärtsbewegung oder einer Formation auf sowie bei einem
sprunghaften Bruch von Trendlinien sowie Widerstands- und Unterstützungs-Zonen und bestätigen den Ausbruch. Sie signalisieren oftmals den Beginn eines neuen Trends.
running gap
(Fortsetzungslücke): auch bezeichnet als runaway gaps
, continuation gaps
, measuring gaps
: tritt während eines stärkeren Trendverlaufs auf. Eine Faustregel besagt, dass ein solches Gap in der Mitte eines Trends auftritt. Hieraus folgt, dass Sie bei diesem Gap ein Kursziel ableiten können. Ähnlich der Flagge und des Wimpels kann insbesondere, wenn einem Gap eine Fahnenstange vorausgegangen ist, an die Gap-Oberkante die Schwankungsbreite der Fahnenstange als Kursziel abgetragen werden.
exhaustion gap
(Erschöpfungslücke): tritt direkt vor dem Ende eines steilen Trends auf. Ein Anzeichen für eine bevorstehende Unterbrechung oder eine Wende innerhalb eines ausgeprägten Trends. Weist der jeweilige Trend auch andere Überhitzungsanzeichen auf (zum Beispiel eine hohe Anzahl vorheriger Gaps) so kann ein Gap das Ende des Trends anzeigen. Ein solches Gap ist allerdings nur ein Warnsignal, denn das eigentliche Trendwende-Signal ist das Schließen des Gaps per Periodenschlusskurs.
Umkehrinseln (island reversal)
Die Umkehrinsel – wie der Name schon verrät – gehört zu den Trendumkehrformationen. Die Besonderheit hierbei sind die Gaps. Ein Gap ist an sich eher trendfortsetzend. Bei einer Umkehrinsel wird jedoch ein Kursbereich von zwei gegensätzlich laufenden Gaps eingefasst, dem ein Trend vorausgelaufen ist. Letztlich könnten so auch die zuvor besprochenen Regeln von Gaps lauten. Denn das erste Gap ist hierbei noch trendbestätigend – wird jedoch im weiteren Verlauf geschlossen. Allein dieser Fakt darf als Warn- und oder je nach Trendstärke auch als Trendumkehrsignal gedeutet werden. Das zweite Gap verstärkt noch diese Annahme.
Merkmale einer Umkehrinsel
Grundsätzlich gilt: Umkehrinseln werden durch zwei Gaps auf annähernd gleichem Niveau vom übrigen Kursverlauf getrennt. So
die ideale Ausprägung. Relevanter ist jedoch der Charakter der Umkehrinsel. Nach einem ausgeprägten Trend tritt nochmals eine starke Stimmungsfortsetzung mit dem ersten Gap ein. Das zweite Gap hingegen in entgegengesetzter Richtung weist auf einen Stimmungsumschwung hin. Bei einem Aufwärtstrend setzt eher Ernüchterung ein, Gewinnmitnahmen verstärken die Trendwende. Bei einer vorherigen Abwärtsbewegung hingegen ist der Markt unter Umständen bereinigt. Die letzten Bären haben fluchtartig das Feld verlassen und anschließend gibt es keine Verkäufer mehr. Schnäppchenjäger treten auf den Plan und kaufen. Ein klares Kursziel ist allerdings aus der Umkehrinsel nicht abzuleiten.
Abbildung 187: Schering von November 1998 bis April 1999 – Umkehrinsel mit Pullback – chart provided by Metastock
Damit gilt allerdings auch, dass Umkehrinseln nur in Verbindung mit einem Trend relevant sind und einen Gipfel oder einen Boden darstellen können. Je größer die Schwankungsbreite und je höher der Umsatz in der Umkehrinsel ist, desto stärker ist die Aussagekraft
dieser Formation. Im Idealfall stellt eine Umkehrinsel eine Distributions- oder Akkumulationsphase dar. Der Zeithorizont ist hierbei allerdings eher kurzfristiger Natur mit einer maximalen Dauer von circa fünf Wochen. Eine Besonderheit stellt eine Umkehrinsel dar, die statt mehrerer Perioden nur eine Periodenlänge besitzt, also zum Beispiel nur eine Tageskerze oder eine Wochenkerze umfasst.
Beispiel (Abbildung 187): Anfang 1999 verstärkte sich der Aufwärtstrend von Schering durch einen Sprung (Gap) über einen bisherigen Widerstand. Das neue Niveau konnte jedoch nicht gehalten werden und circa eine Woche darauf kam es wiederum zu einem Sprung unter das vormalige Widerstandsniveau. Diese neuerliche Richtungsänderung signalisierte das Ende des Aufwärtstrends. Getrennt von zwei Gaps lagen die Kurse oberhalb des Widerstandsniveaus wie eine »Insel« über dem breiten Kursverlauf. Auch der sich anschließende Versuch, nochmals nach oben zu laufen, änderte nicht mehr die starke Aussagekraft der Trendumkehrformation.
Eine klassische Insel zeigt auch der Chart der Verizon Communications Inc. im Sommer 2010 (Abbildung 188). Nach einer Abwärtsbewegung und einem Fall unter eine relevante Unterstützungszone generierte der Wert ein Gap. Die Aktie verlor daraufhin noch etwas, doch deutlicher neuer Verkaufsdruck kam nicht mehr auf. Vielmehr stabilisierte sich die Aktie knapp oberhalb der unteren Begrenzung des Abwärtstrendkanals und mit einem Gap nach oben konnte sich eine Erholung mit Test und Break der Abwärtstrendlinie durchsetzen. Der Ausbruch aus dem Abwärtstrendkanal bestätigte noch das positive Signal der Inselumkehr.
Abbildung 188: Verizon Communication Inc. von September 2009 bis Dezember 2010 – Inselumkehr beendet Abwärtsbewegung – chart provided by tradesignalonline.com
Sinnvoll ist natürlich stets die Interpretation von Kurssprüngen (Gaps) auch in Verbindung mit der Trend- und Formationsanalyse. Besteht ein Abwärtstrend, so sind fallende Gaps eben auch stets trendbestätigend. So zeigten sich zwei größere Gaps in einer Abwärtsbewegung von Procter & Gamble Co. in 2012 (Abbildung 189). Im Sommer 2012 konnte sich der Wert jedoch an der Rückkehrlinie des Abwärtstrendkanals stabilisieren und mit einem kleinen Gap nach oben eine Erholung starten. Eine eindeutige Inselumkehr lag hier allerdings nicht vor, da das vorherige abwärtsgerichtete Gap noch deutlich über dem kleineren aufwärtsgerichteten Gap lag.
Mit einem Break-away-Gap aus dem Abwärtstrendkanal wurde jedoch sodann ein Kaufsignal generiert. Die drei Gaps zusammen
genommen konnten hier als »Idee« der Inselumkehr interpretiert werden – eines Stimmungsumschwungs nach einem Ausverkauf.
Abbildung 189: Procter & Gamble von Februar bis September 2012 – Drei Gaps als Idee einer Inselumkehr – chart provided by tradesignalonline.com
Umkehrtag (reversal day, intraday reversal)
Eine weitere Formation stellt im Repertoire des Chartanalysten der Umkehrtag dar. Auch als reversal day
oder intraday reversal
bezeichnet. Die Besonderheit dieser Formation ist es, dass nur eine einzelne Periode eines Barcharts (in der Regel eines Tages) betrachtet wird. Es tritt daher nur ein Balken auf in Verbindung mit einem Gipfel oder einer Bodenbildung. Ein oberer Umkehrtag eröffnet in der Nähe des Hochs des vorangegangenen Aufwärtstrends und erzeugt ein neues Hoch. Der Schlusskurs liegt jedoch weit von dem an diesem Tage erzeugten Hoch entfernt (meist in unmittelbarer Nähe zum Eröffnungskurs). Ein unterer Umkehrtag
eröffnet in der Nähe des Tiefs des vorangegangenen Abwärtstrends und erzeugt ein neues Tief. Der Schlusskurs liegt jedoch weit von dem an diesem Tage erzeugten Tief entfernt (meist in unmittelbarer Nähe zum Eröffnungskurs). Je größer die Schwankungsbreite und je höher der Umsatz, desto stärker ist die Aussagekraft eines Umkehrtages.
Abbildung 190: S&P 500 von Juli bis Oktober 1998 – Ein Umkehrtag Anfang Oktober 1998 mit nachfolgendem Trendbruch ein Kaufsignal im S&P 500 – chart provided by Metastock
Als Beispiel sei der Kursverlauf des S&P 500 aufgezeigt (Abbildung 190). Nach einem Abwärtstrend im Oktober 1998 kam es nochmals zu einem starken Verkaufsdruck, der innerhalb des Tages neue Tiefpunkte markierte. Dieser Tag wurde jedoch von der Masse der Marktteilnehmer genutzt, um günstig einzusteigen. Der Verkaufsdruck kehrte sich um und am Ende des Tages lag der Schlusskurs weit über den Tagestiefstständen. Innerhalb des Tages konnte eine Trendumkehr festgestellt werden, der Umkehrtag in Verbindung mit den anschließenden aufwärtsgerichteten Tagen
zeigte die generelle Trendwende an. Umkehrtage werden in der japanischen Kerzenchartanalysetechnik auch als Hammer
(nach einem Abwärtstrend) oder als Shooting Star
(nach einem Aufwärtstrend) bezeichnet. Eine umfassende Erläuterung des Umkehrtages wird daher im Abschnitt Candlesticks vorgestellt.
In den bisherigen Kapiteln wurde die klassische Chartanalyse behandelt. In einigen Anmerkungen wurde schon auf die japanische Methodik, die Candlesticks, hingewiesen. Zu dieser Methodik könnte ein eigenes, umfangreiches Buch geschrieben werden. Nachfolgend erhalten Sie eine Einführung in diese Methode, die Ihnen als Anleger hilft, recht schnell und klar ein Übergewicht der Bären oder Bullen im Kursverlauf erkennen zu können. Um dem Markt einen Schritt voraus zu sein, eignen sich Candlesticks in Verbindung mit der klassischen Technischen Analyse exzellent. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, die Marktstimmungen, können Sie mit Hilfe der Candlesticks recht schnell erfassen. Candlesticks geben hier wertvolle Hinweise auf eine unkomplizierte Art und Weise. Die japanische Kerzenchart-Technik wird im Folgenden kurz erläutert und deren praktische Anwendung besprochen. In den folgenden Kapiteln wird dargestellt, wie eine Chartanalyse relativ einfach nach einer Checkliste erstellt werden kann und welche Grundvoraussetzungen beachtet werden sollten.