Kapitel 11: Beispiele unterschiedlicher Zeitebenen bei Candlesticks
Langfristige Zeitebene – Monatskerzen
Im Frühjahr 2002 zeigte sich ein Ausbruch im EUR/USD aus einem symmetrischen Dreieck mit einer langen weißen Monatskerze.
Abbildung 221: EUR/USD von Januar 1999 bis Juli 2003 – Monatskerzen – Symmetrisches Dreieck wird mit langen weißen Kerzen verlassen – chart provided by Metastock
Diese zeigte in Verbindung mit der vorherigen Entwicklung
innerhalb der Spitze des Dreiecks klare Kaufneigung an, die sich zudem in Verbindung mit dem Kursziel aus dem Dreieck dynamisch fortsetzen sollte. Ausgehend von dieser »übergeordneten« Entwicklung konnten kurzfristige Long-Signale in den Tages- als auch Stundenkerzen zum Aufbau einer Longposition genutzt werden. Im Chart (Abbildung 221) zudem sehr interessant ein Muster, das eine starke Anspannung im Kursverlauf ab dem Herbst 2002 anzeigt. Nach sieben beziehungsweise knappen acht Monatshöchstkursen in Folge seit Oktober 2002 trat eine Konsolidierung ein.
Dieses Muster einer starken Anspannung zeigte sich auch im DAX von September 1996 bis Juli 1997 sowie von Dezember 1997 bis Juli 1998 auf Monatsbasis (Abbildung 222). Hier traten zehn sowie folgend acht Monatshöchstkurse in fast ununterbrochener Folge auf. Diese Muster werden als »Skelett des Sakata« bezeichnet – in der Regel gilt ein Markt als überkauft oder überverkauft nach acht bis zwölf Höchst- oder Tiefstkursen in Folge. Eine Gegenreaktion ist bei einem solchen Muster stets zu erwarten. Bemerkenswert der schon oben besprochene Gravestone Doji im Juli 1998 – Verkaufssignale in den kurzfristigeren Zeitebenen wie der folgende Trendbruch erhielten damit eine hohe Aussagekraft.
Abbildung 222: DAX von März 1996 bis September 1999 – Monatskerzen – chart provided by Metastock
Ein weiteres Beispiel für die Anwendung von Monatskerzen zur Bestimmung der übergeordneten Verfassung eines Marktes ist der Kursverlauf der Deutschen Telekom (Abbildung 223). Anfang 2000 bildete sich ein Evening Star. Dieses potenzielle Trendwendemuster zeigte das Top an. Das Ende des Abwärtstrends wiederum bildete ein Bullish Engulfing mit Break des Abwärtstrends – ebenfalls recht aussagekräftig, nachdem sich zuvor schon ein Piercing pattern
(hohes Volumen innerhalb der weißen Kerze des Piercing pattern) bildete und eine starke Unterstützung anzeigte.
Im DOW JONES (Abbildung 224) trat im September/Oktober 2002 ein Piercing pattern auf, dessen Tief stellte eine Unterstützungszone dar. Diese wurde folgend von einer dem Hammer ähnlichen Kerze sowie folgend einer kleinen Kerze mit langem Docht und Lunte (Unsicherheit) im Februar/März 2003 erfolgreich als solche bestätigt. Der Break des Abwärtstrend nach den aufgetretenen Candlestick-Mustern und einem Ausbruch aus der Phase der
Unsicherheit nach oben war demzufolge sehr aussagekräftig und der Aufbau von Long-Positionen war sinnvoll.
Abbildung 223: Deutsche Telekom von Mai 1998 bis November 2003 – Monatskerzen – chart provided by Metastock
Im vorliegenden Buch wurden mathematische Ableitungen von den Kursen, den Indikatoren nicht besprochen. Hier jedoch eine Anregung: Grundsätzlich eignen sich Indidakoren als Bestätigung der Aussagekraft von Trendwendemustern bei Candlesticks. Trendwendemuster sind zum Beispiel bei extremen Werten von Oszillatoren (in Abbildung 224 dargestellt ein Stochastic Slow
sowie ein MACD) aussagekräftig. In Verbindung mit den dargestellten Indikatoren erhielten die genannten Trendwendemuster und damit auch Kaufsignale in den kurzfristigeren Zeitebenen sowie der nachfolgende Break des Abwärtstrends eine hohe Prognosesicherheit.
Stochastic und MACD – kurze Erläuterung
Die Idee bei der Berechnung des Stochastic Slow
ist, dass in einer Aufwärtsbewegung der Schlusskurs nahe dem Tageshoch notiert und analog umgekehrt in einer Abwärtsbewegung der Schlusskurs nahe dem Tagestief ausfällt. Eine Trendumkehr wiederum ist häufig dadurch zu beobachten, dass sich dieses Verhalten der Schlusskurse zu den Tageshochs oder -tiefs verändert. Der Indikator berechnet vereinfacht ausgedrückt nun die Lage der Kurse zueinander innerhalb eines Berechnungszeitraumes und quantifiziert das Ganze in Prozent. Der Indikator besteht sodann aus zwei exponentiellen Durchschnittslinien die zwischen 0 Prozent bis 100 Prozent verlaufen können. Da der Indikator nur zwischen diesen beiden Extremen hin und her pendeln kann, wird er der Untergruppe der Oszillatoren zugerechnet. Ein Wert von 0 Prozent zeigt an, dass innerhalb des Berechnungszeitraums der Schlusskurs des Basisobjektes tiefer liegt als die vorherigen und bei einem Wert von 100 Prozent den höchsten Wert erreicht.
Per Definition wird nun einfach angenommen, dass Werte von 30 Prozent bis 0 Prozent eine »überverkaufte« und Werte über 70 Prozent bis maximal 100 Prozent eine »überkaufte« Chartsituation anzeigen. Innerhalb dieser Zonen erhalten sodann Trendwendemuster im Kursverlauf eine höhere Aussagekraft als zwischen 30 Prozent bis 70 Prozent. Nun könnte man ausgehend von dieser Idee annehmen, dass man stets bei einem Wechsel von einer Zone in die andere Richtungssignale erhält. So einfach ist es allerdings nicht – denn letztlich bestätigt der Indikator ja auch bei sehr niedrigen Werten die Stärke einer Abwärtsbewegung oder bei hohen Werten die Kraft der Bullen. So sind auch Verkaufssignale oder trendbestätigende Signale der Trend- und Formationsanalyse oder der Candlesticks in einer Abwärtsbewegung bei Werten des Indikators bei sehr tiefen Werten aussagekräftig – analog umgekehrt bei einer Aufwärtsbewegung hohe Werte des Stochatic Slow.
Die Idee bei der Berechnung des MACD (Moving Average Convergence Divergence System
) ist, dass sich bei einer
Trendwende kurz- und langfristige gleitende Durchschnitte aneinander annähern und sodann schneiden. Der MACD berechnet – vereinfacht ausgedrückt – so die Convergenz (die gleitenden Durchschnitte nähern sich an – eine Schwäche im Trend) oder die Divergenz (die gleitenden Durchschnitte streben von einander weg – eine Stärke im Trend). Kreuzen sich die Signallinien des MACD, so entsteht ein Kauf- oder auch Verkaufssignal. Der Indikator weist somit trendfolgende Eigenschaften auf.
Da der MACD aufgrund seiner Berechnungsmethode jedoch auch oszillierende Eigenschaften aufweist, können Werte des MACD, die über die Historie ermittelt werden, als überkaufte oder überverkaufte Zustände definiert werden. Zudem wird der Indikator gern genutzt, um Divergenzen im Kursbild festzustellen. Dies bedeutet, dass ein neues Hoch im Kurs mit einem neuen Hoch im Indikator bestätigt werden muss. Fehlt dies, so liegt eine Divergenz zwischen Indikator und Kurs vor, welches auf eine Schwäche im Aufwärtstrend hinweist – und analog umgekehrt wiederum im Abwärtstrend.
Wichtig: Sofern Sie mit Indikatoren arbeiten möchten, sollten Sie die Indikatoren wirklich verstehen. Das beinhaltet jedoch auch, dass Sie die Formeln der Indikatoren einmal nachrechnen und sich intensiv mit den Indikatoren, ihren Stärken und Schwächen auseinandersetzen.
Abbildung 224: DOW JONES von Februar 1998 bis Mai 2005 – Monatskerzen – Indikatoren MACD und Stochastic – chart provided by Metastock
Mittelfristige Zeitebene – Wochenkerzen
Während Monatskerzen, oder die noch übergeordneten Zeitebenen der Jahresund Quartalskerzen, die Grundstimmung in einem Markt widerspiegeln, zeigen Wochenkerzen eher die mittelfristige Stimmung in einem Markt an und eignen sich selbst als Kauf- oder Verkaufssignale in Verbindung wiederum mit den Tageskerzen.
Abbildung 225: Nokia von Dezember 2002 bis Dezember 2004 – Wochenkerzen – Indikator: Stochastic Slow – chart provided by teletrader.com
Ein länger zurückliegendes Beispiel zeigt der Kursverlauf der Nokia-Aktie im Verlauf 2002 bis 2004 (Abbildung 225). Anfang 2004 konnte eine Range mit Widerstand bei rund 16 Euro mit einer langen weißen Wochenkerze nach oben verlassen werden. Ein Kaufsignal. Der anschließende kurze Aufwärtstrend wurde jedoch mit einem Bearish Engulfing, das zudem mit nachfolgender schwarzer Wochenkerze bestätigt wurde, gestoppt. Das Bearish Engulfing erhielt eine hohe Aussagekraft in Verbindung mit einem hohen Wert in einem Indikator, dem Stochastic Slow. Vor allem der Rebreak der 16 Euro mit einer sehr langen schwarzen Wochenkerze musste als Verkaufssignal betrachtet werden.
Der Abwärtstrend führte die Aktie bis an ein Tief bei 10,56 Euro vom März 2003. Nach Break der bis dahin wesentlichen Unterstützung bei 10,56 Euro im Juli 2004 wurde der Abwärtstrend bei Nokia dynamisch fortgesetzt. Es bildete sich eine lange schwarze Kerze. Hierauf schwächte sich jedoch die Abwärtsdynamik ab und nach vier kleineren schwarzen Kerzen bildete sich ein Bullish Engulfing auf Wochenbasis Mitte August 2004. Nach sechsmonatigem Abwärtstrend erhielt dieses Muster in Verbindung mit dem Indikator und einem extrem schwachen Wert in diesem Indikator (einer per Definition überverkauften Chartsituation) eine hohe Aussagekraft. Nachfolgende weiße Kerzen sowie der Break des Abwärtstrends bestätigen das Trendwendemuster Bullish Engulfing und erlaubte eine erfolgreiche Investition in die Aktie. Kursziele waren kurzfristig das vorherige Niveau um 10,56 Euro sowie die nach oben abgetragene Schwankungsbreite des Abwärtstrendkanals.
Abbildung 226: DAX von Dezember 2003 bis Dezember 2004 – Wochenkerzen – chart provided by Metastock
Doch auch ohne Indikatoren ist die Anwendung von Candlesticks ein sehr nützliches Unterfangen, sofern die Trend- und Formationsanalyse vorangeht. So konnte ein Fehlsignal im Kursverlauf des DAX im August 2004 festgestellt werden (Abbildung 226). Nachdem der DAX im August 2004 nach Ausbruch aus einer Tradingrange (Seitwärtsbewegung) unter die Unterstützung bei 3.700 Punkten fiel, verlor der Markt zwar einige Punkte, konnte jedoch ohne weitere Verluste einen schnellen Rebreak dieser Marke erzielen. Fehlsignale deuten in der Regel auf eine entsprechend dynamische Gegenbewegung hin. In Verbindung mit einem aussagekräftigem Piercing pattern mit zwei Luntenspitzen auf identischem Niveau (Tweezers Bottom
) und nachfolgend einer sehr langen weißen Wochenkerze zeigte der DAX weiteres Aufwärtspotential an. Der Fehlausbruch unter die Unterstützungszone bei 3.700 Punkten erwies sich als Marktbereinigung.
Zeitebenen verknüpfen – der Erfolgsfaktor!
Candlestick-Muster bedürfen der Bestätigung. So sollte ein Piercing pattern auf Wochenbasis auch mit einem nachfolgend höheren Wochenschlusskurs bestätigt werden, um als Trendwendesignal zu gelten. In der Praxis jedoch kann dann eine Aufwärtsbewegung schon derart fortgeschritten sein, dass die Chance-Risiko-Relation wieder recht ungünstig wird und der Anleger zu spät auf den »fahrenden Zug« aufspringt. Daher sollten die unterschiedlichen Zeitebenen miteinander verknüpft werden.
So konnten im oben erwähnten Zeitraum in Verbindung mit dem Fehlsignal beziehungsweise des Rebreaks der 3.700 im August 2004 auch aufgrund der Tageskerzen (Abbildung 227) erste Longpositionen eingegangen werden. Denn schon in den ersten Tagen nach unterschreiten der 3.700 zeigten sich Kerzen mit Lunten (Kaufbereitschaft) und ein Doji, welcher mit nachfolgender langer weißer Kerze (Bullish Doji Engulfing
auch als ein Trendwendemuster interpretiert werden konnte.
Zusätzliche Aussagekraft im Tageschart erhielt das Bullish Doji Engulfing aufgrund der Tatsache, dass der Abstand zu einem gleitenden Durchschnitt (38er GD) recht hoch war und bei ähnlichen Werten in der Vergangenheit der Markt die Tendenz zur Trendwende zeigte. Der Rebreak in die vorherige Tradingrange bestätigte dann das Trendwendesignal – in Verbindung wiederum mit einem Piercing pattern im Wochenchart eine sichere Prognosegrundlage.
Abbildung 227: DAX von März 2004 bis September 2004 – Tageskerzen – Indikator: Disparitätsindex (prozentualer Abstand zu einem GD) – chart provided by Metastock
Letztlich zeigen die Candlesticks einen Weg, um an den Börsen erfolgreich handeln zu können. Trotzdem sollten Candlesticks – auch zur Erhöhung der Prognosesicherheit, stets mit einer einfachen
Trend- und Formationsanalyse verbunden werden. Der oftmals vergessene Linienchart gehört damit durchaus zum Handwerkszeug des Börsianers.
Als Beispiel an dieser Stelle ein Auszug aus einer Analyse des Autors vom 26.08.2004:
»Im Linienchart des DAX wird deutlich, dass die Bedingungen eines Pullbacks nicht mehr gegeben sind, dafür läuft die Gegenbewegung zu weit. Nur ein schnelles Ende der aktuellen Erholung und dynamische Verluste könnten noch die Annahme eines Pullbacks aufrecht erhalten. Setzt sich die Aufwärtsbewegung weiter fort, ist eher davon auszugehen, dass der kurze Ausbruch nach unten ein Fehlsignal darstellte und nun mit Macht der DAX an die obere Begrenzung der bisherigen Tradingrange heranläuft und diese auch knacken wird.«
Relevant ist hierbei, dass die Aussage der Candlesticks und einer möglichen Trendwende mittels eines Bullish Doji Engulfing durch die Aussage des Liniencharts unterstützt wurde und durch die Annahme eines Fehlsignals zudem ein Kursziel von circa 4.100 Punkten abgeleitet werden konnte. Je mehr Parameter für eine Aussage sprechen, desto höher wird auch ganz einfach die Wahrscheinlichkeit dieser Prognose beziehungsweise die Annahme der Folgen eines Kursmusters.
Abbildung 228: DAX von November 2003 bis Juni 2005 – Linienchart als zusätzlicher Mosaikbaustein in der Beurteilung der Chartsituation eines Gesamtmarktes zur Steigerung der Aussagekraft einer Prognose – chart provided by Metastock
Fazit Candlesticks
Candlesticks eignen sich sowohl für die kurz- als auch langfristige Analyse. Die Verknüpfung der unterschiedlichen Zeitebenen wie auch die Beurteilung der Aussagekraft der einzelnen Candlestick-Formationen macht einen Großteil des Anlage- oder Tradingerfolges aus. Candlesticks sind in allen Märkten anwendbar, ob in Futures-, Devisen- und Aktienmärkten oder Renten- und Rohstoffmärkten.
Eine Analyse allein basierend auf der Methodik der Candlesticks ist nicht sinnvoll. Sie sollte stets in Verbindung mit der Trend- und Formationsanalyse genutzt werden, denn die Aussagekraft der
Candlesticks beziehungsweise deren unterschiedlicher Muster erhalten diese nur im Kontext des Kursverlaufes. Ein Trendwendemuster innerhalb einer Seitwärtsbewegung wird eher keine bis sehr geringe Aussagekraft haben als zum Beispiel nach einem ausgedehnten Aufoder Abwärtstrend.
Erst das Gesamtbild und die Zusammenfassung der Ergebnisse der einzelnen Zeitebenen ergibt letztlich eine aussagekräftige Prognosemöglichkeit auch der einzelnen Candlestick-Muster.