KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
Fitzpatrick hielt das Lenkrad fest in seinen mit Handschuhen bekleideten Händen und beobachtete die Fassade von der gegenüberliegenden Straßenseite aus im Stadtzentrum von Arlington, Virginia. Der schwarze Geländewagen war an einer Parkuhr abgestellt und selbst, wenn die Fenster zu sehr verdunkelt waren, als dass jemand hindurchsehen konnte, hatte er sich aus Vorsicht dennoch getarnt. Er trug eine Sonnenbrille mit dickem Rahmen, eine breitkrempige Kappe und auswaschbare, rote Tönung in seinem Bart.
Nach einigen Minuten kam Agent Null heraus und trug zwei kleine Blumensträuße bei sich. Fitzpatrick brodelte vor Wut, ihn auch nur zu sehen. Wie niedlich, dachte der Söldner bitter. Er hat seinen kleinen Mädchen Blumen gekauft.
Der geheime CIA Unterschlupf war viereinhalb Häuserblocks entfernt, als Sandsteinhaus in einem gehobenen Wohngebiet getarnt. An den Türen befanden sich biometrische Schlösser, die Fenster waren aus schusssicherem Glas und ein vorsichtiger Agent beschützte Nulls Mädchen. Dort konnte man nicht an sie ran.
Die Division hatte sie in der Schweiz unterschätzt. Kerrigan war damit beauftragt, die zwei Jugendlichen als der angebliche CIA Agent Nolan zu entführen. Er war jedoch gescheitert, wie man ganz klar daran erkennen konnte, dass er entwaffnet, mit einer gebrochenen Nase und knöchernem Orbita an einen Stuhl gefesselt gefunden wurde. Er hatte angegeben, dass der CIA-Agent namens Watson ihn festgenommen hatte, doch er wollte nicht mit den Details herausrücken.
So wütend Fitzpatrick auch über Kerrigans Scheitern in Engelberg war, fand er sein eigenes im Lager in Irak noch schlimmer. Er hatte Null im Visier und hatte gezögert. Schlimmer noch, dieses blonde Flittchen hatte ihn auf Video aufgezeichnet, während er dummerweise mit der Wahrheit herausrückte. Fitzpatrick war den Medien gründlich gefolgt, falls jemand die Division erwähnte, doch es gab nichts. Falls „Agentin Ringelblume” nicht geblufft hatte, dann behielt sie es für sich selbst, vielleicht bewahrte sie das Video auch für eine passendere Gelegenheit auf.
Seine Organisation hatte schon mehr als genug negative Presse erhalten. Nur ein wenig mehr als ein Jahr zuvor gab es Anschuldigungen, dass die Division Unterstützung dabei geliefert hatte, ein ganzes sudanesisches Dort niederzuschießen, um eine Rebellion abzuwenden. Natürlich hatten sie daran teilgenommen, doch die Beweise reichten nicht aus und die Ermittlungen wurden eingestellt. Trotzdem brauchten sie nicht noch mehr unvorteilhafte Medienpräsenz und sie brauchten unbedingt Verträge mit der US Regierung.
Fitzpatrick beobachtete Agent Null dabei, wie er die Straße bis zur Ecke entlang ging und dann am Fußgängerüberweg mit seinen zwei Blumensträußen wartete. Die Ampel schaltete auf rot um und Fitzpatrick lenkte den Geländewagen hinaus aus dem Parkplatz und kam hinter einer Reihe von Autos zum Halt. Dabei behielt er den Agenten ständig im Auge.
Er drückte auf einen Knopf an seinem Telefon. Es klingelte zwei Mal, bevor sie antwortete, doch sie sagte nichts.
„Ich habe Null gesichtet”, sagte er rau. „Gib mir nur den Befehl und ich puste ihn und seine Khakihosen über den
„Treten Sie zurück”, antwortete sie kurz angebunden.
Der Söldner schnaubte ungläubig. „Was soll das jetzt?”
„Treten Sie zurück, Fitzpatrick”, wiederholte sie, dieses Mal nachdrücklicher.
Er knirschte wütend mit den Zähnen. „Warum?”
„Ich muss mich nicht vor Ihnen rechtfertigen”, gab sie zurück.
„Doch, das müssen Sie. Verstehen Sie nicht, Fräulein Riker, ich bin etwa fünfzehn Meter davon entfernt, Agent Null in wenig mehr als einen Fleck und eine Erinnerung zu verwandeln.”
„Dieser Befehl kommt nicht von mir”, erklärte sie. „Der kommt von oben. Pierson will ihn treffen.”
„Pierson?” Fitzpatrick schüttelte angewidert seinen Kopf. Hier war er, akzeptierte lausige Fahrerflucht-Verträge, während Null damit beschäftigt war, Treffen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu arrangieren.
„Er glaubt, dass es eine... diplomatischere Lösung gibt”, sagte Riker rätselhaft.
„Diplomatisch”, spuckte er aus. Wenn du kein Soldat bist, dann bist du ein Politiker. „Warum die plötzliche Kehrtwendung? Wenn ihr den Typen umbringen wollt, dann könnt ihr nicht
„Agent Null hat gerade die Brüderschaft zerlegt und ein Bombenattentat auf ein US Zerstörerklasse Kampfschiff verhindert. Niemand wird glauben, dass er auf einem Fußgängerüberweg überfahren wurde. Wir würden damit nicht nur potentiell eine Entblößung riskieren, sondern es gäbe noch mehr Leute als ihn, die ein wenig genauer hinschauen würden. Der Präsident sucht nach einer Alternative. Also, treten Sie zurück.”
Fitzpatricks Lippe verdrehte sich instinktiv zu einem Knurren. Null hatte ihn wie einen Idioten aussehen lassen, er und seine Männer rannten wie die Hunde mit eingezogenen Schwänzen davon. Das hatte er vor Riker natürlich nicht zugegeben. Soweit sie informiert war, wurde Null wütend auf sie, weil sie Terroristen erschossen hatten, und sein bester Freund Strickland hatte sie entlassen, bevor sie die Chance hatten, ihn umzubringen.
Ich hätte alle drei umlegen sollen.
„Und was, wenn ich es nicht tu, häää?” sagte er ins Telefon. „Man hat mich hierhergeschickt, um einen Job zu erledigen. Ich bin hier. Er ist hier. Was, wenn der arme Agent Null einen Unfall hat und es niemals zu seinen kleinen Mädchen schafft?”
„Dann möchte ich Sie daran erinnern”, erwiderte Riker ruhig, „dass solche Unfälle jedem passieren könnten.”
Das Gesicht des Söldners wurde blutunterlaufen. Wenn es eins gab, das er gar nicht ausstehen konnte, dann war es so ein hochnäsiger Kontrollfreak, der versuchte, ihn von seinem hohen Ross herunter einzuschüchtern. „Drohen Sie mir, Riker?”
„Nein, Shannon. Ich sage Ihnen nur, dass, falls Sie Agent Null ohne meine Zustimmung Schaden zufügen, ich Sie töten lasse.”
Fitzpatrick zuckte zusammen nicht wegen der Warnung, sondern weil er seinen legalen Vornamen hörte. „Na gut”, brummte er, „aber wenn es soweit ist, dann will ich derjenige sein, der es durchführt.”
„Das sehen wir dann.”
„Und ich werde trotzdem bezahlt”, verkündete er.
„Natürlich. Kommen Sie jetzt zurück”, befahl Riker ihm. „Ich habe etwas anderes für Sie etwas viel Interessanteres... und viel Lukrativeres.”
Fitzpatrick grinste. Riker war zwar kalt, berechnend und dachte nur an sich selbst, doch sie wusste genau, was im entsprechenden Moment zu sagen war.
Die Ampel wurde grün und der Verkehr begann, sich wieder zu bewegen, als er den Anruf beendete, doch er hielt seinen Fuß auf der Bremse. Er blickte nach links und rechts, Agent Null war verschwunden. Er war vor einem Moment noch dagewesen, wartete geduldig am Fußgängerüberweg darauf, dass das Ampellicht umschaltete. Jetzt war er einfach weg.
Das Auto hinter ihm hupte, damit er sich bewegte. Fitzpatrick grummelte frustriert und fuhr auf den Bordstein zu. Er reichte nach dem Türgriff, um einen besseren Überblick zu bekommen, als es plötzlich am Fenster auf der Beifahrerseite klopfte.
Fitzpatrick blickte scharf auf und sah wie Agent Null, der gar nicht erfreut schien, mit dem Lauf einer Ruger LC9 gegen das Fenster klopfte.
„Hurensohn”, zischte Fitzpatrick leise. Selbst nach dem Versuch, seine Identität zu verbergen, hatte Null ihn scheinbar wie ein Bluthund herausgeschnüffelt und stand da jetzt geduldig, mit einer hochgezogenen Augenbraue, und spähte zu ihm herein.
Es blieb Fitzpatrick nichts anderes übrig, als den Knopf zu drücken und das automatische Fenster etwa zehn Zentimeter herunterzulassen. Er zog sich die Sonnenbrille ab und erzwang ein breites Lächeln, während er ihn begrüßte: „Agent Null. Was für eine Überraschung.”
„Ja, stell dir das mal vor. Besonders, nachdem du mir gesagt hattest, dass ich dich beim nächsten Mal nicht bemerken würde.” Nulls Blick bohrte sich in seinen. „Aber du fährst mir schon seit sechs Häuserblocks hinterher.”
Fitzpatricks Grinsen versteinerte sich. Er zeigte mit seinem Kinn auf die kleine LC9, die durch Nulls Hand größtenteils vor Passanten verborgen war. „Wirst du die benutzen?”
„Nicht hier. Nicht jetzt. Aber ich werde sie solange in der Hand haben, bis ich sehe, wie deine Rücklichter verschwinden.” Null lehnte sich näher an die kleine Öffnung des Fensters. „Also, warum rennst du nicht besser zurück zu demjenigen, der dich geschickt hat und richtest ihm etwas von mir aus. Ich werde immer bemerken, wenn du anrückst, Fitzpatrick.” Er richtete sich auf und hielt die beiden Blumensträuße so, dass sie die LC9 verdeckten, aber der kurze Lauf war weiterhin auf das Fenster gerichtet.
Fitzpatrick biss sich auf die Zähne. Er wollte etwas erwidern. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann wollte er die Sig Sauer zücken, die er im Handschuhfach verstaut hatte und solange auf Agent Null einschießen, bis ihm die Munition ausging.
Aber er tat nichts von beidem. Er wurde sich dessen bewusst, dass die Zukunft der Division davon abhing, dass er sich beherrschen konnte. Also fuhr er das Fenster wieder hoch, parkte aus und fuhr um die nächste Ecke. Er würde keine Nachrichten für Null übermitteln. Stattdessen würde er sich ganz genau versichern, dass bei ihrem nächsten Treffen er, und nicht der Agent, mit der Waffe zielte.