KAPITEL ACHTUNDDREISSIG
„Es geht gar nicht um die Parade”, erklärte Reid seinem Team schnell. „Das Attentat wird auf einen Tunnel geschehen.” Seine Hände zitterten. Ihr Plan war plötzlich unterbrochen und gänzlich falsch.
„Aber auf welchen?” fragte Talia. „Woher wissen wir, welchen sie anzielen?”
„Wir wissen es nicht”, antwortete Reid. „Wir müssen die Behörden alarmieren und sie alle schließen lassen. Es könnte einer der Haupttunnel sein, die auf oder von der Insel führen
- Lincoln, Holland, Queens-Midtown, Brooklyn-Battery…”
Watson blinzelte ihn an. „Du willst, dass wir sie darum bitten, sie alle zu schließen und alle größeren Unterwasserrouten in die Stadt evakuieren? Die werden uns für verrückt halten. Wir handeln ja so schon ohne Erlaubnis der Agentur.”
„Dann melden wir es halt als eine Bombendrohung”, wandte Reid dringlich ein. „Wir geben ihnen keine andere Chance, sie müssen uns zuhören
-
”
„Bist du verrückt?” schnaubte Watson. „Damit kannst du in den Knast kommen, Null
-
”
„Welche Wahl haben wir schon?” erwiderte Reid erhitzt. „Merkst du nicht, was hier auf dem Spiel steht?”
„Wartet!” schrie Maria sie beide an. „Seid mal ruhig. Hört zu, in Bagdad gab sich die Brüderschaft als eine Vertragsnehmermannschaft aus, um ihre Bombe zu legen, stimmt’s? Vielleicht gibt es ja einen Weg, das hier ein wenig einzukreisen.”
Reid verstand sofort und hatte schon sein Satellitentelefon gezückt, wählte eine Nummer, die er auswendig kannte. „Bixby, hier spricht Null”, sagte er, bevor der Ingenieur ihn begrüßen konnte. „Hör mal. Wir haben Grund zu glauben, dass das Ziel einer der Haupttunnel ist, die in die Stadt führen. Bitte überprüfe sofort für mich, ob es bei einem von ihnen Bauarbeiten gibt.”
„Bin schon dabei”, sagte Bixby durch das Telefon. Reid hörte das Klappern von Tasten im Hintergrund. „Sieht ganz so aus, als ob gerade an der Nordseite von Holland Tunnel gebaut wird. Etwa fünfhundert Meter nach der Einfahrt gibt es nur eine Spur für etwa achthundert Meter. Da ist gerade ein ordentlicher Stau mit all den Leuten, die wegen der Parade in die Stadt fahren.”
„Holland Tunnel”, gab Reid schnell an Maria weiter. „Alarmiere die Behörden
-
Polizei, Verkehrsbehörde, FBI, wen immer du kannst. Sie sollen ihn schließen und evakuieren.” Er wandte sich an Watson. „Rufe Cartwright an. Sprich mit niemand anderem. Erzähle ihm, was wir glauben, was da vor sich geht. Er soll alle CIA-Mitglieder aktivieren, die sich in der Gegend befinden.” Zu Mendel sagte er: „Rufe den Notfalldienst an und sag ihnen, dass sie alles verfügbare Notfallpersonal zum Holland Tunnel schicken sollen.”
„Null?” rief Bixby durch das Telefon. „Was kann ich tun, um zu helfen?”
„Sichere dich ab”, sagte er dem Ingenieur. Holland Tunnel war einer der Hauptwege, um nach New York zu gelangen, er verband die Stadt mit New Jersey. Es war ihre beste Vermutung
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aber bis sie Beweise hatten, war es eben nur das, eine Vermutung. „Rufe die Behörden an den anderen drei Haupttunneln von New York an und mach, was immer du kannst, damit sie die Zufahrten schließen und keinen mehr auf die Insel fahren lassen.”
„Keine einfache Aufgabe”, erwiderte Bixby, „aber ich tu, was ich kann.” Es klickte in der Leitung, als er auflegte.
Reids Herz hämmerte in seiner Brust, als er daran dachte, dass eine Bombe in einem der Unterwassertunnel explodieren könnte. Nicht nur gäbe es sofortige Opfer, doch falls sie stark genug wäre, um die Röhren zum Einsturz zu bringen und sie zu durchfluten, stürben tausende.
Beruhig dich,
tadelte er sich.
Denk nach.
„Wir müssen da hinkommen”, murmelte er vor sich hin. Falls die Behörden eine Bombe entdeckten, könnten die Frequenzstörer jegliches Signal unterbrechen, damit sie nicht detonierte. Doch die vier befanden sich am entgegengesetzten Ende der Insel. „Wir brauchen ein Auto.”
Er trat auf die Straße hinaus und hielt beide Hände hoch, als der Verkehr um ihn herumfuhr und scharf hupte. Ein gelbes Taxi kam weniger als dreißig Zentimeter vor ihm zu Halt. Der wütende Fahrer schrie und gestikulierte mit seinen Händen hinter der Windschutzscheibe. Reid riss die Tür auf.
„Mein Herr”, sagte er, „ich brauche Ihr Fahrzeug.”
„Was zum Teufel schwafelst du da?” der Taxifahrer, ein jüdischer Mann von etwa fünfzig Jahren, der eine Melone trug, blickte finster zu ihm auf. „Weg hier!”
Reid lehnte sich über ihn und öffnete mit einer schnellen Bewegung seinen Sicherheitsgurt, während er ihn mit der anderen Hand aus dem Sitz zog und ihn kurzerhand auf das Pflaster beförderte. „Tut mir leid”, murmelte Reid, als er sich hinter das Lenkrad setzte.
„Hey!” rief der Fahrer. „Das ist mein Taxi! Haltet den Typen auf! Arschloch!”
Agent Mendel trat näher und ließ kurz ihre Glock aufblitzen, was den Taxifahrer dazu veranlasste, um sein Leben zu rennen. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz und legte die schwarze Einsatztasche auf ihren Schoß. Watson und Maria stiegen schnell hinten ein und Reid trat auf das Gaspedal, noch bevor sie ihre Tür geschlossen hatten.
„Personal vom Notfalldienst ist auf dem Weg”, informierte Talia ihn.
„Die New Yorker Verkehrsbehörde schließt den Tunnel”, sagte Maria, „und die Polizei schickt jede verfügbare Einheit. Doch die Evakuation wird sich etwas hinziehen. Der Tunnel ist über zwei Kilometer lang.”
„Cartwright geht nicht dran”, verkündete Watson, „aber ich versuche es weiter.”
Reid fädelte sich durch den Verkehr, schimpfte vor Frust, dass es nur so langsam voranging.
Verdammt
, dachte er. „Haltet euch fest.” Er riss das Lenkrad herum und fuhr auf den Bürgersteig, drückte die Hupe, um Fußgänger zu warnen, ihm aus dem Weg zu gehen. Jegliche Polizisten in der Gegend würden ihn sicherlich gleich verfolgen, doch das interessierte ihn im Moment wirklich nicht.
Und hoffentlich wir sie auch nicht,
dachte er. Falls die Verkehrsbehörde und die Polizei von New York die Bedrohung ernst nahmen, dann wäre ein geklautes Taxi nicht sehr wichtig.
„Versichert euch alle, dass ihr einen Funkstörer habt”, riet er ihnen zwischen dem Gehupe. Mendel öffnete die schwarze Nylontasche und zog eine schwarzes Handgerät heraus, etwa so groß wie ein Handy aus den achtziger Jahren, mit zwei Antennen mit Gummiverkleidung, die oben in einem seltsamen Winkel herausragten.
„Ich hab einen”, bestätigte Watson ebenfalls.
„Frequenzstörer?” fragte Talia. „Was ist dein Plan?”
Reid hatte kaum die Zeit oder Geduld, es erneut zu erklären. „Schau, ich bin mir nicht sicher, aber dieses Ding könnte schneller explodieren, als wir annehmen und wir müssen bereit sein, falls die Evakuierung nicht rechtzeitig stattfindet.” Er wandte sich an sie und fügte hinzu: „Also ja, Funkstörer. Das ist mein Plan.”
„Du verstehst, dass das nur funktioniert, wenn wir innerhalb der Reichweite der Bombe sind, ja?”
„Ja”, antwortete Reid kurz. Niemand sonst hatte diese Sorge zuvor ausgesprochen, doch sicherlich hatten es alle gedacht.
Mendel nickte einmal. „OK.”
„Wer hat den Parasiten?” fragte er.
„Ich”, meldete Maria hinter ihm.
„Was zum Teufel ist ein Parasit?” fragte Watson.
„Eine kleine Drohne, welche die Kontrollen einer anderen übersteuern kann”, erklärte ihm Reid. Er knirschte mit den Zähnen, als er über eine rote Ampel fuhr und um den Verkehr steuerte, der von der grünen Seite kam. „Falls die Brüderschaft nah genug dran ist, um sie zu detonieren, während sie sich außerhalb des Tunnels befinden, könnte er nützlich sein, um dabei zu helfen, sie zu orten.”
„Und weißt du, wie man ihn benutzt?”
„Äh... Bixby hatte sowohl ihm als auch Maria einen Schnellkurs darüber gegeben, wie man das Fernsteuersystem verwendet
-
doch keiner der beiden hatte es tatsächlich ausprobiert. „Ja”, gab er zurück. Er erklärte ihnen nicht, dass sie ebenfalls seismische Detektoren hatten, die sie darüber informierten, sobald eine Bombe in einem bestimmten Radius explodierte, und Bewegungssensoren, die jegliche Aktivität von Luftdrohnen bemerkten. Die Funkstörer waren das Hauptbestandteil. Der Rest der Ausstattung, die sie erhalten hatte, war im Augenblick eher nutzlos.
Reids Satellitentelefon klingelte und zeigte Bixbys Nummer auf dem Bildschirm an. Er hielt mit einer Hand das Steuer fest, während er das Telefon nach hinten zu Maria warf. „Gehst du bitte für mich dran?”
„Johansson”, antwortete Maria. „A-ha.... Oh Gott....” Dann schrie sie: „Kent, halt an!”
„Was?”
„Halt das Auto an!”
Reid brummte, als er auf die Bremse trat. Das Taxi rutschte zu einem Halt in der Mitte der sechsundzwanzigsten Straße. Wütende New Yorker schrien und winkten ihnen beleidigende Gesten zu. „Was? Was ist denn?”
Maria stellte den Lautsprecher ein. „Bixby. Wiederhole, was du mir gerade gesagt hast.”
„Die Verkehrsbehörde hat gerade die Lincoln und Holland Tunnel gesperrt”, erklärte Bixby schnell. „Doch es gibt da noch was. Ein Laster ist eben auf der Röhre gen Osten im Queens-Midtown Tunnel umgekippt, auf der Seite von Manhattan. Der Verkehr ist sowieso schon zähfließend in Richtung Stadt. Jetzt sind beide Spuren in Richtung Queens auch blockiert.”
Reid starrte Talia neben ihm an.
Ein umgekippter Laster? All vier Spuren blockiert?
Das konnte nicht nur ein Zufall sein.
„Ich belausche den Polizeifunk”, fuhr Bixby schnell fort, „und die sagen, dass da zwei Mann im Laster waren, beide sofort tot
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und dass sie beide aus dem Nahen Osten waren. Keiner der beiden hatte einen Ausweis bei sich.”
„Und das ist gerade eben passiert?” fragte Watson.
„Gerade eben, vor zwei Minuten”, bestätigte Bixby.
Reid hatte genug gehört. Er trat wieder aufs Gas und riss das Lenkrad herum, machte mitten auf der Straße eine hundertachtzig-Grad-Wendung, hupte dabei, während die Autos um ihn auswichen. „Der Midtown Tunnel ist es. Er ist das Ziel.” Er riss das Lenkrad erneut um und das Taxi rutschte auf die Park Avenue.
Ich lag falsch.
Er hupte, damit die Fußgänger ihm aus dem Weg wichen. Er hatte gerade alle Hilfe in New York an die beiden Tunnel am anderen Ende der Insel geschickt. Und während man die beiden evakuierte, war der Midtown Tunnel verstopft: zwei Spuren in jede Richtung und mehr als zwei Kilometer lang. Er versuchte, schnell etwas auszurechnen. Es käme dabei zu bis zu vier- oder fünftausend Toten.
„Ruf alle an, die du kannst, sag ihnen, dass das Ziel ein anderes ist und das Attentat kurz bevorsteht”, sagte Reid seinem Team. „Wenn sie das in dem umgefallenen Laster waren, dann bedeutet das, dass sie jetzt anfangen. Sie versuchen, so viele Leute wie möglich da unten in der Falle zu haben. Watson, ruf die Agentur an. Wir müssen ihnen Bescheid geben, dass es geschieht. Sag ihnen, dass wir auf dem Weg sind.”
Und hoffentlich nicht zu spät ankommen.
*
Awad bin Saddam lehnte sich nah an das Radiogerät, wartete aufmerksam auf das Signal, um zu beginnen.
Er saß im Steuerhaus des kleinen Frachters, das langsam den East River hinauffuhr. Einige Meter entfernt von ihm lenkte ihr armenischer Steuermann still das Boot. Der Armenier sprach sehr wenig Englisch und gar kein Arabisch, doch er kannte seine Aufgabe
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er musste den Fluss hinauffahren, bis Awad ihm das Signal gab und dann anhalten, bis ihre Aufgabe vollbracht war.
Danach hatte Awad vor, ihn zu erschießen.
Unter Deck waren Hassan und Ahmed bereit. Die drei silbernen Koffer, in denen sich das Fernsteuersystem befand, waren mit den Drohnen verbunden. Anil und Dilshad hatten ihre Aufgabe bisher gut erfüllt. Die Unterwasserdrohnen befanden sich in genau der angegebenen Position im Wasser, zweieinhalb Kilometer vom Frachter entfernt. Das Signal war schwächer, als Awad es gerne gehabt hätte, doch es musste ausreichen.
Ihnen fehlte nur noch Eines, das, auf das Awad ungeduldig neben dem Radio wartete.
Dann kam es. Eine Frau verkündigte, dass die Lincoln und Holland Tunnel gesperrt wurden.
Sie wissen Bescheid,
dachte Awad. Es war egal, ihre Aufmerksamkeit war abgelenkt. Die Reporterin fuhr fort, verkündete, dass der Verkehr im Queens-Midtown Tunnel durch einen umgekippten Laster blockiert wurde.
Das Signal.
Awad stand schnell auf und machte mit einer erhobenen Faust eine Geste zum Armenier, signalisierte ihm, das Boot anzuhalten. Der Steuermann nickte und schaltete den Motor ab, während Awad aus dem Steuerhaus eilte.
Er wunderte sich kurz, ob Anil und Dilshad noch am Leben waren. Es war sowieso egal. Sie hatten ihren Zweck erfüllt und er hätte es auch bald.
Der Plan war einfach. Sie hatten drei Drohnen, es gäbe drei Anschläge. Der erste gelte dem östlichen Ende des Tunnels, in der Nähe von Anil und Dilshads absichtlichem Unfall, falls die Stelle schnell genug geräumt würde, damit der Verkehr wieder fließe. Während die von Panik erfüllten Massen sich gegenseitig zertrampelten, um dem Wasser zu entrinnen, schlüge die zweite Drohne am westlichen Ende des Tunnels ein und blockierte jede Möglichkeit der Flucht.
Die dritte und letzte Explosion fände genau in der Mitte statt und durch Awads eigene Hand. Er wollte mehr als nur Tote, er wollte Zerstörung. Er wollte Panik, Angst und Zweifel auslösen. Er wollte, dass man die Leichen unter dem Zement, Stahl und Wasser nicht bergen konnte.
Sein erster Eindruck war es, dass man mit den drei Drohnen drei Tunnel angreifen könnte. Doch der Libyer hatte ihm dagegen geraten. Die Wände der Tunnel waren dick und gut entworfen. Eine einzelne Explosion konnte nicht die Art von Zerstörung garantieren, auf die er hoffte. Es war sogar der Waffenhändler, der überhaupt den Midtown Tunnel empfahl. Es war der unwahrscheinlichste der Unterwasserzufuhren nach New York, sollte irgendjemand seinen Plan entdecken.
Seine zwei Brüder warteten unter Deck, die silbernen Koffer standen geöffnet vor ihnen. Awad nickte Ahmed zu, der die erste Explosion durchführen würde.
„Lasst uns beginnen”, sagte er.