Hiddensee genießt bis heute den Ruf einer Künstlerinsel, und die Liste der Literaten, Schauspieler, Wissenschaftler und Künstler, die als Hausbesitzer, Langzeitgäste oder Sommerfrischler in den letzten einhundert Jahren das Gästebuch der Insel füllten, ist kaum zu überblicken.
Kein Künstler ist jedoch mit Hiddensee derart eng verbunden wie Gerhart Hauptmann, und kaum einer hat Hiddensee literarisch so vielfältig verarbeitet. Im Juli 1885 nutzte der 22-Jährige einen Rügen-Aufenthalt zu einem ersten Abstecher nach Hiddensee in kleiner Männerrunde – der Beginn einer intensiven Beziehung, die erst 1943, knapp sechzig Jahre später, endete.
Weltabgeschiedenheit und Verlassenheit suchte Hauptmann auf der Insel. 1930 endlich erfüllte er sich seinen Traum vom Immobilienbesitz auf Hiddensee: Von der Gemeinde Kloster erwarb er für 32000 Reichsmark das Haus Seedorn, das sowohl über einen Ostsee- als auch über einen Boddenblick verfügte. Für die Bedürfnisse des Dichters reichte der Platz freilich nicht aus, und so wurde der Architekt Arnulf Schelcher beauftragt, im Winter 1930/31 das Haus um einen Anbau mit Arbeits- und Speisezimmer zu erweitern. Das heute nach Hauptmann benannte Haus veranschaulicht aufs Schönste, wie komfortabel, ja luxuriös sich der Dichter eingerichtet hatte.
Hauptmann, der 1912 den Nobelpreis erhalten hatte, war ein reicher Mann, der sich dies und jenes leisten konnte. Zu den nicht unwichtigen Annehmlichkeiten des Hauses gehörte ein umfänglicher Weinkeller. 450 Flaschen lagen da in Tonröhren bereit. Den alkoholischen Vorrat über den Bodden auf die Insel zu schaffen war kein geringes Unterfangen, und die Einheimischen wussten sommers genau, dass der Ankunft des Weines bald die Ankunft ihres Dichterkönigs folgen würde. Abend für Abend lud Hauptmann Freunde zu Philosophie- und Weingelagen ein, die oft erst weit nach Mitternacht endeten. Zwei Flaschen Wein am Tag seien für ihn keine unüberwindbare Hürde gewesen.
Ehe Hauptmann das Haus Seedorn erwarb, war er gezwungen, sich in unterschiedlichen Herbergen einzumieten – zum Beispiel im Haus am Meer in Kloster. So auch im Sommer 1924, als die Einheimischen ein selbst für sie außergewöhnliches literarisches Gipfeltreffen erleben. Der Kollege Thomas Mann hat sich mit Gemahlin Katia angesagt. Man wohnt in derselben Unterkunft, sieht einem angenehmen Ferienaufenthalt entgegen und tut, was man tut, wenn man sich auf einer Insel befindet: Die Dichterheroen machen sich zu Strandspaziergängen auf, lassen sich den Wind um die Nase wehen und führen Gespräche, die ihrer würdig sind – in Vorfreude auf wohlschmeckende Fischgerichte und gut gekühlten Riesling.
Thomas Manns Laune verdüstert sich jedoch rasch. Obwohl er den Nobelpreis erst fünf Jahre später erhalten wird, ist er es bereits gewohnt, allenthalben als bedeutender Schriftsteller gewürdigt zu werden und, ob in Lübeck oder im Münchner Stadtteil Bogenhausen, von seinen Lesern auf der Straße erkannt zu werden. Doch hier auf Hiddensee ist alles anders: So leutselig er den Insulanern oder den Sommerfrischlern zunicken mag, er stößt kaum auf Resonanz, verbleibt in einer kümmerlichen Statistenrolle. Stattdessen richten sich alle Blicke auf den Mann neben ihn, auf Gerhart Hauptmann. Ihn wollen die Menschen in ein Gespräch verwickeln; mit ihm wollen sie gesehen werden.
Natürlich hat Thomas Mann davon gehört, dass Hauptmann, der mit zunehmendem Alter alle Anstrengungen unternimmt, wie Goethes Zwillingsbruder auszusehen, als »König von Hiddensee« tituliert wird und Huldigungen gern entgegennimmt. Und reicher als er ist dieser Hauptmann auch noch – ein Umstand, der Mann gleichfalls verstimmt. Manchmal, heißt es, soll sich Hauptmann in Franziskanerkutte auf den Dünen zeigen, mit zerfurchter Denkerstirn auf die Ostsee blickend.
Das alles missfällt Thomas Mann, und so nimmt seine Freude an diesem Aufenthalt von Tag zu Tag ab. Selbst das kulinarische Angebot enttäuscht, ja gerät zu einer neuerlichen Demütigung. Während die Manns mit den übrigen Gästen im Speisesaal hocken und eher dürftige Kost vorgesetzt bekommen, werden Hauptmann – Thomas Manns Gattin hat das genau beobachtet – köstliche Speisen auf seinem Zimmer serviert. Für zwei Könige, das steht fest, ist auf dieser Insel kein Platz, und so reisen die Manns bald wieder ab.
Im Herbst 1924 erschien übrigens Manns Der Zauberberg, und für die Figur des trinkseligen, schwadronierenden Mynheer Peeperkorn stand recht offensichtlich Gerhart Hauptmann Modell – was dieser bei der Lektüre wütend registrierte. Die Randnotiz »Dieses idiotische Schwein soll Ähnlichkeit mit meiner geringen Person haben?« zeugt davon. Hauptmann erkannte dessen ungeachtet die Bedeutung des Romans, und die Fehde der Kontrahenten wurde alsbald ad acta gelegt. Von weiteren gemeinsamen Urlaubsreisen ist jedoch nichts bekannt.