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»Sie sollen nicht auf mich schießen«, sagte Bonet mit nur schwer kontrollierbarer Selbstbeherrschung. Da war sogar ein Zittern in seiner Stimme, und er hoffte, dass sein Gesprächspartner es nicht als Anzeichen von Angst deuten würde. Natürlich hatte er Angst. Aber vor allem war er stinksauer. »Ich habe doch eindeutig gesagt …«
Die Stimme unterbrach ihn. Sein Gesprächspartner war nicht beeindruckt.
»Die Jägerkiller schießen auf zwei flüchtige republikanische Kreuzer, die nicht kapitulieren wollen«, kam die gleichmütige, fast desinteressiert klingende Antwort. Für Bonet war das eine Beleidigung, die seinen Zorn anfachte. »Was für Befehle sollen wir geben? Sollen wir die Proxima etwa in Ruhe lassen? Das würde Captain Ark doch sofort misstrauisch machen! Sollen wir nur Rohrkrepierer laden? Das wird sie uns auch nicht abnehmen. Es muss echt aussehen. Es muss echt sein. Wir konnten nicht eingreifen. Das taktische Ziel ist erreicht, unsere verfolgenden Schiffe sind näher gekommen.«
»Es muss echt sein?«, zischte Bonet. »Das hätte auch böse ins Auge gehen können! Sie spielen ein sehr gefährliches Spiel.«
»So ist Krieg eben. Ein Restrisiko besteht immer. Dennoch wurden die Torpedos in einem Abstand gezündet, der letztlich ungefährlich war. Das Schiff hat es doch gut überstanden. Und wir haben jetzt ordentlich aufgeholt. Entweder wird die Proxima springen oder sie wird geentert. Idealerweise gibt Ark endgültig auf. Völlig wahnsinnig wird sie ja nicht sein, oder?«
Bonet hielt sich mit seinem Urteil zurück. Er war Ark bisher nur einmal begegnet, und das war nicht ausreichend gewesen, um sie abschließend zu bewerten. Aber nein, wahnsinnig erschien sie ihm nicht, und man beförderte selten Irre in eine Position wie die ihre, das musste er zugeben.
Es gab natürlich Ausnahmen.
»Mir gefällt nicht, wie Sie mit meinem Leben spielen«, sagte Bonet, und war sich gleichzeitig sicher, dass sein leicht drohender Unterton bei seinem Gesprächspartner nicht greifen würde. Er fühlte sich hilflos, eine Emotion, die der Admiral weder gewohnt war noch besonders schätzte. Er hasste es, wenn er in eine solche Position gedrängt wurde, und er gab allen die Schuld daran, nur nicht sich selbst.
Der Vorwurf zeigte jedenfalls keine Wirkung.
»Es ist, wie es ist«, sagte die Stimme weiterhin ungerührt. »Es nutzt uns nichts, wenn wir die Proxima so erkennbar schonen, dass jemand anfangen könnte, sich Gedanken zu machen. Und Ihnen bleibt ja immer noch die Option, sich Verbündete in der Mannschaft zu suchen und die Sache intern zu regeln. Sie sind doch kein so schlechter Agitator, zumindest hat man mir das gesagt.«
Das armselige Kompliment beeindruckte Bonet nicht.
»Das ist leichter gesagt als getan.«
»Dann wissen Sie, wie unsere Situation ist.«
»Wenn die Spule repariert wird, wird den beiden Schiffen die Flucht gelingen. Es geht zur Wega-Station, wie Sie wissen. Ich erwarte, dass Sie an mir dranbleiben. Ich weiß nicht, wohin es nach dem ersten Sprung gehen wird, aber sobald wir uns etabliert haben, sende ich wieder ein Signal.«
»Sehr gut. Wir haben – unter der Maßgabe, dass das Ziel Wega ist – einen voraussichtlichen Kurs berechnet. Der schnellste Weg ist gleichzeitig einer, der durch Kriegsgebiet führt. Als ersten Sprungpunkt rechnen wir entweder mit Doros oder Cariga, die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig. Das dürfte uns sogar in die Hände spielen, wenn alles klappt.«
Bonet lag eine wichtige Frage auf der Zunge, aber er stellte sie nicht. Sein Gegenüber würde ihn nicht mit Informationen über den Fortgang des Feldzuges versorgen, vor allem deswegen nicht, weil seine Auftraggeber nicht wollten, dass Bonet im Fall einer Gefangennahme zu viel ausplaudern konnte. Die brennende Neugierde war aber da, und er lauschte nach den feinen Nuancen, um daraus ermessen zu können, ob der Krieg gut lief oder nicht. Schließlich hing nicht zuletzt auch sein eigenes Schicksal davon ab.
»Ist sonst alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte die Stimme. Der Versuch freundlicher Leutseligkeit scheiterte am deutlichen Desinteresse im Tonfall.
»Ich melde mich wieder«, beendete Bonet das Gespräch, ehe er eine Frage stellte, mit der er sich lächerlich machen würde, oder eine Bemerkung äußerte, die man ihm als Beleidigung auslegen konnte. Sein Gesprächspartner verzichtete ganz auf jede Grußformel.
Der Admiral starrte kurz auf seinen Kommunikator und verstaute ihn dann sorgfältig. Ungeachtet der Tatsache, dass ihn die leicht arrogante Art seines Kontaktmannes mächtig aufregte, hatte das Gesagte natürlich einen wahren Kern: Er konnte seine Befreiung beschleunigen, indem er sich Leute suchte, die er auf die Seite der Kolonialen ziehen konnte. Sie mussten erkennen, dass die Republik der Feind war. Dann würde sich die Gesinnung hier an Bord schnell ändern. Je mehr Leute er bekehren konnte, desto besser.
Der Plan könnte tatsächlich aufgehen. Denn mit einem hatte sein gesichtsloser Gesprächspartner recht: Bonet konnte gut mit Leuten. Er konnte sehr charmant sein, sehr kameradschaftlich, sehr zugewandt. Es war eine seiner hervorragenden Eigenschaften, und sie hatte ihm in der Vergangenheit schon sehr oft geholfen. Warum also nicht auch in dieser Situation? Er brauchte Leute, die offen mit ihm sprachen und ihn über Dinge informierten, mit denen Captain Ark nicht so leicht herausrückte.
Vor allem aber brauchte er Verbündete.
Bonet ahnte, was ihm bevorstand. Er musste die relative Bequemlichkeit seiner Kabine verlassen und sich umhören. Mit Besatzungsmitgliedern reden, sich leutselig geben. Möglicherweise musste er auch mal was von seinen Rationen abgeben, denn für den Verrat galt das Gleiche wie für die Liebe: Er ging durch den Magen.
Er beschloss, nicht länger damit zu warten. Es würde ihn anstrengen, gewiss. Untergebene … dieses ganze dreckige, ungewaschene und lärmende Gesindel, das zwar unerlässlich für den Betrieb eines Raumschiffes, aber bei alldem so vulgär und austauschbar war, dass ein Mann seines Standes normalerweise den Umgang mit solchen Leuten vermied. Er würde an sich halten, ein besonderes Maß an Selbstkontrolle aufbringen und damit über sich hinauswachsen müssen, so wie immer, wenn er sein schauspielerisches Talent zum Einsatz brachte. Es blieb zu hoffen, dass die Belohnung am Ende – Freiheit, Status, Macht – entsprechend großzügig ausfallen würde.
Er hatte da seine Vorstellungen.
Die Karriere in der Flotte wollte er beenden. Eine politische Position hörte sich gut an, etwa im neu geschaffenen Senat der aufständischen Kolonien, irgendwas mit ordentlich Personal und gepflegtem Umgang auf einem gewissen Niveau. Ja, das klang ganz wunderbar und war keine bloße Träumerei, sondern in greifbarer Nähe, wenn sich die Dinge erst so entwickelten, wie er es für richtig hielt.
Dafür musste er jetzt sorgen. Es kostete ihn ein wenig Selbstüberwindung, aber es half nichts. Gut, dass Miller nicht in der Nähe war. Er würde jetzt sicher komisch gucken.
Bonet verließ die Kabine und begann, nachdem er einige Vorbereitungen getroffen hatte, mit einem freundlichen und absolut harmlosen Rundgang. Es war völlig unmöglich, niemandem zu begegnen, so vollgepackt war die Proxima mit Flüchtlingen aus der geschlagenen Flotte. Viele lungerten in den Gängen herum, da sie beim besten Willen keinen Platz in den Dienstplänen des Kreuzers gefunden hatten oder, selbst wenn, über zu viel freie Zeit verfügten. Man konnte das Schiff nicht permanent säubern und auch die Vorräte nicht immer wieder von Neuem zählen, wenn es nicht irgendwann albern werden sollte. Bonet bemerkte zwei Marinesoldaten aus Varas Kompanie, die scheinbar gelassen den Gang entlangschlenderten. Sie trugen Schlagstöcke an den Gürteln, die Betäubungsschläge austeilen konnten, ohne dass sich der Soldat sonderlich anstrengen musste.
Bonet nickte ihnen zu.
Sie taten nur gelassen. Sie beobachteten alles sehr genau. Auch Bonet, als er an ihnen vorbeiging. Sie salutierten, machten aber keine Meldung, wofür er dankbar war. Er wollte kein Aufsehen erregen. Er war ein Kamerad, ein fürsorglicher Offizier, der mit den Seinen litt. Allzu viel Exerzieren konnte diesen Eindruck nur stören.
Bevor er es sich noch einmal anders überlegen konnte, stürzte er sich ins Getümmel.
Bonet tat wirklich sein Bestes. Er blieb stehen, sprach mit Besatzungsmitgliedern und zeigte sich verständnisvoll. Er nickte und tat so, als würde ihn wirklich interessieren, was diese Leute ihm erzählten. Dazu war eine große Kraftanstrengung nötig, denn es war durchweg belangloses Zeug, das seiner Aufmerksamkeit unter normalen Umständen nicht wert gewesen wäre. Eine Verletzung, die immer noch wehtat? Hier, man sieht sogar noch Blut am Verband! Memme! Was wohl aus der Familie geworden ist? Ich vermisse die kleine Sarah so sehr. Sentimentales Weichei! Ob sie es schaffen werden? Hat das alles denn überhaupt noch Sinn? Kleiner Feigling. Außerdem gab es die Schleimer, für die Bonet noch am ehesten etwas übrighatte. Sich bei Vorgesetzten ins rechte Licht zu setzen, dafür hatte er erst einmal großes Verständnis. Er hatte sein Leben lang nichts anderes getan und wusste, dass es genug Menschen gab, die darauf positiv reagierten. Manchmal war es nahezu unumgänglich. Er verachtete Schleimer schon irgendwie, jetzt, da er das Objekt ihrer Bemühungen wurde. Aber sie taten ihm nicht weh. Er nahm ihr Gewiesel gelassen hin und ertrug es besser als das ganze Gejammere oder gar, Gott bewahre, irgendwelches Gemeckere über die bösen, verräterischen Kolonien.
Wenn er mit Letzterem zu tun hatte, musste er immer besonders um Selbstkontrolle ringen. Zum Glück waren die meisten Menschen, denen er begegnete, zu müde und resigniert, um sich noch über Politik aufzuregen. Sie hatten unmittelbare Sorgen, die viel mit dem Überleben und dem kurzfristigen Schicksal zu tun hatten. Keiner pflegte eine langfristige Perspektive, niemand dachte über die kommenden Wochen hinaus. Sie alle waren, wie erwartet, weitgehend minderwertige Gestalten.
Er knüpfte Kontakte.
Er verteilte Konzentratriegel.
Er gab Zuspruch, wenn er auf ein besonders weinerliches Exemplar traf, und das kam erstaunlich gut an. Je nach Situation lächelte er oder schaute betroffen drein, aber vor allem tat er eines: vorsichtig seine Saat verbreiten. Er reagierte stets, kam nie von selbst darauf zu sprechen, aber wenn sich die Gelegenheit ergab, nutzte er sie sehr zurückhaltend. Wenn jemand überlegte, ob die Kapitulation nicht doch besser wäre, widersprach Bonet nicht. Stattdessen gab er eine vage Antwort, die man indirekt als Zustimmung interpretieren konnte – oder zumindest als Bereitschaft, über diese Perspektive nachzudenken. Das musste man ja wohl noch sagen dürfen. Wenn jemand erwähnte, dass die Kritik der Kolonien ja nicht grundlegend falsch wäre, sah die Reaktion des Admirals ähnlich aus. Er blieb zurückhaltend, ließ aber, ein gewisses Grundverständnis für diese Haltung durchschimmern. Und wenn ein Admiral so reagierte, dann musste da wohl etwas dran sein, dann durfte man darüber reden. Es war wie eine indirekte Erlaubnis zur mentalen Befehlsverweigerung, das Einmaleins des Infiltrators und des Aufhetzers. Bonet hatte das gelernt und praktiziert. Er war gut darin.
Er legte sich ins Zeug. Er blieb vorsichtig. Er ließ sich blicken. Er bekam ein Gefühl für die Seele des Schiffes und fing an, diese zu massieren. Subtil. Behutsam. Schritt für Schritt.
»Admiral, Sir, auf ein Wort.«
Bonet sah sich um. Er stand in einer der beiden Schiffsmessen und tat so, als würde er leutselig einen Flottenkaffee trinken, ein Gebräu, das aus vielerlei Gründen berüchtigt war. Bonet hatte natürlich immer seine eigene Maschine und richtige Kaffeebohnen im Gepäck. Aber hier konnte er damit nicht viel ausrichten, und er wollte ja zeigen, dass er irgendwie ein Mann des Volkes war. Der bittere Kaffeeersatz wies im Abgang einen seltsamen Geschmack nach Plastik auf, der auch durch noch so starkes Erhitzen nicht verschwand. Dafür, so sagte man, enthielt das Getränk wichtige Vitamine und Mineralien. Jeder hätte auf diese gerne verzichtet, wenn es bloß schmecken würde.
Der Mann, der ihn ansprach, machte einen erschöpften Eindruck, aber das galt für sie alle. Soweit Bonet das sehen konnte, war er unverletzt, und seine Uniform wies ihn als Besatzungsmitglied der Zulu aus, ein weiterer Kreuzer, der es nicht durch die Schlacht geschafft hatte. Offenbar hatte es sich dabei um ein größeres Schiff gehandelt, denn Bonet war schon mehreren Crewleuten von der Zulu begegnet und sie alle hatten den gleichen sehr schwermütigen Eindruck gemacht. Der Admiral interessierte sich nicht die Bohne für das besondere Schicksal dieses Schiffes, aber möglicherweise musste er es sich jetzt anhören, also wappnete er sich und setzte eine aufmerksame Miene auf, die ihren Zweck hoffentlich erfüllte.
»Was kann ich für Sie tun, junger Mann?«
Er war jünger als Bonet, daran bestand kein Zweifel.
»Mein Name ist Horvath. Ich war der Dritte Offizier auf der Zulu , Sir.«
Der Admiral legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Ich habe vom schweren Schicksal Ihres Schiffes gehört«, sagte Bonet mitfühlend. Das war natürlich gelogen, wirkte aber, denn Horvath, der ihn mit seinen wässrigen blauen Augen unstet musterte, schienen die Worte zu gefallen. Er nickte hastig, war jedoch nicht mehr nervös.
»Danke, Admiral. Die ganze Schlacht war eine Katastrophe. Da ist irgendwas gründlich schiefgelaufen.«
»Das ist wahr«, log Bonet. Das Einzige, was seiner Ansicht nach schiefgelaufen war, war seine missglückte Rettung.
Horvath beugte sich nach vorne.
»Ich dachte mir, dass ich Ihnen mal was erzähle. Ich habe etwas beobachtet. Auf der Brücke der Zulu . Etwas sehr Seltsames.«
Horvath senkte die Stimme und sah sich um. Die anderen Anwesenden waren in Gespräche vertieft oder eingenickt. Jeder ruhte sich dort aus, wo er gerade war. Die meisten hatten keine Gefechtsposition und warteten nur darauf, dass etwas passierte. Da die Proxima nun wieder ganz »normal« auf der Flucht war, langweilten sich alle mal wieder.
»Was meinen Sie damit?«
Horvath leckte sich über die Lippen. Offenbar fiel es ihm nicht leicht, darüber zu sprechen, doch Bonet machte nicht den Fehler, ihn zu bedrängen.
»Admiral, ich bin der Ansicht, dass wir verraten wurden.«
Bonet hielt an sich, aber seine Fassade der Selbstbeherrschung bröckelte ein wenig, und das sah man ihm sicher auch an. Es schadete nicht. Horvath interpretierte es als Entsetzen und überraschte Fassungslosigkeit angesichts der schockierenden Andeutung. Bonet hatte immer noch eine Hand auf der Schulter des Mannes und drückte nun leicht zu – ein Zeichen, dass er Horvaths Meinung ernst nahm. Zusätzlich senkte er die Stimme zu einem verschwörerischen Tonfall.
»Wir sollten das unter vier Augen besprechen, mein Guter. Folgen Sie mir in meine Kabine. Solche Vorwürfe müssen wir sorgfältig abwägen. Wer weiß, wer hier mithört?«
»Sie glauben mir nicht? Ich habe gesehen, wie …«
Bonet hob eine Hand. Er nickte Horvath zu, der sofort verstummte und sich wieder hektisch umsah.
»Ich glaube Ihnen absolut. Denken Sie, dass ich nicht meine eigenen Beobachtungen gemacht habe? In der Flotte, im Admiralsstab, auf dem Flaggschiff … hier an Bord! Also wissen wir nicht, wer hier wirklich auf wessen Seite steht. Wir müssen solch eine Vermutung unter uns diskutieren, sonst kann das brandgefährlich werden, auch für Sie persönlich. Es ist besser, wenn wir einen vertraulichen Rahmen schaffen.« Er hob die Tasse in seiner Hand. »Ich habe auch richtigen Kaffee, wenn Sie es nicht weitererzählen.«
Gab das den Ausschlag – oder war es die Aussicht darauf, für einige Momente der drückenden Enge des Schiffes zu entgehen, sich in einer Kabine auszustrecken und von der ständigen Gegenwart anderer Menschen befreit zu sein? Das Vertrauen eines Admirals zu genießen und sich alles von der Seele reden? Wahrscheinlich war es von allem ein bisschen und vor allem das Bestreben, seine Geschichte loszuwerden, das sah man dem Mann nun deutlich an.
Diese Art von Begegnung war nicht ganz das, was Bonet erwartet hatte. Natürlich war er nicht der einzige Maulwurf der Aufständischen in der Flotte gewesen. Er kannte sie nicht alle. So vermied man, dass man sich im Fall einer Gefangennahme gegenseitig verriet. Er war sicherlich einer der höchstrangigen, zumindest nahm er dies an. Aber nicht der Einzige.
Kurze Zeit später saßen sie in Bonets Kabine zusammen. Horvath, bei dem die traute Zweisamkeit mit dem Admiral, der sich so nett um ihn bemühte, dafür sorgte, dass alle Dämme brachen, plapperte los. Hier war es gemütlich, und Bonet war ein sehr guter Gastgeber, wenn er es darauf anlegte. Miller hatte er mit irgendwelchen unsinnigen Aufträgen beschäftigt, die ihn eine Weile lang von hier fernhalten würden. Er wollte erst einmal in Ruhe hören, was Horvath zu sagen hatte. Dass er die Kabinentür verriegelte, bekam der Mann vor lauter Freude über die Einladung gar nicht mit.
Alles ging ein wenig durcheinander, zumindest am Anfang, aber dann kristallisierte sich heraus, dass der Mann durchaus über eine wache Beobachtungsgabe und einen kritischen Verstand verfügte. Beides hatte er ausgiebig zum Einsatz gebracht, nachdem ihm zum ersten Mal aufgefallen war, dass etwas nicht stimmte und der Erste Offizier der Zulu offenbar geheime Kommunikationskanäle unterhielt.
»Dann passte eigentlich alles zusammen«, sagte Horvath, der die Tasse mit echtem Bohnenkaffee darin fest mit beiden Händen umklammerte, als hätte er Angst, dass ihm jemand seinen größten Schatz wegnehmen könnte. »Es ergab ein vollständiges Bild. Die Entscheidungen, die er traf. Die Vorbereitungen, die er veranlasste oder unterließ. Dabei genoss er das vollste Vertrauen des Kommandanten. Als ich versuchte, von meinem Verdacht zu berichten, wurde ich abgewiegelt und zur Schnecke gemacht, als hätte ich zu einer Meuterei aufgerufen – oder Gotteslästerung begangen. Der Captain wollte es wohl einfach nicht glauben.«
Horvath klang jetzt, da er diese Erinnerung wiederaufleben ließ, rechtschaffen empört, ja nahezu entgeistert. Er schaute an Bonet vorbei an die Wand, als ob er dort die beschriebene Szene vor sich sähe, und schüttelte mehrmals den Kopf.
Für den Admiral war die Sache klar: Horvath hatte in der Tat einen Verräter der Kolonialen beobachtet, denn die beschriebene Vorgehensweise entsprach dem Standardverfahren, das alle Maulwürfe kannten.
Horvath hatte recht.
Und er schien die Geschichte gerne zu erzählen.
Aber wie weit hatte er sie schon verbreitet?
Bonet stellte interessiert höfliche Fragen und opferte eine weitere Tasse Kaffee zur Bestechung. Da Horvath nicht einmal ahnte, dass er von seinem Erzfeind korrumpiert wurde, akzeptierte er das Angebot mit sichtlicher Freude. Er redete frei von der Leber weg, und am Ende kam der Admiral zu dem Schluss, dass der ehemalige Dritte Offizier entschieden hatte, mit seinen Beobachtungen hinter dem Berg zu halten, bis er auf jemanden treffen würde, der ihm vertrauenswürdig erschien.
Es sprach nicht für seine Menschenkenntnis, dass er ausgerechnet Bonet dafür auserkoren hatte. Das war sehr bedauerlich, vor allem für Horvath, und ein fataler Fehler, wie Bonet ihm jetzt leider verdeutlichen musste.
Er wartete, bis Horvath seinen Kaffee leer getrunken hatte. Er nutzte die Zeit, um dem Mann einerseits zu versichern, dass er sich der Sache annehmen werde – was absolut der Wahrheit entsprach – und sich andererseits zu vergewissern, dass sein Adjutant immer noch mit seinen sinnlosen Aufgaben befasst war, damit er sich für eine weitere Weile von der Kabine seines Vorgesetzten fernhielt.
Das war jetzt nämlich von grundlegender Bedeutung.
Horvath hatte sich derweil richtig entspannt. Er verhielt sich immer noch sehr respektvoll – schließlich weilte er in Gegenwart eines Admirals –, erkannte in Bonet aber eine gleichermaßen verständige wie verwandte Seele. Der Verräter verspürte für einen kurzen Moment ein gewisses Bedauern, fast so etwas wie Mitleid, und ließ diese Anwandlung vorbeigehen wie durch Wind fortgewehtes Laub. Er durfte diese Dinge nicht an sich heranlassen.
Dann holte er die Pralinenschachtel aus seinem Gepäck. Sie war angebrochen – aus gutem Grund – und er war nun froh, sie eingepackt zu haben, als die Evakuierung angestanden hatte. Als ob er geahnt hätte, dass er noch einmal darauf würde zurückgreifen müssen.
Es war gut, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Das hatte sich in der Vergangenheit schon öfters bezahlt gemacht.
Er lächelte Horvath an und hielt ihm die geöffnete Schachtel hin.
»Hier, mein Guter. Zu einem richtigen Kaffee können sich auch tapfere Krieger mal etwas Besonderes gönnen. Das sind auserlesene Köstlichkeiten, alle handgefertigt. Wir können nicht einmal ahnen, wann wir wieder in den Genuss einer solchen Spezialität kommen werden. Die mit Krokant sind besonders fein, die kann ich empfehlen.« Zur Ermunterung nahm er selbst eines der Stücke und schob es sich mit allen Anzeichen großen Genusses in den Mund. Die beiden Reihen zu seiner Seite, nur für ihn erkennbar markiert durch einen feinen Riss im Plastik der Verpackung, waren völlig ungefährlich und in der Tat ausgesprochen schmackhaft. Die beiden anderen hingegen, die er Horvath entgegenhielt …
Der Mann zögerte nicht lange. Krokant sollte es sein, wie der nette Admiral es vorgeschlagen hatte. Und er griff treffsicher nach einem Stück aus seinen beiden Reihen.
Ein Schleckermaul , dachte Bonet. Wie sie alle.
So aßen sie Pralinen, tranken Kaffee und spekulierten kameradschaftlich und mit einer allgegenwärtigen Grundempörung über Verräter, darüber, was man hätte besser machen können und was man hätte voraussehen müssen. Sie waren sich stets einig, da sich Bonet zu schade war, einem Todgeweihten noch zu widersprechen. Es würde ja nicht mehr lange dauern, und die Show war vorbei. Mit etwas Glück musste er keine dritte Tasse des kostbaren Kaffees opfern.
Und in der Tat kam es so, wie er es vorhergesehen hatte.
Horvath zuckte zusammen und schaute Bonet plötzlich Hilfe suchend mit weit aufgerissenen Augen an. Er schien mit einem Mal zu wissen, dass er die nächsten Momente nicht überleben würde, womit er recht behalten sollte. Einmal noch zitterten die Muskeln in seinem vergifteten Leib, und als sich weißer Schaum vor seinem Mund bildete und seitlich hinabrann, hatte er schon die Augen verdreht. Er stieß ein leises, verzweifeltes Stöhnen aus, denn für mehr fehlte ihm bereits die Kraft. Dann sackte der Mann leblos zusammen. Bonet schaute sich die Leiche an, deren Gesicht nun einen seltsam friedlichen Ausdruck angenommen hatte.
Es war getan. So effektiv wie erwartet.
Das Gift wirkte schnell und weitgehend schmerzlos. Bonet war kein Folterknecht, er empfand keine übergroße Freude am Leid anderer, wenn es nicht direkt seinem Lustgewinn diente. Er freute sich über eine gute Arbeit und die Lösung eines Problems. Horvath war keine Gefahr mehr, aber jetzt musste er die Leiche verschwinden lassen. Dafür gab es mehrere Optionen, und er wollte sich sputen, um diese zu verwirklichen.
Zum Glück war er auch auf diese Eventualität vorbereitet. Sein versiegeltes Admiralitätsgepäck enthielt einen Behälter mit einer Spezialsäure, die für solche Fälle hergestellt worden war. Er hatte sie bisher nie einsetzen müssen, war aber in Bezug auf ihren Gebrauch bestens unterrichtet worden.
Bonet erhob sich, packte die Pralinenschachtel sorgfältig weg, trank seinen Kaffee leer – es wäre zu schade gewesen, das gute Zeug zu verschwenden – und vergewisserte sich noch einmal, dass der Zugang zu seiner Kabine verschlossen war. Und dann freute er sich darüber, dass er die Kabine des Ersten Offiziers erhalten hatte.
Denn diese verfügte praktischerweise über eine richtige Badewanne.
Schade nur, dass Horvath diesen Luxus nicht mehr so recht zu schätzen wissen würde.
Bonet seufzte und griff dem Toten unter die Arme.
Jetzt wurde es eklig.