I ch schlüpfe in meine Flip-Flops, lackiere mir endlich, seit Monaten das erste Mal wieder, die Fußnägel in einem verruchten Rot und denke während der Trocknungszeit fieberhaft über ein Geschenk nach. Schließlich laufe ich vorsichtig und immer noch mit den pinken Zehenspreizern an den Füßen zu meiner Fensterbank und betrachte mein Sammelsurium der schönen Dinge.
Als Kind habe ich begonnen, wie eine kleine Elster, alles was glitzert, zu sammeln und zu horten. Mein Vater, der wenig Verständnis für meine Sammelleidenschaft hatte, hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, mir meine Schätze zu entwenden und sie in der Mülltonne zu entsorgen. „Aufräumen“ hat er es genannt. Ihm hat sich der Wert einer alten, blassblau schimmernden Glasscherbe einfach nicht erschlossen. Oder eines Steines, dessen Oberfläche eine kleine, glitzernde Ader durchzog. Ich hatte auch mal einen Weinkorken, der über und über mit klitzekleinen Herzchen bedruckt war. „Wofür ist das gut?“, hat er immer gefragt. Dabei wohnt doch gerade diesen alten Dingen eine wunderbare Schönheit inne. Und wie hat Halldór Laxness so schön gesagt: ‚Wer immer nur nach dem Zweck der Dinge fragt, wird ihre Schönheit nie entdecken.‘
Ich fahre vorsichtig mit meinem Zeigefinger über meine Schätze und verharre dann mit der Fingerspitze auf einem kleinen Stein. Er ist geformt wie ein Halbmond und schillert in einem sonderbaren Rot. Seine Oberfläche ist matt, wie abgeschliffen, und wenn man ihn gegen das Licht hält, erkennt man unter der obersten Schicht kleine leuchtende Punkte. Vielleicht ist es ein Stein, vielleicht ein Stück Glas.
Ich habe ihn erstaunlicherweise mitten in Paris auf dem Fußweg gefunden. Wo er herkommt, ist mir schleierhaft. Jemand muss ihn verloren haben. Ich wühle in der Tüte unter der Heizung nach einer kleinen Schachtel und finde eine ganz edle in Grau.
Kleine Schachteln sind eine weitere Leidenschaft von mir und ich habe mittlerweile eine ganz ansehnliche Sammlung. Vorsichtig lege ich den roten Stein auf ein Stück weißes Seidenpapier und drapiere beides in der Schachtel. Das Glück ist mir hold und ich finde auch noch ein Stück goldenes Schleifenband und somit habe ich ein Geschenk.
* * *
Als ich die Haustür hinter mir zuziehe, muss ich einen kleinen Moment stehen bleiben. Mich überkommen nämlich bösartige Zweifel. Kann ich einem erwachsenen Mann, um nicht zu sagen einem richtigen Kerl, der sogar Dieselmotoren reparieren kann, einen kleinen und nutzlosen Stein schenken? Besteht die Gefahr, dass alle über mich lachen, einschließlich Piet? Sollte das passieren, würde ich mich in Luft auflösen, und zwar umgehend.
Zweifelnd betrachte ich die kleine Schachtel in meiner linken Hand und das strengt mich so an, dass ich mich für einen Moment auf den Hausstein setzen muss. So nennt Hiltrud die zwei Stufen zur alten Haustür. Die Steine speichern jetzt im Sommer ganz wunderbar die Wärme und ich schließe kurz die Augen. Ich kann mich nicht entscheiden. Sollte ich vielleicht einfach gar nicht zu der Feier gehen? Dieser Tag war wirklich sehr anstrengend und wie aufs Stichwort denke ich an das Ultraschallbild, das jetzt oben auf meinen Nachttisch liegt. Mein Herz zuckt einmal schmerzhaft zusammen und ich atme tief durch.
„Was machst du denn da?“ Lasse steht plötzlich vor mir, die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben und mit gerunzelter Stirn.
„Rumsitzen“, erwidere ich matt und er nickt wissend.
„Kleinen Schwächeanfall gehabt?“, erkundigt er sich.
Was bitte soll man auf so eine Frage antworten? Hilflos zucke ich bei so viel Anteilnahme die Schultern.
„Ich soll dich suchen. Hat Piet gesagt. Hiltrud meint, ihr hättet heute beide einen anstrengenden Tag gehabt. Und da wir jetzt seit einer halben Stunde auf dich warten, obliegt es mir, dich heranzuschaffen.“ Er grinst.
Ich grinse müde zurück und schließe meine linke Hand fest um die kleine Schachtel mit dem Schatz darin. Eigentlich ist es schön, dass es plötzlich Menschen gibt, die nach mir suchen, wenn ich nicht auftauche. Eigentlich habe ich genau das schon sehr lange in meinem Leben nicht mehr gehabt. Lasse streckt die Hand aus, ich ergreife sie mit der Rechten und lasse mich hochziehen.
„Schnieke siehste aus!“, sagt Piets kleiner Bruder anerkennend, rollt mit den Augen und dann laufen wir gemeinsam durch den Ort bis zum Hafen.
* * *
Die Gäste sind im kleinen Garten hinter dem Haus versammelt und haben sich um den Grill gescharrt. Ich grüße einmal kurz in die Runde und mache mich dann auf die Suche nach Piet, den ich in der gemütlichen, aber ziemlich chaotischen Küche des alten Hauses finde. Er steht vor dem riesigen amerikanischen Kühlschrank und räumt Bierflaschen in einen Korb.
„Herzlichen Glückwunsch!“, sage ich und weiß für einen Moment nicht, ob ich ihn vielleicht an dieser Stelle umarmen sollte. Macht man ja so. Aber Piet und ich haben uns noch nie umarmt, bis auf das eine Mal, wo er mich einfach so gedrückt hat. Üblicherweise geben wir uns noch nicht einmal die Hand. Vielleicht wäre eine Umarmung dann doch etwas überdimensioniert. Als Piet einen Schritt auf mich zumacht, halte ich ihm schnell die kleine Schachtel hin. Ich bin mir nämlich plötzlich nicht sicher, ob er nicht gerade doch vorhat, mich zu umarmen. Verzwickte Geschichte. Kompliziert wie Small Talk.
„Ein Geschenk“, krächze ich. Meine Stimme scheint in Deckung gegangen zu sein. Plötzlich bin ich ganz fürchterlich befangen.
„Soll ich es jetzt aufmachen?“, fragt Piet und sieht mich abwartend an. Ich nicke energisch. Solange keiner da ist, umso besser.
Piet schließt den Kühlschrank und nimmt mir die kleine Schachtel aus der Hand. Dann löst er die goldfarbene Schleife und hebt vorsichtig den Deckel ab. Ein paar Sekunden lang betrachtet er mein Geschenk mit völlig ausdruckslosem Gesicht, was mein Herz dazu bringt, heftig in meiner Brust herumzuwummern. Er findet es doof. Ganz klarer Fall. Ich räuspere mich und setze zu einer Erklärung an, als Piet den Blick hebt und mir direkt in die Augen sieht.
„Du schenkst mir wirklich einen echten Schatz?“, fragt er leise und aus dem Nichts erscheint ein kleines, einseitiges Lächeln in seinem Mundwinkel und lässt sein Gesicht strahlen.
Ich nicke stumm.
„Du hast meine Schätze auf der Alten Liebe gesehen“, sagt er und macht einen Schritt auf mich zu.
„Ja. Du scheinst Schätze zu mögen. Ich auch.“
Er nimmt den Stein heraus und hält ihn zwischen zwei Fingern vor das Fenster. Sofort glitzert der Stein, als hätte irgendetwas in ihm das Licht angeknipst. Offenbar hat Piet ganz schnell begriffen, wo sich die Schönheit dieses Schatzes befindet. Mittendrin. Er lacht mich an.
„Wow!“, sagt er. „Der ist großartig. Ich danke dir!“
Und dann schließt er seine große Hand um den Schatz und umarmt mich. Ohne weiteres Federlesen. Ohne Vorankündigung. Und ohne, dass ich vorher stiften gehen kann.