Eine Hexe zum Verlieben
Tagsüber zeigt die Immobilienmaklerin Elionore Brevent ihren Kunden schicke Häuser, doch in der Nacht widmet sie sich als Hexe lieber anderen Dingen. Ihr Doppelleben hat Eli fest im Griff. Das glaubt sie zumindest, bis sie in einem neuen Haus sehr sonderbare Magie spürt. Und auf einmal gerät ihr wohl geordneter Alltag aus den Fugen: Wie aus dem Nichts taucht im Garten des Hauses ein ziemlich attraktiver Vampir neben ihr auf und zu allem Überfluss heftet sich ein nicht weniger ansehnlicher Werjaguar an ihre Fersen. Dass diese beiden Kerle irgendetwas mit der Magie im Haus zu tun haben und obendrein dunkle Geheimnisse mit sich herumschleppen, dessen ist sich Eli sicher. Als dann noch eine Horde seltsamer Elfen auftaucht und ganz Niedersachsen zum Stillstand bringt, wird Eli ihre Mission offenbart: An der Seite der beiden Typen soll sie mit ihrer Magie die Elfen retten. Was sich als schwierig erweist, denn Eli fühlt sich zu Vincent wie magisch hingezogen.
★ Magisch, romantisch, abenteuerlich – eine starke Heldin mit zauberhaften Fähigkeiten. ★
»Eine Hexe zum Verlieben« gibt es als Taschenbuch und E-Book.
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Leseprobe Kapitel 1
Sie werden es nicht glauben, aber ich bin eine Hexe. Das ist nicht weiter schlimm, es gibt unerfreulichere Schicksale. Das einzig Anstrengende an dieser Tatsache ist die latente Müdigkeit. Magie funktioniert nämlich nachts am besten.
Das bedeutet, wenn alle anderen Menschen friedlich in ihren Betten liegen und sich vom Tag erholen, springe ich durch meinen Garten und webe Zauber. Und wenn alle anderen Menschen morgens frisch und ausgeruht aufwachen, bin ich gerade erst ins Bett gefallen.
Leider bedeutet das nicht, dass ich da auch liegen bleiben kann. Hexerei ist, rein finanziell betrachtet, nicht sehr einträglich. Deswegen muss ich meine Brötchen auf anderem Wege verdienen. Ich bin Immobilienmaklerin. Da Häuser sich grundsätzlich nur tagsüber gut verkaufen, ist es nahe liegend, dass ich mit sehr wenig bis gar keinem Schlaf auskommen muss.
Aber wie meine Mutter immer sagt: Schlafen wird überbewertet.
Sie muss es wissen, immerhin hat sie neben der nächtlichen Hexerei noch drei Kinder großgezogen.Diese Weisheit hindert mich jedoch nicht daran, auch an diesem Morgen das Weckerklingeln hartnäckig zu ignorieren, bis mein gesamtes »Schlaf-Verhinderungs-System« losgegangen ist. Dieses besteht aus vier verschiedenen Weckern, die an verschiedenen, vom Bett aus unerreichbaren Orten positioniert sind und im Abstand von fünf Minuten loslegen.
Gezwungenermaßen hieve ich mich irgendwann aus dem Bett, um dem ohrenbetäubenden Lärm zu entkommen, und wanke in mein Bad. Der Blick in den Spiegel offenbart mir nichts Gutes. Ich sehe müde aus. Sehr müde. Ein paar Sekunden gönne ich meinem Spiegelbild einen mitleidigen Blick, dann drücke ich seufzend Zahnpasta auf die Bürste und putze mir die Zähne.
Danach widme ich mich meinen dunkelbraunen, krausen Haaren, die wirr in alle Richtungen vom Kopf abstehen und versuche, sie durch energisches Bearbeiten mit der Bürste von einem geordneten Zusammenleben auf meinem Kopf zu überzeugen.
Da sie sich aber beharrlich unkooperativ verhalten, nötige ich sie mit Hilfe eines Haargummis in Form und verwende die verbleibende Zeit auf die einzigen farblichen Akzente in meinem sonst blassen Gesicht: den dunklen Augenringen. Ich tupfe die klebrige, matschbraune Masse zum Abdecken auf die Haut unter den Augen mit dem Resultat, dass die Augenringe die Farbe ändern und jetzt ein zartes Lindgrün annehmen.
Dieses heimtückische Verhalten kenne ich schon und so bekämpfe ich das Grün mit einer Schicht goldfarbenem Make-up. Schließlich blickt mir eine halbwegs wieder hergestellte Elionore Brevent entgegen.
Dann begebe ich mich zur zeitaufwändigsten Tätigkeit eines jeden Morgens: der Suche nach einem sauberen und farblich zusammenpassenden Büro-Outfit. Ich neige leider etwas zum Chaos, deswegen türmen sich vor, neben und in meinem Kleiderschrank diverse Klamottenberge. Weswegen die allmorgendliche Suche nach geeigneter Kleidung immer wieder eine spannende Herausforderung darstellt. Vermutlich sollte ich dringend mal wieder aufräumen, aber fürs Erste begnüge ich mich mit einem schwarzen Hosenanzug vom höchsten Berg links neben dem Schrank. Den hatte ich zwar gestern schon an, deswegen lag er einladend griffbereit, aber mit einem Schuss Chanel No. 5 wird der leichte Geruch nach verbrannter Erde vielleicht nicht so auffallen. Also bedufte ich mich ordentlich mit dem goldenen Flakon und ermahne mich selbst noch einmal streng, meine Büroklamotten nicht zum Hexen anzuziehen.
Hexerei hat leider oft die unangenehme Nebenwirkung zum Naserümpfen zu stinken.
Als ich endlich startbereit in meinem Auto sitze, stelle ich erstaunt fest, dass die Uhr heute mein Freund sein möchte. Das ist selten genug und so nutze ich die Zeit, um mich noch schnell bei meinem Lieblingsbäcker mit einer ausreichenden Ration Fett und Zucker für den Tag einzudecken.
Ausgestattet mit zwei Streuselschnecken und einem noch warmen Buttercroissant parke ich pünktlich um kurz vor acht meinen Alfa 159 auf dem Parkplatz vor dem Bürogebäude. Gemächlich schlendere ich in mein Büro und fahre den Rechner hoch. Dann reiße ich die Papiertüte mit dem Croissant auf und will gerade ein großes Stück des buttrig warmen Teigs abreißen und mir in den Mund stecken, als Klara, die Sekretärin unseres kleinen Maklerbüros, mit zwei dampfenden Kaffeebechern um die Ecke gestapft kommt. Sie lässt sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch fallen und hält mir demonstrativ eine Tasse entgegen. Die 680 Kalorien meines Croissants müssen warten, ihr breites Grinsen suggeriert mir: Frag mich, wie mein Abend gestern war.
Klara hatte das 35. Date in diesem Jahr. Und das Jahr ist noch jung. Mittlerweile glaube ich nicht mehr daran, dass sie tatsächlich auf der Suche nach einer Beziehung ist. Vielmehr vermute ich eine ausgeprägte Sucht nach diesem Dating-Mist. Mindestens einmal in der Woche muss ich sie zu den Herren interviewen, die sie getroffen hat. Allem Anschein nach zieht sie die durchgeknallten und unansehnlichen Typen der männlichen Gattung an wie das Licht die Motten. Also frage ich sie brav und mit einem leicht sehnsüchtigen Blick auf mein Frühstück: »Wie war es denn gestern?«
Sie holt tief Luft und fängt in rasender Sprechgeschwindigkeit an, über ihr Treffen zu berichten, und welche Überraschung: Der Typ war weder in der Lage zusammenhängende Sätze mit mehr als drei Wörtern zu bilden, noch entsprach er den optischen Ansprüchen von Klara. Er hatte oben wenig, dafür in den Ohren viele Haare. Und er hieß Klaus.
»Klaus! Also bitte … das geht ja gar nicht!« Sie reißt dramatisch die Augen auf und lehnt sich in ihrem Stuhl nach hinten.
Nun ist gegen den Namen Klaus prinzipiell nichts einzuwenden, außer dass Klara auch fast alle anderen gängigen Namen wie Michael, Alexander und Holger für inakzeptabel hält. Und wenn der Mann tatsächlich einen Namen hat, der genehm ist, trägt er die falsche Haarfarbe auf dem Kopf. Wenn er das große Glück hat, überhaupt noch über volles Haupthaar zu verfügen. Falls nicht hat sich der Fall für Klara eh erledigt. Manchmal allerdings passt der Name als auch die Haarfarbe, dann hat er meist den falschen Beruf. Oder er fährt das falsche Auto. Oder er hat eine Exfrau. Was in der Alterskategorie, in der sie auf Männerfang ist, schon mal vorkommt. Also alles in allem halte ich Klara für einen hoffnungslosen Fall. Da sie tief in ihrem Inneren vermutlich bereits zu demselben Schluss gekommen ist, hat sie sich vor kurzem zwei kleine Kätzchen gekauft, mit denen sie jetzt in einer WG lebt. Besser als nichts. Die beiden haben den richtigen Namen und die richtige Haarfarbe.
Ich nicke derweil bedächtig mit dem Kopf und freue mich mit unbewegter Mine, als sie endlich Anstalten macht, mein Büro zu verlassen. Die Glastür schließt sich geräuschvoll hinter ihr und mein Kopf sinkt, ohne dass ich ihn davon abhalten könnte, auf die Tischplatte, nur knapp neben das wartende Croissant.
Ich gähne einmal ausgiebig und versuche dann, meinen bleischweren Kopf wieder senkrecht auf meinem Hals zu balancieren. Freundlicherweise erinnert mich in diesem Moment der Kalender in meinem Computer an den ersten Besichtigungstermin des Tages. Das Piepen bring mich wieder etwas in Wallung und ich begebe mich auf die Suche nach den Unterlagen für das Haus oder wie wir Makler es distanziert nennen: das Objekt.
Wie schon gesagt, ich bin Maklerin. Übrigens ein Berufszweig, in dem es unerwartet viele Hexen gibt. Woran das liegt, weiß ich nicht genau. Ich vermute, dass es etwas mit der Bodenständigkeit dieses Berufs zu tun hat. Immobilien sind, wie der Name schon sagt, immobil und alles um die Immobilie herum ist dementsprechend langsam. Häuser verkaufen sich nun mal nicht von heute auf morgen. Und Hexen gehören auch zu den eher langsamen Lebewesen auf diesem Planeten.
Spontane Hexerei ist selten und schwierig durchzuführen. Kein Wunder, woher soll man auch getrocknete Ochsenhoden und in Froschblut eingelegte Safranfäden nehmen, wenn Hexe ganz spontan einen Liebeszauber vollziehen möchte?
Also: Hexerei braucht Zeit und muss gut durchdacht und vorbereitet sein. Erst im fortgeschrittenen Alter und mit einiger Erfahrung lernen wir Hexen, auch mal spontan mit einem Zauber um uns zu schmeißen. Bis dahin ist Hexerei eine eher lahme Angelegenheit. Das ist bei dem Verkauf von besagten Objekten nicht anders.
Vielleicht liegt die Vorliebe von Hexen für den Maklerberuf aber auch in unserem Hobby: der Suche nach neuen Erdlinien. Schließlich können wir dieser Leidenschaft bei den vielen berufsbedingten Besichtigungsterminen sehr ausgiebig frönen.
Besagtes Objekt liegt laut der Information meines allwissenden Computers nur wenige Minuten von meinem Büro entfernt, und so habe ich noch ausreichend Zeit mich durch die Papierstapel auf meinem Schreibtisch zu wühlen, um nach dem passenden Exposé zu fahnden. Als ich es nach einigen Minuten des Suchens endlich unter dem Stapel »Dinge-die-ich-unbedingt-lesen-muss-wenn-ich-Zeit-habe« finde, nehme ich noch einen Schluck Kaffee, beiße einmal beherzt in mein Croissant und mache mich auf den Weg.
Das Haus ist ein ziemlich hässlicher 30er-Jahre-Bau. Vor langer Zeit wurde das quadratische Haus von einem Besitzer mit sehr schlechtem Geschmack pipigelb verklinkert. Das leuchtend rote Satteldach scheint das Einzige zu sein, was nicht vom Einsturz gefährdet ist. Im Maklerjargon handelt es sich bei dem vom akuten Verfall bedrohten Bauwerk um eine Villa mit »leichtem Renovierungsstau«. Das Wort »leicht« ist in diesem Fall sehr relativ und die großspurige Bezeichnung »Villa« lenkt nur kurz vom extrem schlechten Zustand ab. Allerdings liegt hinter der besagten Villa ein traumhafter großer Garten. Was auch so ziemlich das Einzige von Wert auf diesem Grundstück darstellt. Wenigstens kann ich das Haus zu einem sehr günstigen Preis anbieten.
Die Interessenten stehen schon aufgeregt vor dem Gartentor und blicken erwartungsvoll meinem roten Alfa entgegen. Ich zaubere mir mein Profilächeln ins Gesicht und parke den Wagen auf dem Bürgersteig, direkt neben der wartenden Großsippe. Ich bin Maklerin. Ich darf überall parken.
Die erste Schätzung ergibt, dass die strohblonde und mit Sicherheit magersüchtige Frau und der dicke, rotgesichtige Mann mindestens vier Kinder haben. Nachdem wir uns die kalten Hände gereicht haben, weist die magere Frau ihren Gatten an, die beiden Kleinen aus dem Wagen zu holen. Sechs Kinder. Herr im Himmel! Aber mein Profilächeln sitzt unerschütterlich und sicher. Ich öffne das marode Holztor und die Familie ergießt sich in den Garten.
»Soso, das ist ja hübsch!« Die magere Mama tippelt neben mir her.
»Ja, ein echtes Schnäppchen. Und ein super Garten. Ideal für ihre Kinder.« Ich grinse breit und suche in meiner Handtasche nach dem Haustürschlüssel. Noch während ich auf dem Grund meiner riesigen Tasche herumtaste, stellen sich die feinen Härchen in meinem Nacken auf. Ein untrügliches Zeichen für Magie in der Luft.
Allerdings scheint es hier mehr zu geben als nur eine profane Erdlinie. Zu meinen gesträubten Nackenhaaren läuft mir jetzt noch ein kalter Schauer über den Rücken. Ich schnüffle unauffällig und lasse den Blick über den ungemähten Rasen schweifen. Zu sehen ist nichts und riechen kann ich nur den nahenden Frühling.
Ich lotse die Sippe in den Flur und spule das übliche Besichtigungsgeschwafel ab. Nicht ganz leicht, weil ich das Haus auch nur vom Grundriss her kenne. Aber das ist das Schöne an meinem Job: Kennst du ein Haus, kennst du alle. Der Keller ist unten, das Dach oben und dazwischen muss man nur einen schnellen Blick haben und erkennen, welcher Raum wofür ist. Hin und wieder übersieht man dann mal ein Gäste-WC. Das gibt es dann als Schmankerl beim Hinausgehen noch dazu.
Dem Familienvater, der mir brav durch alle Räume folgt, entgleisen immer wieder die Gesichtszüge. Das Haus ist tatsächlich in einem schlechten Zustand. Wobei auch das noch sehr schmeichelhaft ausgedrückt ist.
Die alten Holzdielen sind in allen Räumen mit rostroter Farbe überschmiert, überall liegen Holzsplitter herum. Die Tapeten hängen in Fetzen von den Wänden, viele Fensterscheiben sind gesprungen. Das Gäste-WC werden wir hier vergeblich suchen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob das Haus über eine halbwegs funktionierende Elektrik verfügt.
Während der feiste Familienpapa und ich die Verwüstung im Wohnzimmer bestaunen, spüre ich das zarte Summen der Magie stärker werden. Etwas irritiert schließe ich für einen Moment die Augen und versuche, das, was ich da wahrnehme, zuzuordnen.
Es fühlt sich ein wenig an wie alte Naturmagie und die Energiewellen kommen definitiv aus dem Garten. Hier im Haus spüre ich zwar die Ausläufer dieser kraftvollen Magie, die Räume selbst sind aber nahezu magiefrei.
Also ist mein eigentliches Besichtigungsziel der Garten. Während ich mich noch dieser komplizierten Magieanalyse hingebe, jagen die vielen Kinder begeistert und lautstark die geschwungene Holztreppe ins Obergeschoss hoch und runter.
»Wir können uns ja noch mal den Garten anschauen?«, flüstert der Mann neben mir in diesem Moment und katapultiert mich damit zurück in meine Maklerrolle. Er scheint sich ganz offensichtlich nicht wohl zu fühlen, was ich ihm nicht verdenken kann. Auch Menschen ohne magische Veranlagung können die Anwesenheit von kraftvollen Energieströmungen in geschlossenen Räumen oftmals als etwas Unnormales spüren.
»Ja, das machen wir«, sage ich ebenso leise. »Der ist hier wohl das Einzige in einem halbwegs guten Zustand«, füge ich entschuldigend hinzu. Unauffällig linse ich in das Exposé in meiner Hand, um zu sehen, wer das Haus angenommen hat.
Klar, mein Partner und ehemaliger Chef Lothar. So ein demoliertes Haus kann man doch keinem Kunden zeigen, ohne vorher wenigstens ein bisschen aufzuräumen. Da ist wohl mal wieder ein Vier-Augen-Gespräch fällig, denke ich düster und folge dem Vater der Großfamilie in die Diele, wo er seine Sippe lautstark zum Aufbruch ruft. Aus der Küche, die am anderen Ende der Diele liegt, kommt uns seine Frau entgegen, die Arme fröstelnd um den Oberkörper geschlungen.
»Ein schreckliches Haus!«, raunt sie vorwurfsvoll, als sie an mir vorbeiläuft. Recht hat sie. Mit einem Nicken folge ich ihr die hässliche Betontreppe zu der gepflasterten Terrasse hinunter.
In meinem Kopf fängt es an, dunkel zu summen. Feinste Magie rast jetzt in schwirrenden Farben zwischen den großen Kastanien hin und her. Die Menschen um mich herum merken nichts davon. Außerhalb von geschlossenen Räumen berührt Magie die normale menschliche Wahrnehmung nicht mehr so stark.
Die Kinder toben lachend über den seit Wochen nicht gemähten Rasen und trampeln die letzten noch verliebenden Blumenrabatten nieder.
Ich brauche ein paar Sekunden, um mich zu sammeln. Ganz unerwartet so einen starken Zauber zu finden bringt mich etwas aus der Fassung. Wer hat sich in diesem Garten niedergelassen? Und um alles in der Welt: Wer vermag solch eine sonderbare Magie zu produzieren?
»Frau Brevent?« Der Mann steht wieder neben mir und schaut mich fragend an. Ich sortiere meine Gesichtszüge und versuche mich an einem Lächeln. »Ist nicht das, was sie sich vorgestellt haben, was?«, frage ich und schicke ein Schulterzucken hinterher, um anzudeuten, dass auch ich etwas anderes erwartet habe.
»Na ja, da werde ich ja mit dem Renovieren nie fertig. Wir suchen zwar was Günstiges, aber bewohnbar sollte es schon sein.« Er sieht mich immer noch freundlich an. Braver Kunde.
»Ich werde gleich im Büro mal unsere Datenbank durchforsten, um etwas Passenderes für Sie zu finden. Kann ich Sie dann unter dieser Nummer erreichen?« Ich halte ihm die Kontaktdaten, die in Lothars krakeliger Handschrift auf dem Exposé vermerkt sind, unter die Nase. Er nickt und wendet sich seiner Familie zu, um alle Angehörigen eben dieser zum Gartentor zu losten.
Wir verabschieden uns per Handschlag und ich springe etwas verwirrt in meinen Alfa. Ich bin zwar verwirrt, aber auch richtig wütend und werde meinem Ex-Chef jetzt gehörig den Kopf waschen. Mir die Besichtigung so einer Bruchbude aufzuhalsen, ohne mich wenigstens vorzuwarnen, ist eine echte Schweinerei. Dementsprechend energisch bin ich, als ich die große Glastür zu unserer Büroetage aufstoße. Ich finde Lothar und Klara in der kleinen Teeküche und bleibe ein paar Sekunden schweigend stehen. Die beiden nutzen die Gunst meiner Abwesenheit gerne zu einer kleinen Plauderstunde. Thema heute ist der vermutete sehr geringe Intelligenzquotient eines neuen Kunden. Ich höre noch die Worte: »Doof wie Stulle!«, dann lacht Lothar lautstark und glucksend los. Sein dicker Bauch wackelt freundlich im Takt mit und sein Gesicht ist wie immer hochrot.
Mein Ex-Chef. Als er zur Welt kam, muss der liebe Gott zu ihm gesagt haben: »Und du kleiner Mann wirst der Prototyp des Immobilienmaklers. Nach deinem Ebenbild schaffe ich all die anderen kleinen Immobilienmakler dieser Welt.«
Er ist klein, dick, freundlich, ziemlich haarlos und von einer sympathischen Oberflächlichkeit, die jedem Interessenten das Gefühl vermittelt, der wichtigste Kunde des Tages zu sein. Auch wenn er oder sie doof wie Stulle ist.
Er hat nur zwei sehr ausgeprägte Defizite, die das Zusammenarbeiten mit ihm manchmal fast unmöglich machen. Er hat eine nahezu unentzifferbare Handschrift und er verabscheut jegliche Form von ordentlicher Aktenführung. Was dazu führt, dass wir elementare Dokumente wie zum Beispiel Notarverträge schon mal neben dem Klo und originale Bauzeichnungen im Altpapier wiederfinden. Seitdem führen Klara und ich vor unseren regelmäßig anberaumten Dokumentensuchaktionen ein Kreuzverhör mit ihm durch, um wenigstens grob einzugrenzen, wo wir stundenlang rumwühlen müssen, um das verschwundene Dokument zu finden. Und wenn gar nichts mehr hilft, gibt es da noch einen fantastischen Suchzauber, den ich dann nachts in meinem Garten über der blubbernden Erdlinie durchführe. Mit dem Resultat am nächsten Morgen hundemüde ins Büro zu schleichen, aber wenige Minuten nach dem Eintreffen das Gesuchte ganz zufällig doch noch zu finden. So chaotisch es vor, neben und in meinem Kleiderschrank auch sein mag, im Job bestehe ich auf Ordnung.
Ich räuspere mich geräuschvoll.
»Eli, Schatz!« Lothar dreht den Kopf in meine Richtung und grinst mich breit an. Bevor er weitere orale Liebkosungen von sich geben kann, fahre ich ihn an: »Was hast du mir denn für eine Bruchbude auf den Schreibtisch gelegt? Ich habe mich ja so richtig vor den Kunden blamiert. Bist du eigentlich bescheuert?« Ich weiß, dass meine schokoladenbraunen Augen bei diesen Worten Funken sprühen. Das kann ich nämlich richtig gut, ungemein wütend aussehen. Obwohl ich mich auf der Autofahrt schon ein wenig abgekühlt habe, möchte ich hier und jetzt schlechte Stimmung verbreiten. Klara gibt einen erschrockenen Laut von sich und schlüpft an mir vorbei zur Tür hinaus.
»Äh … Schätzchen …« Lothar hebt beschwichtigend seine dicken Arme.
»Schnauze!«, fahre ich ihn an. Manchmal liebe ich böse Worte. Und Lothar ist Immobilienmakler, der kann das ab.
»Die Hütte ist akut einsturzgefährdet und du schickst mich da mit einer Großsippe hin. Zum Glück ist uns bei der Besichtigung nicht das Dach auf den Kopf gefallen.« Ich funkle ihn an und nehme irritiert wahr, dass sich Widerstand in Lothars Gesichtszügen regt. Mit Lothar meckern, macht ja nur solchen Spaß, weil ich immer Recht habe. Noch Stunden später sagt er freundliche Dinge zu mir oder beglückt mich mit Kaffee, nur damit ich wieder nett zu ihm bin. Heute nicht.
»Das stimmt nicht!«, begehrt er auf und bohrt energisch seinen Zeigefinger in die Luft. »Das Haus ist zwar in einem schlechten Zustand, aber ich habe extra die Putztruppe reingeschickt. Und das Dach ist fast neu, das fällt niemanden auf den Kopf.« Entrüstet schaut er mich an.
»Dann fahr mal hin und sieh es dir an, du Schlaumeier!« Ich schmeiße das Exposé mit einem lauten Klatschen auf den Küchentresen und drehe mich auf dem Absatz um. Um den Abgang noch dramatischer zu gestalten, knalle ich die Küchentür hinter mir zu und stürme in mein Büro. Ein paar Minuten später höre ich den Dieselmotor seines alten Landrovers aufheulen und er rollt vom Hof, nicht ohne sich vorher zu verschalten und den Motor zweimal abzuwürgen.
Er mag Häuser verkaufen können, aber Autofahren ist nicht seine Domäne. Im ersten Gang und in Schrittgeschwindigkeit tuckert er die Hauptstraße hinunter, wohl um sich selbst vom Zustand der »Villa« zu überzeugen.
Eine halbe Stunde später stürmt er in mein Büro. Das erste Mal, seit ich ihn kenne, ist er nicht hochrot im Gesicht. Er hat nun gar keine Gesichtsfarbe mehr. Er lässt sich auf einen der Besucherstühle vor meinem Schreibtisch fallen und schaut mich fassungslos an.
»Du hast recht«, stöhnt er. »Die Hütte ist total verwüstet.« Das »Sag ich doch« auf meiner Zunge schlucke ich runter. Er wirkt ziemlich mitgenommen. Da Lothar das Leben an und für sich im Griff hat, finde ich diesen Zustand bei ihm sehr beeindruckend und ich werde den Moment durch Schweigen würdigen. Mein hoheitsvoller Gesichtsausdruck lässt Lothar noch tiefer in den Stuhl sinken.
»Jetzt schau mich nicht so an«, murmelt er und blinzelt nervös. »Das Haus sah anders aus, als ich die erste Besichtigung durchgeführt habe. Da hat sich jemand eingenistet und alles kurz und klein geschlagen.«
»Die Tür war nicht aufgebrochen«, merke ich an. »Wer hat denn noch einen Schlüssel?«
»Die Reinigungsfirma. Und der Besitzer, nehme ich an.« Er zuckt etwas hilflos mit den Schultern. »Den müssen wir unbedingt anrufen und darüber informieren. Das könntest du ja machen?«, fügt er hinzu und sieht mich dabei fragend an.
Ich tue vorsichtshalber erst mal unbeteiligt und fange an, ganz die arbeitsame Biene, wild auf meiner Tastatur herumzutippen. Interessante Wortgebilde erscheinen auf meinem Bildschirm, was Lothar von seinem Sitzplatz aus natürlich nicht sehen kann. Er versteht den Wink mit dem Zaunpfahl und raunt mir zu: »Elionore Brevent! Du bist manchmal wirklich eine alte Ziege … Möchtest du einen Kaffee?«
»Ja, mit Zucker und Milchschaum.« Ich nicke ihm huldvoll zu und kann mir ein Lächeln jetzt doch nicht mehr verkneifen. Seufzend erhebt er sich und geht langsam zur Tür. Im Türrahmen dreht er sich noch einmal um.
»Jetzt sei wieder nett. Mir ist das auch noch nie passiert.« Er hebt seine spärlichen Augenbrauen und zeigt eine Reihe makelloser Zähne.
»Wenn ich jetzt zügig einen Kaffee mit Milchschaum bekomme, bin ich geneigt, dir zu verzeihen.« Ich widme mich grinsend wieder dem Buchstabenwirrwar auf meinem Bildschirm.
Milchkaffee ist meine wahre Leidenschaft. Damit bin ich durchaus bestechlich. Und das einzige technische Gerät, das Lothar bedienen kann, ist die Kaffeemaschine. Er vermag geradezu göttlichen Milchkaffee mit dem fluffigsten Schaum der Welt zu produzieren. Für so einen Kaffee bin ich nicht nur geneigt, ihm zu verzeihen, sondern werde auch die undankbare Aufgabe übernehmen, den Besitzer des Hauses über das Chaos zu informieren. Vielleicht erfahre ich über ihn auch mehr über die Vergangenheit des Hauses. Und wenn ich ganz großes Glück habe, ist er ein magisches Wesen und ich bekomme noch einen Anhaltspunkt über diese sonderbare Magie.
Tatsächlich halte ich wenige Minuten später eine heiße Kaffeetasse in den Händen und verbrenne mir prompt beim ersten Schluck die Zunge.
Während ich versuche mir selbst die Zunge zu pusten, beschwöre ich das Gefühl der seltsamen Magie wieder herauf. Sie war bizarr bunt. Meine eigene Magie ist meistens in etwas tristen Brauntönen gehalten. Manchmal schaffe ich einen kleinen Rotklecks, aber nur wenn ich sehr aufgebracht gehext habe. Die Magie meiner Mutter ist schwirrendes Blau in allen Abstufungen.
Aber was ich im Garten dieses Hauses gesehen habe, war in die schillerndsten Farben des Regenbogens getaucht. Zwar war die Farbenpracht aufgrund des Tageslichts nur sehr schwach zu erkennen, aber ich kann mir vorstellen, dass mit Einbruch der Dunkelheit der Garten hell strahlend leuchtet.
Noch nie habe ich so etwas gesehen, geschweige denn gespürt. Sehr seltsam. Ich sollte der Sache auf den Grund gehen. Passenderweise ist heute Nacht Vollmond. Eine gute Gelegenheit sich diesen verzauberten Garten etwas genauer anzusehen. Magie funktioniert immer, aber der Vollmond wirkt oftmals als natürlicher Aktivator, durch den Magie und gewobene Zauber stärker werden.
Ich durchforste die Papierberge auf meinem Schreibtisch nach der Akte der Bruchvilla und finde sie tatsächlich dort, wo sie hingehört. Im Körbchen mit der Aufschrift: Neue Objekte. Endlich liegt mal etwas an seinem Platz. Zufrieden blättere ich durch die Seiten. Leider gibt sie inhaltlich nicht viel her. Weder finde ich irgendwelche Fotos vom Haus, noch scheint es in dem Wust an Unterlagen eine technische Beschreibung der Heizung oder ähnlicher Ausstattung zu geben. Das Einzige, was wirklich brauchbar ist, ist die Kopie des Grundbuchauszugs, auf der der Name des Besitzers steht: Nicolas Deauville. Dort ist handschriftlich sogar eine Telefonnummer vermerkt.
Ich wähle die Nummer und warte. Sekunden später erklingt eine angenehme weibliche Stimme. Sie spult ihr Sprüchlein so schnell herunter, dass ich kein Wort verstehe. Etwas verwirrt gebe ich ein »Äh« von mir.
»Hallo?«, flötet die Dame in mein Ohr.
»Hallo. Maklerbüro Früh und Brevent hier. Es geht um das Objekt im Anemonenweg«, antworte ich schnell.
»Ja, bitte?«
»Ich würde gerne Herrn Deauville sprechen.« Ich werfe noch einen Blick auf den Namen im Grundbuchauszug und hoffe, dass mein Schulfranzösisch ausreicht, um den wohlklingenden Namen korrekt auszusprechen.
»Herr Deauville ist im Moment nicht zu sprechen.« Die Stimme klingt jetzt deutlich kühler. »Worum geht es denn?«, fügt sie noch etwas herablassend hinzu.
»In dem Haus haben sich wohl ungebetene Besucher ausgetobt. Ich hatte heute Morgen eine Besichtigung und es wurde ziemlich viel zerstört.«
Schweigen am anderen Ende.
»Herr Deauville sollte sich das mal ansehen«, fahre ich fort, »um zu entscheiden, ob die größten Schäden repariert werden sollen, und eventuell will er ja auch Anzeige gegen Unbekannt stellen.«
»Er wird sich bei Ihnen melden. Aber nicht vor 19 Uhr. Wo kann er Sie erreichen?«
Ich diktiere der jetzt etwas unwirsch klingenden Dame meine Handynummer und lege auf. Der Hörer hat noch nicht ganz das Telefon wieder erreicht, da klingelt es erneut.
Klara ist dran und sie ist aufgeregt. Was nicht unnormal ist. Klara ist häufiger mal aufgeregt. Ich kann ihren Ausführungen nicht ganz folgen und verspreche, gleich mal zu ihr an den Empfangstresen zu kommen. Als ich um die Ecke biege, steht sie hinter ihrem Schreibtisch und lauscht mit großen Augen der lauten Stimme aus dem Telefonhörer, den sie einige Zentimeter entfernt von ihrem Ohr hält. Ihr Gesichtsausdruck ist starr und sie blickt mir verzweifelt entgegen. Die laute Stimme verstummt und sie legt den Telefonhörer vorsichtig auf.
»Was war das?«, frage ich und lehne mich neugierig auf den Empfangstresen.
»Hier brennt die Luft!« Dramatisch klappert sie mit den Augen. »Ich habe jetzt sechs Interessenten für das Objekt im Anemonenweg. Und alle haben einen an der Waffel.« Sie seufzt und setzt sich vorsichtig wieder auf ihren Bürostuhl. Dann beugt sie sich vor und raunt mir leise zu: »Die eine wollte wissen, ob das Haus aus einem bestimmten Stein gebaut wurde. Den Namen habe ich wieder vergessen. Äh …« Sie legt die Stirn in Falten und scheint ihr Hirn nach besagtem Namen zu durchforsten. Ich winke ab und nicke ihr zu, um sie zum Weitersprechen aufzufordern.
»Und der Nächste wollte wissen, wie das Haus an den Himmelsrichtungen orientiert ist. Hallo?« Hilflos zuckt sie mit den Achseln. »Und das eben war eine Frau, die wissen wollte, ob und was genau im Garten wächst. Sie müsste wissen, ob bestimmte Kräuter dort wachsen … und … pass auf!«, theatralisch hebt sie den Zeigefinger, »ob das Haus im November jeden Jahres mittig vom Vollmond beschienen wird!« Sie schüttelt den Kopf. »Und da ich das nicht wusste, wurde die Tante dann auch noch laut, hast du ja selbst gehört. Ich gehe jetzt nicht mehr ans Telefon«, sagt sie bestimmt und verschränkt demonstrativ die Arme vor der Brust. »Außerdem können wir das Haus doch zurzeit sowieso nicht zeigen, oder?«, fügt sie spitz hinzu, als sie meine hochgezogene Augenbraue sieht.
Ich denke »Scheiße!« und sage: »Nein, das ist richtig. Ich muss erst mit dem Besitzer sprechen, was wir mit dem Chaos im Haus machen.«
Mist, Hexenalarm. Solche bescheuerten Fragen stellen nur Hexen. Anscheinend hat sich schnell herumgesprochen, was der Garten der Bruchvilla außer Bäumen noch zu bieten hat. Was mir nur noch deutlicher macht, wie mächtig diese Magie ist.
»Notiere dir die Namen der Interessenten, wir rufen zurück«, erwidere ich nachdrücklich. »Und geh ans Telefon, wenn es klingelt. Wir haben ja nun schließlich nicht nur dieses Haus im Angebot, klar?«
Ich schicke einen »Ich-bin-hier-der-Boss-Blick« in ihre Richtung, ignoriere ihren Schmollmund und wandere wieder zurück in mein Büro.
Ende der Leseprobe