Für die uneheliche Tochter einer Prostituierten sind bürgerliche Zukunftsperspektiven relativ unwahrscheinlich. Deswegen hatte meine Mutter schon früh beschlossen, dass ich in ihre Fußstapfen treten sollte. Nicht ganz zu Unrecht glaubte sie allerdings, ich würde zu hysterischen Reaktionen neigen. Ich war fast noch ein Kind, als sie mir einbleute:
»In unserem Beruf kann man sich keine Allüren erlauben!«
Damit meinte sie wohl, dass man nicht laut weinen durfte, wenn man traurig war oder Schmerzen hatte und Zimperlichkeit prinzipiell nicht in Frage kam. Auch wenn man sich ekelte, musste man sich zusammenreißen und sogar einen Lustgreis – wenn er Geld hatte – mit einem Lächeln empfangen.
Natürlich wusste Mama nicht genau, wer mein Vater war, und bei ihrem Lebenswandel konnte man auch nichts anderes erwarten. Immerhin hatte sie einen gewissen Pater Vincenzo in Verdacht, der zur besagten Zeit ein Priesterseminar besuchte. Er war der vierte Sohn einer adeligen Familie und viel jünger als sie. Mehrmals habe ich mich tiefverschleiert in die Kirche Santa Maria del Popolo geschlichen, bloß um meinen angeblichen Vater prüfend anzuschauen; sein Latein konnte ich sowieso nicht verstehen.
Ja, ich sah ihm durchaus ähnlich: Von ihm habe ich das ovale Gesicht, die flinken mandelförmigen Augen, den kleinen, aber vollen Mund, die vergleichsweise großen Ohren. Auch seine langen Finger habe ich geerbt, obwohl meine Hände viel kräftiger sind als die seinen. Doch mein Erzeuger musste wahrscheinlich keine Wassereimer schleppen oder betrunkene Soldaten aus dem Bett zerren, sondern konnte studieren und lesen, Musik hören und mit Gleichgesinnten philosophieren.
Ich habe meiner Mutter versprechen müssen, meine mutmaßliche Abstammung nicht auszuposaunen, denn auch wir haben einen Ehrenkodex. Und auf jeden Fall wirkt es sich geschäftsschädigend aus, wenn man die Namen seiner Freier öffentlich preisgibt.
Meine Kolleginnen haben mich zwar gelegentlich angepöbelt, wenn mir feine Herren den Vorzug gaben oder mich über längere Zeit als Kurtisane aushielten, und mir wurde schadenfroh prophezeit, dass auch mein Marktwert mit den Jahren sinken würde. Womit sie leider recht behielten.
Als Mama starb, habe ich ein wenig den Halt verloren, schließlich war ich erst sechzehn. Sie hatte mich stets davon abgehalten, in stickigen Kneipen herumzuhängen, und ich hatte auch nicht das Bedürfnis danach. Doch nach ihrem Tod fühlte ich mich einsam und war darauf angewiesen, neue Kontakte zu knüpfen. Bis dahin hatte sich meine Mutter um die geschäftliche Seite gekümmert.
So kam es, dass ich Abend für Abend am Tiberufer entlangschlenderte und bald alle berüchtigten Spelunken wie meine Westentasche kannte.
Streunende Männer, die unser Ortaccio-Viertel bevölkerten, liebten Besäufnisse, Bordelle, Glücksspiele, zotige Lieder und gingen keiner Rauferei aus dem Weg.
Der wildeste dieser Kerle hieß Michelangelo Merisi, aber man nannte ihn nur nach dem Dorf, aus dem er stammte – Caravaggio. Als ich ihn zum ersten Mal auf der Piazza Navona sah, hatte man mir schon viel über ihn zugetragen: dass er zum Beispiel Exzesse liebe und Messer und Degen sehr locker bei ihm säßen. Immer wieder verschwinde er tagelang von der Bildfläche – nach seinen eigenen Worten, um zu arbeiten; wahrscheinlicher sei es aber, dass er im Gefängnis sitze. Im Übrigen treibe er es mit Männern und Frauen, Mädchen und Knaben, vielleicht sogar mit Tieren. Sofort begann ich mich für den verrufenen Menschen zu interessieren, aber offenbar war das nicht gegenseitig. Meine rothaarige Freundin Guilia hatte mehr Glück.
Andererseits beneidete ich sie nicht. Guilia ist ein Bauerntrampel und nicht bei einer durch Erfahrung klug gewordenen Mutter aufgewachsen, die sie beizeiten mit Essigschwämmchen und anderen Verhütungsmitteln vertraut machte. Auf Befehl ihres Zuhälters hatte Guilia ihr Neugeborenes ertränkt, wonach sie wochenlang in Schwermut versank. In diesem Zustand wurde sie von Caravaggio angesprochen, der ein Modell für die reuige Magdalena suchte. Erst jetzt hörten wir, dass er ein begabter Künstler sei. Obwohl Caravaggio nicht ahnen konnte, was Guilia gerade durchgemacht hatte, erkannte er ihre magdalenenhafte Stimmung an der schlaffen Haltung, dem trüben Blick, den unendlich müden Ausdruck. Hinzu kam noch Guilias Angst vor Entdeckung und Bestrafung oder gar späteren Höllenqualen, die sie völlig verstörte. Angeblich war sie die erste Frau, die Caravaggio malen wollte, denn zuvor hatten ihm ausnahmslos Knaben und Männer Modell gestanden.
Caravaggio wurde stets von Freunden begleitet, manchmal auch von einem Rattenschwanz abgerissener Straßenjungen. Wir kannten sie alle mehr oder weniger gut und respektierten sie gewissermaßen, denn in der Regel kamen wir uns beruflich nicht in die Quere. Gelegentlich entwickelten ältere Lebedamen sogar mütterliche Gefühle und spendierten ihnen abgelegte Kleidungsstücke. Für feminine Kostümierung waren sich die Burschen nämlich nicht zu schade, sie trugen Samt und Seide mit Grazie und ohne sich im Geringsten an einem busengerechten Abnäher oder einem geflickten Kragen zu stören. Überdies waren auch ein paar gutmütige Landeier unter ihnen, mit denen ich oft Tränen lachte.
Ich hatte schon bald bemerkt, dass Caravaggio einen ganz bestimmten Knabentyp favorisierte: noch ein bisschen weich und pummelig von Gestalt, mit schweren Lidern, sinnlichen Lippen, trägem Gehabe und leicht verhangenem, ja fast dümmlichem Ausdruck. Etwas Schläfriges ging von seinen Lieblingen aus, was für den Maler anscheinend den Inbegriff der Erotik bedeutete.
Damit konnte ich nicht konkurrieren, denn ich bin flink und ausgeschlafen. Deswegen war ich überrascht, als Caravaggio mich eines Tages am Ärmel packte; bisher hatte er mich kaum wahrgenommen, nun fand ich es verwunderlich, dass er sogar meinen Namen wusste.
»Hör zu, Fillide, hättest du vielleicht Lust, dich malen zu lassen?«
Da ich in diesem Fall nicht als Hure angesprochen wurde, brauchte ich keine Begeisterung zu heucheln, sondern konnte mich spaßeshalber als zurückhaltende Dame oder spröde Jungfrau gerieren. Obwohl ich längst Feuer und Flamme war, fragte ich mit gespielter Kindlichkeit:
»Wieso ausgerechnet ich?«
»Stell dich nicht so dumm«, sagte er – ein Satz, den auch Mama häufig gebraucht hatte –, »du weißt genau, dass du aparter aussiehst als die anderen Schlampen.«
Wer hört das nicht gern. Seine Worte schmeichelten mir auch insofern, als die meisten meiner Kunden gar keinen Blick für meinen Liebreiz hatten, sondern sich ebenso gern mit meinen derben Konkurrentinnen vergnügten. Erwartungsvoll fragte ich:
»Wie stellst du dir das vor? Soll ich eine Heilige spielen?«
Er lächelte ein wenig.
»Warum nicht? Mir schwebt allerdings etwas ganz Besonderes vor: Ich sehe dich als Widerstandskämpferin, als Judith.«
Ich war verblüfft und antwortete erst einmal nicht.
»Neulich habe ich dich beobachtet«, fuhr Caravaggio fort, »erinnerst du dich noch an den kleinen Vorfall in der Osteria? Mein Freund Lionello schenkte Rotwein aus, und du bist mit angewidertem Ausdruck hochgefahren, bloß weil ein kleiner Spritzer deine weiße Bluse traf. Genau diese Miene brauche ich, vielleicht bist du ja imstande, sie nach Bedarf zu wiederholen!«
»Wir können es versuchen«, antwortete ich und ahnte nicht, auf welches Abenteuer ich mich einließ.
Später nahm ich mir Guilia vor, um sie nach Strich und Faden auszufragen.
»Wie er ist?«, wiederholte sie in ihrer bedächtigen Art. »Nun ja, wie alle Menschen hat er gute und schlechte Seiten. Aber wahrscheinlich ist er verrückt, denn man weiß nie, wie er reagiert.«
Sie behauptete ferner, er arbeite äußerst schnell und wisse schon im Voraus genau, wie sein Bild aussehen werde. Andererseits sei er launisch, jähzornig und schwer zufriedenzustellen. Wenn jedoch alles nach seinen Vorstellungen ausfalle, könne er sich und andere auch überschwenglich loben.
»Und wie ist es mit dem Honorar?«, wollte ich wissen.
»Kannst du vergessen«, sagte sie, »von mir hat er sich sogar Geld geliehen. Ich dumme Gans warte heute noch auf die Rückzahlung. Also überleg dir gut, ob du den Auftrag annimmst!«
»Und warum hast du dich darauf eingelassen?«
Zu meinem Erstaunen geriet die weinerliche Guilia fast in Verzückung.
»Weil Caravaggio meine letzte Hoffnung ist! Unsere armen Seelen sind ja so oder so verloren, aber als büßende Magdalena könnte ich vielleicht zu ewigem Leben gelangen. Wenn du das Bild ansehen willst, musst du dich beeilen, ein gewisser Gerolamo Vittrici hat es bereits angezahlt.«
Als ich etwas später Caravaggios Werkstatt betrat, war ich von Guilias Abbild geradezu überwältigt.
Alle Zeichen weltlicher Gefallsucht hat Magdalena abgelegt; Ohrringe, Perlenkette und Goldgürtel liegen achtlos neben dem gläsernen Ölflakon am Boden. Ihre roten Haarsträhnen hängen unfrisiert und zottelig nach vorn und hinten, die leicht gebräunten Hände ruhen im Schoß. Als reuige Sünderin hält sie das Haupt gesenkt und die Augen geschlossen und scheint in einen nach innen gekehrten, fast meditativen Zustand versunken. Ob sie auf dem niedrigen Betstuhl kauert oder kniet, kann man nicht genau erkennen, denn das schilfgrün gemusterte Leinengewand hüllt sie von der Taille abwärts vollständig ein. Von oben fällt das Licht über den anmutig geneigten Hals auf ihre rechte Schulter, die sich trotz des hellen Teints von der schneeweißen Bluse abhebt. Zwar korrespondieren ihre Haare mit einem drapierten, kupferroten Überwurf, aber sonst sind die Farben spärlich gesetzt, der Hintergrund verfließt in morastigem Umbra.
Bisher hatte ich Guilia und ihr totes Kind bedauert, nun erst kamen mir die Tränen – vorwiegend aus Mitleid, ein wenig auch aus Neid. Alles wollte ich dafür geben, um ebenso wie sie einen Anspruch auf Unsterblichkeit zu erwerben. Der Maler fixierte mich spöttisch und ungeduldig zugleich.
»Michelangelo Merisi ist ein Genie«, sagte er, »das wolltest du doch sagen.«
Ich gab ihm recht. Und dann fing er an zu malen.
Zu meiner Erleichterung erwartete er keine schauspielerischen Leistungen. Als ich zum ersten Mal das kleine Porträt anschauen durfte, sah ich eine hübsche junge Frau, die sich ein Sträußchen vors Dekolleté hält. Was hatte dieses Mädchen mit der biblischen Judith zu tun? Nichts, sagte er, es sei sozusagen die Vorübung für ein großformatiges Gemälde, denn er mache keine Skizzen. Das beruhigte mich etwas, denn an den Zauber der büßenden Magdalena kam dieses Bild nicht heran.
Im Übrigen war Caravaggio ein attraktiver Mann; in den kurzen Pausen schlief ich mit ihm, weil es anscheinend dazugehörte. Von mir aus hätte es dieser Unterbrechungen gar nicht bedurft, so sehr ging ich in meiner Arbeit als Modell auf. Anhand seiner übrigen Bilder fiel mir auf, dass er genau wie ich eine Vorliebe für weiße Blusen hatte. Auch er trug blendend reine Kittel, die ihm eine alte Magd täglich frisch gebleicht vorbeibrachte. Fast schien mir, als ob er mit textiler Sauberkeit seine liederliche Lebensweise kompensieren wollte. Seine Modelle steckte er in Spitzenhemden aus gefälteltem Batist oder hüllte sie in weite Tücher, wobei er das Weiß ins Gelbliche, Kalkige, Silbrige, Bleigraue oder Muschelfarbene spielen ließ. Wie er mir erklärte, gebe es keinen stärkeren Kontrast zu den Tönen der Dunkelheit und der Schatten. Eine Lichtgestalt, die aus den trüben Tiefen der Lasterhöhlen herausleuchten konnte, das war er zuweilen auch selbst.
Meine Kleider habe ich immer eigenhändig gewaschen, denn ich hatte keine Dienerin. So gab es gute Gründe, dass ich mich vorsah und bei mutwillig verursachten Rotweinflecken zornig wurde, Ölfarbe wäre jedoch eine Katastrophe gewesen. Caravaggio sah das ein und malte mich vorerst mit entblößtem Oberkörper, es sei kein Problem, nachträglich ein bisschen Stoff darüberzupinseln.
Natürlich hatte ich fest damit gerechnet, dass als Nächstes das Bildnis der Giuditta an die Reihe käme, aber ein wichtiger Auftraggeber warf die Planung des Malers über den Haufen.
»Vielleicht wird es dir sogar mehr Spaß machen, wenn du nicht allein posieren musst«, sagte Caravaggio, der mir meine Enttäuschung ansah, »ich werde dich nämlich gemeinsam mit deiner Freundin darstellen. Du darfst die eitle Magdalena abgeben, der man gerade die Leviten liest. Guilia ist zur Abwechslung die brave Martha.«
Und in den Pausen?, dachte ich, wer ist dann die Favoritin? Trotz solcher Bedenken und kleiner Eifersüchteleien wurde es ein prächtiges Gemälde. Mit meinem Part konnte ich mehr als zufrieden sein, die Magdalena geriet zum Mittelpunkt des Geschehens. In trotziger Arroganz, aber bereits leicht verunsichert, blicke ich von oben auf Martha herunter und kann zudem in scharlachroter Seide, flaschengrünem Samt, besticktem Mieder und hauchzarten Ärmelrüschen prangen, während Martha triste, glanzlose Stoffe trägt. Nur ihre Hände, die mit allen Fingern meine Vergehen aufzählen, werden vom Lichtstrahl getroffen. Aber meine Linke ist weitaus graziler. Sie weist auf den goldgerahmten Spiegel, auf dessen blinder Oberfläche nur ein reflektiertes Fenster erscheint. Dieser Lichtblick deutet die Wendung für meine verworfene Seele an. Aufmerksamen Betrachtern ist allerdings klar, dass der Maler mehr Sympathie für die Sünderin hegte.
Schon bald waren wir ein eingespieltes Team. Es war meine Idee, Caravaggios abgenutzten Kamm im Vordergrund zu platzieren, und er fand diese kleine Anzüglichkeit ausgesprochen raffiniert. Natürlich war es eine absurde Situation, dass eine mittelmäßige Hure wie Guilia eine viel erfolgreichere Kollegin bekehren sollte, aber gerade deshalb boten unsere Rollen Anlass zu allerhand Scherzen. Es tat uns fast leid, als das Gemälde fertig wurde, und wir feierten die Vollendung mit einer gigantischen Orgie. Leider misslang es Caravaggio, im richtigen Moment aufzuhören; wir konnten nicht verhindern, dass er nach einer Woche nicht mehr Herr seiner Sinne war, einen Zechbruder halbtot schlug und wie stets im Gefängnis landete.
Eine ganze Weile hörten wir nichts von ihm, was uns nicht weiter beunruhigte. Guilia und ich hatten viel zu tun und konnten etwas Geld beiseitelegen oder in Schmuck investieren. Schließlich hatten wir keine Familie, um uns im Alter zu versorgen.
Es war erstaunlich, wie rasch sich Caravaggio wieder auf freiem Fuß befand. Aber er hatte wohlhabende Mäzene und einflussreiche Gönner, die ihm bereits mehrmals aus der Patsche geholfen hatten. Jedenfalls kam schon bald der Tag, an dem er mich als Judith-Modell in seine Werkstatt bestellte.
Ich hatte geglaubt, ich würde – versehen mit symbolischen Attributen, beispielsweise einem Schwert – als Einzige abgebildet, nun wurde ich eines Besseren belehrt. Um den Höhepunkt der biblischen Erzählung darzustellen, mussten drei Personen her: Judith, ihre Magd und Holofernes. Caravaggios zahnlose Waschfrau fürchtete sich zwar vor ihrer neuen Aufgabe, aber sie war geradezu prädestiniert dafür, eine neugierige Greisin zu spielen. Auf der zunächst nur grundierten Leinwand ragte ihr Profil als Erstes in die äußerste rechte Bildseite hinein. Auf Anordnung des Künstlers musste sie ihre Schürze mit beiden Händen wie einen Sack zusammenraffen, was mir vorerst nicht recht einleuchtete. Dann brauchte er ihr nur ein paar Schauergeschichten aus dem Kerker zu erzählen, und schon schnitt sie die passende Fratze: gebannt und zugleich entsetzt, lüstern und grimmig entschlossen. Mein Gott, dachte ich, dieses Weib ist ein Naturtalent, das ich niemals übertreffen kann!
»Was die Ohren angeht, könnte sie deine Großmutter sein«, sagte Caravaggio, um mich ein wenig zu ärgern.
Erst kurz darauf erklärte er mir, wie er sich das fertige Werk vorstellte: Holofernes sollte nicht bei einem Tête-à-Tête dargestellt werden, sondern im Augenblick seiner Enthauptung, die Kehle schon zur Hälfte durchschnitten. Das geschürzte Leinentuch war für den blutigen Kopf gedacht.
»Ohne mich«, sagte ich entschieden, »das ist mir zu eklig!«
»Ausgerechnet dir?«, fragte Caravaggio zynisch.
Es war das erste Mal, dass er mich demütigte und auf abwertende Weise meinen Beruf ins Spiel brachte, und ich geriet in grenzenlose Wut. Ehe er sich’s versah, hatte ich ihm eine Schüssel Leinöl über den Kopf gekippt. Und bevor ich darüber nachdenken konnte, ob meine spontane Reaktion nicht ein grober Fehler war, traf mich eine Faust mitten ins Gesicht, und eine warme Quelle sprudelte aus meiner Nase. Sowohl Caravaggio als auch ich waren eine Weile damit beschäftigt, mit farbgetränkten Lappen Öl oder Blut abzuwischen. Dann war die Zeit reif für einen hysterischen Auftritt, und ich plärrte so laut, dass der Maler fürchtete, die Gendarmen könnten alarmiert werden.
»Wenn meine Nase gebrochen ist, kannst du was erleben!«, schrie ich, und Caravaggio begriff, wie folgenschwer eine Verunstaltung seines Modells wäre.
Plötzlich wurde er ganz sanft, brachte mir einen Becher Wein, nahm mich in die Arme und versuchte, Trost zu spenden.
»In allen freien Berufen ist es das gleiche Problem«, sagte er, »denkst du, ich könnte mit einem festen Einkommen rechnen? Immer ist da die Angst, der Auftraggeber könnte das nächste Bild ablehnen!«
Es tat gut, dass er unsere Metiers wenigstens in finanzieller Hinsicht verglich. Ich wurde sofort ruhiger, versuchte aber trotzdem, aus der Situation einen Vorteil zu ziehen.
»Du hast gut reden, mit deinen Bildern kannst du noch in zwanzig Jahren viel verdienen. Meine Saison dagegen ist von kurzer Dauer. – Im Übrigen habe ich von dir noch keinen Scudo gesehen.«
»Aha, daher weht der Wind«, sagte Caravaggio und angelte eine Kassette unter der Matratze hervor. Neugierig linste ich ihm über die Schulter, aber von goldenen Talern konnte nicht die Rede sein. Immerhin nahm er die Ohrringe heraus, die Guilia als Magdalena zu Boden fallen ließ, und schenkte sie mir. Besser als nichts, dachte ich und war etwas versöhnt. Schmierig, wie wir beide waren, schliefen wir erst einmal miteinander, damit sich das Waschen am Ende auch lohnte.
Zum Glück war meine Nase nicht gebrochen, wir konnten am nächsten Abend mit der Arbeit beginnen. Voller Stolz trug ich die neuen Perlohrringe, ein blütenweißes Hemd und einen bräunlichen Samtrock.
Caravaggio hatte mehrere Fackeln in sandgefüllte Tonkrüge gesteckt, um eine dramatische Beleuchtung zu erzielen. Ich war froh, dass mich der Feuerschein etwas rosiger machte, denn mein Gewerbe fördert ein bleiches Aussehen.
»Lass sein«, sagte Caravaggio, als ich mir zwecks besserer Durchblutung die Wangen rieb, »das Inkarnat darf nicht zu kräftig ausfallen, nur ein zartes Rosé soll auf deinen Wangen schimmern. Schließlich wird es ein Nachtbild!«
Nun gut, ich war mit meinem Aussehen zufrieden, er bis zu einem bestimmten Augenblick auch. Erst als es darum ging, die Miene einer Henkerin aufzusetzen, begann er, an mir herumzunörgeln.
»Viel zu überspannt! Reiß den Mund nicht so auf, sondern eher die Augen! Du brauchst Kraft, um einem ausgewachsenen Mannsbild den Kopf abzuschlagen, man muss deine Anstrengung spüren!«
Und so weiter, bis mir die Lust verging. Wie sollte ich auch wissen, was für ein Gesicht man beim Enthaupten macht, maulte ich und knallte ihm das wuchtige Schwert vor die Füße.
»Reg dich ab, wir machen Pause«, sagte Caravaggio, zog mich aber nicht auf sein Lager, sondern verließ den Raum. Schon bald kam er pfeifend mit einem aufsässigen Hahn zurück, den er an den Flügeln gepackt hielt.
»Nimm mal eben«, sagte er, übergab mir das Tier und wühlte in der Schublade nach einem Messer. Statt des Holofernes sollte ich nun den Gockel abstechen und das passende Ekelgesicht ziehen.
Mit äußerster Spannung verfolgte Caravaggio die Hinrichtung des Hahnes, die ich geschickt und absolut professionell ausführte.
Natürlich konnte er nicht ahnen, dass ich schon häufig Geflügel geschlachtet habe. Meine Mutter hatte es mir beigebracht, als ich zwölf war; erstens, um mich abzuhärten, zweitens, weil wir mit gebratenem Huhn unsere Namenstage zu feiern pflegten.
Nach vollbrachter Tat war ich stolz auf meine unbefleckte Bluse und mein rasantes Tempo, und man sah mir den Triumph auch an. Caravaggio dagegen war maßlos enttäuscht.
»Denkst du, ich wollte eine glückliche Köchin malen?«, brüllte er mich an. »Gib mir die Ohrringe zurück, du dumme Nuss! Jetzt habe ich den teuren Hahn umsonst besorgt!«
»Im Gegenteil«, sagte ich, »heute können wir uns zum ersten Mal ein anständiges Essen leisten. Sag deiner Magd, sie soll schon mit Ausnehmen und Rupfen beginnen.«
In Wein geschmortes Huhn mit Oliven und Zwiebeln, dazu frisches Brot und Salat ist meine Spezialität, um die Wahrheit zu sagen, meine einzige. Es gelang tadellos, Caravaggio war beeindruckt. Die üppige Menge reichte für ihn und seinen Freund, mich, die Magd und sogar noch für zwei hungrige Jungen, die die Knochen abnagen durften.
Nach dem Essen wurden wir müde, auch die Gäste verließen das Haus.
Zum ersten Mal streckten wir uns tatenlos auf die Matratze, hielten uns fast wie ein Liebespaar im Arm und erzählten ein wenig aus unserem Leben. Caravaggio hatte früh den Vater verloren und war in Armut aufgewachsen, ich wiederum hatte nie einen Vater kennengelernt.
Und meine frühe Karriere war auch nicht gerade das, was eine Mutter ihrer Tochter wünscht.
»Gab es unter deinen Freiern einen Mann, den du besonders verachtet hast?«, fragte Caravaggio unvermittelt. Mir fiel sofort ein Kunde meiner Mutter ein, der mich als Neunjährige vergewaltigt hatte. Mama hatte mich nur kurz mit ihm allein gelassen, weil sie zu einer kranken Nachbarin gerufen wurde.
»Weißt du noch, wie er heißt?«, fragte der Maler, doch niemals hätte ich den Namen des Schurken vergessen. Auch später habe ich den hinkenden Luigi gelegentlich gesehen und ihm jedes Mal die Pest an den Hals gewünscht.
»Zufällig kenne ich ihn persönlich«, sagte Caravaggio, »außerdem habe ich allerhand Infames über ihn gehört. Schlaf jetzt ein wenig, ich muss noch arbeiten.«
Als ich in tiefer Nacht von einem rumpelnden Geräusch geweckt wurde, sprang ich ängstlich und halbnackt aus dem Bett und lief hinüber zur Werkstatt, wo die Pechfackeln immer noch brannten. Caravaggio hatte einen gefesselten und geknebelten Mann am Kragen gepackt und schleifte ihn über die Dielen.
»Ist er das?«, fragte er mich. Ich zog eine Fackel aus der Amphore, trat näher heran, leuchtete dem Kinderschänder ins Gesicht und nickte; Schweißtropfen standen mir auf der Stirn. Caravaggio reichte mir feierlich das Schwert.
Es ist ein Unterschied, ob man ein Tier oder einen Menschen köpfen soll. Ich zögerte. Luigi wollte schreien, aber durch den Knebel im Mund konnte er nur klägliche Töne von sich geben. Caravaggio hatte ihn bereits in zweckmäßiger Höhe auf einer Liege angerichtet und dirigierte mich jetzt in die optimale Position. Mein Peiniger und ich sahen uns dabei unentwegt in die Augen.
Im gleichen Moment, als in seinem Blick ein entsetztes Begreifen lag, stach ich zu. Leider habe ich insofern zum zweiten Mal versagt, als ich ihn genau ins Herz traf und den Kopf gar nicht berührte. Die Tat geschah nicht nur aus persönlicher Rache, sondern auch im Gedenken an alle meine entehrten und geschändeten Schwestern. Ich fühlte mich nicht als Mörderin, sondern vollstreckte ein gerechtes Urteil. Wie eine Priesterin, die ernst, konzentriert und mit Würde die ihr auferlegte Pflicht erfüllt.
Caravaggio malte mich mit einer steilen Falte über der Nasenwurzel und traf meine Stimmung so exakt, wie es ihm nie zuvor oder danach geglückt ist.
Als ich endlich nach Hause ging, war ich völlig erschöpft und schlief vierundzwanzig Stunden. Wie ein Besessener malte Caravaggio weiter, denn die Leiche stand ihm nur für begrenzte Zeit zur Verfügung.
Um eine realistische Vorlage zu erhalten, legte er den Toten bäuchlings und in verdrehter Haltung auf die Pritsche und durchschnitt ihm posthum die Kehle. Als er den Körper nicht mehr brauchte, warf man ihn in einer stockfinsteren Nacht in den Tiber, während der Kopf viel später in einer Fäkaliengrube versenkt wurde.
Erst nach fünf Tagen traute ich mich wieder in die Werkstatt.
»Michelangelo Merisi, du bist beinahe ein Genie«, sagte ich ehrfurchtsvoll, als ich das fast vollendete, unerhörte und verstörende Meisterwerk bestaunte.
»Wieso beinahe?«, fragte er, und schon sah ich dunkle Wolken aufziehen.
»Weil Luigi gut zu erkennen ist«, sagte ich, »und das könnte uns in Teufels Küche bringen, denn irgendwann wird er vermisst werden!«
Ohne gleich aufzubrausen, sah er mich gedankenverloren an.
»Fillide Melandroni, auf deine Art bist auch du ein Genie«, sagte er verwundert.
Es gab noch viel für ihn zu tun, bis er meinen blanken Busen und den Kopf des Holofernes übermalt hatte. Am Ende sah der Feldherr Nebukadnezars seinem Schöpfer sogar ein wenig ähnlich, und ich trug wieder mein makellos weißes Hemd.
Caravaggio versprach, dass ich als Nächstes für die heilige Katharina von Alexandrien posieren dürfe. Ich war sehr glücklich darüber, denn was kann ich mir Schöneres wünschen, als der Nachwelt mit Palmzweig und Gloriole zu erscheinen?