Kapitel 5

Normalerweise fuhr Lewandowski mittags nicht zum Essen nach Hause. Wenn Zeit war, ging er entweder mit Linda oder Kollegen einen Happen essen. Hatten sie keine Zeit, holte er sich ein Sandwich, das er dann nebenbei hinunterwürgte, gegen den Hunger. Heute hatte er Zeit, aber keine Lust, mit den anderen essen zu gehen. Er wollte weder reden noch vollgequatscht werden. Der aktuelle Fall gab nichts her, so würde sich bei den Kollegen alles nur um Lindas Rückkehr drehen. Er wollte zu Lindas Befinden nicht gelöchert werden. Da seine Partnerin sich bei den Toten herumtrieb, hatte er sich den Wagen geschnappt und war nach Hause gefahren.

Wozu gab es Mikrowellen? Er wusste, dass im Kühlschrank noch ein Rest Lasagne vom Vorabend stand, die Mira gestern zum Abendessen mitgebracht hatte.

Für die Strecke vom Präsidium bis zu seiner Wohnung in Sendling brauchte er knapp zehn Minuten. Als er in die Straße einbog, in der er wohnte, bemerkte er Mira, die gerade aus dem Haus kam.

Was in aller Welt hatte sie um diese Zeit bei ihm zu Hause zu suchen? Er bremste den Wagen und sah ihr so lange nach, bis sie verschwunden war. Zum Glück hatte sie ihn nicht bemerkt. Das hätte noch gefehlt, dass er ihr in die Arme gelaufen wäre.

Wenig später saß er auf seinem kleinen und windgeschützten Balkon, genoss die erste Frühlingssonne und ließ sich die köstliche Lasagne schmecken. Kochen konnte sie, daran bestand kein Zweifel. Aber genügten regelmäßiger Sex und gutes Essen für eine Beziehung? Für viele vermutlich schon, aber ihn machte das nicht satt.

Seit zwei Monaten waren Mira und er ein Paar. Seine letzte Beziehung war leider in die Brüche gegangen. Diese wunderbare Frau, die von ihrem Mann getrennt gelebt hatte, war zu diesem zurückgekehrt, der beiden Kinder wegen. Er vermisste sie, alle drei. In dieser Phase war ihm Mira in die Arme gelaufen. Die Sache hatte eigentlich ganz locker angefangen. Mira wohnte nur ein paar Häuser weiter. Was als kleine, harmlose Affäre zwischen Nachbarn begonnen hatte, hatte allmählich konkrete Formen angenommen.

Unter der Woche sahen sie sich nur gelegentlich, einerseits ließ der Job es nicht zu, anderseits war es ihm gelungen, sich ein paar Abende frei zu halten. Aber dafür hing Mira inzwischen jedes Wochenende bei ihm ab und hatte sogar damit begonnen, seine Wohnung in Beschlag zu nehmen. Er hatte ihr einen Wohnungsschlüssel gegeben, für Notfälle oder falls er sich mal verspäten sollte, damit sie nicht auf der Straße auf ihn warten musste. Aber nicht dafür, dass sie während seiner Abwesenheit seine Wohnung betrat. Offensichtlich tat sie aber genau das. Warum zur Hölle?

Er sah sich auf seinem Balkon um, während er sich ihre Lasagne schmecken ließ. Sie hatte, ohne dass er es bisher bemerkt hatte, die vertrockneten Pflanzen aus den Kästen entsorgt und diese neu bepflanzt. An der Wand stand außerdem ein großer Trog, aus dem sich etwas Grünes hochrankte. Das sah ja alles sehr nett aus, entsprach aber so gar nicht seinem Geschmack. Plante sie, an einem Gartenwettbewerb teilzunehmen?

Verdammt, was geschah hier bei ihm und mit ihm? Sollte er heimlich, still und leise in die von ihr gewünschte Form gebracht werden? Wütend warf er die Gabel auf den Teller und schob ihn weit von sich. Ihm war der Appetit vergangen. Viel zu lange hatte er die Augen vor dem verschlossen, was hier vor sich ging. Jetzt war es ihm schlagartig klar geworden: Es handelte sich um eine feindliche Übernahme. Nicht mit ihm!

Lewandowski stand auf und trug den Teller in die Küche. Wütend warf er den Rest in den Mülleimer und stellte den Teller in die Spülmaschine. Dann ging er auf Spurensuche.

Die Fettspritzer auf den Kacheln hinter dem Herd waren verschwunden, der Abfluss in der Spüle funktionierte wieder einwandfrei, die leeren Flaschen, die sich im Lauf der Wochen hinter dem Mülleimer angesammelt hatten, hatten Beine bekommen. Seine Küche war picobello sauber, Mira hatte alles auf Hochglanz gebracht.

Warum war ihm das nicht schon längst aufgefallen? Hatte er die Augen davor verschlossen, weil er keine Diskussionen wollte, oder lief er mit Scheuklappen durchs Leben? War er ein Feigling oder ein Verdränger? Beides missfiel ihm.

Fakt war, dass das nicht mehr die Küche eines Mannes war, der drei Ehen in den Sand gesetzt hatte und seitdem mehr oder weniger als Junggeselle lebte, was ihm durchaus gefiel. Fakt war auch, dass Mira offensichtlich alles daransetzte, das zu ändern. Aber für Ehe Nr. 4 war er nicht bereit.

Er zündete sich eine Zigarette an. Mira hatte ihn dazu gebracht, dass er zu Hause das Rauchen eingeschränkt und sich auf den Balkon gestellt hatte. Sie mochte keinen Zigarettenrauch und hatte ihn mit ihrem Hüsteln ins Freie vertrieben. Aber das war ja immer noch seine Wohnung.

Er suchte nach einem Aschenbecher, davon hatte es hier einmal mindestens zehn Stück gegeben. Verdammt, wo hatte sie die alle versteckt? Er holte tief Luft und schluckte seinen Ärger hinunter. Eine Untertasse tat es auch.

Sein Blick kreiste durchs Wohnzimmer, das sich nahtlos an die Küche anschloss. Er hatte die einst trennende Wand schon vor Langem herausgenommen, um mehr Platz zu gewinnen. Alles war in einem Topzustand. Die Kissen lagen hübsch drapiert auf der Couch. Sie hatte sogar an frische Blumen gedacht, die nicht von ihm stammten. Er hatte ihr noch nie Blumen geschenkt.

Es bestand kein Zweifel, Mira hatte Ordnung gemacht, geputzt, aufgeräumt, umgestellt, dekoriert, und das alles ohne seine Zustimmung. Er fühlte sich wie ein Gast, dieses Haus gehörte nicht mehr ihm. Das musste er schleunigst ändern.

Während sich Lewandowski weiter in seiner Wohnung umsah, wurde ihm klar, dass Mira sich häuslich eingerichtet hatte, nach ihren Vorstellungen, nicht nach seinen, und ohne ihn zu fragen. Vermutlich hatte sie bereits Kleidungsstücke von sich im Schlafzimmerschrank deponiert. Er sah davon ab, seinen Verdacht zu überprüfen. Das könnte er heute Abend immer noch tun.

Nachdem sie die Wohnung neu verpackt und seinen Balkon neu arrangiert hatte, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ganz einziehen und sich mit seiner Verwandlung beschäftigen würde. Frauen konnten das, und sie taten das, wie er aus bitterer Erfahrung wusste.

»Ich liebe sie nicht«, sagte er mit lauter Stimme, als müsste er sich dessen selbst vergewissern.

Warum mussten die Dinge immer aus dem Ruder laufen? Eine lockere Affäre, mehr hatte er gar nicht gewollt. Mira schien anfangs auch nicht mehr darin zu sehen. Doch jetzt hatte sich das Blatt gewendet, ihr Trick hatte funktioniert.

Bis jetzt.

Er würde die Sache mit Mira beenden, schnell und schmerzlos. Er wollte sein Junggesellenleben zurück.

Zufrieden mit dieser Entscheidung, drückte er die Zigarette auf der Untertasse aus, stellte sie ins Waschbecken und brach auf.

Auf der Fahrt zurück ins Präsidium klingelte sein Mobiltelefon. Er konnte kaum verstehen, was Linda ihm im Stakkato ins Ohr blies. Sie war gerade mal einen halben Tag wieder da, und schon ging der Ärger wieder los, dachte er genervt und amüsiert zugleich.

Lohmann hatte sich nicht selbst erhängt, sondern war ermordet worden, so viel hatte er verstanden, und dass sie ihn am Tatort erwartete. Er änderte die Richtung und fuhr zum Herzogpark. Während der Fahrt dorthin musste er schmunzeln, als er an das Telefonat von eben dachte. Lindas Stimme hatte sich regelrecht überschlagen, als sie ihm von den neuesten Erkenntnissen erzählen wollte.

Aus purer Bequemlichkeit hatte er gehofft, dass dieser Fall bereits heute Abend als Familiendrama zu den Akten gelegt werden würde, auch wenn er wie Linda am Tatort Zweifel an der Selbstmordtheorie verspürt hatte.

Eine Ahnung verriet ihm, dass diese Ermittlungen schwierig werden würden. Ein Dreifachmord, ein ehemaliger Kollege als Opfer, schlimmer hätten sie es gar nicht treffen können.