Während Stendal sich um die Bankdaten und Kontoauszüge von Sebastian Kunz kümmerte, fuhr Linda in die Rechtsmedizin. Hierzubleiben und Zeit totzuschlagen, war keine Option für sie.
Drei Obduktionen standen heute auf dem Programm. Dr. Lengsfeld wollte sich zuerst Jessika Bianchi ansehen, danach die Wasserleiche, die man im Kofferraum des Ferrari gefunden hatte, und zu guter Letzt den Toten aus dem Perlacher Forst.
Als Linda dazustieß, war die erste Obduktion bereits zu Ende.
»Ich hatte Sie eigentlich früher erwartet«, begrüßte die Rechtsmedizinerin sie. »Jetzt haben Sie die Obduktion von Jessika Bianchi verpasst.«
»Ich konnte nicht früher weg. Es gibt eine neue Spur, die uns möglicherweise zum Mörder der Lohmanns führen könnte. Vielleicht ist es unser Selbstmörder aus dem Perlacher Forst.«
Dr. Lengsfeld runzelte die Stirn. »Den habe ich mir noch gar nicht angesehen. Ich dachte, die beiden anderen Leichen hätten Vorrang.«
»So war es ja auch«, meinte Linda, »aber jetzt liegen die Dinge anders.«
»Dann will ich Ihnen kurz berichten, was ich bislang herausgefunden habe.«
Linda nickte.
»Wir haben bei Jessika Bianchi keinerlei Kampfspuren gefunden, was den Schluss zulässt, dass sie möglicherweise betäubt wurde. Ich befürchte allerdings, dass wir in den Gewebe- und Blutproben dafür keine Beweise mehr finden werden. Fest steht nur, dass die Frau ertrunken ist. Sie hatte Wasser in der Lunge.«
»Schließen Sie Selbstmord aus?«
Dr. Lengsfeld sah sie nachdenklich an. »Würde ich gerne, aber kann ich nicht. Das lässt die Beweislage nicht zu. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Mutter ihren Sohn, der schon den Vater verloren hat, als Vollwaise zurücklässt.«
Linda nickte. »Ich gehe davon aus, dass Schwarz sie auf dem Gewissen hat. Aber nachweisen kann ich ihm diesen Mord nicht. Ihn dafür hinter Gitter zu bringen, ist nun Sache der Staatsanwaltschaft.«
»Ich wollte mir jetzt eigentlich die Wasserleiche vornehmen«, meinte Dr. Lengsfeld. »Aber das wird eine längere Obduktion. Wasserleichen sind immer eine besondere Herausforderung, vor allem, wenn sie jahrelang im Wasser gelegen haben. Unter den neuen Umständen sollten wir uns jedoch zuerst den Selbstmörder vornehmen, oder?«
»Unbedingt.«
Es gab viele Möglichkeiten zu sterben, auf natürliche Art etwa durch einen Herzstillstand oder eine Lungenembolie. Krankheiten und Alter waren die häufigste Todesursache. Seltener waren glücklicherweise Unfälle, Selbstmorde oder Morde. Aber am Ende war bei allen Toden das Ergebnis dasselbe: Man starb, schneller oder langsamer, einfacher oder schwerer. Linda hatte sich selbst schon gefragt, wie es sich anfühlen musste, wenn das Leben zu Ende ging. Todesangst hatte sie am eigenen Leib erfahren, nicht jedoch das Sterben. Sie wollte sich nicht vorstellen, was Jessika Bianchi in den letzten Minuten ihres Lebens durchgemacht haben musste. Ihr Tod war langsam eingetreten. Anders sah es bei dem Erhängten aus dem Perlacher Forst aus.
»Die erste Untersuchung hat bereits zweifelsfrei ergeben, dass der Tote an einem Genickbruch gestorben ist«, sagte Dr. Lengsfeld. »Ich habe bei meiner äußeren Begutachtung auch keinerlei Kampfspuren gefunden. Ich gehe deshalb von einem Suizid aus. Hätte ein Mörder versucht, den Mann hoch auf den Baum zu bringen, um ihn dann dort hinunterzustoßen, wären Spuren der Abwehr unausweichlich gewesen.«
»Ich muss wissen, wer er ist.«
»Das sollte nicht so schwer werden«, meinte Dr. Lengsfeld. »Der Mann hat derart viele alte, schwere Verletzungen, die müssen irgendwo dokumentiert sein.«
Sie ging zu dem Tisch und deckte die dort liegende Leiche auf. Linda schreckte zurück. Ihr war, als würde der Boden unter den Füßen aufreißen und sie in einem tiefen Schlund versinken.
Stunden später fuhr sie zurück ins Präsidium und ging zu Stendal, der in seinem Büro am Schreibtisch saß und den Telefonhörer auf die Gabel knallte. »Diese Sesselpupser«, fluchte er aufgebracht und drehte sich zu Linda um. »Du machst dir keine …« Er brach ab, als er sie sah. »Was ist passiert?«, fragte er erschrocken. »Du siehst aus, als wärst du dem Leibhaftigen persönlich begegnet.«
Linda ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. »Ich habe schon einige schreckliche Dinge gesehen, aber das, was wir bei der Obduktion des Selbstmörders entdeckt haben, übersteigt meine Vorstellungskraft. Dieser Mann muss als Kind Furchtbares durchgemacht haben.« Ihre Stimme brach.
»Ich hol dir erst einmal einen starken Kaffee«, schlug Stendal vor und verschwand.
Kurz darauf kam er mit einer großen Tasse wieder und drückte sie ihr in die Hand. Linda schwieg und starrte in die Tasse.
»Willst du darüber reden?«, fragte Stendal.
Linda schüttelte den Kopf.
»Soll ich dir erzählen, was ich in der Zwischenzeit herausgefunden habe?«
Sie hob den Kopf, sah ihn an und nickte.
»Ich habe die Kontoinformationen von Kunz, und ich glaube, ich hab’s gefunden.«
Linda zog die Stirn kraus und sah ihn verständnislos an.
»Sein Versteck. Von seinem Konto gehen monatlich Mietkosten in Höhe von 80 Euro an MyPlace. Das ist so ein Self Storage, wo du deine Sachen sicher und trocken einlagern kannst.«
Zum ersten Mal kam wieder Leben in Lindas Gesicht.
»Wir können uns das sofort ansehen. Auf dem Kontoauszug steht die Adresse und die Nummer des Abteils, für das Kunz monatlich Miete bezahlt«, sagte Stendal. »Dafür brauchen wir keinen richterlichen Beschluss, nur einen Bolzenschneider, um das Schloss zu knacken.«
Linda fühlte sich wie ein Jagdhund, der Fährte aufgenommen hatte. Es gab nur noch einen Gedanken: dem Geruch zu folgen, der sie ans Ziel führen sollte. Sie schwiegen auf der ganzen Fahrt. Linda musste immer noch an das denken, was sie bei der Obduktion des Toten aus dem Perlacher Forst erfahren hatte.
Der Rücken des Mannes war von tiefen, vernarbten Striemen überzogen gewesen. Dr. Lengsfeld hatte auf einen Ledergürtel mit Metallschnalle getippt. Da die Narben alt waren, lag die Vermutung nahe, dass der Junge während der Pflegschaft misshandelt worden war. Dafür sprachen auch kleine Brandwunden, die von Zigaretten stammen mussten. »Ich gehe nicht davon aus, dass er sich all diese Verletzungen selbst zugefügt hat. Ob die anderen Verletzungen etwas mit seiner Militärzeit zu tun haben, werden Ihnen die von der Bundeswehr verraten können.« Damit bezog sich Dr. Lengsfeld auf diverse Brüche, die auf den Röntgenaufnahmen zu sehen waren, die sie vom Toten gemacht hatte. »Ich denke aber, dass die aus seiner Jugendzeit stammen«, meinte Dr. Lengsfeld.
Der Junge hatte nicht nur einen Horrorunfall und den Tod seiner Mutter und Schwester mit ansehen müssen, er hatte danach auch eine Hölle erlebt, die auf ein Versagen aller Institutionen schließen ließ. All das könnte diese Rachegedanken in ihm ausgelöst haben. Und ich kann dich sogar verstehen, schoss es Linda durch den Kopf.
Das große rote Gebäude, das in der Dachauer Straße stand und in dem es Lagerräume zu mieten gab, war nicht zu übersehen. Da sie den Zugangscode zu dem Areal nicht kannten, mussten sie wohl oder übel im Büro vorbeischauen. Hinter einem Tresen saß eine ältere Frau und arbeitete am Computer. Stendal zückte seinen Ausweis und hielt ihn über den Tresen.
»Guten Morgen. Wir sind von der Mordkommission. Mein Name ist Leon Stendal. Und das ist Linda Lange, meine Kollegin.«
»Mordkommission?« Die Frau sah sie verwirrt an.
Sie kannten diesen Effekt, den das Wort auslöste. Und genau das hatte er bezweckt.
»Wir müssen uns den Raum ansehen, den ein gewisser Sebastian Kunz bei Ihnen gemietet hat. Er hat die Nummer 4397.«
»Äh … da muss ich im Computer nachsehen.« Sekunden später hatte sie die Informationen abgefragt. »Ja. Herr Kunz ist Mieter von Nummer 4397. Der Raum befindet sich im vierten Stock. Ich habe aber keinen Schlüssel dazu.«
Stendal hob den Bolzenschneider hoch.
Sie nickte. »Aber ist das rechtlich in Ordnung?«
»Wir sind von der Mordkommission und ermitteln in einer Mordsache, in die Ihr Mieter verwickelt ist.«
Die Frau schob ihre Zweifel beiseite. »Ich gebe Ihnen den Code, um in den Aufzug zu kommen.« Sie schrieb etwas auf einen Zettel und reichte ihn Stendal über den Tresen. »Kann ich mir bitte eine Kopie von Ihren Ausweisen machen?«
Stendal reichte ihr im Gegenzug seinen Dienstausweis über den Tresen. Linda tat es ihm gleich. Die Frau legte die beiden in einen Kopierer, der den Ausdruck ausspuckte. Dann gab sie Stendal die beiden Ausweise zurück. Stendal und Linda verließen das Büro und öffneten mithilfe des Zahlencodes den Aufzug.
»Das ist ja wie in Fort Knox«, meinte Stendal.
»Ein wirklich gutes Versteck«, bestätigte Linda.
Kurz darauf standen sie im vierten Stock vor einer Wellblechtür, auf der die Nummer 397 stand und die mit einem großen Vorhängeschloss zugesperrt war. Stendal brach es mithilfe des Bolzenschneiders auf, öffnete die Tür und warf einen Blick in den Lagerraum.
Der Raum war zu klein, um zwei Menschen darin ausreichend Platz zu bieten. Stendal schätzte, dass er zwei Meter breit und einen Meter tief war. An der gegenüberliegenden Wand war ein deckenhohes Regal eingebaut, das bis auf den letzten Zentimeter mit Ordnern, Mappen, Kisten und kleinen schmalen Büchern gefüllt war, deren Buchrücken mit Jahreszahlen gekennzeichnet waren. Daneben stand ein zwei Meter hoher Stahlschrank, rechts von der Tür gab es einen kleinen Tisch samt Stuhl, an der linken Wand stapelten sich einige Kisten. Der Lagerraum war picobello aufgeräumt, genauso wie die Wohnung.
»Das musst du dir anschauen«, sagte Stendal und trat zur Seite, damit Linda in den Raum sehen konnte.
Ihr erster Blick fiel auf das Regal, dann auf die Wand rechts von der Tür. Jeder Zentimeter war mit Fotos, Polaroids, Skizzen, Zeitungsausschnitten, Notizen beklebt. Bei allem drehte es sich um Lohmann, um ihn, seine Familie, seine Firma, sein Haus, seine Autos. Sie wandte sich ab. Diese Wand hatte etwas zutiefst Voyeuristisches an sich. Krank, dieser Mann ist krank.
Sie trat an das Regal und zog eines der kleinen Bücher heraus, das die Jahreszahl 2013 als Aufschrift trug, und schlug es auf. »Das sind Tagebücher.«
Der Schreiber hatte in gut lesbarer Druckschrift seine Notizen gemacht. Linda kannte ein paar grafologische Deutungen. Das war sicher die Schrift eines Mannes. Das Schriftbild zeigte jedoch, dass der Verfasser deprimiert oder bedrückt gewesen sein musste, als er diese Zeilen geschrieben hatte. Sie versuchte, die Gänsehaut zu ignorieren, die sich über ihren Nacken zog.
Sie las nur einen einzigen Eintrag, den sie zufällig aufgeschlagen hatte. Der Alte kam wieder besoffen nach Hause. Hab mich unterm Bett versteckt und am Lattenrost festgekrallt, damit sein Gürtel mich nicht erreichen konnte.
Sie stellte es wieder an seinen angestammten Platz zurück. Das musste warten, dafür war jetzt nicht die Zeit. Sie mussten sich zuerst einen groben Eindruck verschaffen, bevor sie sich mit den Details beschäftigten. Linda nahm einen Ordner, auf dem Presse stand, aus dem Regal und fand darin eine Sammlung von Zeitungsartikeln aus dem Jahr 2007, die sich mit der Fahrerflucht beschäftigten. Kunz hatte offensichtlich akribisch alles dazu gesammelt und abgeheftet. Sie klappte den Ordner wieder zu und stellte ihn zurück ins Regal.
Im Fach darunter reihte sich Ordner an Ordner, auf deren Rücken Etiketten mit den Aufschriften Pflege klebten, im Fach darüber hatte Kunz Ordner mit der Aufschrift Militär gesammelt.
Linda drehte sich zu Stendal. »Das hier ist ein ganzes Leben.«
»Da finden wir vermutlich auch die Antworten, nach denen wir gesucht haben«, meinte Stendal. »Wir müssen die Spusi rufen.«
»Das hier könnte die Festplatte aus Lohmanns Haus sein«, sagte Linda abwesend und starrte auf den kleinen Kasten, der auf dem Tisch lag.
»Die Kollegen werden sie einlesen. Sie müssen auch den Schrank öffnen. Ich vermute, darin werden wir eine Waffensammlung finden.«
Linda stöberte weiter durch den Inhalt des Regals.
»Was suchst du?«
»Seine Personalakte aus Lohmanns Firma.«
»Mach das. Ich geh inzwischen schnell mal zurück ins Büro und hole ein neues Schloss«, sagte Stendal und verschwand.
Linda nutzte die Zeit, um weiter nach Hinweisen zu suchen, die Kunz als Mörder der Lohmanns identifizieren würden. Ratlos stand sie vor dem Regal. Dann entschied sie sich für das aktuelle Tagebuch. Wenn er alle Ereignisse notiert hatte, würden sie darin vermutlich auch die Chronologie zu dem Mordfall finden.
Stendal kehrte zurück und verschloss die Tür mit einem neuen Vorhängeschloss. Dann machten sie sich auf den Rückweg.
Schlubach trommelte alle zusammen, um den neuen Staatsanwalt vorzustellen. Die Kollegen hatten sich im großen Besprechungsraum versammelt, als Linda und Stendal dazustießen. Sekunden später wurde die Tür aufgestoßen, und Schlubach trat ein, gefolgt von einem Mann, der sein Sohn hätte sein können. Die beiden stellten sich ans Kopfende des großen Tisches. Der schlanke Mann überragte Schlubach um eine Kopflänge.
»Ich möchte Ihnen Staatsanwalt Matthias Haas vorstellen.«
Alle Augenpaare waren auf den jungen Mann gerichtet, der kaum älter als sie sein dürfte. Linda fielen als Erstes seine bemerkenswerten Augen auf, die in einem hellen Blau strahlten. Er hatte volles, pechschwarzes Haar und war glatt rasiert. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger war er leger gekleidet, dunkle Hose, weißes Hemd, keine Krawatte. Er strich sich eine widerspenstige Strähne aus der Stirn und lächelte in die Runde. Seine Augen blitzten dabei auf. Er wirkte auf angenehme Weise natürlich und entspannt, das völlige Gegenteil von Nostiz.
Mal sehen, ob der erste Eindruck hält, was er verspricht, dachte Linda.
»Ja, hallo«, hob er an. »Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Ich weiß, dass Sie gerade mitten in anstrengenden Ermittlungen stecken. Deswegen möchte ich Sie jetzt auch gar nicht lange aufhalten. Ich werde mein Bestes tun, Sie dabei zu unterstützen. Ich denke, wir werden uns in den nächsten Tagen alle besser kennenlernen. Aber vielleicht wollen Sie mich kurz ins Bild setzen?«
»Frau Lange?«, fragte Schlubach.
Linda nickte. »Wir ermitteln gegen Sebastian Kunz. Er hat als Personenschützer seit drei Monaten in der Sicherheitsfirma unseres Mordopfers gearbeitet. Ich gehe inzwischen davon aus, dass er die Familie auf dem Gewissen hat. Er hat ein starkes Motiv. Bei einer Fahrerflucht vor zwölf Jahren sind seine Mutter und seine kleine Schwester ums Leben gekommen. Die beiden Drogenermittler Sven Lohmann und Ben Schwarz waren damals in den Verdacht geraten, diese Fahrerflucht begangen zu haben. Der elfjährige Zeuge und Sohn der Frau hatte die Fahrerflucht beobachtet und sich das Kennzeichen gemerkt. Aber Lohmann und Schwarz war es gelungen, alle Verdachtsmomente zu entkräften. Diese Fahrerflucht ist bis heute nicht aufgeklärt worden. Der Junge kam damals zuerst in ein Kinderheim, dann zu diversen Pflegeltern. Die Obduktion lässt darauf schließen, dass er in dieser Zeit Misshandlungen ausgesetzt war. Nach der Schule hat er sich bei der Bundeswehr verpflichtet. Ob er Kriegseinsätze erlebt hat, wissen wir noch nicht. Aber ich denke, ja. Vermutlich hat er in dieser Zeit Schießen gelernt. Mit Anfang 20 hat er eine gewisse Melanie Kunz geheiratet und den Namen seiner Frau angenommen. So wurde aus Sebastian Maas schließlich Sebastian Kunz. Die Ehe wurde bald wieder geschieden, er hat aber ihren Namen behalten. Heute nun haben wir einen Lagerraum gefunden, den Sebastian Kunz angemietet hat. Dort hat er alles gesammelt, was er zu der damaligen Fahrerflucht hatte finden können. Wir haben dort auch weiteres Material gefunden, das uns mehr über diesen Mann und seine Beweggründe verraten wird. Auch wenn der DNA-Vergleich noch aussteht, gehe ich davon aus, dass der Mann, den wir erhängt im Perlacher Forst gefunden haben, der Gesuchte ist. Die Obduktion hat ergeben, dass es sich um Selbstmord handelt. Er hatte zwar sein Äußeres stark verändert, vermutlich damit Lohmann ihn nicht erkennt, aber ich bin mir sicher, dass es sich bei ihm um Sebastian Kunz handelt. Er hatte sein Haar abrasiert und sich einen Vollbart wachsen lassen. Wenn wir davon ausgehen, dass Lohmann diese Fahrerflucht begangen hat, dann hat Sebastian Kunz ein dringendes Tatmotiv. Er wollte sich an ihm rächen. Wir müssen nur noch herausfinden, warum er so lange damit gewartet hat, wie er Lohmann gefunden und den Job in seiner Firma bekommen hat. Außerdem müssen wir klären, wie er in Lohmanns Haus und an die Waffe gekommen ist, mit der Lohmanns Frau und Tochter erschossen wurden und auf der wir Bianchis Fingerabdrücke sicherstellen konnten.«
Matthias Haas hatte sie die ganze Zeit keine Sekunde aus den Augen gelassen. Im Gegensatz zu Nostiz hatte er sie auch nicht unterbrochen.
»Vielen Dank«, sagte Schlubach. »Dann sind Jähne und Schwarz, was diesen Fall betrifft, raus?«
Linda nickte. »Ich denke, Sebastian Kunz ist der Mörder. Die beiden haben mit diesem Fall nichts zu tun.«
»Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Bericht, Frau Lange«, sagte Haas. »Was Jähne und Schwarz betrifft, bereite ich unverzüglich die Anklageschrift gegen die beiden vor. Mit Jähnes Geständnis und den sichergestellten Beweismitteln habe ich genug, um sie für viele Jahre hinter Gitter zu bringen. Die beiden haben keine Chance, ungeschoren davonzukommen. Ich möchte an dieser Stelle auch betonen, dass Sie alle sehr gute Arbeit geleistet haben. Dann lassen Sie uns den Fall Lohmann auch rasch abschließen. Haben Sie noch Fragen an mich?« Es entstand eine Pause, er sah in die Runde. Aber niemand hatte etwas auf dem Herzen.
»Dann lassen Sie uns alles tun, um auch diesen Fall sauber aufzuklären«, sagte Schlubach und verließ gemeinsam mit dem Staatsanwalt den Raum.
Kaum waren die beiden verschwunden, begann das Gemurmel. Die Kollegen tauschten ihre Meinungen und Eindrücke über den Neuen aus. Linda hörte nur mit halbem Ohr zu und beteiligte sich nicht an den Mutmaßungen und Einschätzungen. Die nächsten Tage und Wochen würden zeigen, was es mit diesem Staatsanwalt auf sich hatte. Schlimmer als Nostiz konnte es kaum werden. Das ließ hoffen.