»Edgar Bowen ist in seiner Suppe gestorben«, sagte Rachel Levis zu ihrem Mann und sah von ihrer Zeitung auf. Sie beendeten gerade ihr Frühstück, und auf dem Tisch standen Marmeladen und Becher rund um die – jetzt in der Mitte flach gedrückte und mit buttrigen Krümeln bestreute – Tüte herum, in der sich die morgendlichen Croissants befunden hatten.

»Ich habe ›in seiner Suppe‹ verstanden.« Stirnrunzelnd tippte Alan auf sein Tablet. Das Licht des Pariser Morgens malte einen Heiligenschein um seinen dunklen Kopf.

»Habe ich auch gesagt. Steht hier in der nécrologie.« Rachel raschelte demonstrativ mit Le Monde und las dann vor: »Monsieur Bowen starb gestern Abend, nachdem er, während er allein zu Tisch saß, mit dem Gesicht in seine Suppe gefallen war.«

»Ach je«, sagte Alan geistesabwesend. Er beschirmte sein Tablet mit einer Hand.

»›Ach je‹? Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«

Er sah vom Bildschirm auf. »Ach! Je! Jemand, den wir nicht besonders gut kannten und mit dem wir überhaupt nur was zu tun hatten, weil auch er ein Expat war, starb eines lachhaften Todes! Welch Verlust für die Welt!« Alan machte ein betroffenes Gesicht, befeuchtete mit der Zunge die Spitze des Zeigefingers und las damit ein paar Krümel auf. »Darf ich mir jetzt weiter darüber Sorgen machen, dass der Dollar gestiegen ist?«

Rachel wandte sich wieder der Zeitung zu und hoffte, dass ihre Miene vornehme Verachtung zum Ausdruck brachte. Sie

***

»Edgar Bowen ist in seiner Suppe gestorben«, sagte Rachel zu Magda, als sie später in Rachels Küche saßen. Die Sonne strahlte noch immer durch die Fenster, als herrschte draußen nicht gerade der kalte Januar.

»Ich habe ›in seiner Suppe‹ verstanden«, sagte Magda.

»Habe ich auch gesagt. Es stand heute Morgen in der Zeitung. Er bekam einen Herzschlag, fiel vornüber und ertrank.«

»Ach je.«

»Ganz genau.« Die zwei Frauen tauschten einen Blick. Rachel hatte gewusst, dass Magda es verstehen würde. Sie waren seit gut zwanzig Jahren befreundet, einst zwei Mädchen allein in Paris, die beide froh gewesen waren, einer gleichgesinnten Seele zu begegnen; mittlerweile Frauen mittleren Alters, die sich in der seltenen Lage befanden, das gesamte Erwachsenenleben der anderen miterlebt zu haben. Was unter anderem bedeutete, dass Magda wusste, dass Rachel früher einmal Edgar Bowens Freundin gewesen war – ja auch wusste, dass Rachel die zwei Jahre mit ihm als ihre erste »erwachsene« Beziehung betrachtete. Sie dachte kurz nach und sagte dann: »Er war ein guter Mann.«

»Ja«, sagte Rachel und ließ es wie einen Punkt klingen. »Das war er.«

»Als du mir damals das Geld leihen wolltest, da hat er es dir sofort gegeben, erinnerst du dich? Und er hat nie gefragt, wozu du es gebraucht hast.«

»Ich erinnere mich.« Rachel lächelte schmal. »War auch besser so, wenn man bedenkt …«

»Nein.« Rachel schüttelte den Kopf. »Man selbst kommt sich immer alt vor, egal, wie jung man ist. Die Einsicht kommt immer erst im Nachhinein.«

Magda legte einen Augenblick lang ihre Hand auf Rachels Hand, die auf dem Tisch lag. Dann verblasste das Vergangene, und sie trank einen Schluck aus ihrem Becher. »Was hat Alan gesagt?«, fragte sie vorsichtig.

»›Ach je‹.«

»So schlimm?«

»Nein, das ist, was er gesagt hat. Er sagte: ›Ach je.‹ Er schien sich nicht mal an Edgar zu erinnern, geschweige denn zu wissen, wer er war.«

»Ah.« Magda überlegte. »Na ja, in gewisser Weise ist es ja gut so.« Rachel hatte ihr vor langem erklärt, dass Alan ein Mann war, der unter maßloser Eifersucht litt. Einmal war er bei der bloßen Erwähnung eines früheren festen Freundes regelrecht in Rage geraten, und Rachel hatte es nie gewagt, einen weiteren zur Sprache zu bringen. In Anbetracht dessen konnte man wahrscheinlich von Glück sagen, dass ihm Edgar Bowens Stellenwert entgangen war.

Doch selbst der Gedanke an Alans selige Ahnungslosigkeit konnte nicht von Edgars unseligen Todesumständen ablenken. »Was für eine Art zu sterben!« Magda schüttelte wehmütig den Kopf. »Da fragt man sich doch, was schlimmer ist: die Tatsache, dass, oder die Weise, wie er gestorben ist?«

»Für ihn oder für uns?«, fragte Rachel.

»Beides, würde ich sagen. Oder sowohl als auch.«

Rachel dachte kurz darüber nach. »Für uns die Tatsache, dass, keine Frage. Aber für ihn das Wie.«

Magda guckte verdutzt. »Wie kommst du darauf?«

»Na ja, er ist tot, und für uns ist das ein Verlust, aber er

»Ach, ich weiß nicht«, widersprach Magda. »Er war gütig; er war aufmerksam. Ich habe ihn als liebenswürdig in Erinnerung. Ich glaube, er wird denen, die ihn kannten, als mehr als nur ›Der Suppen-Mann‹ im Gedächtnis bleiben.«

Rachel dachte an Edgars Zartgefühl im Umgang mit seinem Sohn David – an die Aufmerksamkeit und den Ernst, mit denen er den Monologen eines Vierjährigen zugehört und seine Fragen beantwortet hatte. Sie dachte an die Geduld, die er mit seiner Exfrau Mathilde gehabt, und wie er es fertiggebracht hatte, eine konfliktarme Beziehung mit ihr aufzubauen. Und das, obwohl sie, wie sich Rachel erinnerte, eine dieser Französinnen war, die auf geringerwertige Sterbliche bloß verächtlich herabsahen. Ja, er war gütig gewesen; er war aufmerksam gewesen. Vielleicht würde von ihm doch mehr als nur sein Suppentod in Erinnerung bleiben.

»Jedenfalls«, sagte sie, »werde ich dir bald berichten können, wie es – zumindest momentan – um seinen öffentlichen Ruf bestellt ist, weil ich nämlich am Dienstag zur Trauerfeier gehe.«

Magda nahm sich eine Madeleine und nagte genussvoll an ihrer goldenen Duftigkeit. »Ich komm mit.« Sie war keine Frau, die sich etwas Spannendes entgehen ließ.