»Das reicht.« Alan verschränkte die Arme. »Das ist weit genug gegangen.«
»Willst du, dass ich aufhöre?« Sie saßen einander gegenüber auf dem Bett, während Rachel ihm von ihrem Abenteuer erzählte. Sie war gerade an den Punkt gelangt, wo Fulke die Tür öffnete.
»Ja. Ich will, dass du aufhörst. Wenn du mir schon früher gesagt hättest, was du da treibst, hätte ich da gewollt, dass du damit aufhörst. Jetzt will ich, dass du jetzt damit aufhörst. Hör mit dem Detektiv-Unfug auf; hör mit der ganzen Geschichte auf. Hör auf!«
»Unfug?« Rachel blieb, wo sie war, mit dem Rücken gegen das Fußende des Bettes gelehnt, aber ihre Miene wurde rebellisch. »Du bezeichnest meine Interessen als Unfug?«
»Ich bezeichne diese ganze Eskapade als Unfug.«
Beim Wort »Eskapade« bekam Rachel schmale Nasenlöcher, aber er redete unbeirrt weiter.
»Als du mir erzähltest, Edgar habe in seinem Testament den Wunsch geäußert, dass du seine Bücher katalogisierst, und das müsse deiner Meinung nach daran liegen, dass er auf einer Party erwähnt hatte, er habe deine Sachen gelesen und sie gut gefunden, wusste ich, dass das eine Lüge war. Wer würde auch schon eine solche Geschichte schlucken? Aber ich weiß auch, dass du die fixe Idee hast, ich sei ein krankhaft eifersüchtiger Mann, also habe ich mir gesagt: ›Schön, lassen wir’s durchgehen.‹ Aber jetzt erzählst du mir, dass dir nicht nur – und zwar aus Gründen, die kaum stichhaltig klingen – der Verdacht gekommen war, er könnte eines nicht natürlichen Todes gestorben sein, sondern dass du dich außerdem, im Verein mit Magda, auch schon auf Verdächtige festgelegt hast. Und dann, als eine deiner Verdächtigen gestorben ist, hast du, obwohl alles für Suizid sprach, daraus geschlossen, sie müsste von einem deiner übrigen Verdächtigen ermordet worden sein.«
Rachel war empört. »Du bist ein eifersüchtiger Mensch! Und wir haben Indizien dafür, dass es kein Selbstmord war!«
»In welchem Fall du nicht nur den letzten Monat mit«, er malte Gänsefüßchen in die Luft, »›Detektivarbeit‹ zugebracht hast, und zwar, ohne mir etwas davon zu sagen, sondern darüber hinaus die letzte Woche damit verbracht hast, einen echten Mord zu untersuchen, und zwar ebenfalls, ohne mir etwas zu sagen. Und dann, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hast du entschieden, die beste Vorgehensweise wäre, in den Privaträumen der Wohnung deines ersten Mordopfers herumzuschnüffeln! Und das alles hast du mir verheimlicht, deinem Ehemann, dem Menschen, den du mehr als jeden anderen lieben und achten und dem du, vor allem, mehr als jedem anderen vertrauen solltest. Und jetzt hast du es mir auch nur deswegen erzählt, weil dir, auf meine Frage, warum du heute Abend beim Essen so zappelig warst, auf die Schnelle keine andere Geschichte eingefallen ist. Wenn ich das also nicht als Unfug bezeichnen darf, dann muss ich es erniedrigend und verletzend nennen, und so oder so: Ja ich will, dass du damit aufhörst.«
Er verstummte, um Atem zu holen. Rachel wandte, die Wangen rot, den Blick nicht von den Laken. So hatte sie die Sache nie betrachtet; sie hatte lediglich geglaubt, wenn sie ihm nicht erzählte, was sie machte, würden alle möglichen Peinlichkeiten vermieden werden. Sie schämte sich plötzlich entsetzlich.
»Mein Herz«, sagte Alan, »du bist nicht die Polizei. Du bist nicht mal eine Detektivin«, sie öffnete den Mund zum Protestieren, »jedenfalls keine ausgebildete. Und du bist, wenn du mit deinem Verdacht recht hast, durch einen Tatort spaziert. Allein. Und dann wirst du von nicht nur einem, sondern gleich zwei möglichen Mördern überrascht!«
Rachel war nicht so beschämt, dass sie nicht versucht hätte, wieder Oberwasser zu bekommen. »Also bitte, ja? Ich wurde von einem Mädchen für alles und einem Butler überrascht. Da ist ja wohl kaum ein Mord zu erwarten.«
»Wenn deine Beschreibung von alldem, was zu deiner Schnüffelaktion geführt hat«, wieder machte sie den Mund auf, aber auch diesmal redete er einfach weiter, »zutreffend ist, dann glaubst du, dass in dieser Wohnung ein Mord stattgefunden hat und dass dieses Mädchen für alles die Mörderin sein könnte. Du meinst also, die gescheiteste Weise, mit einem Tatort umzugehen, wäre, darin herumzustochern. Und wenn du unerwartet einer möglichen Mörderin begegnest, hältst du es für die gescheiteste Weise, damit umzugehen, sie zur Rede zu stellen! Du kannst nicht zuerst behaupten, die Umstände ließen auf einen Mord schließen, und anschließend behaupten, dir drohe nicht die geringste Gefahr!« Er wiederholte: »Ich will, dass du damit aufhörst.«
Wie jeder, der sich dämlich verhalten und seine Dämlichkeit unter die Nase gerieben bekommen hat, war Rachel hell empört. Wer war Alan, dass er ihr sagen konnte, sie hätte falsch gehandelt? Wer hatte ihn zum neuen Inspector Morse gemacht? »Ich höre aber nicht auf!«
Alan seufzte. »Nein, natürlich nicht.« Er nahm ihre Hand und rieb ihre Finger zwischen den seinen, dann stieß er einen weiteren Seufzer aus. »Wärst du dann wenigstens bereit, eine Auszeit zu nehmen?« Er sah sie an. »Damit ich die Chance habe, mich vom Schock zu erholen?«
»Eine Auszeit?«
»Nur ein paar Tage. Eine Woche.«
Rachel runzelte die Stirn.
»Einschließlich eines Wochenendes. Also fünf Arbeitstage. Wärst du bereit, fünf Arbeitstage abzuwarten, nur um dir klarzuwerden, ob du wirklich weitermachen willst und wenn, dann wie?«
Sie überlegte. Eine Auszeit zu nehmen, war keine schlechte Idee. Sie begriff jetzt, wie sehr ihre Heimlichkeiten ihn verletzt haben mussten, und wenn sie auf seine Bitte einging, wäre es ein guter erster Schritt in Richtung Wiedergutmachung. Außerdem hätte sie es zwar nie zugegeben, aber der abrupte Ausgang ihrer Haussuchung hatte ihr schon einen ziemlichen Schreck eingejagt, und ein paar Tage Zeit, um wieder zu Atem zu kommen, wären bestimmt nicht verkehrt. Aber was vielleicht noch wichtiger war: Ein paar Tage, um sich zu sammeln und die gewonnenen Informationen zu ordnen, konnten tatsächlich hilfreich sein.
»Schön«, sagte sie. Und zwecks Gesichtswahrung fügte sie schnell hinzu: »Aber nur eine Woche!«
Er atmete hörbar auf. »Danke.«
Rachel quittierte das mit einem Nicken, dann nahm sie seine andere Hand und hielt sie auf der Bettdecke fest. »So«, sagte sie, »und möchtest du jetzt wissen, wie es weitergegangen ist?«
»Natürlich.« Alan lehnte sich zurück.
»Na ja, Elisabeth und ich waren also im bureau. Wir hatten keine Zeit mehr, das Zimmer zu verlassen und die Tür zuzumachen, und wenn wir dringeblieben wären und sie geschlossen hätten, dann hätte Fulke das natürlich gehört. Es hätte so ausgesehen, als wollten wir uns vor ihm verstecken. Außerdem waren wir in Panik. Also standen wir immer noch da, als die Tür aufging und Fulke uns sah. Einen Augenblick lang stutzte er – aber nur einen Augenblick lang. Dann sah er mich an und sagte: ›Madame Levis.‹ Man hätte meinen können, ich stünde jeden Tag in der Tür zum bureau.«
***
»Und was hast du dann gesagt?« Magda lehnte sich vor. Rachel hatte ihr am folgenden Nachmittag im Coffee Parisien, einem schummrig beleuchteten Café unweit von Rachels Wohnung, die Geschichte erzählt. Umgeben von schwatzenden Studierenden und Trauben von Parisern, die auf einen Aperitif einen Zwischenstopp einlegten, saß Magda wie gebannt vor einem unberührt gebliebenen café américain.
»Ich habe gesagt, ich hätte ein Geräusch gehört und wäre nachsehen gegangen.«
»Hat er es dir abgekauft?«
»Wie sollte ich das wohl erkennen, bei Fulke? Er hat nicht mit der Wimper gezuckt. Hat lediglich Elisabeth angesehen und ›Mademoiselle‹ gesagt.«
Aber Fulkes momentane Abgelenktheit hatte Rachel einen Augenblick Zeit zum Nachdenken geschenkt. »Es ist wirklich eine Überraschung, sie hier vorzufinden, nicht?«, sagte sie heiter. »Sie hatte mir gerade erklärt, sie hätte beschlossen, doch zu kommen, weil sie sich besser fühlte.«
Glücklicherweise hatte Elisabeths verblassende Röte ihre Wangen noch nicht ganz verlassen; sie hätte ohne weiteres eine Frau mit einer leichten Grippe sein können. Und noch besser: Als sie sprach, bewirkte ihre zugeschnürte Kehle, dass sie so klang, als habe sie eine verstopfte Nase.
»Ja«, sagte sie mit leicht zittriger Stimme. »Ich sortierte gerade einige Papiere, als Madame Levis plötzlich in der Tür stand.«
Es war nicht minder unmöglich zu erkennen, ob Fulke diese Geschichte schluckte. Die einzige Regung in seinem Gesicht war ein Anflug leichter Verwirrung. »Ich verstehe, Madame«, sagte er zu Rachel auf Englisch und produzierte dazu eine seiner kleinen Verbeugungen. Dann wandte er sich an Elisabeth. »Mademoiselle«, fuhr er auf Französisch fort, »ich habe einen vortrefflichen Kräutertee für Nase und Rachen. Wenn Sie gestatten, brühe ich Ihnen eine Kanne auf.«
Er neigte den Kopf und schritt dann weiter in Richtung Esszimmer, am Arm seine Jutetasche voll Obst und Gemüse. Mit einem kurzen Blick auf Elisabeth, der hoffentlich Mit Ihnen bin ich noch nicht fertig! besagte, entschwand Rachel eilig den Korridor entlang.
»Dann hast du also gar nicht gesehen, was im bureau war!« Magdas Stimme war voll mitfühlender Frustration.
»Ich weiß. Und diese Wäschezettel!« Rachel schüttelte beschämt den Kopf. »Ich kam mir vor wie in Die Abtei von Northanger.«
Magda würdigte ihre Verlegenheit durch ein kurzes Schweigen. Dann sagte sie: »Und, glaubst du, du hast irgendetwas gefunden, was von Nutzen sein könnte?«
Zur Abwechslung einmal würde die Antwort nicht »Ich weiß nicht« lauten.
Rachel räusperte sich. »Vielleicht.«
»Vielleicht?«
»Na schön, dann meinetwegen ja.« Sie schwieg kurz. »Vielleicht.« Als sie Magdas Miene sah, erklärte sie: »Ich habe etwas gefunden, worauf Mathilde aus gewesen sein könnte. Im Schlafzimmer. Eine Taubenplastik von Jacob Epstein.«
»Dem Jacob Epstein?« Als Rachel nickte, stieß Magda einen leisen Pfiff aus. »Die muss ein hübsches Sümmchen wert sein.«
»Und sie würde unter einen Mantel passen. Gerade eben. Sie wäre zwar etwas sperrig gewesen, aber nicht zu schwer.«
»Glaubst du, das war’s, was sie einsacken wollte?«
Rachel zuckte die Achseln, aber Magda sprach schnell weiter. »Ist absolut vorstellbar. Sie bringt ihn wegen des Geldes um, das er ihr, wie sie glaubt, zu vermachen gedenkt, und als sich dann rausstellt, dass es nicht so viel ist, wie sie gedacht hatte und zu verdienen meint, beschließt sie, die Summe mit Hilfe der Skulptur aufzurunden. Aber Elisabeth hindert sie daran, sie sich zu holen.« Befriedigt ging sie zum nächsten Punkt über. »Apropos Elisabeth. Du hast sie dabei ertappt, wie sie irgendwelche Papiere durchwühlte, obwohl sie angeblich wegen Krankheit zu Haus geblieben war? Raffiniert.«
»Sie muss durch die Hintertür hereingekommen sein, als ich gerade im Esszimmer war, und ich war zu konzentriert, um sie zu hören.« Ärgerlich wechselte Rachel das Thema. »Aber weißt du, was wirklich bizarr ist?«
»Was?« Magda lehnte sich vor.
»Keines der Zimmer zwischen dem Esszimmer und dem rückwärtigen Teil der Wohnung hat eine Tür zum Korridor. Wenn jemand rausgehen will, dann kann er das nur entweder über das Esszimmer oder den Speicher tun.«
Magda legte die Stirn in Falten, zweifellos beim Versuch, sich die Raumaufteilung vorzustellen, und schob ihr dann eine Papierserviette zu. »Zeichne das mal auf.«
Rachel skizzierte einen Grundriss der Wohnung und schob dann die Serviette zurück.
»Wie kommt man bloß auf die Idee, sein Haus so zu bauen?«, fragte sie.
Magda zog die Brauen zusammen. »Ich wette, das ist ein Überbleibsel aus anderen Zeiten«, sagte sie endlich. »Ich wette, als das Haus gebaut wurde, war dieses hintere Zimmer so etwas wie ein Vorbereitungsraum – du weißt schon, was man früher ›Wirtschaftsraum‹ nannte. Die Dienstboten kamen von der Seite herein und blieben unsichtbar, während sie sich bis zu den Gesellschaftszimmern vorarbeiteten oder wieder in die Wirtschaftsräume zurückzogen. Und wenn sie die Zimmer auf der anderen Seite reinigen mussten, konnten sie das einfach vom hinteren Ende des Korridors aus erledigen. Alles ganz diskret.« Sie fixierte die Zeichnung mit zusammengekniffenen Augen, während ihr eine Schlussfolgerung dämmerte. »Das bedeutet aber, dass, wenn man ins Esszimmer gelangen wollte, um Edgar zu töten, man genau zwei Möglichkeiten hatte: Man konnte sich vom Hinterzimmer aus anpirschen, oder man konnte vom Korridor aus durch die Doppeltür kommen. Du sagtest aber, dass die Essstühle massive Lehnen haben, richtig hohe, massive Rückenlehnen. Wenn Edgar also sehen wollte, wer gerade durch die Doppeltür hereinkam, hätte er aufstehen müssen. Und dann wäre es entweder zu einem Kampf mit der Person, die ihn töten wollte, gekommen, oder er wäre von vorne getötet worden.« Sie schwieg kurz. »Aber wir wissen, dass kein Kampf stattgefunden hat, weil es keine Unordnung oder sonstigen Spuren gab, die die Polizei argwöhnisch gemacht hätten. Und wir wissen, dass er nicht von vorne getötet wurde, weil er mit dem Gesicht nach unten lag.«
»Aber von hinten wurde er ebenso wenig getötet«, wandte Rachel ein. »Ich meine, er bekam keinen Schlag von hinten versetzt. Er hatte keinerlei äußere Verletzungen.«
»Nein, aber selbst wenn der Mörder ihn lediglich ertränkte, hätte er das nicht tun können, nachdem er durch die Doppeltür hereingekommen war, weil Edgar in dem Fall Zeit gehabt hätte, aufzustehen und sich zu wehren. Und wenn jemand erst aufgestanden ist, kann man ihn kaum dazu überreden, sich wieder hinzusetzen, und sich dann hinter ihn stellen und ihn ertränken, ohne dass die geringste Unordnung entstehen würde. Folglich muss der Mörder oder die Mörderin durch die Anrichte gekommen sein.«
»Weil Edgar ihn oder sie sehen konnte, ohne aufzustehen.«
»Genau.« Magda sah wieder auf den Plan. »Es gab weder in der Küche noch im Esszimmer Rosé, sagtest du?«
Rachel war vom Themenwechsel etwas überrumpelt, aber sie sagte: »Richtig. Im Kühlschrank war ein lieblicher Weißwein, aber nirgends Rosé.« Dann: »Warum?«
»Na ja, die Tatsache, dass zum Zeitpunkt seines Todes Rosé auf dem Tisch stand und jetzt im ganzen Haus keiner zu finden ist, spricht dafür, dass jemand, der Rosé mochte, zu dem Zeitpunkt dort aß, jetzt aber nicht mehr da isst. Und die Tatsache, dass er nicht aufstand, spricht wiederum dafür, dass er nicht überrascht war, die betreffende Person zu sehen. Und beides zusammen lässt darauf schließen, dass der Mörder kein x-beliebiger Unbekannter war, sondern vielmehr ein Rosétrinker, den er kannte. Beziehungsweise Trinkerin, die.«
»Im Klartext Mathilde oder Elisabeth.«
Magda nickte, sichtlich mit sich zufrieden – wozu sie, wie Rachel fand, allen Grund hatte. Nun bedeutete durch die Hintertür kommen, dass man einen Schlüssel hatte, aber vermutlich hatten Elisabeth oder Mathilde – oder wahrscheinlich sogar beide – einen. Damit lautete die alles entscheidende Frage: Bei welcher von beiden hätte Edgar erwartet, dass sie in dieser Tür erschien? Oder wäre zumindest, fügte sie im Geist hastig hinzu, nicht darüber erschreckt, wenn sie da erschienen wäre?
»Es war Elisabeth.«
Magda sah sie überrascht an. »Wieso sie?«
»Erstens würde Mathilde ein Esszimmer unter normalen Umständen nie über die Anrichte oder einen Abstellraum betreten, also wäre Edgar überrascht gewesen, sie zu sehen. Und zweitens, selbst wenn sie das getan hätte, wäre sie niemals geräuschlos durch die Abstellkammer gekommen, denn um da durchzukommen, müsste man einiges Gerümpel aus dem Weg räumen.« Als Magda nichts dazu sagte, fuhr Rachel fort: »Elisabeth hingegen dürfte unzählige Male durch die Anrichte ins Esszimmer gekommen sein. Sie sagte, sie wäre wie ein Teil der Familie behandelt worden, also wäre es nicht weiter verwunderlich gewesen, wenn sie auch von hinten hereinkam. Und sie war oft genug da, um den Durchgang schon irgendwann früher freigeräumt zu haben, ohne dass es seltsam erschienen wäre, da sie eben ein Mädchen für alles war. Und mir ist gerade noch etwas klargeworden.« Außer Atem geraten schnappte sie nach Luft und fuhr fort: »Was es auch sei, was Elisabeth sucht, ihr liegt gewaltig viel daran. Entweder sie hat sich für krank ausgegeben, um unbemerkt hereinzuschleichen, in der Hoffnung, es zu finden, oder sie ist gekommen, obwohl sie wirklich krank war, wiederum in der Hoffnung, es zu finden. Und sie ist von Anfang an jeden Tag in diesem Arbeitszimmer gewesen und hat vermutlich schon die ganze Zeit nach diesem Was-auch-immer-es-sei gesucht. Während Mathilde nur sporadisch vorbeigekommen ist.«
»Vielleicht ist Mathilde so gewieft, dass sie einen auf cool macht.«
»Wenn du jemanden umgebracht hast und willst ihn jetzt auch noch beklauen, wäre es zu riskant, ›auf cool zu machen‹. Und von dem Szenario gehen wir doch aus, oder?«
Rachel sah Magda an, dass sie Möglichkeiten abwog, Indizien addierte. Schließlich fragte sie: »Was genau machte Elisabeth in dem Moment, als du sie entdeckt hast?«
Jetzt musste Rachel kurz nachdenken. »Sie hatte die Hände in einem Karton voller Papiere. Und da waren Stapel, die sie schon durchgegangen zu sein schien.«
»Persönliche Papiere oder Dokumente?«
Rachel dachte zurück. »Dokumente.«
»Sahen sie amtlich aus?«
»Ja.«
»Na gut. Dann wissen wir also, dass sie nach einem amtlichen Schreiben suchte, etwas behördlich oder juristisch Relevantem. Und sie gelangte unbemerkt in die Wohnung, was uns verrät, dass sie einen Schlüssel besitzt, und wie es aussieht, vermutlich auch einen für die Hintertür.« Magda schwieg kurz, um das alles sacken zu lassen. Dann: »Ich will nicht behaupten, dass sie unsere einzige Verdächtige wäre, aber du hast recht, sie ist unsere wichtigste Verdächtige: jemand, der Zutritt zur Wohnung hatte und dessen Anwesenheit in der Wohnung Edgar nicht überrascht hätte; jemand, der zusammen mit Edgar oder zumindest unter dessen Mitwirkung etwas getan hat, was er jetzt vertuschen möchte. Und jetzt«, sie leckte sich die Lippen, »jetzt haben wir etwas gegen sie in der Hand. Du hast sie dabei erwischt, wie sie etwas machte, bei dem sie nicht erwischt werden wollte. Du weißt es, und sie weiß es. Also bist du jetzt im Vorteil. Du kannst sie zur Rede stellen und ein paar Antworten verlangen.«
Sie hatte recht. Rachel spürte, wie ihr leicht ums Herz wurde. Dann spürte sie, wie es ihr prompt wieder schwer wurde. »Nicht vor nächster Woche.«
»Nicht vor …?« Dann fiel es auch Magda wieder ein. »Ach ja, stimmt.«
Sie saßen da wie zwei Häufchen Elend. Rachel starrte miesepetrig in ihre halbe Tasse kalte Schokolade. Müsste es nicht eine Rolle spielen, dass sie Alan ihr Versprechen gegeben hatte, bevor sie eine Spur hatten – als es noch so aussah, als würde die ganze Ermittlung zu nichts und wieder nichts führen? Müsste es, antwortete sie sich selbst, tat es aber nicht. Ein Versprechen war ein Versprechen, besonders einem Ehepartner gegenüber, ganz besonders nach ihrem jüngsten Verhalten. Alles andere wäre ein Schritt in eine verhängnisvolle Richtung gewesen. Sie stieß einen Seufzer aus, der jeden Seufzer, den sie jemals ausgestoßen hatte, alt aussehen ließ.
»So schlimm ist das nicht«, sagte Magda, ihre Niedergeschlagenheit missdeutend. »Eine Woche wird nichts daran ändern, dass du sie bei verdächtigem Tun ertappt hast. Ja«, fügte sie hinzu, und ihr Ton wurde machiavellisch, »ein längeres Warten könnte sie nervlich derart zermürben, dass, wenn du sie endlich zur Rede stellst, sie anfängt, wie ein Kanarienvogel zu singen. Oder sie könnte sich durch fünf Tage Funkstille auch in falscher Sicherheit wiegen lassen.«
»Sechs Tage«, stellte Rachel richtig. »Und sie wird nicht die einzige sein, deren Nerven darunter leiden.« Sie biss sich in den Daumennagel und starrte in den Abgrund der vor ihr liegenden Tage.