Als Rachel am Montag nach dem bal zu ihrer Arbeit erschien, war Fulkes Begrüßung kaum mehr als ein Flüstern. »Monsieur Bowen ist erst unlängst nach Hause gekommen«, erklärte er leise, »und hat sich gerade zu Bett gelegt.«

Seine Mitteilung zeitigte den in solchen Fällen üblichen Erfolg: Rachel schlich in der Bibliothek herum, als ob diese eine gemeinsame Wand mit dem Schlafzimmer hätte und als könnte die leiseste Bewegung David aus seinem Schlummer aufschrecken lassen. Verstohlen nahm sie Bücher aus den Regalen und schob sie wieder hinein, während sie den Umstand verfluchte, dass David, endlich zugegen und eine potenzielle Quelle sachdienlicher Informationen, nun doch nicht verfügbar war. Im Laufe der Stunden, die seit dem bal vergangen waren, hatte sie es geschafft, sich nervlich von dem Gespräch mit Mathilde zu erholen, aber selbst wenn sie mit einem kühleren Kopf daran zurückdachte, erschien ihr die Frau wie eine plausible Verdächtige. Und ihre Sorge um Elisabeth hatte seither kein bisschen nachgelassen. Das Resultat war, dass es ihr auf der Seele brannte, endlich mit dem Mann zu sprechen, der Mathilde am besten kannte.

Nach ungefähr einer Stunde fand sie sich langsam damit ab, dass sie David an dem Vormittag wohl nicht mehr zu Gesicht bekommen würde. Nach einer weiteren Stunde hatte sie sich einen neuen Plan zurechtgelegt. Als Fulke sich nach dem Servieren des Vormittagstees gerade wieder zurückziehen wollte, hielt sie ihn auf. »Fulke, dürfte ich Sie etwas fragen?«

Rachel holte noch einmal Luft und sprang dann ins kalte Wasser. »Waren Sie an dem Abend, als Monsieur Bowen starb, eigentlich hier?«

Falls Fulke von dieser scheinbar zusammenhanglosen Frage überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. »Ich war bis siebzehn Uhr hier, Madame Levis. Dann bin ich für meinen freien Abend aus dem Haus gegangen.«

Ach ja, stimmt: Rachel erinnerte sich, dass sowohl die Frau auf der Trauerfeier als auch der capitaine gesagt hatten, dass es sein freier Abend gewesen war. Da konnte er nichts gesehen haben. Es sei denn – »Wissen Sie, ob Monsieur Bowen Gäste erwartete?«

»Er erwartete keine, Madame. Ich führte Buch über alle gesellschaftlichen Verpflichtungen des verstorbenen Monsieur Bowen, und für den Abend war nichts eingetragen.«

Moment mal. »Sie haben eine Liste all seiner Verabredungen?«

»Ja. Die Polizei hat sie für ihre Ermittlungen mitgenommen. Ich habe sie noch nicht zurückerhalten.«

Verdammt! Freier Abend, keine Besuche, ein Terminkalender, der ihr erst vor die Nase gehalten, dann aber weggerissen wurde – und was nun?

»Haben Sie sich weit vom Haus entfernt? An Ihrem freien Abend?« Wenn er in der Gegend geblieben war, konnte er jemanden gesehen haben, der das Gebäude betrat oder verließ, oder er konnte sogar Mathilde auf der Straße erkannt haben. Oder hatte er vielleicht selbst …

Aus den Tiefen ihres Gedächtnisses tönte Magdas Stimme herauf: »Ans Ende der Liste.«

»Nein, Madame. Ich bin über die Brücke und ins Kino Le Champo gegangen. Es wurde Der Diener gezeigt, und ich wollte ihn mir ansehen. Ich bewundere Joseph Losey sehr.«

»Und sind Sie anschließend direkt zurückgekommen?«

»Nach dem Film aß ich, in einem Café unweit des Kinos, zu Abend. Ich versuche, einmal die Woche eine Mahlzeit einzunehmen, die ich nicht selbst zubereitet habe.«

War das als Erinnerung an seine Stellung gemeint? Wieder verrieten seine Miene und Körpersprache nichts, aber Rachel brannten die Ohren vor Scham bei dem Bewusstsein, dass sie im Privatleben eines Mannes herumschnüffelte, dem Edgars Wertschätzung und vorbehaltloses Vertrauen gegolten hatten. Diese Erkenntnis war ihr widerwärtig gewesen, als sie an der Tür gestanden hatte, die nach oben in sein Quartier führte, und sie war es jetzt nicht minder.

»Natürlich, natürlich«, sagte sie hastig.

Aber auch wenn sie verstummte, konnte sie nicht umhin, in Gedanken weiterzumachen. Also gut, Fulke war an dem betreffenden Abend weder in der Wohnung noch in deren näherer Umgebung gewesen. Sie konnte leicht überprüfen, wann Der Diener gelaufen war, es wäre also dumm von ihm gewesen, diesbezüglich zu lügen. Und warum hätte er überhaupt lügen sollen? Als sie sein glattes Gesicht betrachtete, wurde ihr wieder bewusst, dass er durch Edgars Tod nur zu verlieren gehabt hatte. Aber trotzdem, vielleicht hatte er ja etwas gesehen, irgendein verdächtiges Verhalten, von wessen Seite auch immer, sei es vor oder nach Edgars Tod.

»Madame Bowen ist seit der Testamentseröffnung hier gewesen?« Sie wusste selbst nicht, warum sie das als Frage formuliert hatte.

Fulke nickte. »Ja.«

Fulke krauste die Stirn, sagte aber nichts. Rachel verstand: Er würde der Diskretion, die seine Stellung verlangte, auf keinen Fall zuwiderhandeln. Sie versuchte es mit einer anderen Taktik.

»Am Samstagabend habe ich Madame Bowen auf dem Bal Rouge getroffen. Sie wirkte unruhig, und ich habe mir Sorgen gemacht.« Zum Beweis zog sie jetzt die Brauen zusammen. »Ich weiß, dass Monsieur Bowens Tod ein furchtbarer Schock für sie gewesen sein muss, und da habe ich mich gefragt, ob Sie möglicherweise irgendeine Veränderung in ihrem Verhalten bemerkt haben.« Geteilte Fürsorge: dürftig, aber es konnte funktionieren.

Doch Fulke sagte nur: »Madame Bowen war schon immer … angespannt.«

»War sie in letzter Zeit nicht angespannter? In den letzten paar Wochen?« Rachel wusste, sie riskierte, ihr Glück zu überreizen, und tatsächlich produzierte Fulke eine seiner kleinen abschließenden Verbeugungen.

»Madame Levis. Ein Butler hört und sieht nichts.«

»Ach je.« Sie sah von ihrem Polsterhocker zu ihm auf. »Bitte entschuldigen Sie meine Dreistigkeit. Ich versuche Ihnen keine Familiengeheimnisse zu entlocken.« Tu ich doch! »Aber ich mache mir Sorgen.« Noch immer sagte sie nicht, um wen.

Er sah sie aufmerksam an. Er schätzte sie ab, und welchen Aspekt auch immer er abgeschätzt haben mochte – sie hatte offenbar bestanden, denn er sagte: »Mir ist bei Madame Bowen keine erhöhte nervliche Belastung aufgefallen.« Dann richtete er sich um ein weiteres Spürchen aus seiner Verbeugung auf. »Ich habe den Eindruck, dass sie in den Tagen vor Monsieur Bowens Tod angespannter war.«

»Ach?« Rachel bemühte sich, ihre Stimme im Zaum zu halten.

Darüber, wie unser Beruf unsere Wahrnehmung beeinflusst, ließe sich eine Doktorarbeit schreiben, sinnierte Rachel. Hätte eine Reinigungskraft gesagt, dass Mathilde unordentlicher als sonst wirkte? Eine Tänzerin, anmutloser? Aber jetzt war nicht die Zeit für derlei Überlegungen. »Sie hörten sie die Stimme gegen Monsieur Bowen erheben?«

»Ich sage es nicht gern.« Sein gequälter Ton bestätigte seine Aussage, und er fuhr erst nach kurzem Zögern fort: »Aber ich erschloss, dass die Diskussionen um finanzielle Fragen kreisten.«

»Immer ein spannungsgeladenes Thema«, sagte Rachel verständnisvoll. »Aber zumindest beschränkten sich ihre Entladungen auf das bureau.« Wieder blieb ihr Ton ausdrucks- los.

Fulkes Blick war betrübt. »Bedauerlicherweise war dies nicht immer der Fall. Sie brachte Mademoiselle des Troyes …« Dann setzte sich der Butler in ihm wieder durch, und er brach ab. »Sie war Mademoiselle des Troyes gegenüber schroff.«

»Ich verstehe. Und das alles schon vor dem Schock infolge von Monsieur Bowens Tod.« Persönlich fand sie, dass dieser Satz eine besonders geschickte Verlockung darstellte, mehr preiszugeben, doch Fulke blieb stumm. Rachel versuchte ihr Glück und schwieg ebenfalls. Sie würde es länger aushalten als er.

Sekunden verstrichen wie qualvolle Stunden.

»Madame Bowen blieb auch nach Monsieur Bowens Tod sehr angespannt«, sagte Fulke endlich. Rachel spürte, wie sich ihre Rückenmuskeln entkrampften. »In der ersten oder zweiten Woche danach äußerte sie sich kritisch über Madame Nadeau, und sie blieb Mademoiselle des Troyes gegenüber

»Den Lebenden oder den Toten?«

Fulke wiederholte: »Ein Butler sieht und hört nichts.«

Also beiden nicht, dachte Rachel. Sie sah Fulke an, dass er seine Enthüllungen zu bereuen begann, also riskierte sie nur eine einzige letzte Frage, und zwar zu einem anderen Thema. »Und Sie sind sich sicher, dass Elisabeth, bevor sie ging, Ihnen nichts davon sagte, dass sie sich einen Urlaub gönnen oder ein paar Tage frei nehmen wollte, weil sie sich etwas angeschlagen fühlte?«

Er schüttelte den Kopf. »Sie sagte nichts. Allerdings …«

»Allerdings was?«

Wieder blieb er lange Sekunden lang stumm; wieder gab seine Miene nichts preis. Schließlich sagte er widerstrebend: »Allerdings weiß ich, dass Madame Bowen, als sie letzte Woche Monsieur David besuchte, entspannter wirkte.«

Dann, offenbar von dem Gefühl übermannt, zu viel gesagt zu haben, verbeugte sich Fulke ein letztes Mal und verließ das Zimmer. Als er Rachel ein paar Stunden später in den Mantel half, benahm er sich so, als habe ihr Gespräch nie stattgefunden, und Rachel, die seine Verlegenheit spürte, sagte nur »Danke«; dann schloss sich die Wohnungstür hinter ihr.

Sie wollte gerade auf den Fahrstuhlknopf drücken, als sich wie durch Magie die Tür vor ihr öffnete. Zwei Männer kamen heraus. Der eine war sehr mager und trug einen schwarzen Anzug aus irgendeinem glänzenden Stoff, der ihm eng anlag; darunter ein weißes Hemd, dessen drei oberste Knöpfe offenstanden; und die spitzesten Schuhe, die Rachel je gesehen hatte. Sein Begleiter, kleiner und breiter, mit wattierter Weste über einem T-Shirt und einer tief hängenden Trainingshose angetan, schien zwar einer gänzlich anderen Subkultur zu entstammen,

Der dünne Mann blieb stehen und drückte mit der Hand gegen den einen Flügel der Schiebetür, sodass diese geöffnet blieb. Er lächelte Rachel an, aber sein Gesicht war so knochig, dass die resultierende Miene eher an die Grimasse eines Schädels als an eine Begrüßung erinnerte.

»Danke.« Rachel stieg in den Aufzug.

Ohne die Hand von der Tür zu nehmen, nickte er zur Antwort. »Sie sind eine Freundin von David Bowen?« Wieder nickte er, diesmal in Richtung der Wohnungstür. Sein Haar war so kurz geschnitten, dass die Kopfhaut elfenbeinfarben hindurchschien, und als er sprach, sah Rachel seine spitzen verfärbten Zähne. Er beäugte sie abschätzig.

»Nicht von David.« Sie streckte die Hand nach der Tastenleiste aus und versuchte, gelassen zu wirken. »Ich kannte seinen Vater.«

»Ah, seinen Vater! Den reichen Mann, dessen Vermögen David übernimmt.«

»Also, so würde ich das nicht formulieren.« Sie brachte ein Lächeln zustande.

»Ach nein?« Er legte den Kopf schief. »Wie dann?«

»Ich würde sagen, er war ein guter Vater, der David so sehr liebte, dass er ihn gut versorgt zurückließ.«

Aber die Aufmerksamkeit des Mannes war inzwischen abgeschweift. Er musste ihren Akzent erkannt haben, denn er lehnte sich näher heran und sagte: »Sie sprechen Englisch?«

Rachel bemühte sich, nicht zurückzuweichen. »Ja. Ja, so ist es.«

»Ah! Scarface, hein?« Mit der freien Hand deutete er auf sein Outfit. Sie hatte keine Ahnung, wovon er redete, aber sie lächelte höflich. Dann grinste er wieder. »Haben Sie auch was von dem Geld des guten Vaters geerbt?«

»Eine Bibliothek!« Endlich ließ er los und machte dazu ein abschätziges Geräusch mit Zunge und Zähnen. Er drehte sich um und entfernte sich; der Kleinere folgte ihm in trägem Imponiergang. Während die Fahrstuhltür zuglitt, sah Rachel, dass die Anzughose wie angegossen saß und die dürren Beine darin wie Pfeifenreiniger aussahen. Sie hätte gern gelacht – dieser missglückte Versuch in Sachen Eleganz hätte einen Lacher wohl verdient. Aber tatsächlich war sie, eingeschlossen zwischen dem verfehlten Charme dieses Totenkopfes und dem, was Fulke ihr mitgeteilt hatte, völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Was sie jetzt brauchte, war eine schöne Tasse Tee.

***

Eine halbe Stunde später ruckelte sie sich auf einem Starbucks-Stuhl etwas bequemer zurecht, während sie auf Magda mit ihren Getränken wartete. Normalerweise weigerte sie sich aus Prinzip, einen Starbucks zu betreten – Paris wimmelte von kleinen familiengeführten Cafés –, aber wenn man eine anständige Tasse Tee wollte, war das der einzige Ort in der Stadt, an dem man fündig wurde. Wenn man in einem richtigen Pariser Café Tee bestellte, bekam man ein winziges Edelstahlkännchen voll heißem Wasser und einem separaten Teebeutel serviert, möglicherweise begleitet von einer grantigen Scheibe Zitrone, die auf einem eigenen Tellerchen gerade den Geist aufgab. Im Vergleich dazu waren Humpen mit Firmenlogo und Gebräue mit aberwitzigen Bezeichnungen zwar nervig, aber geradezu Merry Old English. Und dieser Starbucks in der Nähe des vergoldeten Palace Garnier hatte fraglos etwas zu bieten. Rachel

»Ich steckte hinter ein paar Studenten fest.« Magda sah fix und fertig aus, als sie, an die Getränke geklammert, endlich auftauchte. »Die haben sich ständig umentschieden.« Sie schlüpfte auf den Stuhl gegenüber Rachel und atmete erleichtert auf. »So, und was war das jetzt mit den zwei Männern am Fahrstuhl?«

»Ach.« Rachel seufzte, aber nur ein bisschen. Irgendwie erschien ihr, nach der stummen Zwiesprache mit dem Deckenfresko, die Begegnung gar nicht mehr so wichtig. »Gerade als ich aus Edgars Wohnung herauskam, bin ich von zwei richtig unangenehmen Typen überfallen worden.«

»Wie, überfallen?« Magda sah besorgt aus. Wie in jeder Großstadt waren auch die Pariser Straßen voll von Männern, die Frauen belästigten, aber hier waren sie besonders hartnäckig, folgten einem manchmal mehrere Häuserblocks weit und machten dreckige und aggressive Bemerkungen.

»Ach, nicht die Sorte Überfall. Ich wollte in den Fahrstuhl einsteigen, als sie gerade ausstiegen, und einer von beiden … er war einfach in Plauderstimmung.« Aber sie fröstelte. »Er war mir nicht geheuer. Aber ich will jetzt nicht wieder daran denken müssen. Hör dir einfach an, was Fulke gesagt hat.«

Magda hörte aufmerksam zu, während Rachel das Gespräch wiedergab. Als sie geendet hatte, sagte Magda: »Das sieht für Mathilde wirklich nicht gut aus.«

»Aber es ist immer noch kein konkreter Beweis.«

Magda seufzte. »Du hast recht – ist es nicht.« Sie verstummte. Rachel wartete auf das gewohnte Wiederaufleben, aber es kam keines. Magda starrte bloß in ihren Becher. Schließlich blickte sie auf. »Mir sind die Ideen ausgegangen.«

Vielleicht, dachte sie, sollten sie aufgeben. Niemand würde je erfahren, dass sie das Handtuch geschmissen hatten, außer dem capitaine, den sie nach kurzer Überlegung dann doch nicht benachrichtigt hatten, und Alan, der sich vielleicht einmal kurz über sie lustig machen, das Thema dann aber nie wieder anschneiden würde. Dann aber betrachtete sie das bekümmerte Gesicht ihrer besten Freundin. Eine niedergeschlagene Magda war ein seltener Anblick, normalerweise war sie es, die ihr Mut machte. Vielleicht wäre die beste Strategie, die Rollen zu tauschen.

»Also«, sprach sie forsch, »wir brauchen eindeutige Beweise von Mathildes Untaten. Schluss mit den bloßen Andeutungen oder Interpretationen.«

»Genau.« Magda nickte.

»Das heißt, wir brauchen so etwas wie …« Sie überlegte. »Ein Tagebuch Elisabeths?«

»Na ja«, Magda verzog das Gesicht, »das ist zwar ein bisschen Gone Girl, aber … ja. Oder, ich weiß nicht, irgendeinen Hinweis darauf, was Elisabeth dir verraten wollte. Oder meinetwegen einen Hinweis darauf, was sie in den hinteren Zimmern gefunden hat.« Sie hob eine matte Hand. »Einfach einen Hinweis auf irgendetwas.«

»Tja.« Die Auflistung hatte Rachel etwas Zeit zum Nachdenken geschenkt. »Mir scheint, das sind alles lauter Dinge von der Art, die sich«, sie zögerte es einen köstlichen Augenblick lang hinaus, »in der Wohnung einer gewissen Person finden

***

Nachdem er sich Auszüge dieser Unterhaltung angehört hatte, sagte Alan an dem Abend im Bett: »Es ist gut, dass ihr beide euch gefunden habt, denn es ist klar, dass ihr füreinander bestimmt seid.«

»Was soll das jetzt bitte heißen?« Rachel drehte sich um und starrte ihn an.

»Ihr seid gleichermaßen übergeschnappt. Ihr habt euch in eine Idee hineingesteigert, die sich im Wesentlichen auf Spekulationen gründet, und glaubt felsenfest an euer eigenes Hirngespinst.«

»Das sind keine Spekulationen!« Rachel war empört. »Elisabeth ist verschwunden! Catherine ist tot! Mathilde verhält sich seit längerem verdächtig!«

Alan schnaubte, sagte aber nur: »In Ordnung.«

»Du glaubst mir nicht.«

»Habe ich nicht ›In Ordnung‹ gesagt?« Er schwieg eine Sekunde lang und riskierte es dann noch einmal: »Ging es bei der ganzen Sache nicht eigentlich um Edgar?«

»Was willst du damit sagen?«

»Na ja, angefangen habt ihr doch damit, dass ihr glaubtet, jemand hätte Edgar getötet, und noch vor zwei Wochen war Elisabeth eure Hauptverdächtige. Jetzt konstruiert ihr euch irgendeinen hochkompliziert vernetzten Fall mit gleich mehreren Toten und einer Vermissten; Elisabeth ist plötzlich ein Opfer, und Edgar ist offenbar zu einer Randfigur herabgesunken.«

Rachels Ton war würdevoll. »Unser Netz weitet sich, ja.«

Wieder schnaubte Alan. »Und was soll das jetzt bitte heißen?«

»›Catherines Ermordung, Catherines Ermordung‹.« Er war entnervt. »Nach allen euch vorliegenden Beweisen hat sie entweder Suizid begangen, oder sie ist aus dem Fenster gefallen! Ihr glaubt einzig deswegen, dass Catherines und Edgars Tod miteinander zusammenhängen, weil sie Freude darüber bekundet hat, von ihm Geld geerbt zu haben. Das ist ja kaum ein belastbares Indiz!«

Rachel versuchte ihres Gefühls, dass er vielleicht nicht ganz unrecht hatte, Herrin zu werden. »Zwei Menschen, die sich kannten, sind tot, richtig? Und eine weitere Person, die sie kannte, ist gerade verschwunden. Du hast kein Problem damit, das Zufall zu nennen? Schön, und was, wenn Elisabeth zwar nicht tot, aber lediglich noch nicht tot ist? Was, wenn sie irgendwo gefangen gehalten wird und es wäre noch Zeit, sie zu finden? Möchtest du, dass ich mich auf jemanden konzentriere, der schon tot ist, und dafür das Leben eines jungen Mädchens opfere? Wär dir das lieber?«

»Ist ja gut, ist ja gut.« Alan kapitulierte. »Ja. Ich sehe es ein. Du solltest dich auf Elisabeths verdächtiges Verschwinden konzentrieren, von dem sich möglicherweise herausstellen könnte, dass es im Zusammenhang mit Edgars verdächtigem Tod steht.«

Es folgte ein längeres Schweigen. Endlich sagte Rachel: »Von dem sich wahrscheinlich herausstellen wird, dass es im Zusammenhang damit steht.«

Alan raufte sich weder die Haare, noch knirschte er mit den Zähnen, noch gab er einen Seufzer von sich. Er rollte sich einfach auf die Seite und schaltete seine Nachttischlampe aus.

Plötzlich ohne Widerpart knipste Rachel ihrerseits das Licht aus. Im Dunkeln liegend sagte sie sich, dass sie recht daran