11.1. 2035, Mond-Basis Unity
»Kann
ich heute mit Irina sprechen?«
Yue, die auch die Kommunikationsressourcen verwaltet, sieht ihn über ihre Lesebrille hinweg an. Seit wann trägt sie eigentlich die Brille? Sie steht ihr, aber in der vergangenen Woche hat sie sie noch nicht gebraucht. Leiden ihre Augäpfel auch unter der verminderten Schwerkraft?
Yue wischt auf dem Bildschirm vor ihr hin und her. Maxim erkennt nur lange Tabellen mit bunten Kästchen. Um diese Arbeit beneidet er sie nicht. Er ist sehr dankbar, dass er sich als Kommandant nicht damit herumschlagen muss. Dafür muss er zwar genau wie jedes normale Crew-Mitglied um einen Funk-Termin mit der Erde bitten, aber das ist es ihm wert.
»Wenn die Erde wieder aufgegangen ist, muss ich erst einmal den aktuellen Stand durchgeben. Dann hat Ken etwas Wichtiges mit seiner Mutter zu besprechen. Aber danach könnte ich dir einen Termin eintragen. 30 Minuten?«
»Das wäre wunderbar.«
Wann hat er zuletzt mit Irina gesprochen? Es muss vor vier Tagen gewesen sein. Die Mondbasis befindet sich gerade in der Librationszone. Das ist der Bereich, in dem die Erde manchmal zu sehen ist und manchmal nicht. Da der Relay-Satellit im Mondorbit dem Rotstift zum Opfer gefallen ist, sind sie jeden Monat für wenige Tage vom Funkverkehr mit der Heimat abgeschnitten. Ein Sender außerhalb der Librationszone steht zwar auch auf ihrem Plan, aber erst müssen das Gewächshaus und der Laser-Link zum Shackleton-Krater fertig werden.
»Gut, dann trage ich dich für 16:30 Uhr Standardzeit ein.«
»Danke, Yue. Habe ich dir schon gesagt, dass ich deine Arbeit sehr schätze?«
Yue lächelt. »Ich mache doch hier nur meinen Job, wie wir alle.«
»Wir sehen uns zum Mittagessen«, sagt Maxim und verlässt die Zentrale. Es ist Zeit für sein Training. Wegen des gebrochenen Arms hat er den Sport etwas vernachlässigt.
Er hat
eine halbe Stunde auf dem Laufband hinter sich, als Kenjiro den Lagerraum betritt, in dem die Sportgeräte verteilt sind.
»Ah, hier bist du«, sagt er, »ich habe dich gesucht.«
»Was gibt es denn, Ken?«
»Ich würde gern den Boden im Gewächshaus impfen, und dazu brauche ich möglichst viele Helfer. John und Atiya sind gerade unterwegs zum FST.«
Maxim sieht auf seine Uhr. Seine Schicht beginnt erst in 90 Minuten.
»Du müsstest allerdings deinen Raumanzug überziehen. Die unterirdische Verbindung zum Gewächshaus ist ja noch nicht fertig.«
»Okay, dann brauche ich 30 Minuten.«
Er trifft
die anderen an der Schleuse. Alle haben rote Gesichter, weil sie für den Ausstieg ins Vakuum intensiv trainiert haben. Yue kommt ihm ganz ungewohnt vor. Er hat die Chinesin noch nie draußen auf der Oberfläche erlebt.
»Setzt eure Helme bitte noch nicht auf«, sagt Kenjiro. »Ich will euch erstmal erklären, was zu tun ist.«
Er bückt sich und hält einen Stapel mit acht Eimern hoch.
»Jeder bekommt zwei Eimer.«
»Äh, ich habe da ein Problem«, sagt Maxim und hebt seinen rechten Arm.
»Ich kann drei tragen«, sagt Wayne.
»Danke. Ich werde gleich die Recyclinganlage abschalten. Dann werden wir alle Eimer mit Schlamm aus dem Absetzbecken füllen. Das muss schnell gehen, damit die wertvollen Bakterien im Becken nicht absterben. Mit den gefüllten Eimern verlassen wir die Schleuse und laufen so schnell es geht nach drüben zum Gewächshaus. Es sind nur fünfzig Meter, aber ihr müsst euch wirklich beeilen. Drüben schütten wir den Inhalt der Eimer über den Boden, und ich arbeite ihn mit Spaten und Harke ein. Alles klar?«
»Verstanden«, sagt Wayne, »alles muss möglichst schnell gehen.«
»Ganz genau.«
Kenjiro teilt die Eimer aus. Sie verlassen den Raum vor der Schleuse. Maxim bildet das Schlusslicht, er hat ja nur einen Eimer. Ken führt sie an ein Ende der Basis, in dem er lange nicht war. Warum, das merkt er, als Ken die Tür öffnet: Es stinkt erbärmlich, und die Pumpen verbreiten einen unerträglichen Lärm. Dabei ist das Absetzbecken des Recyclingsystems noch geschlossen. Kenjiro legt ein paar Hebel um. Es wird fast still.
»Wayne, komm her«, sagt er.
Kenjiro hält einen dicken Schlauch in der Hand, der in Bodenhöhe aus einem Metallbehälter entspringt. Wayne hält einen seiner drei Eimer davor. Ken greift nach rechts und dreht einen Hahn auf. Dickflüssiger Schlamm spritzt blubbernd aus dem Schlauch. Wayne hält den Eimer schräg, um alles aufzufangen, aber er ist nicht schnell genug – sein Anzug bekommt ein paar Spritzer ab. Ein unglaublicher Gestank macht sich breit. Maxim wundert sich, dass niemand umkippt.
»Keine Sorge, unsere eigene Scheiße bringt uns schon nicht um«, sagt Ken.
Waynes Eimer füllt sich. Ken schließt kurz den Hahn, dann ist der zweite Eimer an der Reihe. Diesmal stellt sich Wayne geschickter an.
»Am besten, du füllst die Eimer für alle«, sagt Kenjiro.
»Klar doch«, antwortet Wayne und gibt einen Eimer an Maxim weiter.
Fünf Minuten
später sind alle Eimer gefüllt. Scheinbar stinkt es gar nicht mehr so schlimm. Es ist schon beeindruckend, wie schnell sich seine Sinne angepasst haben.
»Ich aktiviere die Lebenserhaltung wieder«, sagt Ken, »Jetzt solltet ihr eure Helme aufsetzen. Und dann auf zur Schleuse.«
Vier kaum unterscheidbare Astronauten in Raumanzügen trippeln durch die Basis, vorsichtig bemüht, nichts von dem wertvollen Inhalt der Eimer zu verschütten. Sie laufen den steilen Gang nach oben und zwängen sich zu viert in die Schleuse. Ken übernimmt die Steuerung. Das Licht wird rot, dann wieder grün.
»Mir nach«, ruft Kenjiro über den Helmfunk.
Maxim ist wieder der letzte. Er muss lachen, als er seine Kollegen mit den schweren Eimern über den Mondboden fliegen sieht. Dabei passiert ihm selbst ein Malheur: Er vergisst, dass die Füllung seines Eimers eine gewisse Trägheit besitzt. Es reicht also nicht, den Eimer geradezuhalten, damit nichts herausspritzt, er muss auch vermeiden, ihn mit zu viel Schwung nach oben zu reißen. Da die träge Masse von der Gravitation unabhängig ist, der Eimer samt Inhalt jedoch nur ein Sechstel seines normalen Gewichts hat, versagen seine auf der Erde geschulten Instinkte, und etwa ein Viertel des Inhalts spritzt heraus. Der Faulschlamm fliegt als unförmiger Blob durch die Gegend. Maxim schafft es gerade so, ihm aus dem Weg zu gehen, doch die Masse trifft Yue, die gerade vor dem Gewächshaus stehengeblieben ist.
Sie scheint etwas gespürt zu haben und dreht sich um.
»Entschuldige, ich habe dich vollgespritzt«, sagt Maxim per Helmfunk.
»Wie bitte?«
Er zeigt auf die Rückseite ihres Anzugs.
»Das kann ich mir gerade nicht ansehen«, sagt sie.
»Da klebt ein bisschen Schmodder«, erklärt er.
Vor ihnen öffnet sich eine Schiebetür.
»Schnell rein in die gute Stube«, sagt Kenjiro.
Sie betreten einen kleinen Raum, und Ken schließt die Außentür hinter ihnen.
»Wird das mal eine Schleuse?«, fragt Wayne.
»Nein, das Gewächshaus wird unterirdisch mit der Basis verbunden sein. Es ist ein provisorischer Eingang. Im Gewächshaus selbst haben wir 0,1 bar Kohlendioxid. Und es ist geheizt. Ihr werdet es gleich sehen.«
Kenjiro schiebt die Innentür auf. Maxim bemerkt keinen Unterschied. Er kontrolliert die Umweltverhältnisse auf dem Computer am Arm. Es sind ein paar Grad über Null, und tatsächlich herrscht ein niedriger Druck. Sie stehen in einem zwei Meter hohen, fast quadratischen Raum mit einer Grundfläche von etwa 20 mal 20 Metern. Die Decke ist durchsichtig, und die Sonne scheint herein.
»Wie ihr seht, ist der Standort optimal, wir brauchen bloß an wenigen Tagen pro Jahr zusätzlich zu beleuchten. Aber nun zeigt mal eure Eimer her«, sagt Ken.
Er kontrolliert den Inhalt der Eimer und betastet die Oberfläche der Füllung.
»Das sieht doch gut aus. Der Schlamm ist bloß auf einen Zentimeter eingefroren, wie es aussieht. Dann wollen wir das Zeug mal verteilen.«
Kenjiro nimmt sich einen Eimer nach dem anderen und schüttet den Inhalt systematisch über den in vier Beete aufgeteilten Boden. Maxim ist froh, dass sie die Helme nicht absetzen können.
»Und wann können wir zum ersten Mal ernten?«, fragt Yue.
»Ich hoffe, die Bakterien verwandeln den Mondstaub in fruchtbare Erde«, erklärt Ken. »Bisher ist das ja nur mit simuliertem Regolith getestet worden. Also freut euch nicht zu früh auf frisches Essen.«
»Vergesst nicht den Transporter voller Nahrung, den uns die Erde versprochen hat«, sagt Wayne.
»Realistisch gesehen wird es wohl vier Monate dauern, bis wir zum ersten Mal Gemüse aus dem Gewächshaus auf dem Tisch haben«, sagt Ken. »Aber damit das klappt, muss ich euch nun hinauskomplimentieren. Ich muss den Schlamm noch in den Boden einarbeiten. Danke für eure Hilfe. Und du solltest deinen Anzug säubern, bevor du die Basis betrittst, Yue.«
»Was ist das denn?«
Maxim kann gerade noch bremsen, weil Wayne plötzlich stehenbleibt. Der Mechaniker zeigt auf einen Kraterkamm im Osten. Die spitzen Berge zeichnen sich scherenschnittartig ab; ihr Schatten reicht fast bis an den Mons Malapert heran. Dieses Bild ist Maxim gewohnt. Aber darüber ist etwas zu sehen, was nicht auf den Mond passt. Ein silberner Bogen schiebt sich langsam nach oben.
Aber so etwas gibt es nicht. Es ist, als wären sie Teil einer Simulation, als stünden sie auf einer Bühne, und der Regisseur reichte von der Seite eine Tafel herein. Es muss eine riesige Tafel sein, das ist jetzt schon klar, obwohl nur ein kleiner Teil zu sehen ist. Sie befindet sich genau dort, wo heute eigentlich die Erde aufgehen müsste. Maxim schließt den Mund. Er hat nicht gemerkt, dass er ihn geöffnet hatte. Er hat mal einen Film gesehen, bei dem eine Weltraum-Expedition erst am Schluss merkt, dass ihr Schiff gar nicht abgehoben hat. Hat man sie in eine solche Simulation gesteckt? Dann muss gerade der Projektor versagt haben, der normalerweise die Erde auf die Hallenwände über ihnen zeichnet.
Doch wie haben sie dann die niedrige Schwerkraft hinbekommen, und warum ist ihnen nicht eher etwas aufgefallen? Vor allem aber – welchen Sinn sollte das alles haben?
»Das ist die Erde«, sagt Yue tonlos.
»Es ist nicht die Erde«, widerspricht Wayne. »Das ist ja wohl ganz eindeutig.«
Was ist das? Die Scheibe wächst. Der silberne Glanz ist verschwunden. Die Scheibe ist nun gleichmäßig weiß gefärbt. Es ist exakt das gleiche Weiß, in dem die Sonne am schwarzen Himmel leuchtet. Aber die Ausleuchtung ist perfekt. Es gibt keine helleren und dunkleren Flecken. Das Objekt, das gerade jemand an ihrem Horizont aufzieht, kann keines natürlichen Ursprungs sein.
»Wir sollten schnellstmöglich in die Zentrale zurückkehren«, sagt Maxim. »Was immer dieses Ding da ist, es macht mir ein sehr mulmiges Gefühl.«
Niemand antwortet. Wayne starrt die Scheibe an, als hätte sie ihn hypnotisiert. Maxim denkt wieder an einen dieser alten Filme, in denen alle Menschen von fremden Mächten ferngesteuert werden. Ist er der einzige hier, der noch Herr über seine Gedanken ist? Er stößt Wayne mit dem linken Arm an.
»Entschuldige, Chef«, sagt Wayne. »Du hast recht, wir müssen in die Zentrale. Hier draußen werden wir nicht herausfinden, was da am Himmel über uns aufzieht.«
Yue dreht sich wortlos um und fängt plötzlich an zu rennen.
»He, Yue, warte doch mal«, sagt Maxim über den Helmfunk.
Sie läuft weiter, aber dann bleibt sie doch stehen. Er geht zu ihr und berührt sie an der Schulter. Sie ist ganz steif. Sanft dreht er sie um und sieht ihr ins Gesicht. Yues Augen sind weit geöffnet.
»Was immer das ist«, sagt er, »wir werden es herausfinden und dann so reagieren, wie es richtig ist. Vertrau mir! Okay?«
Yue nickt.
»Komm, wir gehen in die Zentrale.«
»Was ist mit Ken und dem Außenteam?«
»Denen sagen wir Bescheid, wenn wir mehr wissen.«
»Capcom,
bitte kommen.«
Yue hat sich in der Zentrale sofort an das Funkgerät gesetzt. Das ist eine gute Idee. Wenn jemand Bescheid weiß, dann ja wohl die Erde. Hoffentlich ist das nicht wirklich eine Art Simulation. Wenn er Irina so lange nicht sehen darf, nur um dann irgendwo in einer unterirdischen Basis für ein paar Psychologen die Laborratte zu spielen – das würde ihn ziemlich wütend machen. Gab es da nicht so eine Stelle im Vertrag, die er schon damals seltsam gefunden hatte? Aus der Beschäftigung bei dem Projekt sei kein Anspruch auf einen Weltraumflug abzuleiten, hatte es geheißen.
»Capcom, bitte kommen.«
Maxim stellt sich hinter Yue. Sie wechselt offenbar die Frequenzen. Dann versucht sie es erneut.
»Capcom, bitte kommen. Gao Yue von der Mondbasis hier. Wir hätten da ein paar Fragen.«
»Keine Antwort?«, fragt Maxim und zeigt auf die Kopfhörer, die Yue trägt.
Sie nimmt sie ab.
»Ich stelle auf laut«, sagt sie und drückt einen Knopf.
»Capcom, bitte kommen.«
Im Lautsprecher rauscht es bloß. Die Erde antwortet nicht.
»Ist die Scheibe noch da?«, fragt Maxim.
Yue holt das Bild der Außenkamera auf den Schirm. Sie schwenkt die Kamera nach Osten. Die weiße Scheibe steht über den Bergen. Auf dem Bildschirm wirkt sie, als hätte jemand eine Schablone aus dem schwarzen Himmel gestanzt. Eine Bedrohung scheint von ihr nicht auszugehen.
»Vielleicht kommt die Erde nicht durch«, sagt Wayne, der sich neben sie gestellt hat.
»Du meinst, da ist wirklich eine Scheibe aus weiß leuchtendem Material zwischen uns und der Erde?«
»Na, es sieht doch so aus, Chef. Oder nicht?«
Maxim ist unschlüssig. Aber seine Skepsis gewinnt.
»Du bist doch selbst Ingenieur, Wayne. So eine Scheibe wäre doch viel zu schwer, und jemand müsste sie exakt in unsere Sichtlinie zur Erde montiert haben.«
»Hm.«
»Miss sie doch bitte mal exakt aus, Yue«, sagt Maxim.
Yue vergrößert das Bild und legt einen digitalen Maßstab an.
»Hm, die Scheibe ist noch nicht komplett«, sagt sie.
Dann schiebt sie das aktuelle Bild zur Seite und öffnet das Dateisystem. Blitzschnell scrollt sie durch die gespeicherten Fotos. Maxim schafft es nicht, ihr zu folgen.
»Da, das passt«, sagt sie und öffnet ein Bild.
Es sieht haargenau aus wie das von heute – nur ist die Scheibe nicht weiß, sondern blau. Es ist die Erde. Yue zieht das aktuelle Foto heran und legt dann mit einer Tastenkombination beide übereinander. Die Scheibe ist exakt so groß wie das echte Antlitz ihres Heimatplaneten.
»Das kann kein Zufall sein«, sagt Wayne.
»Zufall? Ich glaube, du denkst in den falschen Kategorien«, sagt Maxim. »Ein Zufall ist es, wenn ein Meteorit ausgerechnet dann unser Gewächshaus trifft, wenn Ken gerade unseren Klärschlamm darin verteilt. Eine derartige Scheibe am Himmel ist so monströs, dass ich eher an einen Traum oder an einen Riss im Logik-Gefüge des Universums denken würde. Zwickt mich bitte mal jemand?«
Wayne kneift ihn in den linken Oberarm. Aber dieser Test ist natürlich Humbug. Er könnte immer noch träumen. Da gab es doch auch diesen Film, wo alles, was die Menschen erlebt haben, auf einer Simulation beruhte. Wie hieß er doch gleich? Maxim fühlt sich gerade sehr daran erinnert. Was er aber noch mehr fürchtet ist, dass diese Scheibe real sein könnte.
»Capcom, bitte kommen.«
Yue probiert es noch einmal. Ihre offensichtliche Geduld beruhigt ihn auf seltsame Weise.
»Capcom, bitte kommen.«
»Das machst du sehr gut«, sagt er, und er meint es ernst.
Vielleicht müssen sie ja nur ein bisschen warten, und das seltsame Phänomen verschwindet von selbst wieder.
»Vielleicht müssen wir ja nur ein bisschen abwarten, damit das Ding dort von allein verschwindet«, sagt Wayne.
Maxim lacht laut. »Ich habe gerade fast wörtlich dasselbe gedacht.«
»Capcom, bitte kommen.«
»Capcom,
bitte kommen.«
Yue spricht seit einer halben Stunde mit monotoner Stimme ins Mikrofon. Maxim bewundert sie für ihre Geduld. Er hätte schon längst auf das Mikrofon eingeschlagen. Da öffnet sich die Tür hinter ihm. Es ist Kenjiro.
»Capcom, bitte kommen«, sagt Yue.
Keine Antwort.
Kenjiro bleibt stehen und mustert erst Yue, dann Wayne und schließlich Maxim.
»Was herrscht hier denn für eine Begräbnisstimmung? Was ist los mit euch, und warum antwortet der Capcom nicht?«
»Hast du es nicht bemerkt?«, fragt Wayne.
»Was bemerkt?«
Wayne zeigt auf den Computer, der allerdings gerade seinen Bildschirmschoner aktiviert hat.
»Schön, fliegende Enten«, sagt Kenjiro.
Yue tippt etwas ein. Die Enten verschwinden, und das Außenbild erscheint wieder. Sie zeigt auf den weißen Bogen über den Bergen. Ken kommt näher und studiert das Bild. Er betrachtet es so intensiv, dass Maxim das Gefühl hat, er würde es in sich aufsaugen.
»Hm«, sagt er nach etwa drei Minuten.
»Hm?«, fragt Maxim, »mehr fällt dir nicht dazu ein?«
»Hm.«
Ken kratzt sich am Kinn. Das Geräusch, wenn er über seine Bartstoppeln fährt, ist lauter als der ständige Lärm der Klimaanlage.
»Hm?«
»Irgendwas ist mit der Erde passiert«, sagt Kenjiro, »das ist ja wohl klar.«
Mit der Erde? Maxim schüttelt kurz den Kopf, dann realisiert er, dass sie sich alle drei auf ein Bild konzentriert haben, das so gar nicht zu sehen war, wie bei diesen Grafiken, wo einer einen Kopf sieht und der nächste eine Taube. Das da ist keine Scheibe, die sich zwischen ihnen und der Erde befindet. Es ist die Erde. Das ließe sich leicht nachweisen, wenn sie ihre Perspektive ändern könnten.
»Wir brauchen eine andere Sicht auf dieses Ding da«, sagt er.
Den Begriff »Scheibe« vermeidet er ab sofort.
»Ein anderes Konzept davon?«, fragt Wayne.
»Nein, ich meine es wörtlich. Wenn das wirklich die Erde ist, wie Ken glaubt, dann müsste das von einem anderen Ort aus, aus einer anderen Perspektive, klar zu sehen sein.«
»Wir könnten ein paar Kilometer in Richtung Norden fahren«, schlägt Kenjiro vor.
»Das dauert aber ein bisschen«, sagt Wayne.
»Wir kontaktieren das Außenteam«, schlägt Yue vor.
»Aber sie befinden sich außerhalb der Librationszone auf der erdabgewandten Seite. Von dort aus können sie die Erde gar nicht sehen«, sagt Maxim.
Das müsste Yue doch klar sein?
»Sie sollen nicht die Erde beobachten, sondern die ARES kontaktieren«, sagt Yue leise. »Die Crew der Mars-Expedition hat garantiert einen völlig anderen Blickwinkel auf die Erde als wir.«
Maxim entschuldigt sich in Gedanken bei ihr. Das ist eine sehr gute Idee. Falls es sich wirklich um eine isolierende Absperrung vor der Erde handeln sollte, müsste die ARES auch daran vorbeisehen können.
»Äh, warum kontaktieren wir die ARES nicht einfach von hier aus?«, fragt Wayne.
»Sie befindet sich noch für zwei Tage aus unserer Sicht hinter dem Mond. Genau da, wo John und Atiya unterwegs sind.«
»Versuchst du bitte, das Außenteam zu erreichen, Yue?«
»Ja, Commander, aber sie können im Moment nicht antworten. Kurz nach Mitternacht sollten sie wieder in den Sendebereich unseres Towers auf dem Gipfel des Mons Malapert kommen. Wenn sie dann den neuen Laser-Link aktivieren, können wir mit ihnen sprechen.«
»Dann müssen wir uns wohl so lange gedulden.«