25.2. 2035, Mond-Basis Unity
Jonathan bewegt sich wie ein eingesperrter Tiger durch die Krankenstation. Wayne hat sich wieder ganz gut erholt, sodass er ihn heute Morgen entlassen konnte. Aber Atiya macht ihm Sorgen. Sie schwebt ständig zwischen Schlaf und Wachzustand, und er weiß nicht, warum. Denn eigentlich ernährt sie der Tropf ausreichend. Sie ist wohl im Moment die einzige auf der Basis, die ihren Grundumsatz decken kann. Hat ihr das Hungern vorher schon zu stark geschadet? Wenn sie sich doch bloß eher gemeldet hätte!
Ihr Blutbild beruhigt ihn auch nicht unbedingt. Es zeigt Hinweise darauf, dass Niere und Leber geschädigt wurden. Vielleicht hatte sie Vorschäden etwa von einer unerkannt überstandenen Hepatitis, von denen niemand etwas wusste? Leider kann sie ihm dazu gerade keine Fragen beantworten. Wenn sich die beiden Organe nicht wieder erholen, wird es für Atiya kritisch. Denn die für eine Blutwäsche nötige Technik gibt es auf dem Mond nicht, und eine Transplantation kommt wohl erst recht nicht in Frage. Oder soll er sich schon einmal nach einem Spender umsehen? Die Operation traut er sich zu. Atiya hat die häufige Blutgruppe A positiv; unter den neun anderen Astronauten sollten sich zwei, drei Kandidaten für Lebendspenden finden lassen. Ob die HLA-Antigene gut passen, wird sich dann noch zeigen müssen.
Würde er seine eigene Niere für Atiya hergeben? Auf jeden Fall. Sie sind doch alle aufeinander angewiesen. Nur die Entnahme wäre dann etwas komplizierter. Aber gibt es nicht an Bord der ARES auch einen Arzt, einen Chirurgen sogar? Dann müsste sich das Problem lösen lassen. Wenn das Marsschiff nur endlich ankäme! Er braucht auch dringend Nachschub für die Nährlösung, die er Atiya gerade infundiert. Wenn er sie ein bisschen streckt, reicht sie noch für drei Tage. Danach wird er zusehen müssen, wie seine Patientin stirbt.
Die Tür öffnet sich, und Yue betritt die Krankenstation. Sie kommt auf ihn zu und umarmt ihn.
»Du siehst so traurig aus«, sagt sie.
»Ich mache mir Sorgen um Atiya. Wir brauchen unbedingt medizinischen Nachschub.«
»Dann habe ich eine gute Nachricht für dich.«
Sie spricht leise, während sie sich noch immer umarmen. Er ist nicht mehr so allein. Ihr Kinn ruht auf seiner Schulter.
»Ja?«
»Die ARES. Sie haben knapp über der Schale gebremst. Dadurch sind sie eher bei uns.«
»Wann?«
»Übermorgen.«
Ein Stein will ihm vom Herzen fallen, aber er hindert ihn daran und hält ihn fest.
»Wie sicher ist das?«
»Sehr sicher. Sie müssen bloß noch in den Orbit einschwenken und dann landen.«
Also zwei Manöver, die schiefgehen können. Es ist zu früh, den Stein fallen zu lassen. Sein Herz bleibt schwer.
»Danke für diese Nachricht. Ich werde es Atiya sagen.«
»Versteht sie dich?«
»Ich glaube nicht. Aber auch da gibt es keine Sicherheit.«