28.2. 2035, Mond-Basis Unity
Langsam füllt sich die Zentrale wieder mit Leben. Die Landekapsel der ARES hat nun auch Giordano und François mitgebracht. Jonathan hat sie nur kurz begrüßen können, dann haben sie schon Vorräte geschleppt, und inzwischen arbeiten sie mit Maxim und Wayne an den Gewächshäusern. Maxim hat sich das Ziel gesetzt, in spätestens vier Wochen alle Gewächshäuser einsatzbereit zu haben. Dann wären sie bei ihrer Ernährung unabhängig von ihren Rettern, und die ARES könnte ihre Reise zum Mars fortsetzen.
Ob sie tatsächlich dorthin startet und wer mitfliegt, darüber hat er schon die unterschiedlichsten Andeutungen gehört. Michael, der Arzt der ARES, scheint feste Pläne zu haben, die der Rest der Crew aber wohl so nicht teilt. Sie werden irgendwann darüber sprechen müssen. Denn wenn er das richtig versteht, will Michael, dass sie alle mit zum Mars fliegen. Sollen sie die Erde etwa aufgeben? Jonathan kann sich das nicht vorstellen. Er stellt sich immer noch vor, dass seine Eltern und seine Schwester dort unten auf Hilfe warten.
Aber jetzt steht erst einmal Atiya im Vordergrund.
»Hast du Mike gesehen?«, fragt er Yue.
Seit die Neuankömmlinge hier sind, teilt er sich mit ihr eine Kabine, damit Judith einen Platz für sich hat. In Atiyas Zimmer schläft Mike. Giordano und François haben gemeinsam einen der großen Lagerräume bezogen.
»Ich glaube, er ist schon bei eurer Patientin.«
»Bei unserer?«
Atiya ist seine Patientin. Mike unterstützt ihn.
»Bei Atiya.«
Yue küsst ihn auf die Wange und schickt ihn los. Michael steht tatsächlich bereits in der Krankenstation und tastet Atiya ab. Jonathan räuspert sich.
»Wie geht es meiner Patientin heute?«, fragt er.
»Nicht schlechter als gestern, aber auch nicht besser. Ich denke, wir sollten unseren Versuch starten. Wenn die Nieren weiter überfordert werden, sind sie irgendwann nicht mehr zu retten, dann müssen wir wirklich transplantieren. Und wer weiß, ob es unter uns jemanden mit den richtigen Gewebe-Merkmalen gibt.«
»Da hast du wohl recht. Irgendwann wird es zu spät sein. Was hast du denn hier?«
»Wir haben Ciclosporin und Azathioprin. Das kombinieren wir mit Steroiden, wie geplant. Ich habe schon ein paar Infusionen vorbereitet. Sollen wir?«
Michael zeigt auf den Beutel, der am Infusionsständer hängt. Das geht ihm alles ein bisschen zu schnell. Aber er kann dem Kollegen auch nicht widersprechen. Es ärgert ihn nur, dass Mike mal eben seinen Job übernimmt. Wie wird er sich verhalten, wenn es schief geht? Wird er sich dann auch vor ihn stellen? Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Er muss mit der Behandlung einverstanden sein, um mehr geht es nicht. Und nach allem, was er weiß, sind die Immunsuppressiva jetzt sinnvoll. Natürlich müssen sie dann um alles in der Welt vermeiden, Atiyas noch künstlich geschwächtes Immunsystem irgendwelchen Erregern auszusetzen. Er muss die Krankenstation zur Quarantänezone erklären.
Jonathan geht zur Rufanlage neben dem Eingang.
»Yue? Eine Bitte. Ab sofort darf außer mir niemand mehr die Krankenstation betreten.«
»Auch Michael nicht?«
»Wir legen Atiyas Immunsystem lahm. Da dürfen wir kein Risiko eingehen. Jeder Mensch ist ein potenzieller Keimträger, also werde ich mich persönlich um sie kümmern müssen.«
»Verstanden. Ich werde das im Zugangssystem vermerken.«
Er dreht sich wieder zur Liege in der Mitte des Raums um. Michael hat sich über Atiya gebeugt und betrachtet sie, als müsse er sie gleich obduzieren. Seinem Gesicht ist keine Regung anzusehen. Dann dreht er sich plötzlich zu ihm, als hätte er seinen forschenden Blick bemerkt.
»Gute Aktion, Herr Kollege«, sagt er, »Gute Aktion! Manchmal muss man konsequent handeln. Ich sehe, das ist dir kein Fremdwort. Das mag ich. Wenn du mich brauchst, weißt du ja, wo du mich findest.«
Michael verlässt die Medizinstation, ohne sich noch einmal umzudrehen. Was wollte er ihm sagen? Der Amerikaner scheint sehr zielstrebig zu sein, aber da ist auch etwas in seiner Persönlichkeit, das ihm Angst macht.