10.3. 2035, Mond-Basis Unity
»Judith?
Mir ist da noch etwas Wichtiges eingefallen.«
»Ja, Yue?«
Sie mag die junge Frau. Sie muss so um die 30 sein. Wenn sie es in die Mond-Mission geschafft hat, muss sie außergewöhnlich gut sein. Die chinesische Raumfahrtagentur ist für ihre harten Auswahlverfahren bekannt. Lange wurden nur Militärangehörige aufgenommen, aber inzwischen haben auch Ausnahmetalente aus dem zivilen Bereich eine Chance. Aber Yue macht darum kein Aufhebens. Sie erledigt einfach ihren Job, und zwar mitdenkend und vorausschauend.
»Es geht um LISA.«
Ihre Wangen werden heiß. »Um Lisa? Hast du etwas von ihr gehört?«
Yue sieht sie verständnislos an. »Lisa? Ich …«
Natürlich. Sie schlägt sich gegen die Stirn. »Entschuldige, Yue. Ich war mit den Gedanken ganz woanders. Meine Frau heißt Lisa.«
»Deine … Frau?«
»Ja, wir haben zwei Söhne. Ich habe nichts mehr von ihnen gehört, seit …«
Ihre Augenwinkel werden feucht. Yue legt sanft die Hand auf ihre Schulter.
»Das muss hart sein. Da habe ich wirklich Glück. Ich habe keine Kinder, und meine Eltern sind früh gestorben. Ich bin in einem Heim aufgewachsen und habe mich immer sehr angestrengt, dort wegzukommen.«
»Das ist dir ja gelungen.«
»Besser als den meisten. Wie heißen deine Söhne?«
Judith ist ihr dankbar, dass sie nicht in der Vergangenheit von ihnen spricht.
»Max und Peter. Sie sind … goldig, aber manchmal auch anstrengend, wie Kinder eben so sind. Ich wollte …«
Sie kann den Satz nicht beenden. Yue umarmt sie. Es fühlt sich gut an. Seit ihrem Start von der Erde hat sie niemand mehr umarmt. Körperkontakt ist wohl nicht möglich, wenn man die einzige Frau an Bord ist. Es könnte immer missverstanden werden. Nein, François ist sehr körperlich, er umarmt jeden. Vielleicht ist er schwul. Aber das ist auch schon wieder ein Vorurteil. Aber sie sollten viel mehr miteinander reden, nicht nur über die Arbeit sprechen, sondern sich wirklich austauschen. Warum ist Mike so geworden, wie er ist?
Die Gedanken lenken sie ab. Judith löst sich aus der Umarmung und putzt sich die Nase.
»Danke, Yue. Was wolltest du wegen des Gravitationswellendetektors?«
»Es sind erst zwei Satelliten gestartet, der dritte hätte Mitte 2035 folgen sollen.«
»Also bringt er uns gar nichts?«
»Doch. Die drei Satelliten sollten ein rechtwinkliges Dreieck bilden. Am wichtigsten ist die Sonde im rechten Winkel, und sie ist bereits erfolgreich stationiert worden. An den beiden anderen Ecken des Dreiecks braucht man nur gut ausgerichtete Spiegel. Einer davon fliegt schon im Orbit, aber der zweite fehlt noch.«
»Verstehe. Wir brauchen einen zusätzlichen Spiegel. Können wir dazu nicht einfach die Sphäre benutzen? Sie reflektiert doch perfekt?«
»Der Spiegel muss exakt so ausgerichtet sein, dass ein eintreffender Laserstrahl zurückgespiegelt wird. Das kann die Sphäre nicht.«
»Können wir so etwas bauen?«
»Das müssen wir gar nicht. Wir haben solche Spiegel für die Laser-Links gelagert.«
»Wo ist dann das Problem, Yue?«
»Eigentlich brauchen wir die Laser-Links für den weiteren Ausbau der Basis. Nachschub von der Erde ist ja nicht mehr zu erwarten.«
»Auf der ARES haben wir so etwas jedenfalls nicht, wenn du das meinst. Die staubige Mars-Atmosphäre würde eine optische Energieübertragung ineffizient machen.«
»Du müsstest Maxim bloß überzeugen, dass wir einen der Spiegel brauchen.«
»Okay, und dann?«
»Dann landen wir auf der Sphäre und befestigen ihn.«
»Warum gerade dort? Ist es nicht unpraktisch, dass die Sphäre mit der Erde rotiert? Dann muss der Spiegel ja dauernd neu ausgerichtet werden?«
»Das kann der Spiegel selbst. Aber wir kennen dann immer seine exakte Position im Raum. Wenn wir ihn hingegen einfach irgendwo in das All platzieren, wird sich seine Bahn unvorhersehbar verändern. Oder habt ihr ein Triebwerk übrig?«
»Leider nicht. Gut, Yue, ich besorge den Spiegel. Dann starten wir übermorgen zur Sphäre. Es wird eine interessante Erfahrung, darauf zu landen.«