23.6. 2035, Mond-Basis Unity
»Happy birthday to you, happy birthday …«
Acht Menschen stehen in der Zentrale und singen ihr ein Geburtstagslied. Judith ist gerührt. Sie hat selbst gar nicht daran gedacht. Ihre Kollegen, die ihr nun der Reihe nach gratulieren, müssen extra früher aufgestanden sein. Mindestens zwei haben jetzt sogar Freischicht. Als letzter steht Maxim in der Reihe, der Kommandant der Basis. Er hält die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Judith will ihm die Hand geben, da holt er hinter seinem Rücken einen Blumenstrauß hervor.
Wahnsinn! Sie nimmt ihm den Strauß ab und hebt ihn an die Nase. Die hübschen, orangeroten Blüten duften, und wie! Es ist überwältigend. Feuchtigkeit steigt ihr in die Augen. Sie kann es nicht verhindern. Judith schluchzt, und Maxim nimmt sie in die Arme. Sie schützt den Strauß mit den Händen. Echte Blumen auf dem Mond! Das kommt ihr wie ein Wunder vor.
»Wie hast du das geschafft?«, fragt sie.
»Es sind Tagetes, in meiner Sprache heißen sie Barchatsi, ich glaube, ihr nennt sie Marigold. Sie sind anspruchslos und brauchen bloß ein bisschen Wärme.«
»Aber dauert das nicht zu lange, und woher kommen die Samen?«
»Die Samen haben wir mitgebracht. Ich habe im März begonnen, sie auszusäen, als klar war, dass wir genug Fläche zum Nahrungsanbau besitzen. Du hattest Glück, dass du die erste bist, die in ihrer Blütezeit Geburtstag hat. Einige haben sich schon gewundert, womit ich mich in der abgesperrten Ecke in Gewächshaus 3 da immer beschäftige.«
»Das ist ein großartiges Geschenk, Maxim, ich danke dir vielmals.«
»Es ist nicht mein Verdienst. Ohne euch alle wären wir nie so weit gekommen. Das hier ist längst ein gemeinsames Projekt.«
Gemeinsam, das klingt gut. Judith sucht nach Michael, doch er ist nicht da. Sollte sie sich Sorgen machen? Nein, entscheidet sie, heute ist nicht der Tag dafür. Sie hält die Blüten noch einmal vor ihr Gesicht. Sie duften so intensiv, wie es ihr auf der Erde nie aufgefallen ist. Es sind einfache Blumen. Sie erinnert sich, sie oft in Parks und Gärten gesehen zu haben. Einen Strauß daraus hat ihr noch niemand geschenkt. Wenn doch jetzt bloß Lisa hier wäre! Sie würde ihr das Geschenk so gern zeigen. Lisa hat die seltene Fähigkeit, sich so richtig intensiv mitzufreuen. Das hat ihre eigene Freude immer noch potenziert.
»Und, wann gibt es Kuchen?«, fragt Jonathan.
Stimmt, es ist ja üblich, dass das Geburtstagskind einen Kuchen ausgibt. Da sie nicht an ihr Jubiläum gedacht hat, hat sie nichts vorbereitet.
François meldet sich. »Heute Nachmittag. Ich habe etwas gebacken«, sagt er. »Ich habe mir schon gedacht, dass du nicht daran denken wirst, Judith.«
Sie atmet tief durch. Bei allem Unglück hat sie auch großes Glück gehabt, vor allem mit den Menschen, die sie hier getroffen hat. Ganz gleich, was die Zukunft noch bringt, allein das ist Grund für Hoffnung.