8.12. 2035, Mond-Basis Unity
Die Beleuchtung flackert. Was war das? Maxim sieht sich um. Die Sonne steht tief, deshalb leuchten die LED-Panele an den Wänden auf höchster Stufe. Er muss sich geirrt haben. Das Flackern schien ihm von allen Seiten zugleich gekommen sein. Aber das ist unmöglich. Die Panele können nicht alle gleichzeitig defekt sein.
Dann kommt das Alarmsignal. Es ist durchdringend und fast schmerzhaft laut. Er kennt es von den Probe-Alarmen. Wayne hat mal gescherzt, der fiepende Laut könne Tote aufwecken.
Er ruft die Zentrale. »Maxim hier, was ist los?«
»Stromausfall«, antwortet Yue. »Ken sucht schon die Quelle.«
»Soll ich reinkommen?«
»Warte mal. Vielleicht brauchen wir dich draußen. Ken kommt gerade in die Zentrale.«
»Kenjiro hier. Die Verbindung zum Kraftwerk ist unterbrochen. Wir laufen auf Batteriestrom.«
»Nicht gut. Wie lange halten die Akkus noch?«, fragt Maxim.
»Etwa drei Stunden«, antwortet Kenjiro. »Aber wenn wir die Gewächshäuser vom Netz trennen, kann die Lebenserhaltung in der Basis noch für zwölf Stunden laufen.«
»Wir trennen die Gewächshäuser auf keinen Fall. Dann verlieren wir sie. Das würde unsere Nahrungsversorgung ernsthaft gefährden.«
»Du bist der Chef, Maxim.«
»Ich fahre sofort hoch zum Kraftwerk. In spätestens drei Stunden haben wir wieder Strom.«
Hoffentlich verspricht er da nicht zu viel. Er weiß ja noch nicht einmal, wo der Fehler liegt. Er wird improvisieren müssen. Aber die Gewächshäuser abschalten, das darf nicht passieren, das würde sie um Monate zurückwerfen.
»Darf ich dich daran erinnern, dass wir nur zu zweit unterwegs sein dürfen?«
»Ja, Ken, du hast recht.«
Als Kommandant sollte er sich besser an seine eigenen Regeln halten.
»Ist denn gerade jemand draußen? Es dauert zu lange, bis sich jemand aus der Basis in Schale geworfen hat. Dann würde ich schon mal losfahren.«
»Mike ist in Gewächshaus 7.«
Ausgerechnet der Amerikaner. Der Arzt wird ihm bei der Reparatur des Schadens kaum helfen können.
»Okay, besser als nichts. Dann soll er schnellstmöglich herkommen.«
»Ich bin schon fast da«, meldet sich Michael.
Oh, hat er etwa zugehört? Er hat auf dem offenen Kanal mit der Basis gesprochen. Egal. Maxim läuft gebückt zum Ausgang, legt den Raumanzug an und schleust sich aus. Im selben Moment fährt der große Rover vor. Mike steigt ab.
»Hier, Chef«, sagt er. »Ich habe mal sicherheitshalber ein komplettes Reparaturset auf die Ladefläche gepackt.«
»Sehr gut«, sagt Maxim.
Mit dem Amerikaner scheint doch etwas anzufangen sein. Immerhin denkt er mit. Maxim steigt auf den Fahrersitz und lässt den Elektromotor an.
»Besser als nichts, was?«, sagt Michael und setzt sich hinter ihn.
Sie brauchen gut eine Stunde bis zum Kraftwerk auf dem Gipfel des Mons Malapert. Maxim ist froh, dass er Wayne seinen Willen gelassen hat. Er selbst fand den Ausbau der Straße immer sinnlos und hat Wayne unterstellt, das Vorhaben vor allem für sich selbst auf den Plan gesetzt zu haben.
Er stellt den Rover neben dem Feld mit den Solarflächen ab. Auf den ersten Blick scheint alles wie immer. Es würde lange dauern, jedes einzelne Solarpaneel zu kontrollieren. Aber das ist auch nicht nötig, denn ein einzelner Defekt dort würde bloß die Leistung des Kraftwerks verringern. Maxim geht zielstrebig auf den Verteiler zu. Neben dem Laser-Link kommt er am ehesten als Verursacher des Problems in Frage.
Dass er richtig liegt, erkennt er schon aus fünf Metern Entfernung, obwohl der Verteiler gerade im Schatten der Schutzhütte steht. Rund um das Gerät, schon außerhalb der harten Schattengrenze, haben sich glänzende Reste verteilt, die wie Elektroschrott aussehen. Es scheint eindeutig, was hier passiert ist. Maxim leuchtet den Verteiler mit dem Helmscheinwerfer an.
»Mann, das Ding hat es ja ganz schön erwischt«, sagt Mike.
Maxim erschrickt. Den Amerikaner hatte er ganz vergessen. Der erneute Meteoritentreffer könnte eine Katastrophe darstellen. Bei den letzten Zwischenfällen wären zwar beinahe Menschen getötet worden. Aber diesmal könnte es ihnen allen an den Kragen gehen. Ohne die Energie des Solarkraftwerks stirbt die Basis.
Er muss sich zusammenreißen. Noch ist es nicht zu spät. Er kann sogar die Gewächshäuser retten, wenn er sich beeilt.
»Maxim an Zentrale, hört ihr mich?«
»Wir hören«, sagt Yue. »Alle sind in der Zentrale versammelt.«
»Der Verteiler hat einen Treffer abbekommen. Ich versuche, ihn zu reparieren.«
»Viel Erfolg!«
»Danke, das kann ich brauchen.«
Maxim stürzt sich auf den Verteiler.
»Leuchtest du mir bitte, Mike?«
»Gern, dann bin ich wenigstens zu etwas nütze.«
Mike erledigt seinen Job sehr geschickt, das muss er ihm lassen. Leider zeigt sich die Katastrophe dadurch erst in ihrem ganzen Ausmaß. Der Einschlag hat den Verteiler in einem zentralen Bereich getroffen. Der Kern sieht aus, als wäre er von innen heraus explodiert. Maxim muss an die Filmszene denken, in der ein neu geborenes Alien den Bauch seines Wirtes sprengt. Dass ein simpler Kiesel aus dem All eine solche Wirkung entfalten kann? Das Loch, das der Meteorit im metallenen Deckel des Verteilers geschlagen hat, ist nur etwa drei Zentimeter groß.
Es hilft nichts. Er muss den Kern herausnehmen und komplett neu verdrahten. Maxim winkt Mike zu und zeigt auf den Rover. Sie schleppen gemeinsam das Reparaturset heran. Es enthält alles, was man sich als Handwerker wünschen kann, unter anderem auch jede Menge Panzertape. Aber jetzt braucht er Kabel, Kabel und nochmals Kabel. Gut, dass der Verteiler zumindest keine ausgefuchste Elektronik besitzt, es ist gute, alte Elektrotechnik, bei der man mit einem Lötkolben noch allerhand erreichen kann. Mike bringt ihm ein Verlängerungskabel. Strom für den Lötkolben liefert der Rover. Maxim macht sich an die Arbeit.
»Maxim? Yue hier.«
»Was ist? Ich bin gerade ziemlich beschäftigt.«
»Ich will dich nicht aufhalten, aber die Akkus haben nur noch für eine halbe Stunde Energie.«
Er sieht kurz auf seine Arbeit. Bisher ist er nicht einmal zur Hälfte fertig.
»Ich beeile mich«, sagt er. »Bitte steigt so lange in eure Raumanzüge.«
»Brauchst du Hilfe? In 30 Minuten schaffen wir es nicht bis auf den Gipfel.«
»Nein, hier ist gar nicht genug Platz, damit zwei Leute an dem Verteiler arbeiten könnten. Ich muss euch bitten, die Lebenserhaltung in der Station zu deaktivieren. In den Anzügen haltet ihr es einen Tag lang aus. Die Pflanzen in den Gewächshäusern sind nach zehn Minuten Kälte und Vakuum tot, der Boden nach drei, vier Stunden.«
»Verstanden. Wir schalten die Lebenserhaltung so schnell wie möglich ab. Das verschafft dir etwa eine Stunde Puffer.«
»Ich danke für euer Verständnis. Maxim out.«
Eine Stunde, das ist definitiv zu wenig. Er bräuchte etwa die doppelte Zeit. Mist. Dann kann er eigentlich auch gleich aufgeben. Aber nein, sie brauchen auf jeden Fall wieder Energie.
»Klingt nicht gut«, sagt Mike. »Ich habe zwar keine Ahnung, aber es sieht so aus, als wärst du nicht einmal halb fertig.«
»Gut beobachtet.«
Maxim würde sich jetzt gern den Schweiß von der Stirn wischen. Er lötet, so schnell er kann, aber im Vakuum und bei schlechter Beleuchtung ist er nicht so schnell wie im Labor.
»In der Herzchirurgie haben wir auch manchmal das Problem, dass wir mit Reparaturen nicht mehr weiterkommen«, sagt Mike. »Wenn zu viele Gefäße verschlossen sind und wir zehn Stents bräuchten, oder mehr.«
»Okay.«
Er könnte sich besser konzentrieren, wenn Mike ruhig wäre, aber er will ihm nicht sofort über den Mund fahren. Vielleicht merkt der Amerikaner ja, dass er sich nicht unterhalten will.
»In solchen Fällen greifen wir dann auf eine andere Methode zurück, wir legen einen Bypass. Dazu benutzen wir am liebsten eine Arterie aus der Brust des Patienten, die er nicht unbedingt braucht. Der Bypass entlastet das Herz, und es wird wieder besser mit Sauerstoff versorgt.«
Warum erzählt er ihm das ausgerechnet jetzt? Ein Bypass … wäre das auch eine Option für den Verteiler? Wenn er den Output mehrer Solarpaneele direkt mit dem Ausgang des Verteilers verbindet und das Herz dabei umgeht, würde in der Basis schneller wieder Strom fließen. Es wäre nicht die volle Leistung, aber es könnte genügen, um die Gewächshäuser zu retten.
»Wenn das klappt, Mike, bist du der größte«, sagt er.
Das ging flott. Jeder Elektriker würde beim Anblick seiner laienhaften Arbeit zwar einen Herzinfarkt bekommen, aber wenn er den improvisierten Schalter umlegt, hat die Basis wieder Strom.
»Maxim an Basis, hört ihr mich?«
»Yue hier. Die anderen sind schon draußen. Die letzte macht das Licht aus, das bin ich.«
»Das brauchst du nicht. Ich habe eine Notlösung gebastelt. In dieser Sekunde«, er dreht den Schalter um 90 Grad, »habt ihr wieder Energie.«
»Ah, sehr gut, ja, ich kann das bestätigen. Was immer du da gemacht hast, es war eine gute Idee.«
»Genau genommen war es Mikes Einfall.«
»Ich wusste gar nicht, dass der Doc sich auch in Elektrotechnik auskennt. Wann seid ihr zurück in der Basis?«
»Bisher läuft nur ein Provisorium. Ich muss mich jetzt noch an die eigentliche Reparatur machen. In vier bis fünf Stunden müssten wir wieder da sein.«