5.2. 2036, Mond-Basis Unity
»Heute sind dann die letzten beiden Gewächshäuser an der Reihe, Nummer 5 und Nummer 7.«
Wie immer verteilt Yue am Morgen die Arbeit. Es ist gar nicht so einfach, eine bewohnte Basis in ein Raumschiff zu verpacken. Das Leben muss ja weitergehen. Also haben sie immer abwechselnd eines der Gewächshäuser abgebaut, um dann die nun nicht mehr benötigten Sonnenkollektoren aus dem Kraftwerk zu holen. Doch einiges werden sie hierlassen müssen. Die Astronauten brauchen ja bis zur letzten Sekunde Strom und Sauerstoff.
Jonathan marschiert zu Gewächshaus 5, für das er eingeteilt ist. Er ist nicht der erste. Maxim steht bereits vor der transparenten Hülle und betrachtet seine Blumen. Nach dem Einschlag hatte er seinen Blumengarten in Gewächshaus 5 eingerichtet.
»Kann ich dir helfen?«
»Danke, John.«
Maxim dreht sich zu ihm. Jonathan bemerkt, dass sein Gesicht nass ist. Der Kommandant hat geweint! Etwa um seinen Garten? Wenn sie den Strom abschalten, wird hier alles zu grauem Staub verdorren.
»Gibst du mir hier noch etwas Zeit? Ich will mich … verabschieden«, bittet Maxim.
»Verstehe. Klar, ich helfe einfach so lange in Gewächshaus 7.«
»Hau-ruck!«
Wayne gibt das Kommando, und sie zerren gemeinsam an dem Stahlseil, das am transparenten Dach festgemacht ist. Die einzelnen Teile sind miteinander verschweißt. Wayne musste sie zuvor mit einer elektrischen Kreissäge wieder voneinander trennen. Die dünne, kohlendioxidreiche Luft entweicht bereits aus dem Innenraum. Jonathan sieht, wie die Pflanzenreste verwelken.
Das Dachteil löst sich und kommt ihnen entgegen. Eine dünne, weißliche Wolke folgt ihm, der Rest der Luftfeuchtigkeit, der sofort gefroren ist. Wayne fängt die Dachfläche auf und legt sie auf einen Stapel mit den Resten von Gewächshaus 4, das sie gestern zerstört haben. Judith wird nachher wieder alle eingesammelten Rohstoffe mit dem Landemodul zur ARES in den Orbit befördern.
Die Pflanzen verlieren ihre Farbe. Das Vakuum lässt sie gefrieren und entzieht ihnen dabei jegliche Feuchtigkeit. Jetzt verändert sich auch der Boden des Gewächshauses. Aus dem satten, fast glänzenden Schwarz wird das gleiche Grau, das den Mond prägt. Jonathan bückt sich und nimmt eine Probe. Der Boden haftet noch aneinander, lässt sich aber wie verwitterter Sandstein ganz leicht mit den Fingern zerbröseln. Sie haben gerade einen Massenmord an Millionen Bakterien begangen, die den Boden besiedelt hatten. Aber sie werden nicht aussterben, denn sie haben ihre eigenen Archen – das Verdauungssystem der Menschen. So werden sie bald mit ihnen zusammen den Mars besiedeln.
Falls Mikes großes Projekt scheitert, weil niemand Urmutter und Urvater werden will, werden es diese Bakterien in den neu erbauten Gewächshäusern sein, die von der Menschheit übrigbleiben. Auch von ihnen werden viele sterben, aber einige werden sich anpassen und unter den widrigen Bedingungen überleben. Geht es so gerade den Menschen auf der Erde? Bleiben am Ende die übrig, die mit der Dunkelheit am besten zurechtkommen? Er wird es nie erfahren, denn in drei Tagen werden sie zum Mars starten.
»Fertig«, sagt Wayne.
Wo vorher in Gewächshaus 7 Kohlrabi und Spinat gewachsen sind, ist nur noch eine graue Fläche, die wie ein Bauerngarten im Winter aussieht.
»Maxim wird bei Gewächshaus 5 Hilfe brauchen«, sagt Jonathan.
»Dann helfen wir ihm.«
Sie laufen zu Gewächshaus 5. Es ist bereits zur Hälfte demontiert.
»Ah, schön, dass ihr kommt«, sagt Maxim.
Jonathan sucht nach den Überresten der Blumen, aber da ist nur hellgraue Erde. Maxims Laune scheint sich aber trotzdem gebessert zu haben.
Mit einem Quietschen öffnet sich die innere Schleusentür der Basis. Jonathan riecht es bereits, während er noch den steilen Gang nach unten läuft. Es duftet intensiv nach Blumen. Und dann sieht er sie auch schon. Sie sind überall verteilt, in den Gängen, in der Zentrale, im Labor und in der Werkstatt.
Maxim hat seinen Garten vorübergehend in die Zentrale verlegt. Es ist ein großartiger Anblick. Er fühlt sich wie in einem Blumengarten. Jonathan bemüht sich, sich alles fest einzuprägen, denn in den nächsten Jahren wird er nie wieder so viele bunte Farben und herrliche Düfte auf einmal erleben können. Unwillkürlich hat er Tränen in den Augen. Er zieht sich in seine Kabine zurück. Jetzt braucht er Zeit für sich. Und auch dort hat Maxim einen großen Astern-Strauß platziert.