Kapitel 5

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich quer über meinem Bett, die Daunendecke auf dem Boden, und hatte noch einen hochhackigen Schuh an. Ich hatte den Eindruck, dass meine Kopfschmerzen weit schlimmer waren und von einem Kater stammen könnten. Bei meinem Glück war dies möglicherweise das erste Anzeichen für einen Hirnschaden, da ich mich versehentlich dazu hatte hinreißen lassen, mehrere Liter Wein zu trinken. Doch es kümmerte mich nicht. Ich wollte sterben. Ich duschte, aber das half nicht viel. Dann nahm ich zwei Scheiben Toast und einen Becher Kakao als Frühstück zu mir – was noch weniger hilfreich war.

Ich füllte Joeys blaue Glasschüssel mit Trockenfutter für Katzen – ich wusste, dass mich der Geruch des Dosenfutters kotzen lassen würde – und blieb in der Küche neben ihm stehen und sah ihm beim Essen zu. Er war eine gute Katze. So hübsch, so treu ergeben und liebevoll. Und all diese guten Eigenschaften unterschieden ihn von Andrew. Nun ja, diese Qualitäten und die Streifen. Joey schaute zu mir hoch, als er fertig gegessen hatte, und drängte seinen seidenen Körper an meine Beine und schnurrte wie ein kleiner Traktor.

Ich schüttete den Inhalt meiner Handtasche auf dem Küchentresen aus und nahm meinen schwarzen Terminkalender. Als ich die Seite überblickte, sah ich, dass alle meine Termine an diesem Tag in Honan Terrace stattfanden. Der Tote im Wohnzimmer machte offenbar neugierig – vielleicht sollten einige der anderen Verkäufer sich überlegen, jemanden in den Häusern, die sich nicht verkauften, ermorden zu lassen.

Ich nahm Joey hoch, legte ihn wie eine getigerte Stola um meine Schultern und suchte und fand meine schwarzen Lieblingssandalen. Ich hatte schon ewig nach diesen Sandalen gesucht und war einfach nicht auf die Idee gekommen, mal hinter der Waschmaschine nachzusehen. Wie sie dorthin geraten waren? Egal, es war einfach toll, dass ich sie gefunden hatte, weil nichts anderes wirklich zu den Hosen passte, die ich trug. Ich sah es als gutes Omen an, dass mir letztlich einige Dinge doch gelangen.

Ich öffnete für Joey das schmale Fenster über dem Balkon. Dann griff ich mir die Handtasche, verließ das Apartment und fuhr in die Tiefgarage. Mein Magen hob sich bei jedem Holpern des Fahrstuhls. Als ich die Tür zur Tiefgarage öffnete, erkannte ich sofort, dass von dem rosafarbenen Hyundai nichts zu sehen war. Selbst in dem typischen Dämmerlicht der Tiefgarage zog mein Wagen die Aufmerksamkeit auf sich wie ein Furunkel an der Nasenspitze.

In meinem Kopf hämmerte es, und ich zog Paracetamol aus meiner Tasche und würgte eine Tablette hinunter. Was war denn das für eine Strafe? Welch schreckliche Sünden hatte ich begangen, dass Gott mich damit strafen musste, dass er jemanden meinen rosafarbenen Hyundai hatte stehlen lassen? Selbst als ich dachte, dass ich wusste, dass das nicht wahr war – niemand, der fähig war, ein Schloss zu knacken, würde so wenig Selbstachtung haben, um mit einem rosafarbenen Wagen herumzufahren. Er war nicht gestohlen worden, das war gar nicht möglich.

Und dann erinnerte ich mich. Draußen vor dem Restaurant. Er stand noch immer vor dem Restaurant. Ich hatte nicht die Absicht gehabt, zu trinken, doch dann hatte sich alles verändert, als Andrew und die goldene Amazone hereinkamen. Das Auffinden der schwarzen Sandalen konnte das nicht ausgleichen.

Vage erinnerte ich mich an ein Taxi und dass India etwas über eine Stufe gesagt hatte, auf die ich achten sollte, und dass ich zu weit gegangen war, um sie zu fragen, was sie meinte, und dann selber danach suchte und nicht in der Lage war, sie zu finden. Als ich allerdings jetzt darüber nachdachte, wurde mir klar, dass sie wahrscheinlich den Fußweg meinte, auf dem ich hingefallen war, sobald ich aus dem Taxi gestiegen bin. Ich zog das Hosenbein hoch, und siehe da, es prangte ein großer Bluterguss auf meinem rechten Schienbein. Wieso hatte ich das unter der Dusche nicht bemerkt? Verdammt noch mal.

Ich schaute auf die Uhr. Halb neun, und soweit ich mich an das Gekritzel in meinem Terminkalender erinnerte, sollte ich gegen neun Uhr bei Honan Terrace sein. Scheiße. Ich wollte mich auf den mit Öl verdreckten Betonboden legen und so lange schlafen, bis ich entweder tot oder auf dem Weg der Besserung wäre. Doch das konnte ich nicht. Also schlang ich mir die Tasche über die Schulter und lief voller Selbstmitleid los. Das Tosca war nah genug, dass ich dorthin gehen konnte, um den Wagen zu holen, und es trotzdem noch rechtzeitig zu meinem Kunden schaffen würde. Zumindest hoffte ich, dass ich das könnte.

An dem einzigen Morgen in meinen Leben, an dem ich ein bewölktes und bedecktes Wetter hätte haben wollen, beschloss die Sonne, zu scheinen, als würde der Sonnenschein bald aus der Mode kommen. Mein Scheitel kochte, als ich die staubigen Straßen entlanglief. Doch selbst die Hitze und der unerträgliche Schmerz, der sich anfühlte, als sei mein Kopf mit Glas gefüllt, konnten nicht die Bilder von Andrew und Andrews verdammten Lippen und Andrews dummer langbeiniger Freundin in meinem Kopf vertreiben. Warum war er überhaupt nach Hause gekommen? Er hing mir zum Hals raus. Warum war er nicht in England geblieben und hatte ein Imperium aufgebaut, das er dort aufzubauen versucht hatte, weit weg von mir.

Nicht, dass ich mich noch für ihn interessierte. Das tat ich nicht. Ich hatte Recht behalten, was ihn anging, und es war richtig gewesen, mich von ihm zu trennen. Klar hatte er mir erklärt, dass ich die Einzige gewesen war – aber das sagen die Kerle doch immer, oder nicht? Sie sagen einem, dass sie uns lieben, um das zu bekommen, was sie wollen – Sex oder Geld oder was auch immer sie haben wollen (es muss Sex gewesen sein, auf den Andrew aus war, denn ich war immer ziemlich pleite gewesen). Was auch immer er gewollt hatte, ich konnte jetzt deutlich erkennen, dass das alles nur Theater gewesen war. All dieses »ich liebe dich«, und all der Schmerz, als wir uns trennten.

Das machte mich so wütend. Ein Teil von mir hatte sich zwei ganze Jahre lang total bescheuert gefühlt. Die Sorge, dass er mich wirklich liebte, die Angst, dass ich ihm wirklich das Herz gebrochen hatte, der Ausdruck auf seinem Gesicht, als es passierte, war nur ... irgendwie, was spielte es für eine Rolle: Die Beziehung war eine einzige Lüge gewesen. Ein Theaterstück. Und ich hatte wirklich geglaubt, dass er mich geliebt hat, während ich mich die ganze Zeit seinen Plänen anpasste. Jetzt war mir klar, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis er mich fallengelassen hätte. India hatte Recht. India wusste schon immer, wie er war. Und sie hatte es auch immer gesagt. Sie wusste, dass Menschen, die so getrieben und ehrgeizig wie Andrew waren, in ihrem Leben keinen Raum für die Liebe hatten. Sie benötigten wirklich nur schmückendes Beiwerk. Nun, er hatte in Davina Blake tolles Beiwerk gefunden.

Ich jagte meinen schmerzenden Körper um die Ecke bei dem Restaurant und wurde von der Sonne begrüßt, die von der rosafarbenen Motorhaube meines Hyundai reflektierte. Zum ersten Mal, seit Onkel Gerry ihn mir angedreht hatte, zogen sich bei seinem Anblick meine Eingeweide nicht vor Verlegenheit zusammen. Wenn überhaupt, war ich irgendwie froh, seine fröhliche Lippenstiftfarbe zu sehen, die mir entgegenleuchtete. Ich tätschelte sein Dach, öffnete die Tür und setzte mich hinein. Zehn vor neun, sagte mir die Uhr am Armaturenbrett. Gott, ich würde mich bei meinem ersten Kunden verspäten.

Ich ließ den Motor an, fädelte mich in den zähflüssigen Morgenverkehr ein und kam wundersamerweise relativ schnell voran und hielt schließlich um fünf vor neun vor Honan Terrace. Ich rannte die kurze Auffahrt hinauf und ging in das leere Haus hinein, ohne an etwas anderes zu denken, als an die Tatsache, dass ich es hasste, zu spät zu kommen. Ich schloss die Haustür hinter mir und sah die Rosentapete und roch den Geruch des Desinfektionsmittels öffentlicher Toiletten. Dann erinnerte ich mich daran, was geschehen war und dass ich ganz allein im Haus war. Und meine Gedanken kehrten zurück zu dem Tag, an dem Andrew und ich Jérôme Daly gefunden hatten.

»O Gott!«, murmelte ich, als mir das Herz bis zum Hals klopfte. Ich machte kehrt, öffnete die Tür und trat wieder in den Sonnenschein hinaus. Das war besser. Gras. Bäume. Vögel. Autos. Lebendige Menschen. Außerdem würde es dem Kunden gefallen, wenn er mich im Vorgarten warten sah, sagte ich mir, als ich mich auf eine schmiedeeiserne Bank setzte. Sehr amerikanisch.

Die Sonne wurde wärmer, und meine Kopfschmerzen hatten sich auf ein erträgliches Maß verringerte, dank des Schmerzmittels. Hübscher Garten, dachte ich. Ein wunderbarer Rosenduft umschmeichelte mich, und ich schloss die Augen. Nur für eine Minute. Nur, um den Sonnenschein und die Blumen zu genießen. Nur, um meine Augen auszuruhen. »Hallo?«, hörte ich im Traum jemanden sagen. Es war ein herrlicher Tag, zu schön, um zu arbeiten. Ich sollte wirklich am Strand sein. »Hallo?«, sagte die Stimme wieder. Eine angenehme Stimme, und es war nur fair, dass ich von einer angenehmen Stimme träumte. Tief. Warm. Die Stimme eines Mannes. O Himmel!

Ich öffnete die Augen.

Neben mir auf der Bank saß ein großer Mann mit modisch geschnittenen Haaren, dunkelbraunen Augen und der leicht gebräunten olivfarbenen Haut eines Spaniers. Er lächelte, als ich ihn anschaute. Bildete ich ihn mir nur ein? Riefen Hirnschäden Halluzinationen hervor? Wenn ja, dann waren sie bisher sehr angenehm.

»Tony Jordan«, sagte die Halluzination.

Recht guter Name, dachte ich, als ich seinen Hals anschaute. Auch ein recht guter Hals.

»Tony Jordan?«, fragte ich laut. Einfach, um es auszuprobieren.

Der Mann nickte und lächelte wieder. Was für ein Lächeln. Ebenmäßige weiße Zähne in einem Mund, der genauso perfekt war. Nicht zu groß und nicht zu klein. Sinnlich, aber nicht anzüglich. Ich genoss diese Halluzination.

»Stimmt«, sagte er. »Kann ich das Haus anschauen?«

Oh mein Gott! Er war echt. Ich setzte mich auf und riss die Augen auf, als ob das helfen würde, schneller aufzuwachen. Mist, ich würde niemals wieder trinken. Zumindest nicht an einem Sonntagabend. Nicht, wenn ich ein Immobilien-Magnat sein und über Andrew Kenny herrschen wollte. »Oh, richtig. Es tut mir Leid, Mr. Jordan. Okay, großartig. Wunderbar, Sie kennen zu lernen. Ich heiße Ellen Grace. Nett, Sie zu treffen. Ich habe hier auf Sie gewartet. Ich habe kein Auto kommen hören.«

Lieber Gott, ich konnte es nicht glauben. Ich habe kein Auto kommen hören? Was erzählte ich denn da? Würde er mich für unhöflich halten? Würde er glauben, dass ich andeutete, dass er zu arm war, um sich einen Wagen leisten zu können? Das würde auf mich zutreffen, die Frau mit einem rosafarbenen Hyundai, den niemand haben wollte.

Tony Jordan nickte, lehnte sich zurück und streckte sich wie eine Katze. »Ich bin zu Fuß gekommen. Es ist so ein herrlicher Tag, und da ich ja nur vom Nebenhaus herüberkommen musste ...«

Ich sah ihn an, als er sprach, und versuchte herauszufinden, was er sagte. Schließlich kämpfte sich der Schlüsselsatz durch den Dunst aus Restalkohol, Paracetamol und Schmerz, der meinen Geist umnebelt hatte.

»Nebenhaus?«, fragte ich. »Sie wohnen nebenan?«

Tony Jordan lächelte ein sich langsam ausbreitendes Lächeln wie Butter auf einem heißen Sauerteigfladen. Er schüttelte den Kopf. »Ich wohne nicht dort, aber es gehört mir.«

»Oh«, sagte ich und war bemüht, mich auf Wörter zu beschränken, die nichts aussagten.

Sein Gesicht wurde ernst, und er beugte sich ein wenig vor, während er mir in die Augen sah. »Jérôme Daly war ... nun, wie ein Vater zu mir. Das Nebenhaus hier gehörte ihm. Er hat es mir hinterlassen, als er getötet ... als er starb.«

»Oh Gott, Mr. Jordan ... es ... es tut mir wirklich Leid. Ich wusste nicht ... mir war nicht klar.«

Tony Jordan seufzte. »Woher sollten Sie es auch wissen?«

Er schaute zur Seite, saß vornüber gebeugt da und stützte seine langen, schmalen Hände auf seinen langen, schönen Oberschenkeln ab. Er blickte auf das Kopfsteinpflaster unter seinen Füßen hinunter.

»Daher wollte ich mir dieses Haus ansehen. Ich will es vielleicht kaufen. Ich ... nun, ich wohne ein wenig abseits, aber ich dachte, ich könnte vielleicht in Jérômes Haus ziehen. Es war sein Stolz und seine Freude, und er hat es mir hinterlassen.«

Er schwieg, als ob er sich an etwas erinnerte, und fuhr sich mit einer langfingrigen Hand durch das Haar, während er in die Ferne schaute.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll. Vielleicht werde ich hier leben. Ich weiß es nicht. Leider sind diese Häuser sehr hübsch, aber ein bisschen klein, und ich bin an ein größeres Haus gewöhnt. Ich dachte, ich schaue mir Mrs. Harris' Haus an. Sie und Jérôme waren enge Freunde.«

Tony Jordan schwieg, dann drehte er sich mir zu und sah mich an. Mein Atem stockte eine Sekunde lang angesichts der Intensität seines Blicks. Seine Augen waren so dunkel, dass sie eher schwarz als braun waren, und der traurige Ausdruck auf seinem Gesicht ließ mich so sehr wünschen, ihn zu berühren, dass ich mich auf meine Hände setzte.

»Hm«, machte ich.

Er wandte den Blick ab.

»Mir tut Ihr Verlust sehr Leid«, sagte ich, riss mich zusammen, bis das Mitgefühl, das ich spürte, gewichtiger war als die Begierde.

»Danke.«

»Nein«, sagte ich, »es ist wirklich entsetzlich, jemanden zu verlieren, den man liebt, und vor allem auf solch schreckliche Weise.«

»Sind Sie die Frau, die ihn gefunden hat?«, fragte Tony und sah mich wieder an.

Ich nickte.

»Sie waren mit jemandem zusammen, nicht wahr? Jedenfalls hat die Polizei das gesagt.«

»Andrew. Andrew Kenny. Der Gebietsmanager.«

»Es tut mir Leid«, sagte Tony Jordan.

»Mir auch«, sagte ich. »Er ist eine ziemliche Nervensäge.«

Tony Jordan lachte, und der traurige Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht, doch tief in seinen Augen war noch immer ein gewisser Schmerz zurückgeblieben.

»Wollen wir hineingehen und uns umsehen?«, fragte er.

Ich nickte, ging vor ihm her, öffnete die Tür und führte ihn ins Haus, während ich das köstliche Gefühl hatte, dass er ständig hinter mir war. Sobald wir drinnen waren, standen wir uns in der von Sonnenstrahlen getüpfelten Diele gegenüber.

»Gut«, sagte ich, »wo möchten Sie anfangen?«

Tony Jordan öffnete und schloss seine wundervollen Augen ein paar Mal.

»Ellen?«

»Ja?«

»Nach allem, was hier geschehen ist ... Sie wissen, mit Jérôme und allem anderen, würden Sie etwas dagegen haben, wenn ich mich allein umsehen möchte?«

Ich schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Soll ich in der Küche oder irgendwo anders warten?«

»Oder im Garten, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Es ist einfach so, dass es aus unerfindlichen Gründen wichtig für mich ist, hier etwas Zeit zu verbringen, wo Jérôme seine letzten Minuten verbracht hat, und es ist nicht nötig, mich beidem Rundgang zu begleiten. Das Haus ist eine Kopie von Jérômes Haus, und sein Haus kenne ich wie meine Westentasche. Ich bin ja praktisch dort aufgewachsen.«

»Möchten Sie, dass ich für eine Weile weggehe?«, fragte ich. »Dann können Sie hier tun, was Sie tun müssen, und danach die Tür einfach hinter sich zuziehen. Schließlich gibt es hier nichts für Sie zu stehlen – was nicht heißen soll, dass Sie irgendetwas stehlen würden –, Sie verstehen schon, was ich meine ...«

Tony Jordan schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig, und überhaupt« – er schaute zu Boden und dann wieder zu mir auf – »würde ich es schön finden, wenn Sie auf mich warten würden. Wenn Sie nichts dagegen haben, natürlich nur, wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe bereitet.«

»Mit dem größten Vergnügen«, sagte ich, und selten habe ich irgendetwas so ernst gemeint. Diesmal konnte ich dem Drang, ihn zu berühren, nicht widerstehen. Ich streckte die Hand aus und legte sie auf seinen Arm. »Ich werde draußen warten, und Sie können mich rufen, wenn Sie mich brauchen.«

»Danke«, erwiderte er, lächelte mich an und wandte sich dann mit entschlossener Miene ab.

Warum sollte er nicht entschlossen aussehen, dachte ich, als ich leise das Haus verließ und meinen Platz auf der Gartenbank wieder einnahm. Es musste schwer sein, sich den eigenen Dämonen zu stellen, und durch ein Haus zu gehen, in dem jemand, den man geliebt hat, ermordet worden war. Ich bewunderte solch einen Mut. Das, und einen guten Körper, und Tony Jordan hatte beides.

Während ich auf der Bank saß und über den Mann im Haus nachdachte, wühlte ich in meiner Handtasche nach meinem Terminkalender. Um halb elf hatte ich meinen nächsten Termin. Das war ein Glücksfall, dachte ich und lehnte mich auf meinem Platz zurück, weil ich schon wieder von der warmen Sonne verführt wurde. Tony Jordan würde genügend Zeit haben. Was für ein Mann, dachte ich, als mein Körper schwerer und schwerer wurde und ich begann, in diesen wundervollen, halbwachen Zustand zu gleiten, während in der Ferne der Verkehr vorüberfuhr und ein Vogel in der Nähe sang. Alles in allem war das kein schlechter Job. Man lernte interessante Menschen kennen – wie Tony Jordan. Er war interessant. Wahrscheinlich hatte er drei Kinder, die zusätzlich Raum brauchten, um mit ihrem gut aussehenden Dad herumtoben zu können. Drei Kinder und ein Supermodel als Ehefrau, und ich wettete, dass sie glücklich bis in alle Ewigkeit lebten.

Ich musste wieder eingedöst sein, denn das Nächste, was ich hörte, war Tony Jordan, der meinen Namen sagte.

»Sie sind wie eine Katze«, meinte er, als ich die Augen öffnete.

»Wie bitte?«, fragte ich und bemühte mich, mich auf sein Gesicht zu konzentrieren, das einmal mehr neben mir auf der Bank auftauchte.

»Sie können nicht widerstehen, in der Sonne zu dösen.«

»Oh«, sagte ich und erinnerte mich dann. »Wie sind Sie klar gekommen?«

Er atmete tief ein. »Gut. Gut. Es war ... na ja ... ein wenig schwierig. Ich bin nicht sicher, ob ich schon alles hinter mir habe, aber ich bin froh, dass ich mich umschauen konnte. Warum ist das Haus so leer? Sicherlich hatte Mrs. Harris weit mehr Sachen als diese?«

»Hatte sie auch. Sie sind eingelagert worden. Ihrem Sohn Daniel gehört jetzt das Haus, und er lebt in Spanien, und nach all der Aufregung ... Sie wissen schon ... mit dem armen Jérôme, hatte er Spezialisten bestellt, damit sie all ihre Sachen hinausschaffen, einlagern und das Haus reinigen sollten.«

Tony Jordan nickte, während ich sprach. »Gute Idee.«

»Ja, es ist eine gute Idee.«

»Es ist ein hübsches Haus.«

»Ja«, sagte ich. »Gefällt es Ihnen?«

Er nickte.

»Wenn Sie beide Häuser besäßen, würden Sie die Trennwände durchbrechen und alles zu einem einzigen großen Haus machen? Ist das Ihr Plan?«

Tony Jordan nickte wieder. »Etwas in der Art.«

»Und würde es dann groß genug sein? Ich meine, für Sie alle. Würden Sie genügend Platz haben?«

»Uns alle?«

»Ihre Familie. Wie viele Schlafzimmer würden Sie, zum Beispiel, benötigen?«

»Eines«, sagte er.

»Eines«, wiederholte ich.

»Ich bin allein«, sagte er.

»Oh«, erwiderte ich und war aufgeregt, da er meine unausgesprochene Frage beantwortet hatte. »Es ist immer gut, wenn man zusätzlichen Platz für Besucher hat. Verwandte kommen und bleiben. Freunde. Wer auch immer. Vielleicht auch Fremde?«

Ich lachte, weil ich so nervös war, dass ich mich nicht stoppen konnte. Mein Tim Gladstone special. Ein lautes, raues Lachen mit einem durchdringenden Ton am Schluss. Mein Herz sank. Der unglaublich gut aussehende und interessanteste Mann, den ich je kennen gelernt hatte seit – oh, ich weiß nicht, vielleicht mein ganzes Leben lang? –, stand direkt vor mir, und er war nicht nur all das, sondern er war auch – wundersamerweise – ungebunden. Ich hätte ihn verführen können. Nun, vielleicht hätte ich das nicht gekonnt, aber ich hätte es wenigstens versuchen können. Aber nein. Stattdessen hatte ich ihn beleidigt, war eingeschlafen und hatte mich ganz allgemein zum Narren gemacht.

Ich hob die Hand, um mein Haar zu betasten. Struppig am Hinterkopf– das kam von dem Eilmarsch durch die Straßen, als ich mit nassem Haar meinen Wagen gesucht hatte und meinen Kopf danach gegen die Wand gelehnt hatte, als ich auf einer Gartenbank eingeschlafen war. Ich hätte vor Frust schreien mögen. Zusätzlich zu allem anderen solch hässliches Haar zu haben, wenn ich den begehrenswertesten Mann traf, den ich jemals in meinen sechsundzwanzig Jahren kennen gelernt hatte. Das war einfach unfair. Gute Sandalen konnten schlechtes Haar nicht wettmachen.

Tony Jordan lächelte. »Danke, Ellen. Ich muss jetzt los, weil ich in der Stadt ein paar Termine habe. Danke, dass sie mir das Haus gezeigt haben. Ich melde mich.«

»Kein Problem. Überhaupt kein Problem. Ich freue mich darauf.«

Ich blieb sitzen und sah zu, wie Tony Jordan die Auffahrt zur Straße hinunterging und in den Range Rover stieg, der direkt vor dem rosafarbenen Hyundai parkte. Ich hoffte aufrichtig, dass er mich nicht hatte kommen sehen. Er stieg ein, drehte sich um und winkte mir zu, ehe er davonfuhr. Ich winkte zurück und versuchte, ruhig auszusehen und cool und überlegen, doch stattdessen sah ich eher aus wie ein linkischer und nervöser Kandidat bei Wer wird Millionär.

Ich schaute auf die Uhr. Fünf vor halb elf. Er war fast eine Stunde lang im Haus gewesen. Und natürlich hatte ich die meiste Zeit davon verschlafen. Wenigstens fühlte ich mich jetzt besser. Ich schaute die enge Vorstadtstraße hinauf und sah einen kleinen blauen Micra näher kommen. Der Wagen hielt vor Mrs. Harris' Haus, und eine dralle Frau in einem überdimensionalen Hawaii-Hemd und einem bauschigen weißen Rock stieg aus. Sie winkte mir zu, als ob ich eine alte Freundin sei. Ich winkte zurück – und diesmal war es mir egal, dass ich wie eine Idiotin aussah.

»Guten Morgen! Guten Morgen!«, rief die Frau, als sie das silbrige schmiedeeiserne Tor öffnete. »Herrlicher Tag, was? Also das ist es, ja? Der Schauplatz des Mordes? Ich hoffe, dass nichts Gruseliges mehr im Haus zurückgeblieben ist.« Ich stand auf und versuchte, mir eine passende ablehnende Antwort einfallen zu lassen, doch sie stand vor mir und tupfte sich Schweißperlen von ihrem stark gepuderten Gesicht ab, ehe ich endlich etwas sagen konnte.

»Hallo«, war alles, was ich schaffte, und dann kam ich in einem Nebel billigen Parfüms fast um. Die Frau klatschte laut in die Hände.

»Ja! Lassen Sie uns hineingehen! Ich kann es kaum erwarten, mich hier umzusehen. Wie war noch der geforderte Preis?« Mein Magen hob sich, und in meinem Kopf hämmerte es. Tony Jordan war wie ein Wunder, das sich zu einer wehmütigen Erinnerung verflüchtigt hatte. Es würde ein sehr langer Tag werden.