Kapitel 10

Am nächsten Morgen wachte ich durch das Klingeln an der Tür auf. Ich stolperte aus dem Bett und zog mir ein langes lilafarbenes T-Shirt über den Kopf. Die Klingel schlug wieder an. Was war das nur für ein Geruch? Es roch wie ... ah, Himmel, nein ... Joey!

Die Türklingel meldete sich ein drittes Mal.

»Sofort«, rief ich.

»Ellen?«, fragte eine Frauenstimme.

»In einer Minute«, rief ich zurück und versuchte herauszufinden, wem die Stimme gehörte. Ich trat auf meine Versace-Bluse, die auf dem Boden neben meinem Bett lag, und erbrach mich fast wegen des Geruchs nach Katzenpisse. »Ich bin in einer Minute da.«

»Ich bin es nur«, sagte die Stimme vor der Tür.

O Scheiße, sagte die Stimme in mir.

Alison!

Was sollte ich jetzt bloß tun? Nichts hatte mich auf einen Augenblick wie diesen vorbereitet. Und trotz all der Werbung über das Informationszeitalter hatte ich niemals eine Zeitschrift gelesen, die mich auf solch eine Sache vorbereitet. Okay, sie schrieben über Orgasmen und hartnäckige Flecken auf weißem Leinen. Aber was soll man machen, wenn die eigene perfekte Schwester vor deiner Tür steht und die Katze auf dein Top gepinkelt hat, und die ganze Wohnung ein Abfalleimer ist? Niemand gibt einem eine Liste von praktischen Tipps, um mit einer Situation wie dieser fertig zu werden. Und die Hitze machte es nicht besser, dachte ich, als ich herumrannte wie ein kopfloses Huhn. Und warum hatten wir überhaupt dieses heiße Wetter? Wir waren in Irland, lieber Himmel, und waren auf Regen eingestellt.

Ich riss jedes Fenster auf, das ich finden konnte, und starrte Joey wütend an, der sich auf einem sonnigen Fleck auf dem Boden vor dem Balkonfenster ausgestreckt hatte. Und die ganze Zeit hielt ich das anstößige Kleidungsstück in der Hand. Meine Versace-Bluse. Sie hatte mich ein halbes Wochengehalt gekostet und war jetzt ruiniert, doch weit schlimmer war, dass ich ruiniert war, weil Alison hier und ich voller Katzenpisse war.

Mir wurde eisig kalt, als die Panik einsetzte. Was konnte ich tun? Was konnte ich tun? Ich konnte die Bluse in die Dusche schleudern und die Tür schließen, doch das würde auch nicht funktionieren, weil Alison vielleicht zur Toilette gehen musste ... Scheiße, Scheiße, Scheiße. Die Türklingel ertönte erneut, und ich wusste, dass es nur eines gab. Noch ehe ich über das verschwendete Geld nachdenken konnte, rannte ich zu meinem Schlafzimmerfenster und warf meine herrliche Bluse hinaus und betete darum, dass sie irgendwo unauffällig in dem unordentlichen rückwärtigen Garten des Gebäudes landete.

Ich wusch mir die Hände, zog mir Shorts an und trottete zur Haustür und versprühte mein Cerutti-Deo. Ich wusste, dass es nicht funktionieren würde, ich wusste, dass mein Apartment noch immer schrecklich stank, doch ich war verzweifelt. Meine einzige Hoffnung war, dass Alison zu höflich sein würde, eine Bemerkung darüber zu machen.

»Kein Katzenfutter für dich, Bursche«, sagte ich und starrte Joey an, während ich das Schloss an der Wohnungstür öffnete. Ihm war das egal.

»Ellen!«, sagte Alison, küsste mich auf die Wange und umarmte mich in einer einzigen flüssigen Bewegung, ehe sie an mir vorbei in mein Apartment fegte.

»Alison.«

»Ellen«, sagte ein großer Mann mit einem stoppeligen Gesicht und beugte sich herab, um mir die Wange zu küssen.

»Dermot.«

Ich trat zurück, damit er durch meine Türöffnung kommen konnte. Dermot Gleeson war ein Ein-Mann-Rugby-Team, mit Händen wie Schaufeln und einem freundlichen Lächeln. Er hatte ein attraktives Gesicht von dem Typ Naturbursche, obwohl sein Kinn so oft in Rugby-Spielen gebrochen worden war, dass es an einer Seite ein wenig schief herabhing. Doch Dr. Dermot war nicht übel. Außer, dass meine Mutter so viel von ihm hielt und dass selbst ich wusste, dass das nicht sein Fehler war.

»Allmächtiger Gott, Ellen«, sagte Alison schon in meinem Apartment, »was ist das für ein Geruch? Du solltest in einem geschlossenen Raum wie diesem keine Katze halten.«

Ich dachte daran, die Tür zuzuschlagen und davonzurennen und Alison und Dermot allein in meinem Apartment zu lassen, doch ich hatte vergessen, Schuhe anzuziehen, also seufzte ich und ging wieder hinein.

»Schön, dich zu sehen, Alison«, sagte ich und folgte meinem Schwager durch die Tür.

Alison wandte sich mir zu und lächelte. Sie sah so hübsch aus, dass ich mir wünschte, mich übergeben zu können. Kaum eine erwachsene Frau ist niedlich, aber meine Schwester ist es. Ihr Gesicht ist breitflächig und irgendwie herzförmig. Ihre Augen sind groß und blau. Sie hat dieses wunderbar federartige kurze blonde Haar, eine perfekte Haut, eine perfekte Figur. Das Einzige, was bei Alison nicht stimmte, war, dass sie klein ist, nun, ich meine, dass sie klein ist, aber ich weiß, dass Alison nicht klein ist. Alison ist petite, wie eine perfekte Miniatur.

An jenem Tag, als sie in meinem Apartment stand, trug sie ein glattes blassblaues Hemd und eine noch glattere weiße kurze Hose. Ihre Haut hatte den goldenen Schimmer von Davina Blake, und ich log, als ich sagte, dass es nett war, sie zu sehen.

»Und du, Ellen, schön dich zu sehen. Wir waren in der Stadt – und sind früh auf den Markt gegangen, um frisches Obst und Gemüse zu holen –, es geht ja nichts über frische Ware, nicht wahr, Dermot?«

»Nein, Liebes«, sagte Dermot.

Ich ging in die Kombüsenküche, füllte den Kessel mit Wasser und schob die Gefühle der Unzulänglichkeit beiseite, die meine Schwester immer in mir weckte. »Tee? Kaffee?«

»Kaffee wäre super«, sagte Dermot und setzte sich auf die Couch. Ich hatte den Eindruck, dass die Kissen um Gnade schrien.

»Alison?«

»Oh, nichts, danke. Du hast sicherlich keinen organisch-biologischen Tee, oder?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht, Al, aber ich habe Wodka, wenn dir das recht ist? Du könntest eine dieser saftigen Orangen, die du auf dem Markt gekauft hast, ausquetschen und dir einen Cocktail machen.«

Dermot lachte.

»Sehr komisch, Ellen«, sagte Alison und beugte sich an mir vorbei, um ein Glas vom Regal zu nehmen. Sie füllte es mit Wasser, hielt inne und hob das Glas ins Licht, um es zu überprüfen, und trank dann einen Schluck. Ich bereitete zwei Becher mit Kaffee für mich und Dermot vor.

»Milch? Zucker? Schwarz?«, fragte ich ihn.

»Schwarz wäre prima«, sagte er und lächelte mich an, als ich ihm den dampfenden Becher reichte.

Ich ging an Dermot vorbei und ließ mich in einem Sessel nieder und schluckte einen Mund voll kochend heißem Kaffee. Alison wühlte in einer großen Jutetasche mit Henkeln herum.

»Irgendetwas Schokoladiges?«, fragte ich.

Alison lächelte und zog einen Apfel heraus. »Nein, aber Mengen von Obst, falls du etwas haben möchtest. Hier, nimm einen von diesen Äpfeln.«

Sie warf mir einen Apfel zu, und er landete auf meinem Magen.

»Ich habe gehört, dass Andrew Kenny wieder in der Stadt ist«, sagte Alison, während sie ihren Apfel musterte. »Na sieh mal an. Nichts geht über echtes, im eigenen Land gezogenes Obst. Und? Stimmt das? Ist er zurück?«

»Wer hat dir das erzählt? Mam?«

Alison nickte. »Sie sagte, dass du einen Toten bei der Arbeit entdeckt hast und dass Andrew im Fernsehen war und noch genauso gut aussieht wie früher. Wie stehen denn die Dinge zwischen euch beiden?«

»Warum klopfst du auf den Busch, Alison?«, fragte ich. »Die Dinge – wie du sie nennst – sind gut zwischen Andrew und mir, weil es keine Dinge mehr zwischen uns gibt. Wir arbeiten zusammen. Das ist auch schon alles, die ganze Geschichte. Übrigens ist dieses Obst wahrscheinlich mit Insektiziden behandelt worden, was, Dermot?«

Dermot lachte und nickte.

»Nein, ist es nicht«, sagte Alison. »Ich habe gefragt, und sie haben mir gesagt, dass all ihre Produkte biologisch angebaut werden.«

»Und du glaubst alles, was man dir sagt«, erwiderte ich und hielt inne, um von meinem Kaffee zu trinken.

»Ja«, sagte Alison, doch sie ging zu meinem Spülbecken und wusch den Apfel ab. »Ich weiß genau, wann ich organisch-biologisches Obst vor mir habe.«

Ich lächelte, weil ich wusste, dass ich sie aus der Fassung gebracht hatte und dass ich, selbst wenn ich keinen »bedeutenden Partner« hatte und in einem Apartment wohnte, das wie eine Mülltonne stank, Alison noch immer durcheinander bringen konnte, und das machte den überwiegenden Teil meines Lebens der Mühe wert. Und außerdem gab es noch Tony. Was ein ganz großes Ding war, abgesehen von der riesigen sexuellen Frustration, die sich in mir aufbaute.

»Dermot«, sagte ich, weil mir plötzlich eine weitere Idee kam, um meine Schwester zu quälen.

»Ja?«

»Ich kann hier Sky Sports empfangen. Es gehört zu diesem Apartment.«

Dermots Gesicht hellte sich auf. »Das ist großartig.« Aber er schluckte den Köder nicht. Er schaute erst auf die Uhr und dann seine Frau an und trank seinen Kaffee. Wir saßen ein paar Sekunden lang schweigend da.

»Also erzähle mir, wie es dir ergangen ist, Ellen«, sagte Alison und kaute auf ihrem Apfel herum, während sie neugierig in meiner Wohnung hin und her ging. Ich schaute mich in dem Raum um und wand mich innerlich bei dem Anblick des Geschirrs, das sich im Spülbecken stapelte, mit drei Tage alten Nudeln, die darauf klebten, und der Wimperntusche, die auf dem Küchentresen lag.

»Großartig«, sagte ich, stand auf und streckte mich. »Die Arbeit läuft wirklich sehr sehr gut. Ungeachtet allem anderen.«

»Das ist gut«, sagte Alison.

Ich lächelte, obwohl ich nicht glaubte, dass sie auch nur ein Wort davon meinte.

»Und bei dir?«, fragte ich notwendigerweise.

»Großartig«, sagte sie.

»Sind noch alle in Dublin vier am Leben, Dermot?«, fragte ich. »Und bei guter Gesundheit, aber nicht zu guter – man muss die alten Wetter zur Tür hereinlassen wegen des alten Antibiotikums, was?«

Dermot lachte und starrte auf den stummen Fernseher. »Ich kann nicht klagen. Ich kann nicht klagen.«

»Schalte ihn ein«, sagte ich und warf ihm die Fernbedienung zu.

Dermot fing sie auf, als wäre sie ein Rugby-Ball, und er hatte den Fernseher eingeschaltet, noch ehe Alison protestieren konnte. Ihr Gesicht erstarrte zur Maske, und sie lächelte mich an.

»Noch mehr Kaffee, Dermot?«, fragte ich, während ich in die Küche zurückging.

»Nein, danke, El.«

»Kann ich dir noch etwas bringen, Alison?«

Alison schüttelte den Kopf und tippte offensichtlich frustriert mit dem Fuß auf.

»Wo ist denn mein süßer Neffe?«, fragte ich, als ich mir selbst Kaffee einschenkte.

»Mam hat ihn«, sagte Alison. »Sie dachte, dass uns ein wenig Zeit miteinander recht wäre. Allein.«

Ich grinste, als sie den geistesabwesenden Doktor Dermot anstarrte.

»Ich bin ganz wild darauf, ihn zu sehen«, sagte ich und kehrte zu meinem Sessel zurück.

Alison zog sich einen Stuhl mit geradem Rücken vom Tisch heran und setzte sich steif auf die Kante. »Ich dachte, wir sollten auch noch in das neue Möbelhaus gehen, da wir schon mal hier sind. Dermot braucht einen neuen Schreibtisch.« Ich zog die Augenbrauen hoch und riss die Augen auf, als wir beide zu Dermot schauten, der, die Hände zwischen den Knien, dasaß und sich dem Fernseher entgegengebeugt hatte. Ich versuchte, nicht an die letzten Aktivitäten zu denken, die diese Couch erlebt hatte. Was mich daran erinnerte, dass ich das Krankenhaus anrufen und mich nach Angela erkundigen sollte. Dermot zuckte zusammen und lehnte sich zurück, als irgendjemand irgendetwas im Fernsehen verpasst hatte.

»Man kann Schreibtische auch aus dem Katalog bestellen«, sagte ich. »Sie liefern ihn ins Haus. Das ist klasse, weil man keine Läden mehr aufsuchen muss.«

»Meine Rede, Alison«, sagte Dermot, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. »In meinem Büro liegt ein ganzer Stapel dieser Kataloge. Ellen hat Recht, das ist die beste Idee.«

Alison biss in ihren Apfel und gab ein leises Schnauben von sich, was, wie ich wusste, der Auftakt dazu war, dass sie jemanden attackierte.

»Nun, ich habe nicht gesagt, dass das die beste Idee ist«, sagte ich und leckte die Wunde, die ich geschlagen hatte, um sie in Schach zu halten, »ich habe nur gesagt, dass man das tun kann. Mehr nicht.«

Alison presste die Lippen zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. »Es ist einfach nicht das Gleiche, oder?«

Dermot zuckte mit den Schultern.

Alison schaute mich an.

Ich zuckte mit den Schultern.

»Also, wir müssen jetzt gehen«, sagte Alison und stand abrupt auf. Dermot sah bestürzt zu ihr hoch, doch in dem Blick, den sie ihm zuwarf, lag etwas, das ihn offenbar davon überzeugte, nicht zu widersprechen. Er schien Alisons Verhalten zu verstehen.

Er schaltete den Fernseher mit der Fernbedienung aus, stand auf, und sein Kopf erreichte fast die Zimmerdecke. Um mich nicht auszuschließen, stand ich auch auf. Dermot und ich überragten Alison, als wir mitten in meinem kleinen Zimmer dastanden, doch irgendwie war sie diejenige, die dominierte. Wie konnte so etwas sein?

»Kommst du heute Nachmittag nach Hause?«, fragte Alison. »Mam meinte, du könntest vielleicht heute und auch morgen zum Abendessen kommen. Mach ein Familienwochenende daraus.«

»Oh«, sagte ich, weil Alison nicht Will war und ich daher meine Bemerkungen über Mams Kochkünste nicht machen konnte. Zwei Tage hintereinander? Das konnte ich nicht ertragen. Das würde mich umbringen.

»Hat Will nicht mit euch gesprochen?«, fragte ich spontan. Alison schüttelte ihren adrett frisierten, blonden Kopf

»Wir wollten anbieten, Kieran am Nachmittag und Abend zu nehmen«, sagte ich, »dann kannst du mit Dermot zum Abendessen ausgehen, und Will und ich können mit Kieran spielen, und Mam muss nicht für so viele Menschen kochen.«

Alison sah unsicher aus.

»Großartige Idee, Ellen, tausend Dank«, sagte Dermot schnell. »Ein romantisches Abendessen zu zweit. Wir werden in ein wirklich schönes Restaurant gehen, Alison. Komm schon, das wird klasse werden. Wir machen eine große Sache daraus, Liebes. Was meinst du?«

Alison schaute zu ihm auf, und es war offensichtlich, dass sie diese neue Information verarbeitete. Dermot und ich hielten den Atem an. Ich wusste, dass keiner von uns beiden zwei Mal nacheinander Mutters Abendessen ertragen konnten. Dann lächelte Alison, und wir atmeten hörbar aus.

»Ich habe keine Kleidung für ein nettes Restaurant dabei«, sagte sie. »Ich habe nur Freizeitsachen mitgenommen.«

Ich lachte fast, da Alisons Kleidung absolut nichts Freizeitähnliches hatte. Jedes einzelne Kleidungsstück trug ein Designer-Schildchen, und jedes hatte einen bestimmten Platz im Gesamtsystem der Dinge, die ihre Garderobe darstellten. Es war schwierig, in Anbetracht des Berges von überwiegend Kaufhaus-Kleidern, die zusammengeballt unten in meinem Schrank herumlagen, zu glauben, dass Alison und ich dem gleichen Mutterschoß entsprungen waren.

»Kaufe dir heute Nachmittag etwas«, sagte Dermot. »Da Ellen sich um das Baby kümmern wird, können wir noch einmal in die Stadt gehen.«

»Klar«, sagte ich.

»Aber ich hasse einkaufen«, sagte Alison zu ihrem Mann.

»Ich bin sicher, dass ich in irgendeinem Pub ein Spiel finden kann, während du einkaufen gehst. Mach dir keine Sorgen um mich.«

Dermot schob Alison zur Tür.

»Danke, Ellen«, sagte er.

»Kein Problem.«

»Wir bringen dir Kieran später vorbei, wenn dir das recht ist«, sagte Alison.

»Wann?«

»Um drei Uhr«, sagte Dermot.

Ich nickte.

»Es ist wirklich sehr freundlich von dir, das zu tun«, sagte Alison mit glasigen Augen. Ich mochte diese neue weiche Seite von ihr überhaupt nicht. Es musste hormonell bedingt sein, dachte ich.

»Es ist kein Problem. Wir werden Kieran Pizza geben und ein paar Tropfen Bier in seine Flasche tun, und ich bin sicher, dass er keine Probleme machen wird.«

Dermot lachte und zerrte meine Schwester fort, ehe sie reagieren konnte, und ich warf die Tür hinter ihnen zu. Dann schaute ich auf die Uhr an der Küchenwand. Es war erst zehn Uhr. Allmächtiger Gott! Zu welcher Zeit hatten sie das Haus verlassen, wenn es erst zehn Uhr morgens war? Ich musste mit Will telefonieren und ihm sagen, wie er seinen Tag verbringen würde. Doch es war nicht nötig, ihn auch aufzuwecken.

Ich stellte meinen verschwitzten Körper unter die Dusche und fand eine saubere Jeans und ein sauberes T-Shirt. Dann trank ich Kakao als Gegenmittel zu Alisons Missbilligung. Ich machte mir einen riesigen Becher voll Kakao und zwei dicke Toastscheiben, von denen die Butter herabtropfte. Ich wollte mich gerade hinsetzen und mein Frühstück essen und die Fernsehzeitung lesen, als es an der Tür klingelte.

Ich schaute in die Richtung und versuchte, den Besucher dazu zu zwingen, wieder zu gehen. Es klingelte erneut. Ich knallte mein Frühstück hin und die Zeitung auf den Tisch, öffnete die Tür und betete dabei, dass Alison nicht zurückgekehrt war. Ein großer, vage vertrauter Mann – der zweite Mann an diesem Morgen, ein klarer Rekord – lächelte mich breit an, sobald er mich zu Gesicht bekam. Er hielt ein großes Paket im Arm.

»Guten Morgen«, sagte er.

»Hallo.« Ich musterte ihn. Einsdreiundachtzig mindestens. Rasierter Kopf. Zwei Ohrringe im rechten Ohr und einen Körper, der wie gemeißelt war, so dass er Werbung für Steroide hätte machen können. Und eine verspiegelte Sonnenbrille. »Ellen Grace?«

Ich nickte. War er ein Lieferant? Ich hatte nichts bestellt, das angeliefert werden musste. Oder hatte ich doch?

»Wir haben uns neulich nachts kennen gelernt. Im Krankenhaus. Ich bin Tonys Freund Bobby. Bobby Wolfe.«

»Oh, mein Gott, es tut mir Leid«, sagte ich, als die Erwähnung von Tonys Namen mich wie ein Schwall heißer Luft traf. »Kommen Sie herein.«

Ich führte ihn ins Zimmer. »Verzeihung, dass es hier so riecht«, sagte ich und war plötzlich nervös, weil ich mich in der Nähe eines Freundes von Tony befand. »Katzenpisse. Verdammte Katze. Entschuldigung.«

Bobby Wolfe schüttelte den Kopf. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe ständig Nebenhöhlenprobleme und kann überhaupt nichts riechen.«

Ich nickte und war lächerlicherweise dankbar für die gesundheitlichen Schwierigkeiten des Mannes. »Was kann ich für Sie tun, Bobby? Möchten Sie Tee oder Kaffee oder irgendetwas anderes?«

Bobby Wolfe schüttelte den Kopf und legte die Schachtel, die er trug, auf den Fußboden vor sich. Ich sah, dass er im Sonnenlicht leicht orange war. Das konnte keine echte Sonnenbräune sein. Doch wo gab es eine Sonnenbank, die groß genug war, um Bobby Wolfe aufzunehmen?

»Wolfie, alle nennen mich Wolfie. Nein, vielen Dank. Ich trinke nicht viel Tee. Außerdem habe ich keine Zeit, weil ich zum Training muss. Ich habe Tony heute Morgen zum Flughafen gefahren, und wir haben das unterwegs mitgenommen.«

Wir beide betrachteten den Karton auf dem Boden zwischen uns. Oh, mein Gott, dachte ich, als ich mich vorbeugte und die obere Klappe öffnete. Tony hat an diesem Morgen an mich gedacht. Ich wurde fast ohnmächtig vor Freude und griff in den Karton.

»Das ist ein Katzenkorb«, sagte Wolfie. »Tony hat mir von Ihrer Katze erzählt, und ich habe ihm gesagt, dass das genau das Richtige ist. Ein Freund von mir stellt die Dinger her, und sein Laden befindet sich auf dem Weg zum Flughafen. Also hielten wir an und, nun ja, hier ist es. Was halten Sie davon?« •

Zu dem Zeitpunkt, als Wolfie seine Erklärung beendet hatte, hatte ich die gesamte Luftpolster-Verpackung von dem Geschenk entfernt. Etwas, das aussah wie eine Mischung aus einem Langboot der Wikinger und einem Katzenkorb, stand zwischen uns auf dem Boden.

»Nun?«, wiederholte er, beugte sich hinab und klopfte gegen das mit Pelz ausgeschlagene Innere.

»Er ist entzückend«, sagte ich, denn auch wenn er scheußlich war, sagt man das doch, oder?

Bobby Wolfe lächelte zu mir hoch. »Ich sagte Tony, dass sie ihn mögen würden. Nun, dieser Teil ist das Bett, jeder Dummkopf könnte das erkennen, und dies hier ...«

Bobby schwieg, als er auf einen hohen Pfosten am Ende des Katzenkorbs zeigte. Es war geschnitzt wie ein Totempfahl und hatte am oberen Ende einen Mäusekopf.

Ich nickte, weil ich Angst hatte zu sprechen.

»Das ist der Kratzpfosten. Gut, was? Katzen kratzen ja so gern, und dieser Pfosten hier hält sie davon ab, die Möbel zu ruinieren.«

»O ja«, sagte ich.

»Mein Freund Phil – der diese Sachen macht – kann kein Lager aufbauen. Sie werden ihm aus den Händen gerissen. Große Aufträge aus Amerika und von überallher. Man muss die Körbe Monate im Voraus bestellen. Tony sagte, wir sollen warten, doch ich sagte, weil wir an diesem Morgen daran vorbeikamen, können wir auch hineingehen und nachschauen. Also gingen wir hinein, und als Phil hörte, dass er für mich war ... hätte er nicht hilfsbereiter sein können. »Mach schon, Wolfie«, sagte Phil zu mir, »nimm dir diesen letzten Katzenkorb – der Ami, der ihn bestellt hat, muss eben noch warten.«

Bobby Wolfe richtete sich auf, und wir beide schauten zu Joey hinüber, der noch immer vor dem Fenster schlief.

»Er hat noch nie einen Korb gehabt«, sagte ich und hoffte, dass das funktionieren würde.

»So ist es immer. Aber das macht nichts – ein paar Versuche in diesem Baby, und er wird nie mehr etwas anderes wollen.« Und bevor ich ihn aufhalten konnte, war Bobby Wolfe hinübergegangen, hatte Joey genommen und ihn in das Bett mit dem goldenen Fell gelegt. Joey sah mich empört an, als er durch die Luft getragen wurde. Da er nicht die bestgelaunte Katze war, wusste ich, dass er daran dachte, diese große Hand zu zerkratzen, die ihm den Kopf streichelte.

»Nun, nun, schau mal. Gute Katze. Wie heißt er?«

»Joey.«

»Nun, Joey, gute Katze. Wie findest du denn dein neues Bett, das dein Onkel Tony für dich gekauft hat, he?«

Onkel Tony? Ich verkniff mir ein Lachen.

»Hübsch, nicht wahr? Spür doch nur die Matratze. Und schau mal – eine Maus. Du kratzt diese Maus, hörst du, und du lässt Ellens Möbel in Ruhe.«

Ich sah zu und konnte kaum atmen, falls Joey beschloss, aus Bobby Wolfes Hand Hackfleisch zu machen. Doch Joey rührte sich nicht. Er saß nur da und ließ zu, gestreichelt zu werden. Plötzlich schlossen sich Joeys Augen, und er glitt tiefer in sein luxuriöses Bett, und langsam und wundersamerweise begann Joey zu schnurren und schlief ein.

Bobby Wolf hörte auf, die Katze zu streicheln, und grinste zu mir hoch. Sanft schob er das Katzenbett in den Sonnenfleck vor dem Fenster. Joey hob den Kopf und schien Wolfie dankbar anzusehen, ehe er wieder einschlief.

»Ich denke, er wird ihn annehmen«, sagte er, als er zu mir zurückkam. »Ich wusste es.«

Ich nickte. »Sind Sie sicher, dass Sie keinen Tee haben möchten, Bon ... hm ... Wolfie?«

»Nein, danke. Ich muss gehen.«

»Also, danke. Vielen Dank für den ...«

»Katzenkorb.«

»Ja richtig – den Katzenkorb. Danke. Und Joey bedankt sich auch.«

Wolfie lachte plötzlich, obwohl mir nicht klar war, dass ich etwas Lustiges gesagt hatte, und sein Brustkorb hob sich vor Belustigung, was die schweren Goldketten um seinen Hals wie Glocken klingeln ließ. Ich winkte ihm zum Abschied zu, schloss die Tür und machte kehrt, um sofort meinen kalten Toast und den lauwarmen Kakao zu verschlingen. Joey gab leise Schnarchgeräusche in seinem Luxusbett von sich. Woraus bestand es, fragte ich mich, während ich die Fernsehzeitung durchblätterte. Es sah wie eine Art Mahagoni aus. Jesus, das war ein verrückter Witz. Doch es war entzückend von Tony, an mich zu denken – oder an Joey –, obwohl er so beschäftigt war. Süß und möglicherweise ein wenig freudianisch, mir ein Bett zu schicken, wenn man alles bedachte. Ich machte mehr Toast und Kakao, und gerade als ich so weit war, mit dieser Runde fertig zu werden, klingelte das Telefon.

»Ich habe nie gesagt, dass ich mich heute um Kieran kümmern würde«, schrie Wills Stimme in mein Ohr. »Ich habe heute Nachmittag eine Verabredung in der Stadt, Ellen. Ich kann mich nicht um Kieran kümmern.«

»Will.«

»Was?«

»Höre mir eine Minute lang zu.«

»Nein.«

»Dann, William Grace, kaufe dir einen Wagen von deinem Taschengeld und fahre die Gut-Instinct-Band selbst zu den Auftritten.«

Es herrschte einen Moment lang Funkstille.

»Okay. Ich werde zuhören, aber nicht zustimmen.«

»Ich möchte nur, dass du zuhörst, Will, mehr nicht.«

»Okay. Die Band heißt jetzt übrigens ›Range‹. Wir haben den Namen geändert – Ein-Wort-Namen haben mehr Schmiss.«

»Oh, großartiger Name«, sagte ich und bemühte mich, ernsthaft zu klingen. »Also, höre gut zu, denn es betrifft nicht nur mein Wohlergehen, sondern auch deines.«

»Komm zur Sache, Ellen.«

»Okay. Mam möchte massenhaft Essen kochen, Will, Massen und Massen von Essen, zu Ehren der Besucher. Wenn sie das tut, dann müssen wir beide das meiste davon essen. Doktor Dermot wird einen Notfall-Anruf während des Essens bekommen – wie immer –, und Dad wird wahrscheinlich Überstunden machen, und Alison isst so wenig, dass es für sie unwichtig ist, dass es wie Mist schmeckt. Dann bleiben nur noch wir, William und Ellen. Wir müssen essen, was auch immer sie zusammengerührt hat, und ich habe das schlimme, schlimme Gefühl, dass sie sich in einer thailändischen Kochphase befindet. Ich weiß nicht, ob ich von Mam gekochtes grünes Curry essen kann, kannst du es? Oder vielleicht denkst du daran, dass der arme Kieran das essen muss?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Also, Will, du solltest mir dankbar dafür sein, dass ich einen schlauen Plan ausgeheckt habe, um dich zu retten.«

»Mist. In Ordnung. Aber was ist mit meiner Verabredung? Ich mag Aisling Mitchell wirklich gern, und ich kann sie nicht einfach anrufen und ihr sagen, dass ich babysitten muss. Wie würde ich denn dann dastehen?«

»Wie ein netter Junge«, sagte ich. »Es wäre zwar gelogen, doch sie würde das ohnehin denken. Sie wäre sehr beeindruckt, festzustellen, dass du der Typ ›Neuer Mann‹ bist. Es wird deinen Sexappeal steigern.«

»Denkst du wirklich?«

»Ich bin eine Frau, William, ich denke nicht, ich weiß es. Wir werden in die Stadt gehen und uns mit Kieran zusammen mit ihr treffen, und dann nehme ich ihn mit, und du kommst später hierher. Du kannst nicht verlieren, Will, das Mädchen wird beeindruckt sein, und du vermeidest das Essen zu Hause. Fairer kann ich doch nicht sein.«

»Du gehst einen harten Handel ein, Ellen.«

»Grünes Curry, William.«

»Gekauft.«

»Bis um drei Uhr, wenn Kieran hierher gebracht wird.«

»Bis dann.«