Kapitel 11

Bis zu dem Zeitpunkt, als Alison um punkt drei Uhr klingelte, hatte ich geschrubbt und sauber gemacht wie ein wild gewordenes Zimmermädchen. Joey, der all meine Probleme verursacht hatte, hatte den Schlaf der völlig Unschuldigen in seinem neuen Bett geschlafen, und Angela rief mich vom Krankenhaus an, um mir zu sagen, wie gut sie sich fühlte, und um mir zu danken – einmal mehr – dafür, dass ich ihr das Leben gerettet hatte, und um zu versprechen, mir als Nächstes das Buch Psycho Killer Company zu leihen.

Ich öffnete die Tür, und Will stolperte mit einem Buggy und drei Tüten herein.

»Ich habe Dermot im Auto gelassen«, sagte Alison hinter Will. Sie ging mit Kieran auf dem Arm ins Zimmer, und er lächelte und plapperte in feuchter Babysprache, sobald er mich sah. Ich streckte die Arme nach ihm aus, und er sprang fast aus den Armen seiner Mutter. Er kuschelte sich an meinen Hals, und ich dachte, ich würde vor Liebe ohnmächtig werden. Vielleicht sollte ich ein Kind mit Tony Jordan machen? Wen störte es schon, wenn er danach in der Nähe blieb? Wenigstens würde ich ein kuscheliges Bündel wie Kieran haben, das mir Gesellschaft leisten würde.

»Möchtest du, dass wir ihn abholen?«, fragte Alison, als sie das Haar ihres Sohnes glättete und ihn auf die Wange küsste.

»Wir können ihn abholen. Aber wenn du ihn mit deinem Wagen nach Hause bringen möchtest – du hast doch im Moment einen Wagen, Ellen, oder?«

»Sie hat im Moment einen sehr speziellen Wagen«, sagte Will.

»Halt den Mund, Will«, sagte ich.

Alison runzelte die Stirn. »Wenn du ihn im Wagen mitnimmst, benutze bitte den Autositz. Will hat ihn mitgebracht.«

»Ich werde ihn nach Hause bringen, Alison, das ist kein Problem. Um welche Zeit?«

»Mam sagte, dass sie ihn zu Bett bringen würde, also kannst du ihn so um acht herum bringen?«

Ich nickte. »Dann los. Amüsiert euch gut. Bis später.«

Alison küsste Kieran, und ich hätte schwören können, dass sie wieder diesen tränenfeuchten Blick hatte. Will schlug die Tür hinter ihr zu, sobald sie gegangen war, und schaute Kieran und mich an.

»Meine Verabredung ist um vier, und ich darf mich nicht verspäten«, sagte er.

Ich lächelte. »Du hast noch viel Zeit. Wo willst du dich mit ihr treffen?«

»Vor McDonalds.«

»Perfekt«, sagte ich und wechselte den an seiner Faust kauenden Kieran auf meinen anderen Arm. »Zehn Minuten Fußweg von hier. Wir werden den Buggy aufbauen und das Mädchen treffen, und ich werde mit dem Baby gehen, sobald du einen guten Eindruck gemacht hast.«

»Bist du sicher, dass sie mich nicht für einen Schwächling hält, wenn sie sieht, dass ich Kieran hüte?«

»Vertraue mir«, sagte ich.

Das war mein Plan, und er schlüpfte mir von der Zunge, als ob es so einfach ginge. Und es wäre einfach gewesen, wenn wir nicht eine halbe Stunde dazu gebraucht hätten, herauszufinden, wie sich der Buggy öffnen ließ. Schließlich schafften wir es, doch ich würde sagen, dass Alison einen Anfall bekommen hätte, wenn sie gewusst hätte, dass wir Kieran fast eine halbe Stunde lang in Joeys neuem Korb sitzen ließen, da das die einzige Möglichkeit war, ihn zu unterhalten.

»Übrigens, ich habe vergessen, den eleganten neuen Katzenkorb zu bewundern, Ell«, sagte Will, als wir einen protestierenden Kieran in seinem Buggy anschnallten.

»Danke«, sagte ich.

»Sehr ... na ja ... recht retro-kitschig?«

»Halt den Mund, Will.«

»Von wem hast du den, denn ich weiß, dass du ihn nicht selbst gekauft hast. Von Angela Maunsell?«

»Schau mal auf die Uhr«, sagte ich. »Komm schon, Will, dein Mädchen wird weg sein, wenn wir uns nicht beeilen.«

Will nickte. Ich gab Kieran eine Flasche, packte dann die Griffe des Buggys, und wir trabten den Korridor hinunter zum Aufzug. Ich war erleichtert, weil ich nicht über den Mangel an Geschmack sprechen wollte, was den Katzenkorb betraf, und Will auch nichts über Tony Jordan erzählen wollte. Nicht jetzt jedenfalls. Doch was spielte Geschmack für eine Rolle? Er war eine subjektive Angelegenheit, oder nicht? Doch selbst objektiv betrachtet glaubte ich als eine Frau mit einem rosafarbenen Auto und einem Wikingerboot als Katzenkorb nicht, dass ich dabei war, in naher Zukunft im Hello!-Magazin zu erscheinen.

Wir trafen Wills ernst dreinschauende Freundin mit rosafarbenem Haar vor McDonald's, und – trotz der rosa Haare – sie war so beeindruckt, wie ich es vorhergesagt hatte. Ich verabredete mit Will, dass er zu mir nach Hause kommen solle, und dann winkten Kieran und ich ihnen zum Abschied nach. Die Stadt war voller schwitzender rempelnder Menschen in Shorts und T-Shirts. Ich wollte mit Kieran in den örtlichen Park gehen, doch das Schaukeln des Buggys wiegte ihn in den Schlaf. Ich musste lernen, wie ich mit einem Baby einkaufen konnte, da ich hoffte, eines Tages ein eigenes zu haben. Also ging ich stattdessen Schuhe kaufen, als eine Investition in meine Zukunft. Ich kaufte ein Paar cremefarbene Sandalen und redete mir ein, dass es nur ein Zufall war, dass Davina Blake ein ähnliches Paar besaß.

Sobald Kieran aufwachte, beendete ich meine Einkaufstour. Er zappelte und wimmerte und versuchte, in dem Buggy aufzustehen. Ich kaufte ihm eine kräftig gelbe Lutscheisstange, die ihn eine Weile lang ruhig hielt. Das heißt, bis er etwas davon seitlich an den Buggy schmierte und ich zehn volle Minuten damit zubringen musste, mit Spucke und einem Tuch alles wieder wegzuwischen. Ich wusste, dass ich eine tote Frau sein würde, wenn meine Schwester erfuhr, dass ich ihrem Engel Junkfood gegeben hatte. Ich machte mich auf den Heimweg.

Als ich bei meinem Apartmenthaus ankam, fiel mir auf, dass ich mein Handy den ganzen Tag nicht gesehen hatte. Ich musste es im Wagen liegen lassen haben. Ich beschloss, später nicht noch einmal mit dem Ice-pop-verschmierten Kieran herzukommen, und fuhr mit dem Buggy durch das Parkhaus. Der rosa Hyundai stand ordentlich geparkt in einer entfernten Ecke. Kieran schien glücklicher zu sein, da wir jetzt aus der Sonne heraus waren – er war halb betäubt von den E-Nummern und summte eine verrückte Babymelodie vor sich hin.

Ich schaute in die Fenster meines Wagens und sah das Handy auf dem Beifahrersitz liegen. Ich öffnete die Tür, nahm das Handy und drehte mich um, um meinem selbstvergessenen Neffen von meinem Glück zu berichten. Statt Kieran mit seinem gelb gestreiften Gesicht stand ein rotgesichtiger Mann mit einem Kapuzenanorak hinter mir. Er drückte mich gegen den Wagen, und sein Mund verzog sich. Ich sah, dass er blaue Augen hatte und eine lange weiße Narbe auf seiner linken Wange.

»Sag deinem Freund ...«, sagte er, und dann verschwand er so plötzlich, wie er aufgetaucht war. Eine riesige Hand landete auf seiner Schulter und zerrte ihn von mir weg. Wolfie. Wie gelähmt vor Angst sah ich zu, wie Wolfie den Mann hochhob und ihn gegen eine Säule schleuderte.

»Verpiss dich, Johnson«, sagte er und stand über dem benommenen Mann. Er zerrte ihn auf die Füße und packte ihn an der Kehle. Das Gesicht des Mannes wurde noch röter. »Komm dieser Frau nie mehr nahe, wenn du weißt, was gut für dich ist. Hast du mich verstanden? Und sage diesem Mistkerl, für den du arbeitest, dass er diesen Rat besser befolgen soll.«

Der rotgesichtige Mann wich zurück, sobald Wolfie seine Jacke losließ. Wolfie rannte los, als ob er angreifen wollte, und der Mann rannte davon.

»Sind Sie in Ordnung?«, fragte Wolfie, als er zurück zu der Stelle kam, wo ich noch immer an meinen Wagen lehnte.

Ich nickte.

»Sicher?«

Ich nickte wieder, doch große Tränen begannen über mein Gesicht zu laufen. Wolfie legte die Arme um mich und hielt mich fest. Es war, als ob ich von einer Couch umarmt wurde.

»Wer ... wer ... wer war dieser Kerl?«, stotterte ich.

»Niemand.«

»Aber Sie haben ihn Johnson genannt.«

Wolfie zuckte mit den Schultern. »Er ist einfach ein Mistkerl. Die Stadt ist voll von ihnen. Kommen Sie. Ich werde mit Ihnen zu Ihrem Apartment hochgehen.«

»Danke. Das finde ich gut. Er könnte ja noch in der Gegend sein. Ich werde besser die Polizei rufen. Wo ist mein Handy?«

Ich entdeckte mein Handy auf dem Boden des Autos und hob es auf.

Wolfie schüttelte den Kopf, als ich begann, die 999 zu drücken. »Keine gute Idee.«

»Warum?«, fragte ich und hielt inne.

»Es gibt keinen Grund. Er ist längst weg.«

»Aber Sie wissen, wo er ist.«

»Ja, aber Sie wollen doch nichts zu tun haben mit diesem Idioten. Dieser Mistkerl wird nicht zurückkommen, aber wenn Sie die Bullen rufen, werden Sie jeden Johnson in Limerick an den Fersen haben.«

»Oh, mein Gott, was soll ich tun?«

»Machen Sie gar nichts, das wird schon geregelt. Es ist vorbei, vertrauen Sie mir.«

»Ich weiß nicht recht.«

»Hören Sie, Ellen, wenn Sie die Polizei holen, werden sie kommen, und sie werden Ihre Aussage aufnehmen, und ich werde ihnen sagen, wer er ist. Aber dann werden sie wieder weggehen, und Sie sind allein, und ich garantiere Ihnen, dass Sie tief im Mist stecken, sobald die Polizei Ihrer Anzeige nachgeht. Diese Johnsons werden Sie nicht mehr in Ruhe lassen. Vergessen Sie die ganze Sache einfach. Er ist weg. Es ist vorbei.«

»Sind Sie sicher?«

»Ich bin mir sicher. Also, wen haben wir denn hier?«

Ich merkte, dass Wolfie von Kieran sprach, den ich völlig vergessen hatte. Nicht, dass das Baby allzu traumatisiert aussah von dem, was es gerade mitbekommen hatte. Er grinste zu Wolfie hoch.

»Na, sieh sich das einer an«, sagte Wolfie, als er dem Charme von Kieran verfiel. »Wie geht es dir, junger Mann?«

Kieran gurgelte. Ich war froh, dass er seiner Mutter nichts von dem erzählen konnte, was er gesehen hatte.

»Er ist mein Neffe. Kieran.«

»Kieran? Das ist ein toller Name. Ich hatte mal einen Greyhound, der Kieran hieß.«

»Oh«, sagte ich, weil mich die Angst überfiel, als ich mir vorstellte, was hätte geschehen können, wenn Wolfie nicht mehr dagewesen war. Doch ich konnte es mir nicht leisten, darüber nachzudenken.

Wolfie befreite Kieran von den Buggy-Gurten, und wir fuhren zusammen im Fahrstuhl hinauf wie eine Familie oder etwas Ähnliches. Obwohl ich nicht glaubte, dass ich mir Wolfie als Vater meiner Kinder aussuchen würde, war ich dennoch davon beeindruckt, wie gut er mit Kieran umgehen konnte. Die Fahrstuhltüren öffneten sich in meiner Etage, und wir zockelten hinaus auf den Flur. Wolfie trug Kieran. Ich zerrte den Buggy und die Taschen hinterher. Jemand saß auf ihrer Handtasche vor meinem Apartment.

»Ruth?«, rief ich überrascht.

Ruth stand auf, zog ihren kurzen Rock zurecht, bis er fast den oberen Teil ihrer Oberschenkel bedeckte. Sie hob ihre Handtasche vom Boden auf und winkte mir mit einer Weinflasche zu.

»Hast du es vergessen?«, fragte sie.

»Vergessen?«, fragte ich, als wir vor ihr standen.

»Ruth, das ist Wol... Bobby Wolfe, und meinen Neffen Kieran kennst du ja. Wolfie – Ruth.«

»Nett, sie kennen zu lernen«, sagte Ruth.

»Gleichfalls«, sagte Wolfie.

»Wolfie?«, fragte Ruth. »Ist das Ihr Name?«

Wolfie nickte.

»Guter Name«, sagte Ruth grinsend.

Ich schaute Kieran an und sah, dass er an Wolfies enormer Schulter wieder eingeschlafen war. Wolfie grinste mich an. Was für ein Kerl. Fähig, Katzen, Babys und mörderische Vergewaltiger zu bändigen. Ich fragte mich, ob ich es mir leisten könnte, ihn zu engagieren. Dann schaute ich Ruth an. Sie zog an ihrem winzigen Top herum, das kaum bis zu ihrem winzigen Rock über ihrem flachen sonnengebräunten Bauch reichte, und ihre Augen fixierten Wolfie so intensiv, dass ich fast peinlich berührt war, dabei zu sein. Vor allem, weil er ihren Blick mit der gleichen Intensität erwiderte.

»Tut mir Leid, Ruth«, sagte ich, um die sexuelle Spannung abzuschwächen.

Ruth schaute mich an und grinste. »Jesus, Ellen, wenn du Verstand hättest, wärst du gefährlich. Wir haben ein Abendessen hier für heute verabredet. Du hast gesagt, dass du kochen würdest.«

Ich suchte in meiner Tasche nach meinem Wohnungsschlüssel. »War ich betrunken?«

Ruth lachte. »Möglicherweise.«

Wir alle drängten uns in mein Apartment. Ich bat Wolfie darum, Kieran auf die Couch zu legen, und füllte den Wasserkessel. Plötzlich, als wäre mir erst jetzt wirklich klar geworden, was geschehen war, blieb ich mitten in meinem Wohnzimmer stehen und erinnerte mich an den rotgesichtigen Mann, der mich gegen den Wagen gedrückt hatte.

»Also?«, fragte Ruth, während ich mich erinnerte, »was hattest du vor?«

Ich betrachtete ihr vertrautes Gesicht, als sie mich anlächelte, und ich brach in Tränen aus.

»Ellen«, sagte Ruth, kam zu mir gerannt und stellte sich neben mich. »Was ist los?«

Ich schüttelte den Kopf und weinte noch heftiger. Ruth – die selbst mit diesen spitzen Dingern, die sie Schuhe nannte, mindestens zehn Zentimeter kleiner war als ich – schlang die Arme um mich.

»Ellen, Ellen. Was ist los? Was bedrückt dich?«

Ruths Arme schienen die Umklammerung des unheimlichen Kerls im Parkhaus noch unheimlicher zu machen, und ich schluchzte laut auf. »O Ruth, O Ruth. Er packte mich, und ich hatte solche Angst.«

»Wer? Wer hat dich gepackt? Haben Sie sie gepackt?«

Als ich aufschaute, bemerkte ich, dass sie Wolfie ansah.

»Ich doch nicht«, protestierte er.

Ruth schnaubte. »Hören Sie, Mr. Wolfie. Wenn Sie glauben, dass ich ...«

Ich ergriff Ruths Arm mit einer Hand. »Nicht er«, schniefte ich, »der Mann mit der Kapuze packte mich. Wolfie hat mich gerettet.«

Ich lächelte Wolfie an, denn ich wusste nicht, was ich getan hätte, wenn er nicht vorbeigekommen wäre, doch die bloße Vorstellung, Wolfie wäre nicht da gewesen, ließ mich nur noch heftiger weinen. Ruth verstärkte ihren Griff um meine Schultern.

»Komm, setz dich, Ellen. Ich werde dir ein bisschen Tee machen. Hast du die Polizei angerufen? Was hat er gemacht – der Mann mit der Kapuze? Versucht, dich zu berauben? Dich zu vergewaltigen? Was?«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich, als ich mich neben Kieran auf die Couch sinken ließ. »Ich glaube ... ich glaube, dass er mich möglicherweise vergewaltigen oder etwas in Art machen wollte ... Er sagte etwas über meinen Freund ...«

»Jesus«, sagte Ruth. »Der kleine Perverse.«

»Ja«, erwiderte ich und schluchzte wieder. »Ja.«

Ruth setzte sich neben mich auf die Couch und streichelte mir über den Kopf, während ich weinte. Wolfie schien den Tee gemacht zu haben, denn plötzlich tauchte eine Tasse mit heißem Tee auf, obwohl Ruth nicht von meiner Seite gewichen war. Kieran schnarchte leise, und ich konnte erkennen, dass er Doktor Dermot ziemlich ähnlich war.

»Danke für alles«, sagte ich und schlürfte den kochend heißen Tee.

»Kein Problem«, sagte er. »Ich bin froh, dass ich da war.«

»Ich auch«, sagte ich, und dann fiel mir etwas auf. »Warum waren Sie denn überhaupt hier?«

Wolfies Augen weiteten sich, und er nickte weise. »Ja, ich wollte einfach vorbeischauen und mich vergewissern, dass Sie keine Probleme mit dem Katzenkorb haben.«

»Als Kundendienst, sozusagen«, sagte ich lächelnd.

Wolfie grinste. »So was in der Art.«

»Katzenkorb?«, fragte Ruth.

»Ja«, sagte ich, ehe sie ihn sehen und reagieren konnte.

»Wolfie hat ihn heute Morgen vorbeigebracht. Für Joey.«

»Aber er ist ein Geschenk von Tony«, sagte Wolfie und machte eine Handbewegung zu Joeys Superbett hinüber. »Warum sollen nur Hunde all die guten Sachen bekommen?«

Ruth betrachtete den Katzenkorb, der von dem Dauerschläfer Joey noch immer in Beschlag genommen war.

»Na ja«, sagte sie und schaute mich an, »Joey scheint ihn zu mögen.«

»Ja«, erwiderte ich, »Joey liebt ihn.«

»Ellen?«, fragte Ruth.

»Ja?«

»Verzeih mir, dass ich das Thema wechsele, aber sollten wir nicht die Polizei rufen und ihr mitteilen, was geschehen ist?«

Ich schaute Wolfie an. Er zuckte mit den Schultern.

»Das bringt nicht viel«, sagte er.

»Aber was ist, wenn er zurückkommt?«, fragte Ruth.

»Sag das nicht, Ruth«, erwiderte ich.

»Nein, Ellen, du musst vernünftig sein. Du weißt doch nicht, ob er nicht zurückkommen wird. Vielleicht war das kein zufälliger Raubüberfall. Woher sollen wir das wissen?«

»Wolfie kannte ihn«, sagte ich. »Wie haben Sie ihn genannt? Jackson?«

»Johnson. Das bedeutet nichts – es gibt eine ganze Familie von ihnen, und ich weiß nicht einmal mehr, welcher von ihnen es war. Die Polizei wäre nicht in der Lage, etwas zu unternehmen. Das Schlimmste, was Ellen tun könnte, wäre diese Johnsons auf sich aufmerksam zu machen. Außerdem wird er nicht zurückkehren.«

»Aber wie können Sie das wissen?«, fragte Ruth und beugte sich vor. Ich konnte einen Großteil ihrer Brust sehen, und ich war sicher, dass auch Wolfie das konnte, doch in diesem Augenblick schien das keiner von ihnen zu bemerken. Wolfie lächelte sie an.

»Ich habe ihn gewarnt«, sagte er.

»Und Sie haben ihn vertrieben«, sagte ich.

Wolfie nickte. »Ja, das auch.«

»Ich verstehe das nicht«, sagte Ruth.

»Wolfie hat Recht«, sagte ich, »ich könnte es nicht ertragen, den Rest meines Lebens damit zu verbringen, nach einem dieser Johnsons über die Schulter zu schauen.«

»Und genau das würde geschehen«, sagte Wolfie.

»Ich bin noch immer der Meinung, dass wir die Polizei verständigen sollten«, sagte Ruth.

»Nein«, erwiderte ich.

Ruth seufzte. »Also, was hast du dann vor?«

»Nichts«, sagte ich und erholte mich allmählich. »Mir geht es gut, und außerdem wird Will bald hier sein.«

»Das könnte der kriminellen Zunftwirklich Angst einjagen«, sagte Ruth lachend, und noch ehe ich antworten konnte, klingelte es an der Tür und Will traf ein.

»Ell, du rätst nie ...«, begann er, ehe er innehielt und die Szene in meinem Apartment betrachtete. Riesiger Mann. Schlafendes Baby. Verheulte Schwester. Und Ruth.

»Hi, Ruth«, sagte er, von einem Ohr zum anderen lächelnd. Ruth war wie ein Traumbild, das von einem Jungen im Teenageralter entworfen wurde und das von jedem Jungen im Teenageralter geliebt werden würde. Will war da keine Ausnahme.

»Will«, erwiderte Ruth.

»Das ist Wolfie«, sagte ich, ehe Will Ruth anstarrte. »Er hat mich vor einem Kerl gerettet, der versucht hat, mich im Parkhaus zu überfallen.«

Will sah mich an. »Du bist aber okay, ja?«

»Sicher«, sagte ich, »da du jetzt da bist, um mich zu beschützen.«

Will lachte laut auf. »Gutes Mädchen, Ell. Hör mal, ich kann nicht sehr lange bleiben. Ich habe Gary in der Stadt getroffen, und wir haben heute Abend einen Auftritt. Es hat bei Grady eine Absage gegeben, und sie haben uns gebeten zu spielen.«

»Aber du hast versprochen, mir mit Kieran zu helfen«, sagte ich und geriet plötzlich in Panik bei der Aussicht, eine Nacht allein mit irgendeinem rotgesichtigen Kerl zu verbringen, der darauf wartete, mich zu vergewaltigen oder zu ermorden.

»Ich weiß, ich weiß, aber ich kann das nicht sausen lassen, Ell, wir haben schon viel zu lange auf diesen Durchbruch gewartet. Hast du eine Vorstellung davon, wie viele Leute an einem Samstagabend zu Grady gehen? Das könnte unsere Chance sein. Hör mal, ich werde dich später abholen, okay?«

»Aber wie willst du die Sachen dort hinbekommen?«, fragte ich. »Ich kann dich nicht fahren. Ich habe Kieran.«

»Garys Vater bringt sie hin. Aber trotzdem danke. Wir sprechen uns noch. Nett, Sie kennen gelernt zu haben, Mr. Wolfie. Tschüss, Ruth.«

Und noch ehe ich widersprechen oder nach seinen Knöcheln greifen konnte und meinen dürren, gepiercten, musikversessenen kleinen Bruder anflehen konnte, bitte, bitte, bitte zu bleiben, war er auf und davon, mit dem Quietschen seiner Sohlen auf meinem polierten Holzfußboden und dem Zuschlagen der Tür. Weg.

Wolfie und Ruth standen nebeneinander und lehnten am Arbeitstresen in meiner Küche, während sie uns zuschauten.

»Geh nach Hause und verbringe die Nacht dort«, sagte Ruth, ehe ich die Energie aufbringen konnte, tapfer zu sein. »Ich würde ja bleiben, aber ich arbeite heute Nacht.«

»Jesus, Ruth, ich kann den Gedanken, nach Hause zu gehen, nicht ertragen. Mir geht es gut. Außerdem könnte ich Will anrufen und ihn dazu bringen, nach dem Auftritt herzukommen und zu bleiben.«

Ruth seufzte. »Hör mal, Will ist ein guter Junge, aber er ist ein langes, dürres Elend, und ich kann mir nicht vorstellen, wie er dir helfen sollte, wenn dieser Mann zurückkommt, um dich zu töten. Mach dir nichts vor, Ellen, aber Kieran wiegt wahrscheinlich mehr als Will. Was soll er denn für dich tun? Den Angreifer zu Tode singen?«

»Niemand kommt zurück, um irgendjemanden zu töten«, sagte Wolfie.

Ruth lächelte zu ihm hoch. »Ich weiß, dass sie ihn verjagt haben, doch ehrlich gesagt ...« Ruth hielt inne und stemmte eine Hand in die Hüfte, als ob sie Wolfie herausfordern wollte, ihr zu widersprechen. »Ellen ist meine Freundin, und ich muss dafür sorgen, dass sie in Sicherheit ist. Sie sollte nach Hause gehen. Ihre Mutter würde jedem den Garaus machen. Zu Hause wird ihr nichts geschehen. Ich denke, dass ich diese Situation am besten beurteilen kann.«

Wolfie und Ruth starrten einander an, und ich konnte deutlich erkennen, dass Ruth in ihrer »Misch-dich-nicht-ein-oder-ich-werde-dich-töten-Stimmung« war. Aber ich konnte den Ausdruck auf Wolfies Gesicht nicht deuten. Was würde ich tun, wenn er beschloss, beleidigt worden zu sein und Ruth in meinem Apartment anzugreifen? Wolfie konnte uns alle auf einen Arm nehmen und uns aus dem Fenster im dritten Stock in den sicheren Tod im Garten unten werfen, zwischen all den Abfällen des Hauses und meinem Top, auf das Joey gepinkelt hatte. Ich musste etwas unternehmen, um die Situation zu entschärfen.

»Hm ...«, machte ich.

Beide schenkten mir ihre Aufmerksamkeit. Ich konnte kein anderes Wort finden, aber da sie zumindest aufgehört hatten, sich gegenseitig anzustarren, dachte ich, dass ich vielleicht etwas erreichen konnte.

»Hm, hört mal ...«, sagte ich dann.

Kieran murmelte im Schlaf und reckte sich.

»Scheiße«, sagte ich. »Jetzt wacht auch noch das Baby auf.«

Doch Ruth und Wolfie starrten sich schon wieder an, und ich war nicht bereit für irgendetwas. Oh Gott, dachte ich, Arnold Schwarzenegger und Minnie Mouse. Wir werden alle sterben.

Dann grinste Wolfie ohne jede Vorwarnung. »Der letzte Typ, der mit mir gesprochen hat, ist von einer Säule heruntergehüpft. Aber ich denke, Sie haben Recht. Warum gehen Sie nicht zu Ihrer Mutter, Ellen?«

Ich seufzte besiegt. Arnie und Minnie waren zu viel für mich. Kieran wachte auf und streckte die Arme nach mir aus, und ich nahm ihn hoch. Er lachte, als ich ihn fest an mich drückte.

»Okay«, sagte ich und war froh, dass der Entscheidungskampf zumindest für den Augenblick abgewendet worden war. »Ich suche meine Sachen zusammen und fahre später los.«

»Nein; warum gehen Sie nicht jetzt?«, fragte Wolfie. »Ich werde Ihnen helfen.«

Ich sah Ruth an, und sie nickte. Vielleicht war das gar keine schlechte Idee. Wenn ich jetzt ging, musste ich wenigstens nicht allein mit einem kleinen Baby bleiben, falls der Mörder zurückkehrte. Vor allem, wenn Wolfie nicht da war. Und außerdem war das eine Tatsache, was Ruth über meine Mutter gesagt hatte. Wenn alles versagte, konnte meine Mutter den Angreifer bekochen.

Also packten Ruth, Wolfie und ich alle Sachen von Kieran zusammen, und ich warf ein paar Toilettenartikel (und meinen Make-up-Beutel) in eine Tasche mit sauberer Unterwäsche, einem T-Shirt und Jeans. Dann verließen wir mein Apartment und gingen in Richtung Auto. Ein Schauer rann mir durch den ganzen Körper, als ich das Parkhaus betrat, und ich fragte mich, wo ich mir eine Waffe besorgen könnte. Wolfie und Ruth würden nicht immer da sein, um mich zu beschützen.