Kapitel 19

Ich machte mir eine Pizza und Pommes frites und trank einen Liter Saft (sollte ich tatsächlich schwanger sein, dachte ich, würde ich die Vitamine benötigen). Und Joey und ich hatten uns gerade gesetzt, um Wiederholungen von Emergency Room anzusehen, als es an der Tür klingelte. Ich ging auf Zehenspitzen zum Türspion und hatte vor, das Klingeln zu überhören, wenn ich den Besucher nicht mochte – und es gab im Augenblick eine lange Liste unwillkommener Besucher. Doch es waren Ruth und India. Ich öffnete die Tür, und sie stürzten herein.

»Wir haben Wein mitgebracht«, sagte Ruth.

»Geht es dir besser?«, fragte India.

»Oh, wunderbar, euch zu sehen. Warum kommt ihr nicht herein und macht es euch gemütlich?«, fragte ich, als ich vor der Couch stand, auf der sich meine beiden Freundinnen schon breit gemacht hatten.

Ruth zog eine Augenbraue hoch. »Setz dich und erzähle uns alles. India hat mir berichtet, dass du und der attraktive Andrew eine schöne Zeit gehabt habt, indem ihr euch rund um Marbella durchgeschlafen habt ...«

»Das habe ich nicht gesagt«, unterbrach India.

»Nein«, sagte Ruth, »aber das ist das, was du gemeint hast, also sei ruhig und ein braves kleines Mädchen. Erzähle es mir, Ellen.«

»Es gibt nichts weiter zu erzählen«, sagte ich, als Ruth aufstand und in die Küche ging, um Gläser zu holen. Sie füllte drei Gläser mit Wein und reichte sie herum.

»Da muss aber mehr sein«, sagte Ruth. »Lüge deine besten Freundinnen nicht an, das gibt schlechtes Karma – in deinem nächsten Leben wirst du als Esel zurückkehren.«

Ich lachte.

»Ist da noch mehr?«, fragte India, beugte sich zu mir vor und umfasste ihr Weinglas mit beiden Händen.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe dir schon so gut wie alles erzählt, es sei denn, du möchtest den Sex haarklein hören ...«

»Rede weiter«, sagte Ruth und lehnte sich auf der Couch zurück. Sie hatte sich ihrer roten Pumps bereits entledigt, die im rechten Winkel zueinander unter dem Couchtisch lagen.

»Du bist pervers«, sagte ich.

»Ruth, um Gottes willen«, rief India und schlug Ruth aufs Bein.

Ruth lachte.

»Jedenfalls hatten Andrew und ich Sex in Spanien und ... es schien wirklich, als wäre es zu dem Zeitpunkt das Richtige gewesen.«

Ich schwieg und trank den Inhalt meines Glases in einem langen Schluck aus, schenkte nach und fuhr fort: »Ich dachte, dass alles wieder in Ordnung sei. Es fühlte sich an, als ob es so wäre – als wäre all der Mist nie passiert. Er sagte mir ... oh, das Übliche, dass er mich liebt und so weiter. Ich glaubte ihm, und dann kam am Montag diese Frau und das Kind ins Büro, auf der Suche nach ihm. Ich konnte es nicht glauben! Aber es stimmte wirklich.«

»O je«, sagte Ruth.

Ich zuckte mit den Schultern.

»Mistkerl«, sagte India.

Ich nickte. »Das war es. Ich bin endlich mit Andrew Kenny fertig. Nach all dieser Zeit habe ich meine Lektion gelernt.«

»Arme Ellen«, sagte India.

»Ich werde es überstehen.«

»Hast du mit Andrew über die Madonna und ihr Kind gesprochen?«, fragte Ruth.

»Warum denn? Das kleine Mädchen ist eindeutig sein Kind – selbst Tim Gladstone sagte es, und wenn man sie ansieht ... sie sieht aus wie er.«

»Je weniger Ellen mit Andrew Kenny zu tun hat, desto besser«, sagte India. »Er hat sie schon genug verletzt.«

Ruth leerte ihr Glas und schenkte nach, dann sah sie mich an. »Ich weiß, dass du verletzt bist, doch, Ellen, du warst diejenige, die es zuerst beendet hast.«

»Nein, habe ich nicht.«

»Doch, Liebes, du hast mit Emerson geschlafen, soweit ich mich erinnere. Tut mir Leid, India.«

»Das hat nichts mit mir zu tun«, sagte India.

Ruth lachte. »Emerson ist immerhin ein Mann – auch wenn er verrückte Dokumentationen über die Geburtsrituale am Amazonas dreht. Er hat mir schon immer gefallen, doch egal, aus welcher Warte man es betrachtet, Ell – dass du mit Emerson geschlafen hast, war der Todeskuss für deine Beziehung mit Andrew.«

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte das alles schon früher durchdacht, und ich wusste, dass ich Recht hatte, und ich würde mir das sogar von der wohlmeinenden Ruth nicht ausreden lassen. »Er sagte, dass er mich liebt. Aber, Ruth, er konnte nicht mal ein wenig Druck vertragen, ohne gleich nach England abzuhauen. Ist das Liebe?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Ruth.

»Ich schon«, sagte India, »und das hat nichts zu tun mit Emerson, selbst wenn er mein Bruder ist ...«

»Wo ist Emerson denn jetzt?«, unterbrach Ruth.

»In Tibet. Aber lass Emerson aus dem Spiel. Andrew hätte Ellen besser behandeln sollen. Er ist ein feiger Mistkerl. Ich habe ihn nie gemocht. Ich habe ihm auch nie getraut. Klar kann ich sehen, wie attraktiv er ist, doch ... Ellen ist ohne ihn besser dran. Ich bleibe dabei.«

»Ja, das tust du«, sagte Ruth. »Ich meine ja nur, dass du mit Andrew über das Geschehene sprechen solltest. Hast du schon mit ihm geredet?«

Ich nickte.

»Und?«

»Es war nett.«

»Wirklich?«

Ich nickte. »Wirklich.«

»Und was hat er gesagt?«, fragte Ruth.

»Nicht viel.«

»Okay – und was hast du gesagt?«

»Nun, im Grunde dankte ich ihm für das Stelldichein.«

»Gott im Himmel«, sagte Ruth.

India lachte. »Braves Mädchen.«

»Und was sagte er dazu?«, fragte Ruth.

»Nicht viel. Was sollte er sagen. Der kleine Mistkerl scharwenzelt mit Davina Blake herum, schläft mit mir und versteckt die ganze Zeit eine Frau und ein Kind – was soll das denn bedeuten, Ruth?«

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Ruth. »Deshalb glaube ich ja, dass du ihn fragen solltest.«

»Ich habe jetzt aber andere Dinge im Kopf«, sagte ich. »Ich werde weitermachen, und meinetwegen kann er einen ganzen Harem haben. Ich muss euch etwas sagen. Ich hatte heute Sex mit Tony Jordan.«

»Was?«, rief India aus und verschüttete fast den Wein, als sie sich aufgeregt vorbeugte.

Ich verbarg das Gesicht hinter meinen Händen und lachte.

»Wie?«, fuhr India fort. »Wo? Wann?«

»Heute Morgen – im Haus seines Onkels –, ach, er ist ja nicht sein richtiger Onkel, der tote Mann, den Andrew und ich gefunden hatten – erinnert ihr euch an ihn?«

Ich schaute meine Freundinnen an, die mir ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkten.

»Erzähle uns später von dem Mord«, sagte Ruth. »Ich möchte was über den Sex hören.«

»Dafür gibt es doch einen Begriff«, erwiderte ich.

»Voyeurismus«, sagte India.

»Ich habe dich nicht über Wolfie ausgefragt – wie war denn das?«, fragte ich.

Ruth grinste. »Großartig. Nun pack schon aus, Mädchen.«

»Es war toll«, sagte ich. »Ehrlich. Ich sage das nicht einfach so dahin. Selbst mit ... mit allem anderen, was da läuft. Ich gehe mit ihm morgen Abend zu einer Party – zu diesem Immobilien-Ball.«

»Ich gehe auch dorthin«, sagte India aufgeregt. »Unsere Firma stellt die Anwälte für die Ausarbeitung der Verträge. Ich glaube, ich habe euch das schon erzählt. Jedenfalls sind wir und bin ich eingeladen worden.«

»Und ich gehe auch hin«, sagte Ruth lachend. »Was für ein Zufall ist denn das?«

»Warum gehst denn du hin?«, fragte India.

»Oh, du glaubst also, dass eine bescheidene Empfangsdame nicht gut genug ist, um zu einem schicken Ball mit den Schönen und Reichen zu gehen, was?«, erwiderte Ruth.

»Das habe ich nicht gemeint, Ruth. Wie kannst du nur so etwas sagen? So etwas würde ich nicht einmal denken.«

Ruth lachte und boxte India gegen den Arm. »Ich weiß. Ich gehe mit Wolfie hin.«

»Das ist cool«, sagte ich. »Wir werden uns kaputtlachen.«

»Das ist in Ordnung für euch beide«, sagte India und zog eine Schnute. »Ich habe keinen Freund, den ich mitbringen kann.«

»Mach dir keine Sorgen, Schätzchen«, sagte Ruth. »Wir werden dort schon einen Freund für dich finden.«

»Glück wäre eine feine Sache«, sagte India.

»Was zieht ihr denn an?«, fragte ich. »Wie formell ist das denn?«

»Ziemlich formell«, sagte India, »aber nicht einschüchternd.«

»Na gut«, sagte ich, stand auf und ging zur Küche. »Das ist ja prima. Ich werde einfach meine umfangreiche Abendgarderobe durchsehen und etwas Passendes aussuchen. Für wen hältst du mich eigentlich, Ind? Für Alison?«

»Du hast das rückenfreie schwarze Kleid«, sagte India. »Hast du das überhaupt schon mal getragen?«

»Ein Mal. Aber was ist mit Schuhen?« Ich erinnerte mich an die Sandalen, die Andrew mir in Spanien geschenkt hatte und die noch immer in meinem Koffer lagen. Sie könnten zu dem Kleid passen. Allerdings hatte Andrew sie mir geschenkt, und damit waren sie für den Wohlfahrtsladen bestimmt – selbst wenn es mich umbringen würde, diesen Schuhen auf Wiedersehen zu sagen.

»Du wirst vielleicht keine andere Wahl haben, neue Schuhe zu kaufen«, sagte Ruth. »Das ist wirklich eine Last.«

Ich lächelte, denn es gab nichts, was ich mehr liebte, als Schuhe zu kaufen. »Möchte jemand Kaffee haben?«, fragte ich.

Ruth hob die Weinflasche hoch. »Okay, du kannst welchen machen. Diese Flasche scheint leer zu sein.«

Ich füllte den Wasserkessel und hörte meinen Freundinnen zu, die miteinander die Einzelheiten der Garderobe diskutierten, die sie zu dem Ball tragen wollten. Das schwarze Kleid war eine gute Idee. Vor allem, weil es am Bauch nicht zu eng saß. Eine gute Eigenschaft für jedes Kleid zu jeder Zeit, ganz zu schweigen kurz vor der Periode – oder wenn man zufällig ein bisschen schwanger war.

Das Wasser kochte, und ich machte drei Becher Kaffee zurecht und trug sie und zwei Pakete Schokoladenkekse in den Wohnzimmerbereich. Ruth und India schauten kaum auf, als ich zurückkam. Sie waren völlig vertieft in ein Gespräch über die Eigenschaften von künstlicher Sonnenbräune. Ich würde es ihnen erzählen, beschloss ich, als ich das Tablett auf meinem Couchtisch abstellte. Sie waren meine besten Freundinnen, und sie waren wirklich gute Freundinnen – wir hatten im Laufe der Jahre viel miteinander durchgestanden. Ich wusste, dass, wenn ich es ihnen sagte, sie mich beruhigen könnten, dass ich nicht schwanger war, oder mir sogar helfen, vernünftig zu bleiben, falls ich es doch war. Und wenn ich es ihnen erzählte, würde es mir zumindest nicht mehr ständig im Kopf herumgehen. Das war es. Es war entschieden. Ich würde es tun.

»Kann ich euch beide eine Minute lang sprechen?«, fragte ich.

India und Ruth schauten zu mir auf.

»Ich muss euch etwas sagen ...«

An der Tür klingelte es.

»Einen Moment«, sagte ich und schlenderte davon, um die Tür zu öffnen.

Angela Maunsell flatterte an mir vorbei in den Raum.

»Ellen, Ellen, Ellen. Wo bist du gewesen? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, und dieser Junge von den Jordans war gestern Abend auf der Suche nach dir hier. Und wir hatten eine wunderbare Zeit miteinander, versteh mich nicht falsch, Liebes, wir haben Kaffee getrunken und eine lange, lange Diskussion über Bücher geführt. Ich glaube, ich konnte ihn überzeugen, in meinen Horror-Leser-Buchclub einzutreten, was Phyllis Hickey einen Schlag versetzen wird, die ihren Neffen Fachtna mitbringt – Fachtna! Was ist denn das für ein Name? Ich bin wirklich für die irische Tradition und all das, aber das klingt überhaupt nicht wie ein Name, um Gottes willen. Und was diesen Fachtna angeht – er ist entnervend.«

Angela machte eine Pause, um Luft zu holen.

»Hallo, Angela«, sagte Ruth.

»Fühlen Sie sich besser, Angela?«, fragte India.

»Guten Abend, Mädchen«, sagte Angela lächelnd und winkend. »Wie geht es euch beiden? Ich habe euch eine Weile nicht gesehen. Wie geht es deiner Mutter, India?«

»Es geht ihr gut«, erwiderte India.

»Hört mal, ich wollte nicht bleiben und euren gemütlichen Mädchenabend stören. Ich wollte nur nachsehen, ob es dir gut geht, Ellen.«

»Mir geht es gut, Angela. Ich war in Spanien und habe mir dort einen Bazillus eingefangen. Also habe ich gestern wie eine Tote geschlafen, und jetzt geht es mir besser.«

»Das ist großartig«, sagte Angela. »Ich werde jetzt wieder gehen.«

»Warum bleibst du nicht für einen Kaffee?«, bot ich an.

»Ich möchte euch drei nicht stören.«

»Sie stören uns nicht«, sagte Ruth, »kommen Sie hier neben mich auf die Couch.«

»Also ...«, begann Angela mit leuchtenden Augen, »wenn ich nicht störe.«

»Ich hole Ihnen eine Tasse Kaffee«, sagte India. »Setzen Sie sich hin und entspannen Sie sich.«

Angela ging zu dem Sessel und setzte sich. Eine Minute später gab India ihr eine Tasse Kaffee.

»Danke dir, Liebes. Sag mir, Ruth, geht es deinem Onkel Richard besser?«

»Kennen Sie eigentlich alle Leute, Angela?«, fragte Ruth.

Angela lächelte und nickte. »Ziemlich viele.«

»Er hat das Krankenhaus wieder verlassen«, erklärte Ruth, »das hat mir meine Mutter heute mitgeteilt.«

»Richard war ein schrecklich gut aussehender Mann in seinen Tagen, weißt du. Und er konnte tanzen wie Fred Astaire – obwohl er kein Homo wie Fred Astaire war –, aber trotzdem ein wunderbarer Tänzer. Das Trinken hat ihn ruiniert. Natürlich kann man nicht tanzen, wenn man eine volle Flasche Whiskey intus hat, oder?«

Ruth, India und ich lachten, und Angela setzte sich auf ihrem Sessel zurecht. Ich konnte erkennen, dass Angela es sich für den Abend gemütlich gemacht hatte. Ich wollte mich dem Partygeplauder mit Angela und den Mädchen anpassen, doch meine verspätete Periode begann immer drohender über mir zu schweben, während der Abend fortschritt.

Also kringelte ich mich, mit Joey auf dem Schoß, in einem Sessel zusammen und schützte Erschöpfung vor, während ich das Lachen und Scherzen um mich herum beobachtete. Ich wusste, dass ich niemals mehr den Mut aufbringen würde, India und Ruth zu erzählen, dass ich glaubte, schwanger zu sein, zwar nicht deshalb, weil ich glaubte, dass sie mir etwas Schlechtes oder Kritisches sagen würden. Sondern es war der Gedanke, diese Worte laut auszusprechen. Irgendwie war das der beängstigendste Teil. Als ob schon das Aussprechen es wirklich machen würde. Doch wenn ich es in mir eingeschlossen hielt, könnte es nicht wahr sein.