Ihre Finger schlossen sich fest um das Dokument mit den Informationen darauf, obwohl sie jedes Detail davon auswendig kannte. Es war das Ticket in ihre neue Zukunft. Bereits ein paar Stunden nach dem Eignungstest hatte man sie kontaktiert. Sie hatte solche Angst gehabt, aufgeflogen zu sein, dass sie sich kaum getraut hatte, ans Telefon zu gehen.
Doch sie hatte es geschafft. Laura hatte nicht nur den besten Eignungstest abgeliefert, sie durfte sich sogar aussuchen, wo sie ihre Ausbildung absolvieren wollte. In ganz Altberlin waren Polizeianwärter knapp, aber sie hatte sofort gesagt, dass sie im »Käfig« den Dienst antreten wollte. Ein direkter Durchmarsch, mit dem sie niemals gerechnet hätte.
Der Beamte, der ihr die notwendigen Dokumente ausgehändigt hatte, wollte sie noch davon abbringen, aber für Laura war es ein Zeichen. Das Beste, was ihr hatte passieren können – so konnte sie keinen Rückzieher mehr machen. Sie würde ihren Plan verfolgen und Fenne Gerechtigkeit verschaffen. Schließlich war sie das einzig richtig Gute in Lauras Leben gewesen.
Den Nachmittag nach dem Eignungstest hatte sie damit zugebracht, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Die letzten Tage hatte sie in einer schäbigen WG verbracht, in der sie zum Schlafen jeden Abend einen Stuhl unter die Klinke ihrer Zimmertür geklemmt und ihre Walther P180 unters Kopfkissen geschoben hatte, weil ihr zwei der Typen, die dort ein und aus gingen, nicht geheuer gewesen waren. Jetzt hatte sie sich erst mal, wie alle hier, in einer verlassenen Wohnung eingenistet. Sicher wäre es möglich, in Neuberlin eine kleine Wohnung oder ein Zimmer zu beziehen, sie verdiente immerhin ein wenig Geld, doch Laura war es lieber, so wenig offizielle Spuren wie möglich in dieser Stadt zu hinterlassen. So konnte sie verschwinden, wenn es nötig wurde. Außerdem hatte sie nur ihren Ausweis und das polizeiliche Führungszeugnis – alle anderen Dokumente, die man offiziell zur Anmietung einer Wohnung brauchte, hatte sie auf die Schnelle nicht besorgen können. Geschweige denn bezahlen. Auf ihrem neuen Ausweis stand der Name Martha Stricker. Es war der Mädchenname ihrer Mutter. Laura konnte nur hoffen, dass ihr diese Tatsache dabei helfen würde, ihren neuen Namen zu verinnerlichen.
Sie war sich merkwürdig vorgekommen, als sie die Tür zu der kleinen Altbauwohnung aufbrach. Zwar hatte sie bis hierher schon weitaus illegalere Dinge getan, doch dieses gewaltsame Aufbrechen der Tür führte ihr einmal mehr deutlich vor Augen, dass sie jetzt auf der anderen Seite stand. Doch hier fühlte sie sich besser. Ehrlicher.
Nun bewohnte sie also eine geräumige Einzimmerwohnung mit großer Küche und einem baufällig wirkenden Balkon, der von den Ästen eines Kastanienbaumes überwuchert wurde. Laura mochte genau das. So wurde ihr neues Wohnzimmer in ein sattgrünes Licht getaucht, wenn die Sonne schien. Darüber hinaus war sie vor Blicken geschützt. Die letzten Bewohner hatten noch ein paar nützliche Dinge zurückgelassen, auch wenn keine zehn Pferde Laura dazu bringen würden, auf der alten Matratze zu schlafen. Sie hatte ihren Schlafsack.
Da sie in der Wohnung keinen Spiegel gefunden hatte, wusste sie nicht genau, wie sie gerade aussah. Sie hatte sich das Gesicht gewaschen und versucht, ihre Haare zu kämmen, und diese anschließend mithilfe ihrer Tablet-Kamera hochgesteckt. Zum Glück gab es in den verlassenen Häusern meistens Strom. Energie war so billig, dass es niemanden zu interessieren schien, ob jemand dafür zahlte. Wahrscheinlich waren einfach ein paar Solarpanels auf dem Dach. Vor rund dreißig Jahren hatte man die Dinger auf beinahe jede freie Fläche montiert.
Heute nach der Arbeit würde sie ein neues Schloss und ein paar Sachen besorgen, und schon hatte sie eine passable Bleibe nur für sich alleine. An ihre gemütliche, mit Liebe eingerichtete Wohnung in Hamburg versuchte sie einfach nicht zu denken. Es gab so einiges, woran sie besser nicht dachte.
Als sie am Alexanderplatz aus der Bahn stieg und auf ihren zukünftigen Arbeitsplatz zulief, wurde ihre Brust eng. Der imposante und gleichermaßen heruntergekommene Backsteinbau schüchterte sie schon ein wenig ein. Sie hatte den Käfig bisher nur in den Nachrichten gesehen, wenn die Unfähigkeit der Altberliner Polizei mal wieder thematisiert worden war, weil es sonst nichts gab, was sich zu berichten lohnte. Sie war gespannt darauf, wie viel Wahrheit in den Gerüchten über das berühmteste Dezernat Deutschlands steckte.
Bei jedem einzelnen Schritt fühlte Laura das Verlangen, auf dem Absatz kehrtzumachen und einfach wegzurennen. Sie hatte gehört, dass es in Schweden gar nicht so schlecht war. Vielleicht sollte sie einfach dorthin gehen? Doch wenn sie den Kopf in den Sand stecken wollte, hätte sie auch in Hamburg bleiben können.
Sie musste sich zusammenreißen und erst mal die Füße stillhalten. Informationen sammeln und nicht weiter auffallen.
Ihre Maschine hatte sie jedenfalls in Pankow stehen lassen. Sie hatte den Verdacht, dass es besser war, nicht am ersten Tag mit einem Sportmotorrad vor dem Käfig aufzukreuzen. Und wenn sie sich hier so umsah, bezweifelte sie zudem stark, dass der Alexanderplatz ein sicherer Ort war, um ihr geliebtes Bike zu parken. Die Leute, die in den Morgenstunden auf dem Platz herumlungerten, sahen alle so aus, als würden sie nur auf die nächste günstige Gelegenheit warten, in der sie jemanden abziehen konnten.
Nervös ging sie zur Pforte und streckte dem Pförtner das Dokument der Prüfungsstelle hin. Dieser runzelte die Stirn, blickte vom Papier in seiner Hand zu Laura und wieder zurück. Das tat er ganze drei Mal, ohne ein Wort zu sagen.
»Na, Püppi, willste dir dat nich nochma überlegen?«, fragte er schließlich, und Laura hätte schwören können, dass sich seine Lippen nicht bewegt hatten.
Sie schüttelte den Kopf. »Danke. Aber nein, will ich nicht.«
Der Pförtner seufzte theatralisch, als hätte sie ihm gerade eröffnet, dass sie einen Termin für die Hochzeit mit einem Zyklopen brauchte.
»Na jut. Wenn de meinst. Aber auf deine Verantwortung, Püppi.«
Laura nickte, weil ihr so viele Dinge gleichzeitig auf der Zunge lagen, dass es besser war, überhaupt nichts zu sagen. So ein Verhalten war ihr in Hamburg niemals untergekommen. Anwärter oder nicht, hier sprachen doch gerade zwei erwachsene Menschen miteinander!
Der Pförtner nahm ein Telefon zur Hand und führte ein kurzes Gespräch. Dann beugte er sich wieder vor und sagte: »Dritter Stock, Kapitalverbrechen. Abteilung von Hinnerk Blume. Du sollst nach Birol Celik fragen. Kannste dir dit allet merken?«
Laura konnte es kaum glauben. Ausnahmsweise hatte sie einmal Glück und wurde genau dort eingesetzt, wo sie hinmusste: in der Abteilung für die schwersten Verbrechen. Hier wurden Mord und Totschlag, Vergewaltigung und schwere Körperverletzung behandelt. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass sie ihren Dienst dort beginnen durfte. Ihre Freude überlagerte beinahe die Empörung darüber, dass der Typ im Pförtnerhäuschen sie ganz offensichtlich nicht für sonderlich intelligent hielt. Vor lauter Freude darüber hatte sie sich den zweiten Teil der Anweisung tatsächlich nicht gemerkt. Laura öffnete den Mund.
»Ick mene ja nur. Weil de freiwillig hierher willst. Könnt ja sein, dass de aufn Kopp jefallen bist, Püppi.«
Laura schnaubte und presste die Lippen aufeinander. Püppi. Wenn sie könnte, würde sie ihm die Püppi sonst wohin schieben. Und zwar verdammt noch mal bis zum Anschlag. Aber das war wohl nichts, was ihr neuer Chef als »guten ersten Eindruck« in ihrer Akte vermerken würde. Es war wichtig, dass sie sich zusammenriss. Doch sie brachte es nicht über sich, den Pförtner noch mal zu fragen, bei wem sie sich melden sollte. Die Genugtuung konnte sie ihm einfach nicht geben. Hinnerk Blume, das hatte sie sich gemerkt. Würde ja wohl reichen.
Laura marschierte durch das Doppeltor, ohne sich bei dem Mann zu bedanken. Er brummte ihr noch etwas hinterher, aber wahrscheinlich war es besser, dass sie es nicht verstand.
Im Hof angekommen, legte Laura den Kopf in den Nacken und gönnte sich einen Blick auf den riesigen zentralen Turm, der dem Käfig seine unverwechselbare Silhouette verlieh. Die Uhr, die an der Spitze des Turms kurz unterhalb der Altberliner Fahne saß, war schon vor Urzeiten stehen geblieben. Laura wusste, dass die Zeiger auf »fünf vor zwölf« zeigten, und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob das Absicht war oder ein grausamer Zufall. Denn Altberlin, so schien es manchmal, war vielleicht nicht mehr zu retten.
Laura trat durch eine große Doppeltür, die direkt zu einer breiten weißen Marmortreppe führte. Obwohl es erst früher Morgen war, herrschte im Eingangsbereich des Käfigs hektische Betriebsamkeit. Die helle, imposante Treppe mit ihrem breiten, ebenfalls aus Marmor gefertigten Geländer ließ noch etwas von der alten Pracht vermuten, die das ehemalige Parlamentsgebäude in früheren Zeiten sicherlich an den Tag gelegt hatte. Sie kam sich vor wie auf der Schwelle zu einer versunkenen Welt. Atlantis im Backsteinformat.
Doch auch hier war der Verfall deutlich sichtbar. Die Uniformen der Beamten wirkten schäbig und aufgetragen. Hier und da rieselte der Putz von Wänden und Decken, die schönen Bodenfliesen wiesen Risse und Sprünge auf. Und doch konnte sich Laura der Autorität und Ruhe, die das Gebäude ausstrahlte, kaum entziehen. Aber war es im Auge des Orkans nicht immer am ruhigsten?
Im dritten Stock fragte sie sich durch und landete schließlich in einem leeren Büro mit drei abgewetzten Schreibtischen, hinter denen jeweils ein blauer Drehstuhl in noch schlimmerem Zustand platziert worden war. Das Büro machte einen kahlen Eindruck, die Regale an den Wänden waren leer, das Whiteboard in der Ecke noch völlig unbenutzt. Daneben ragten blanke Kabel aus der Wand, die sicher für ein großes Tablet gedacht waren. Es wirkte, als würde der Raum seit Jahren auf etwas oder jemanden warten. Durch das schmale Fenster war der alte Funkturm zu sehen, dessen Spitze sich heute komplett in Wolken hüllte. Der Tag war diesig und dunkel; die Sonne hatte es schwer, sich durchzusetzen, blitzte hier und da allerdings hervor.
Laura war nicht alleine im Raum. Auf dem Stuhl am Fenster saß zusammengesunken eine kleine, zarte Gestalt und schnarchte leise.
Laura beobachtete das Wesen, von dem sie glaubte, dass es eine Frau oder ein Mädchen sein musste. Sie bot einen so bizarren Anblick, dass Laura es zuerst nicht wagte, sich zu rühren. Wenn das Büro um sie herum nicht gewesen wäre, dann hätte sie vermutet, in einem Märchen oder einem Traum gelandet zu sein. Denn die Frau, die auf dem Stuhl schlief, war komplett weiß. Nicht blass oder blond oder besonders nordisch. Nein, absolut und vollkommen weiß. Die reinweißen Haare fielen ihr glatt und strähnig an beiden Seiten auf die Schultern, die Augenbrauen zeichneten sich auf der schneeweißen Haut nur als leichter Schimmer ab. Das schwache Sonnenlicht wurde von ihrem Kopf reflektiert, es sah aus, als wäre sie von einem hellen Schein umgeben. Insgesamt wirkte es, als wäre sie direkt aus einer Wolke gefallen. Als sei sie aus Schnee oder Luft oder so was. Einen Menschen, der so aussah, hatte Laura noch nie gesehen.
Der zarte Körper steckte zum Kontrast in komplett schwarzen Klamotten. Schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, schwarze Bikerjacke. Die hellen Fingernägel waren dunkel verkrustet.
Laura bewegte sich auf Zehenspitzen in Richtung des zweiten Schreibtischs. Zwar wusste sie selbst nicht, warum, aber sie wollte die Schlafende auf keinen Fall wecken. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie alles verderben würde, wenn sie die andere jetzt aufweckte. Doch als sie mit der Fußspitze gegen die Schreibtischkante knallte, flatterten die Wimpern der Frau, und sie schlug die Augen auf.
Laura wusste, dass es unhöflich war zu starren, doch sie konnte nicht anders. Es war unmöglich wegzusehen. Die andere Frau blickte sie nämlich aus den hellsten Augen an, die sie jemals gesehen hatte. Hellgrau. Oder blau. Oder …? Die hellen Augäpfel sahen aus wie zwei Gletscher. Die andere Frau setzte sich gerade hin und gähnte.
»’tschuldigung«, murmelte sie, und ihre Stimme war ungewöhnlich tief. »War ’ne lange Nacht.«
Diese Stimme und ihre Wortwahl irritierten Laura für einen Augenblick. Sie hatte irgendwie fest damit gerechnet, kein normales menschliches Wesen vor sich zu haben. Eher jemanden, der so was sagen würde wie: »Fürchte dich nicht, ich bin aus der Zukunft und komme in Frieden.«
Die andere nestelte ein schwarzes Haargummi aus ihrer Hosentasche und band sich die Haare zu einem unordentlichen Dutt auf dem Kopf zusammen. Jetzt konnte Laura auch ihre vollen, ebenfalls sehr hellen Lippen und die hohen Wangenknochen richtig sehen.
»Kein Problem«, murmelte sie und ließ sich nun endlich in den zweiten Sessel fallen.
»Bist du mein Babysitter?«, fragte die andere und wühlte in einem alten Militärrucksack herum.
»Babysitter?«, fragte Laura verwirrt, während sie der weißen Frau dabei zusah, wie sie einen Schluck Wasser aus einer alten Flasche nahm und anfing, damit zu gurgeln.
Nachdem sie geschluckt hatte, sagte sie: »Also nicht.«
Laura streckte die Hand aus. »Ich bin La… Martha!«
Trotz ihrer langen, schmalen Finger hatte die andere Frau einen erstaunlich festen Händedruck.
»Raven«, sagte sie, und Laura schnaubte. Wollte die sie etwa verarschen? Abrupt ließ Raven ihre Hand wieder los und musterte sie misstrauisch aus ihren wachen Gletscheraugen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ja, ich weiß. Ist unheimlich witzig, nicht wahr?« Sie spuckte Laura die Worte förmlich vor die Füße.
Laura wurde unbehaglich. »Ich …«
Raven winkte ab. »Schon gut. Ist nicht deine Schuld. Meine Mutter war voll auf Drogen, als ich geboren wurde. Sie fand es wohl geistreich.«
»Tut mir leid.«
Raven zuckte mit den Schultern. »Also, warum bist du hier?«, wechselte sie das Thema. Laura konnte genau hören, dass es sie eigentlich nicht interessierte.
»Ich bin Polizeianwärterin. Heute ist mein erster Tag!«
Raven schnaubte. »Du machst das hier freiwillig?«
Wenn es doch so einfach wäre, dachte Laura. »Du nicht?«
»Gott, nein!«
Ravens Blick wanderte an Lauras Körper auf und ab wie ein Scanner, verharrte einen Augenblick in ihrem Gesicht und ging dann in Richtung Fenster. Ein winziges Lächeln schlich sich auf ihr schneeweißes Gesicht, und sie schüttelte leicht den Kopf.
Laura fühlte, dass die junge Frau sie durchschaut hatte, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie und warum. Diese eisigen Röntgenaugen hatten sie regelrecht abgetastet. Doch gleichzeitig wusste Laura, dass ihr Geheimnis bei diesem weißen Raben gut aufgehoben war. Sie spürte, dass Raven kein Mensch war, der etwas ausplauderte.
Die Tür flog auf, und ein junger Kerl betrat den Raum. Laura schnellte vom Stuhl hoch und setzte ein professionelles Lächeln auf, Raven blieb sitzen und zog mit ausdrucksloser Miene ihre Füße auf den Stuhl, die in dreckigen schwarzen Lederboots steckten. Ein wenig krustiger Dreck rieselte dabei auf das Sitzpolster.
Der Typ, der in den Raum gestürmt war, schien von Ravens Aussehen genauso überrascht wie Laura. Für einen kurzen Moment entglitten ihm die Gesichtszüge, was Raven mit hochgezogenen Augenbrauen quittierte. Irgendwie hatte Laura das Gefühl, dass es ihr Spaß machte, andere Leute aus dem Konzept zu bringen.
Der Mann räusperte sich. »Guten Morgen. Sorry für die Verspätung. Ich bin Birol und euer …« Er suchte nach den richtigen Worten, fand sie aber nicht. »Wir werden zusammen arbeiten.«
Laura beobachtete ihn aufmerksam. Er war eher der muskulöse, kompakte Typ und hatte wahrscheinlich orientalische Wurzeln. Die Haut hatte einen hellen Kaffeeton, die gepflegten, kurz geschnittenen Haare waren leicht gelockt, und pechschwarze Augenbrauen kräuselten sich zwischen einer nachdenklich gerunzelten Stirn und traurigen ebenholzfarbenen Augen.
Ein hübscher Kerl, dachte sie. Mit Sicherheit keinen Tag älter als sie selbst. Vielleicht sogar jünger.
»Ihr seid Martha und Raven?« Er blickte von einer zur anderen, nur in der falschen Reihenfolge. Ein Fehler, der Laura auch hätte passieren können. Immerhin war sie diejenige mit dem rabenschwarzen Haar. Und Raven, nun ja, das Gegenteil.
Raven nahm die Füße vom Stuhl und zeigte erst auf sich, »Raven«, und dann auf Laura. »Martha.«
Birol nickte abwesend, er schien mit seinen Gedanken schon wieder ganz woanders zu sein.
»Das hier ist unser Büro, wir müssen uns später noch richtig einrichten. Ich habe vor einer Stunde überhaupt erst erfahren, dass ich dieses Team leiten soll, und hatte noch keine Zeit, mich vorzubereiten.«
Laura runzelte leicht die Stirn. Dieser junge Kerl sollte ihr Dreierteam leiten? In der Mordkommission? Na, das konnte ja was werden.
»Leider haben wir jetzt auch keine Zeit, uns näher kennenzulernen oder euch mit dem Käfig vertraut zu machen.« Er hob den Blick von seinem schmalen Ordner, der nach Lauras Dafürhalten überhaupt keine Papiere enthielt, und fügte hinzu: »Es gibt eine Leiche, der wir uns annehmen müssen. Sie wurde heute Nacht gefunden und liegt nun in unserer Verantwortung.«
Streng genommen liegt sie wohl eher am Fundort, dachte Laura, sagte aber nichts. Gut. Sie lernte dazu. Schweigen gehörte leider nicht unbedingt zu ihren Stärken.
Raven starrte Birol an, als überlegte sie, wie sie ihm die Worte zurück in den Mund stopfen könnte.
»Eine Leiche«, sagte sie bitter und schloss für einen Moment die Augen. Wenn sie dazu in der Lage wäre, dann wäre sie jetzt sicher blass geworden. Laura fragte sich, warum diese Eröffnung Raven so mitnahm. Immerhin waren sie bei der Altberliner Polizei, mitten im Käfig und bei der Mordkommission. Leichen waren ihr tägliches Geschäft.
Während sie Birol nach draußen folgten, fragte sie sich, wer Raven war und was in aller Welt sie ausgerechnet hier zu suchen hatte.