Er kochte vor Wut. Worte konnten nicht beschreiben, was er jetzt am liebsten mit dem Polizeipräsidenten und seiner gesamten, nutzlosen Bagage gemacht hätte. Was fiel denen eigentlich ein?
Es gab einen Modus Operandi für solche Situationen, eine Klaviatur von Aktionen, auf der die Polizei spielen durfte, wenn es um Razzien in seinem Club ging. Keine Belästigung der Gäste, kein gewaltsames Vordringen in die unteren Stockwerke. Und ganz sicher keine Verhaftungen von Leuten, die er nicht freigegeben hatte.
Und heute? Heute waren die Leute reihenweise vermöbelt worden, normale, unbescholtene Gäste waren mit blutigen Lippen und bösen Cuts durch die Türen geschleift worden wie Schwerverbrecher. Damit nicht genug, hatte irgend so ein Clown auch noch den Kampf im dritten Untergeschoss beendet. Damit würde er sich nicht abfinden, das konnte er sich nicht bieten lassen.
Nur gut, dass er die Kleine hochgeholt hatte. Sie saß mittlerweile blass und zitternd auf dem Fußboden direkt vor der Scheibe. Ob sie nun zitterte wegen dem, was sie gesehen hatte, oder weil Mikael sich zwischendurch hatte abreagieren müssen, wusste er nicht, aber ein
Mädchen im Club musste so einiges abkönnen, besser sie lernte es schnell.
Sie war ihm ja auch dankbar, das hatte sie ihm immer wieder versichert. Also war gar nichts passiert.
Er konnte sich jetzt sowieso nicht mit ihr befassen, sondern musste überlegen, was er als Nächstes tun wollte. Eigentlich sollte er Eugene holen, doch wenn er die Kleine sah, durfte er sich was anhören. Sie sah nicht gerade frisch aus. Wütend stand er auf und kramte in seinem Wohnzimmerschrank herum. Nach einiger Suche fand er ein paar Päckchen Taschentücher, die er Masha hinwarf.
»Mach dich gefälligst sauber und putz dir die Nase. In zwei Minuten will ich dich präsentierfähig zurück auf deinem Stuhl sehen, ist das klar?«
Masha nickte ängstlich und angelte nach den Taschentüchern. Dabei verzog sie schmerzlich das Gesicht. Vielleicht hatte er es ein bisschen übertrieben. Aber da sie jetzt wohl oder übel Zeugin eines wichtigen und geheimen Gesprächs werden würde, machte sie das sowieso zu seiner Partnerin für die nächste Zeit. Bis sie versuchen würde zu türmen. Oder sich die Pulsadern aufschnitt. Bisher war ihm ein Großteil seiner Frauen auf die eine oder andere Weise abhandengekommen.
Doch bis dahin würde sie es gut haben. Mikael war ja kein Unmensch.
Er trat hinaus auf den Flur und durchquerte die kreisrunde Halle mit dem ebenso runden goldenen Sofa. Eigentlich war es ja Platzverschwendung, hier im Zentrum von allem nur ein Sofa stehen zu haben, doch sowohl er als auch sein Bruder schätzten die gewisse Distanz zueinander, die ihnen das Atrium bot.
Er klopfte einmal energisch an Eugenes Schlafzimmertür und wartete gar nicht erst auf Antwort, bevor er sie aufriss.
Sein Bruder saß in schwarzem Hemd und schwarzer Leinenhose mit
geschlossenen Augen vor seinem Bett auf dem Zimmerboden.
Als Mikael eintrat, drehte Eugene müde den Kopf und schlug aufreizend langsam die Augen auf, ganz so als wollte er ihn durch seine bloße Körperhaltung bis aufs Blut provozieren. Bisher hatte Mikael gedacht, nur sein Bruder wäre dazu in der Lage, doch die Polizei von Altberlin hatte ihn heute eines Besseren belehrt. So sauer wie gerade jetzt war er schon ewig nicht gewesen.
»Ich kann mich nicht erinnern, dich hereingebeten zu haben«, sagte Eugene mit dieser unerträglich salbungsvollen Stimme, die er sich neuerdings zugelegt hatte. Dabei machte er ein Gesicht zum Reintreten. Mikael raufte sich die Haare.
»Steh auf und komm mit rüber. Wir haben ein Problem.«
Eugene hob milde interessiert eine Augenbraue.
»Eine Tote war heute Nachmittag für dich noch nicht genug, um als Problem durchzugehen. Was ist los?«
»Jetzt hör mir doch endlich mal mit diesem Mädchen auf!«, blaffte Mikael und wünschte sich in diesem Augenblick, er hätte nichts gesagt. Die Augen seines Bruders verhärteten sich.
»Dieses Mädchen war ein Mensch. Genau wie du und ich. Sie hatte Träume, Eltern, Ängste. Mit ihr ist eine ganze Geschichte gestorben. Aber es sollte mich nicht wundern, dass dich das nicht interessiert.«
Mikael raufte sich erneut die Haare, weil ihm nichts anderes einfallen wollte. Er hatte das Gefühl, sich in den vergangenen Stunden schon mindestens die Hälfte ausgerissen zu haben.
»Hör mal.« Er kramte nach den richtigen Worten. »Es tut mir leid, okay? Dein großer Bruder ist nun mal ein ehrenloser Bluthund, der wenig für andere Menschen übrig hat.« Er lächelte, so gut er konnte. »Außer für seinen kleinen Bruder natürlich.«
Es funktionierte. Die Gesichtszüge seines Bruders glätteten sich ein wenig.
»Ich lasse dich auch zu oft mit allem alleine. Natürlich ist mir
bewusst, dass in letzter Zeit alle Last auf deinen Schultern liegt, und ich bin dir dankbar, dass du alles für uns beide übernimmst.«
Mikael winkte ab. »Jaja. Geschenkt. Aber jetzt brauche ich dich wirklich.«
Mikael richtete sich auf. »Was ist denn genau passiert?«
»Die Polizei hat den Laden komplett auseinandergenommen«, knurrte Mikael. »Das ist passiert.«