Bis ins 20. Jahrhundert spaltete das spanische Bildungswesen die Bevölkerung in eine privilegierte Minderheit und die benachteiligte Masse: wohlhabend, männlich und Großstädter, am besten Madrilene oder Barcelonese, musste man sein, um die Chance einer guten Ausbildung zu bekommen. Das Bildungsangebot auf dem Land, für die ärmeren Schichten sowie generell für Mädchen war dagegen mangelhaft. Erst mit der Erziehungsreform von 1970 wurden ernsthafte bildungspolitische Anstrengungen unternommen, um eine größere Chancengleichheit zu erreichen und die bis dahin immer noch hohe Zahl an Analphabeten (12,26 % der Frauen und 8,8 % der Gesamtbevölkerung konnten 1970 noch nicht lesen und schreiben) zu bekämpfen.
Eine weitere Dualität charakterisiert bis heute das spanische Bildungswesen wie kein anderes in Europa: das Nebeneinander von Staat und Kirche als Bildungsträger. In allen Bereichen, von der Vorschulerziehung bis zur Universität, bieten kirchlich geführte, meist auch kostspielige Einrichtungen eine Alternative zu den staatlichen Instituten. Aber auch andere private Anbieter sind zunehmend auf dem Bildungsmarkt präsent und werben mit aufwendiger Ausstattung, individueller Betreuung und guten Kontakten zur Berufswelt um zahlungskräftige Schüler. Die Presse spiegelt den immer härteren Wettbewerb auf dem Bildungsmarkt nicht nur durch eine Fülle von großformatigen Werbeinseraten (vor allem im September, vor Beginn des Schul- und Studienjahres), sondern auch durch die Veröffentlichung der auch in Deutschland populären Rankings der Bildungsanbieter. So platzierte „El Mundo“ 2001 unter den 100 besten Colegios privados auf Platz 1 das Colegio británico, auf Platz 2 das Colegio alemán und an 3. Stelle das King’s College, alle in Madrid ansässig. Hier deutet sich an, dass es auch im demokratischen Spanien des 21. Jahrhunderts für die persönlichen Bildungschancen durchaus noch von Vorteil ist, wenn man über einen komfortablen finanziellen Hintergrund verfügt und in der Lage ist, die Angebote in der Hauptstadt wahrzunehmen. Im Schuljahr 2004/05 besuchen im Vorschul-, Primar- und Sekundarbereich (ESO, die gemeinsame obligatorische Sekundarstufe I der 12- bis 16-jährigen Schüler) jeweils ca. 2/3 der Schüler eine staatliche, 1/3 eine private Einrichtung. In der beruflichen Bildung (FP) und in der Sekundarstufe II (Bachillerato) liegt der Anteil der öffentlichen Schulen bei ca. 3/4, im universitären Bereich bei über 90 %.
Die oberste staatliche Kompetenz in Bildungsfragen liegt beim Ministerio de Educación, das für einen einheitlichen Rahmen des Bildungssystems sorgt, aber die Comunidades Autónomas haben inzwischen insofern die Bildungshoheit, als sie diesen Rahmen in eigener Verantwortung ausfüllen können.
Spaniens Bildungssystem braucht mittlerweile den internationalen Vergleich nicht mehr zu scheuen, wie etwa der OECD-Bildungsreport Education at a Glance von 2004 zeigt. So liegt in Spanien der Bevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss bei der Großgruppe der 25- bis 65-Jährigen mit 17 % schon einen Prozentpunkt über dem OECD-Mittel, entscheidender aber ist die steile Tendenz nach oben: Bei der Gruppe der 25- bis 34-Jährigen beträgt der Anteil stolze 25 % und setzt Spanien in Bezug auf diesen Bildungsindikator hinter Kanada, Korea, Norwegen und den USA an die 5. Stelle der OECD-Länder. Zum Vergleich: in Deutschland liegt die Quote seit den 90er Jahren nahezu unverändert bei ca. 20 %. Ein Blick auf den Anteil einer Jahrgangsgruppe, der ein Hochschulstudium aufnimmt (Bachelor oder höherer Abschluss), weist darauf hin, dass Spanien hier auch in Zukunft die Nase vorn haben wird: Während in Deutschland die Studienanfänger 35 % ihrer Altersgruppe ausmachen, sind es in Spanien 50 % (OECD-Durchschnitt: 51 %). Deutlich besser als das Gros der OECD-Länder steht Spanien in Bezug auf die Quote der Studienabbrecher da. Sie beträgt beim Erststudium in Spanien 23 % und liegt damit 7 % unter dem Durchschnitt (und dem deutschen Wert).
Aber auch unterhalb des tertiären Bildungssektors bietet Spanien etwa bei der Schüler-Lehrkräfte-Relation oder der Bezahlung der Lehrer (die spanischen Grundschullehrer stehen mit ihrem Eingangsgehalt z.B. an 5. Stelle) ein mehr als respektables Bild. Allerdings treten hier auch gravierende Probleme zutage, denn der Anteil der 20- bis 24-Jährigen, die keinen qualifizierten Schulabschluss erworben haben und keine Bildungseinrichtung mehr besuchen, liegt bei erschreckenden 31,7 % (OECD-Mittel: 19 %). Es scheint sich also eine Schere zu öffnen zwischen einer rapide wachsenden Gruppe von Akademikern und einer beunruhigend hohen Anzahl von ‚Bildungs-Drop-outs‘. Auch die finanziellen Aufwendungen für das Bildungswesen weisen im internationalen Vergleich Defizite auf. So liegt der Anteil der (öffentlichen und privaten) Ausgaben für Bildung am BIP in Spanien 2001 bei 4,9 % und damit deutlich unter dem Durchschnitt von 6,2 %. Das gilt im Übrigen auch für Deutschland, mit einem Wert von 5,3 % des BIP. Die öffentlichen Ausgaben machen dabei in Spanien sowie in Deutschland 4,3 % aus. Auch in Spanien haben sich die öffentlichen Ausgaben im Bildungswesen von 1997 bis 2010 nur leicht erhöht, sie stiegen von 4,52 % auf 5,11 % des BIP. Dabei entfallen inzwischen über 90 % der Kosten auf die Comunidades Autónomas und der Anteil des Ministerio de Educación ging entsprechend stark zurück. Die mangelnde finanzielle Ausstattung wird in der Öffentlichkeit vor allem in Bezug auf den Elementarbereich (zu wenige staatliche und damit kostenfreie Einrichtungen für die 0- bis 3-Jährigen) und den Hochschulsektor (Massenuniversitäten) bemängelt.
Die PISA-Studie, die in Spanien nicht so hohe Wellen schlug wie in Deutschland, erbrachte auch hier enttäuschende Resultate. Bei der Untersuchung von 2000, deren Schwerpunkt der Lesekompetenz galt, erzielte das Land zwar in dieser Sparte ein nur knapp unter dem Durchschnitt liegendes Ergebnis und lag damit z.B. vor Deutschland, aber in Bezug auf die mathematische und die naturwissenschaftliche Kompetenz schnitten die spanischen Schüler deutlich schlechter ab als das Mittel. Und während Deutschland (zur großen Zufriedenheit der Bildungspolitiker) beim zweiten Durchgang 2003 (mit Schwerpunkt auf der mathematischen Kompetenz) seine Ergebnisse verbessern konnte, fiel Spanien noch weiter zurück, was dann 2009, als mathematische und naturwissenschaftliche Fertigkeiten im Zentrum der Untersuchung standen, erneut der Fall war: Spanien lag unter dem Schnitt der 65 OECD-Länder (Platz 26) auf Platz 33, während es Deutschland gelang, auf Platz 20 aufzusteigen. Bei aller Vorsicht, die die Interpretation dieser (bekanntlich nicht unumstrittenen) Daten erfordert, kann dennoch festgestellt werden, dass offensichtlich der möglichst lange gemeinsame Unterricht aller Schüler in einem Gesamtschulsystem nicht per se ein Garant für ein höheres Leistungsniveau ist, wie es aus den PISA-Spitzenergebnissen bisweilen gefolgert wurde. Gerade die spanische ESO ist aufgrund von Disziplin- und Leistungsproblemen ein Sorgenkind der Bildungslandschaft und immer wieder Gegenstand von Presseberichten und öffentlichen Klagen.
In der Gesamtvision spiegelt auch der Bildungssektor das Phänomen wider, das für das aktuelle Spanien kennzeichnend ist: innerhalb von nur einer Generation fand ein enormer Entwicklungssprung statt, der Spanien in die europäische Spitzengruppe katapultierte. Freilich konnten nicht alle Bevölkerungsteile dabei mithalten, was zu erheblichen sozialen Problemen führen wird, wenn die Politik nicht darauf reagiert.
Im 19. Jahrhundert wurden seitens der Legislative einige Anstrengungen unternommen, die Situation des bisher desolaten Bildungswesens zu verbessern. So sah die Verfassung von Cádiz (1812) die Gründung von Schulen in allen Dörfern vor, und 1857 wurde durch die Ley Moyano eine dreijährige Pflichtschulzeit eingeführt. In der Praxis herrschte jedoch noch immer ein großer Bildungsnotstand mit extrem hoher Analphabetenrate (1880: 75 %). Erst das 1876 von Francisco Giner de los Ríos gegründete Projekt, die Institución Libre de Enseñanza (ILE) brachte Bewegung in das verknöcherte Bildungswesen. Den ideologischen Unterbau lieferte der krausismo, eine zunächst von Giners Lehrer Sanz del Río vorgenommene Adaptation der Ideen des deutschen Philosophen und Kantepigonen Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832). Giner wollte den konservativen und repressiven Strukturen des Bildungswesens zur Restaurationszeit eine (Hoch-)Schule entgegensetzen, in der die Grundforderungen der Französischen Revolution in die Praxis umgesetzt wurden: „Freiheit“ definierte er als Freiheit der Bildung und Wissenschaft von kirchlicher, staatlicher und überhaupt jeglicher ideologischer Bevormundung, aber auch als Freiheit der Schüler, die zum eigenständigen Lernen angehalten werden sollten. „Gleichheit“ bezog sich auf die Einführung der Koedukation und das Bemühen um eine klassenlose Erziehung, während die „Brüderlichkeit“ sich in pädagogischen Konzepten ausdrückte, die auf ein verantwortungsvolles, friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft und mit der Natur ausgerichtet waren. Realisiert wurde Giners Projekt zunächst auf Universitätsebene, dann aber auf alle Schulstufen ausgedehnt. Außer in Madrid entstanden auch in Valencia, Sevilla und Sabadell Einrichtungen, die Giners Konzepte umsetzten. Die Weichen, die die ILE im spanischen Geistesleben gestellt hat, und die Prägung, die sie ihren Schülern und Studenten gab, sorgten endlich für die Eröffnung neuer intellektueller Perspektiven im Lande. Andererseits war die Institución natürlich heftigen Angriffen seitens Kirche und Staat ausgesetzt und wurde nach der Machtergreifung Francos sogleich verboten.
Bis zur Bildungsreform von 1970 gliederte sich das spanische Schulwesen in die obligatorische Enseñanza Primaria, die zunächst sechs, ab 1964 acht Jahre umfasste, und die Enseñanza Media, die „höhere Schule“. Die Enseñanza Primaria konnte in staatlichen Schulen ohne Schulgeldzahlung absolviert werden, während die Enseñanza Media größtenteils in Händen der Kirche lag, deren colegios kostenpflichtig waren. Nach dem vierten Jahr der Primarstufe, d.h. nach der Enseñanza Elemental, konnten die Schüler theoretisch nach Bestehen einer Aufnahmeprüfung von der „Volksschule“ an eine „höhere Schule“ wechseln. In der Praxis sah es jedoch vielmehr so aus, dass die Kinder der ärmeren Schichten im besten Fall die vollständige Enseñanza Primaria an einer staatlichen Schule absolvierten, während wohlhabendere Eltern ihre Kinder oft schon zur Enseñanza Elemental auf eine katholische Privatschule schickten, wo sie bis zum Abschluss des Bachillerato ‚unter sich‘ blieben. Klassentrennung war somit ein hervorstechendes Kennzeichen dieses Schulsystems.
Abb. 35: Schulwesen in Spanien (2011)
Aufgrund der in den 60er Jahren mit der wirtschaftlichen Entwicklung wachsenden Anforderungen an die spanischen Arbeitskräfte wurde 1970 ein Gesetz erlassen, das den gesamten Bildungsbereich umstrukturieren und modernisieren sollte: die Ley General de Educación y Financiamiento de la Reforma Educativa (LGE), die auf der Grundlage eines Libro Blanco entstand, in dem Vertreter der Regierung und der Arbeitswelt die Schwachpunkte des bisherigen Erziehungssystems offenlegten. Die Präambel zu diesem Gesetz mutet erstaunlich liberal und progressiv an. Zwar ist natürlich noch davon die Rede, dass die Erziehung die „vaterländischen Tugenden“ fördern solle, mit den Prinzipien des Movimiento Nacional übereinstimmen und auf einem christlichen Menschenbild beruhen müsse. Aber gleichzeitig wird als Grundanliegen der Reform die Demokratisierung der Erziehung genannt, Chancengleichheit und lebenslanges Lernen sollen das Bildungssystem gerechter und effizienter machen, die Schüler sollen nicht nur Sachwissen erwerben, sondern sich autonome Lern- und Arbeitstechniken aneignen und in ganzheitlicher Weise in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gefördert werden. Schließlich wird das Reformvorhaben gar als „revolución pacífica y silenciosa“ bezeichnet, die zu einer gerechteren und menschlicheren Gesellschaft führen soll.
Die LGE schloss erstmals die Vorschulerziehung als eigenständigen Bereich in das spanische Bildungswesen ein, allerdings noch ohne Anbindung an die Primarstufe. Die Vorschulerziehung umfasste den Kindergarten (Jardín de Infancia) für die 2- bis 3-Jährigen und die Vorschule (Escuela de Párvulos) für die 4- bis 5-Jährigen. Der Besuch beider Stufen war freiwillig und sollte zum einen die allgemeine Persönlichkeitsentwicklung des Kindes fördern, zum andern erste Sachkenntnisse, etwa im Bereich der Zahlen, vermitteln. Bis heute ist dieses Modell einer schon zielgerichteten frühkindlichen Erziehung gültig, es wird in den letzten Jahren auch in Deutschland diskutiert und schrittweise umgesetzt.
Die wichtigste Neuerung der LGE bestand aber in der Einrichtung einer achtjährigen „Allgemeinbildungsschule“, der Educación General Básica (EGB), die für alle Schüler obligatorisch war. Die EGB umfasste zunächst zwei, ab 1981 drei Stufen (ciclos): Ciclo inicial (1.–2. Schuljahr), Ciclo medio (3.–5. Schuljahr), Ciclo superior (6.–8. Schuljahr). Nach erfolgreichem Abschluss der drei Stufen erhielten die Schüler den Titel Graduado Escolar, der zum Besuch einer weiterführenden Schule (BUP) oder einer Berufsschule (FP) berechtigte. Wer bis zum Alter von 16 Jahren keine ausreichenden Leistungen zum Erwerb des Titels erbrachte (eine Abschlussprüfung fand nicht statt), erhielt den Certificado de Escolaridad, einen Nachweis über die Erfüllung der Schulpflicht, der den Weg zu einer praktischen Berufsausbildung eröffnete.
Die Enseñanza Media, die sich der EGB anschloss, war nicht mehr obligatorisch. Die Sekundarstufe BUP (Bachillerato Unificado Polivalente) umfasste drei Schuljahre und diente vor allem dazu, die Schüler auf ein Hochschulstudium vorzubereiten. Intensiviert wurde diese Vorbereitung noch in einem einjährigen Curso de Orientación Universitaria (COU), der sich dem BUP anschloss. Wer danach ein Hochschulstudium aufnehmen wollte, musste die Pruebas de Aptitud para el Acceso a la Universidad, kurz Selectividad genannt, bestehen, die bis heute erforderliche Zulassungsprüfung zum Hochschulstudium, die allerdings im Unterschied zur deutschen Abiturprüfung nicht von den Erziehungsministerien der Autonomen Regionen und an den Schulen, sondern von und an den Universitäten in diesen Comunidades Autónomas durchgeführt wird.
Wer den berufsbildenden Weg einschlug, dem wurden zwei Unterrichtsstufen angeboten: FP (Formación Profesional) I (zwei Schuljahre) und FP II (drei Schuljahre). Das System wies eine gewisse Durchlässigkeit auf, da Schüler mit abgeschlossener FP I in das zweite BUP-Jahr überwechseln konnten und COU nicht nur den BUP-, sondern auch den FP II-Absolventen offenstand. Angesichts des niedrigen Leistungsniveaus im Bereich der FP war auch das freilich eher eine theoretische Option. Das duale Berufsausbildungssystem (Lehre), in dem Arbeit in einem Betrieb und Schule miteinander kombiniert werden, gehört nicht in die spanische Bildungstradition, die entweder das schulische System der FP oder ein rein praxisbezogenes Lernen vorsieht. Natürlich soll damit kein Qualitätsvergleich vorgenommen werden, aber die Vermutung liegt nahe, dass die verschiedenen Ausbildungsmodelle das jeweilige Wirtschaftssystem widerspiegeln. In Deutschland wies dieses im 19. Jahrhundert einen vielfältigen und komplexen Charakter auf, so dass sich das duale System hier schon im Laufe der Industrialisierung durchsetzen konnte.
Die 1978 verabschiedete Verfassung des demokratischen Spaniens brachte für den Bildungsbereich dann einige Änderungen. Das Recht auf Bildung wurde zum Grundrecht erklärt, zu dessen Gewährleistung der Staat verpflichtet ist. Die Trennung von Kirche und Staat führte zu heftigen Auseinandersetzungen über die Rolle und vor allem auch die Finanzierung der katholischen Bildungseinrichtungen. Die Etablierung der Comunidades Autónomas bewirkte nicht nur, dass die Regionalsprachen Katalanisch, Baskisch und Galicisch in den jeweiligen Comunidades Autónomas in allen Schulformen gefördert wurden, sondern auch die sukzessive Übertragung der Bildungshoheit von Madrid an die Autonomías. Das Erziehungssystem als solches funktionierte jedoch vorläufig weiterhin nach der LGE, denn die ersten nachfranquistischen Reformen, die 1980 von der UCD-Regierung verabschiedete LOECE (Ley Orgánica por la que se regula el Estatuto de Centros Escolares) und die 1985 von deren PSOE-Nachfolgerin auf den Weg gebrachte LODE (Ley Orgánica del Derecho a la Educación), betrafen in erster Linie administrative und finanzielle Strukturen im Schulwesen. Die LODE unterschied im Privatschulbereich zwischen Centros concertados (vom Staat subventioniert) und Centros no concertados (nicht vom Staat subventioniert) und zielte darauf ab, die Bezuschussung der Centros concertados mit einer – wenn auch begrenzten – öffentlichen Kontrolle (etwa bei der Einstellung von Lehrern) zu verknüpfen. Das Gesetz sah, wie an staatlichen Regelschulen auch, die Einrichtung von Schulbeiräten (Consejos escolares) vor, denen Eltern, Schüler (ab dem 6. EGB-Jahr), Lehrer und Mitglieder der Schulverwaltung und der Kommune angehören. Dieser Schulbeirat wählt für jeweils drei Jahre den Schulleiter, der ihm dann seinerseits angehört. Die Beiräte kontrollieren u.a. die Verwendung der öffentlichen Mittel durch die Schule, und aus ihnen wird der zentrale Consejo escolar de Estado, der staatliche Schulbeirat, gebildet, der bei bildungspolitischen Fragen gehört wird. Damit wurde ein wichtiger Schritt in Richtung Mitbestimmung getan. Konservative Eltern- und Privatschulverbände liefen Sturm gegen das Gesetz, da sie die Sonderstellung der privaten Bildungseinrichtungen in Gefahr sahen. Die Opposition zweifelte gar die Verfassungskonformität der LODE in einigen Punkten an, was aber vom Verfassungsgericht zurückgewiesen wurde, so dass das Gesetz nach langwierigen Debatten (eingebracht wurde die Vorlage bereits 1983) erst 1985 verabschiedet werden konnte.
Nachdem die LODE mithin für eine Demokratisierung der Rahmenbedingungen des Schulwesens gesorgt hatte, war die Zeit reif für eine umfassende Bildungsreform, die das bei aller Fortschrittlichkeit doch noch franquistisch geprägte Schulsystem erneuern sollte. Das brachten nicht zuletzt die Schüler- und Studentenunruhen im Winter 1986/87 zum Ausdruck, bei denen die Forderungen nach einer grundlegenden demokratischen Reformierung des Bildungswesens im Mittelpunkt standen. Den ersten Entwurf einer Bildungsreform legte der damalige Erziehungsminister José María Maravall im Juni 1987 vor, der endgültige Entwurf wurde im April 1989 von dessen Amtsnachfolger Javier Solana präsentiert. Grundlage der geplanten Ley Orgánica de Ordenación del Sistema Educativo (LOGSE) war wiederum ein Weißbuch, das die Ergebnisse zahlreicher Modellversuche vor allem im Sekundarbereich auswertete und in den Reformentwurf einfließen ließ. Heftige Diskussionen und Proteste verzögerten das Inkrafttreten der LOGSE bis Oktober 1990. Die Veränderungen in der politischen Landschaft finden schon in der Präambel ihren Niederschlag, in der als Ziele der Reform nicht nur die Erziehung der Schüler zu Toleranz, freiheitlichem Denken, Solidarität und Kritikfähigkeit genannt werden, sondern auch von der Notwendigkeit die Rede ist, das Bildungssystem an europäische Maßstäbe anzugleichen und den Schülern damit den Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt zu öffnen.
Die wichtigsten Ansatzpunkte der Reform waren folgende Missstände:
– die Kluft zwischen der EGB (Abschluss mit 14 Jahren) und dem Mindestalter für den Eintritt ins Berufsleben (16 Jahre)
– die verschiedenen Abschlüsse der EGB (der qualifizierte Graduado escolar und der Certificado de Escolaridad als reine Bescheinigung über den Schulbesuch)
– die Disqualifizierung der FP als Bildungsweg zweiter Klasse
– die paradoxerweise dennoch zu theoretische, praxisferne Ausrichtung der FP
– die einseitige Ausrichtung des BUP auf ein späteres Hochschulstudium
– die fehlende pädagogische Einbindung der Vorschulerziehung.
Die Vorschulerziehung wird von der LOGSE in Educación Infantil umbenannt und besteht aus zwei Stufen: von 0–3 Jahren und von 3–6 Jahren. Sie bleibt freiwillig, aber ihr eigenständiger Bildungsauftrag wird stärker betont als bisher. So werden besonders in der zweiten Stufe speziell ausgebildete Lehrkräfte eingesetzt, die wie die Grundschullehrer Maestros genannt werden und wie sie an einer Escuela Universitaria (eine Art Pädagogische Fachhochschule) studiert haben. Die Vorschuleinrichtungen der zweiten Stufe sind oft den Primarschulen angegliedert, und durch enge Kooperation soll den Kindern der Übergang von einer Einrichtung in die andere erleichtert werden. Guarderías bzw. Jardines de Infancia wurden sukzessive in Centros de Educación Infantil umgewandelt. Die Förderung der Vorschulerziehung schlägt sich nicht zuletzt in der Quote der Kinder nieder, die eine entsprechende Einrichtung besuchen. Lag 1994/95 der Anteil in der Altersgruppe der unter 3-Jährigen noch bei 5,6 % und bei den 3-Jährigen bei 57 %, so ist er 2004/05 bei ersteren auf 13,5 % und letzteren gar auf 96,7 % gestiegen.
Mit sechs Jahren setzt dann die allgemeine Schulpflicht ein, die durch die LOGSE um zwei Jahre verlängert wird (bis 16 Jahre) und nun in eine Phase der Educación Primaria (sechs Jahre) und eine obligatorische Educación Secundaria (vier Jahre) gegliedert ist. Die Educación Primaria ist in drei jeweils zweijährige Einheiten (ciclos) unterteilt. Unterrichtet werden Spanische Sprache und Literatur (und/oder die jeweilige Regionalsprache), Mathematik, Heimat- und Sachkunde, Musik, Kunst, Sport, Religion (freiwillige Teilnahme) und bereits ab dem 3. Schuljahr eine Fremdsprache. Dies ist eine wichtige Neuerung, da in der EGB der Fremdsprachenunterricht erst drei Jahre später einsetzte. Trotzdem hat Spanien insbesondere im Bereich der Fremdsprachen bis heute großen Nachholbedarf, das Leistungsniveau ist auf allen Stufen gerade in Bezug auf die für die Europäisierung so wichtige mündliche Kompetenz sehr niedrig. Auch deshalb wurden in den letzten Jahren sog. centros bilingües eingerichtet, in denen der Fachunterricht teilweise in einer Fremdsprache erteilt wird. Allein in der Region Madrid wurden bis zum Studienjahr 2010/11 242 Grundschulen (centros públicos de educación primaria) und 32 Gymnasien (institutos) in spanisch-englische Schulen umgewandelt.
Die Schüler haben für die Dauer eines ciclo einen Klassenlehrer, der sie in allen Fächern außer Sport, Musik und Fremdsprachen unterrichtet und tutoriell betreut. Die Leistungskontrolle findet nicht in Form von Abschlussprüfungen, sondern kontinuierlich während des Schuljahres statt, und in der Regel werden alle Schüler von einer Klassenstufe in die nächsthöhere versetzt. Nur in Ausnahmefällen und nur einmal in der gesamten Primarstufe kann ein Schuljahr wiederholt werden, wenn die Leistungen nicht ausreichend sind. Generell ist es aber die Aufgabe der Maestros, der Grundschullehrer, alle Schüler zum Lernziel der Klassenstufe zu führen, eventuell auch mit Hilfe von zusätzlichem Stützunterricht. Die Maestros werden an Pädagogischen Hochschulen (Escuelas Universitarias de Magisterio) oder zunehmend direkt in den erziehungswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten ausgebildet.
Die sich anschließende obligatorische Sekundarstufe (ESO) ist wiederum in zwei jeweils zweijährige Einheiten unterteilt. Sie soll zum einen auf den Einstieg in das Berufsleben, zum andern auf das Bachillerato, die postobligatorische Sekundarstufe II, vorbereiten. Die erste Einheit dient vor allem der Erweiterung der Allgemeinbildung und bietet dem Schüler die Möglichkeit, 10 % der Unterrichtszeit mit Wahlfächern selbst zu gestalten. Im zweiten Abschnitt steigt dieser Anteil an individuell wählbaren Fächern auf 30–35 %, was bereits eine deutliche Spezialisierung erlaubt. Der Fächerkanon ist in Wissensgebiete (áreas) gegliedert: Sozialwissenschaften, Geografie und Geschichte; Sport; Spanische Sprache und Literatur/Sprache und Literatur der jeweiligen Comunidad Autónoma; Fremdsprachen (nur eine, in den meisten Fällen natürlich Englisch, ist obligatorisch); Mathematik; Religion/Ethik; Naturwissenschaften; bildende Kunst; Musik; Technologie.
Wie im Primarbereich erfolgt die Leistungskontrolle während des gesamten Schuljahres, und die Versetzung in die nächste Klasse geschieht quasi automatisch. In Ausnahmefällen muss ein Schüler, der die Lernziele nicht erreicht hat, ein Jahr wiederholen, wobei das erste ESO-Jahr nicht wiederholbar ist und der einzelne Schüler insgesamt höchstens zwei Jahre im Sekundarbereich wiederholen darf. Während des Wiederholungsjahres soll der Schüler durch besondere pädagogische Fördermaßnahmen unterstützt werden.
Auch in der ESO ist es expliziter Auftrag des Lehrkörpers, möglichst alle Schüler zum erfolgreichen Abschluss zu führen, der mit dem Zertifikat Graduado en Educación Secundaria bescheinigt wird. Diese Qualifikation, die in etwa der deutschen Mittleren Reife entspricht, berechtigt sowohl zum Besuch des Bachillerato (der Sekundarstufe II) als auch einer berufsbildenden Fachschule (Formación Profesional Específica de Grado Medio). An den Sekundarschulen soll ein Departamento de Orientación die individuelle Betreuung und Beratung der Schüler gewährleisten, insbesondere in Hinblick auf die nach Abschluss der ESO anstehende Wahl des weiteren Bildungsweges bzw. zukünftigen Berufs.
Für die Schüler, die die obligatorische Sekundarstufe nicht qualifiziert abschließen konnten, werden spezielle Programme de Garantía Social vorgehalten, um ihnen eine Grundbildung zu vermitteln und damit den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern. Diese Erweiterung und Neustrukturierung des obligatorischen Schulbesuchs sollte im Sinne der PSOE-Regierung die Chancengleichheit erhöhen und die frühzeitige Einteilung in erfolgreiche Schüler und ‚Schulversager‘ verhindern, indem als erklärtes Ziel definiert wurde, alle Schüler zum erfolgreichen Abschluss der Sekundarstufe zu führen. Dass dies allerdings ohne entsprechende Möglichkeiten der Binnendifferenzierung nicht ohne Qualitätsverlust zu leisten ist, liegt auf der Hand. Dieser Umstand und die Aufgabe einer breiten Grundbildung zugunsten frühzeitiger Spezialisierungsmöglichkeiten, die einen Bedeutungsverlust der geisteswissenschaftlichen Fächer nach sich zog, wurden von vielen Seiten beklagt.
Erst nach der ESO trennen sich nun die Wege. Das neue Bachillerato umfasst zwei Jahre und ist nicht mehr, wie der bisherige COU, als reine Vorbereitung auf ein Hochschulstudium konzipiert. Es sollen vielmehr auch Schlüsselqualifikationen vermittelt werden wie Teamfähigkeit, selbständiges Lernen, verantwortungsvolles Sozialverhalten etc. Zum andern werden berufsvorbereitende Wahlfächer angeboten, die für größere Praxisnähe und eine stärkere Vernetzung des allgemeinbildenden mit dem berufsbildenden Bereich sorgen sollen.
Die Schüler können zwischen mindestens vier Zweigen (opciones) wählen: Kunst, Naturwissenschaften und Gesundheit, Geistes- und Sozialwissenschaften, Technologie. Will ein Schüler anschließend ein Universitätsstudium aufnehmen, so werden mit der Entscheidung für einen Gymnasialzweig auch bereits die Weichen für die spätere Wahl des Studienfaches gestellt. Auch innerhalb des gewählten Zweiges bieten sich wieder Möglichkeiten, sich ein individuelles Kursprogramm zusammenzustellen: die zweigübergreifenden Pflichtfächer (Spanische Sprache und Literatur/plus evtl. die jeweilige Regionalsprache, Fremdsprache, Geschichte, Philosophie, Sport, Religion) füllen im ersten Jahr etwas weniger als die Hälfte, im zweiten Jahr nur noch ein Drittel der Unterrichtszeit aus. Der größere Teil besteht aus zweigspezifischen Wahlpflichtfächern und frei belegbaren Wahlfächern. Um vom ersten ins zweite Bachillerato-Jahr versetzt zu werden, dürfen die Leistungen in maximal zwei Fächern mangelhaft sein. Wird diese Grenze überschritten, muss das Schuljahr wiederholt werden. Das zweite Jahr muss wiederholt werden, wenn in mehr als drei Fächern ungenügende Leistungen erbracht wurden. Insgesamt darf der Schüler nicht mehr als vier Jahre in dieser Stufe verbringen, also höchstens zweimal wiederholen. Der Titel eines Bachillers wird bei in allen Fächern erfolgreichem Abschluss des zweiten Jahres verliehen, ohne dass eine gesonderte Prüfung stattfindet. Diese Qualifikation berechtigt sowohl zum Universitätsstudium (wie bisher nach Ablegen der Selectividad, der Zulassungsprüfung zum Studium) als auch zum Besuch der Formación Profesional Específica de Grado Superior.
Der Bereich der beruflichen Bildung hat die tiefgreifendste Umgestaltung durch die LOGSE erfahren, weil er bisher vernachlässigt worden war und den hohen Anforderungen der modernen Arbeitswelt nicht gerecht werden konnte. Darüber hinaus waren gerade hier besondere Anstrengungen nötig, um das spanische Bildungssystem an europäische Richtlinien anzugleichen.
Eine Formación Profesional de Base wird in integrierter Form in allen Schulstufen von der Educación Primaria bis zum Bachillerato angeboten, und zwar im Rahmen des Sachkundeunterrichts (Primarstufe), des Pflichtfaches Technologie (Sekundarstufe I) und der Wahl- und Wahlpflichtfächer (Sekundarstufen I und II). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, nach der ESO bzw. nach dem Bachillerato den Weg der spezifischen Berufsbildung (Formación Profesional Específica) einzuschlagen, die sich in eine mittlere (de grado medio) und eine höhere Ebene (de grado superior) gliedert. Aufbau, Lerninhalte und Umsetzung der reformierten spezifischen Berufsausbildung wurden in Zusammenarbeit mit den betroffenen Sozialpartnern (v.a. Arbeitgeber und Gewerkschaften) konzipiert. Denn dieser Bildungssektor soll eine Schnittstelle zwischen Schule und Berufsleben bilden, indem nicht nur den Jugendlichen durch eine praxisnahe Ausbildung die Integration in die Arbeitswelt erleichtert, sondern auch bereits im Beruf stehenden Personen die Chance einer kontinuierlichen Weiterbildung geboten wird. So ist der Zugang zu berufsbildenden Einrichtungen mittleren Grades nicht nur den ESO-Absolventen möglich, sondern auch Quereinsteigern, die mindestens 18 Jahre alt sein und sich einer Eignungsprüfung unterziehen müssen. Zulassungsvoraussetzung für den grado superior ist das Abitur (Título de Bachiller), aber auch hier können Bewerber, die mindestens 20 Jahre alt sein müssen, durch eine Aufnahmeprüfung direkten Zugang erhalten. Die Durchlässigkeit besteht auch in umgekehrter Richtung, da ein erfolgreicher Absolvent der spezifischen Berufsausbildung mittleren Grades entweder in den Beruf eintreten oder aber in die Sekundarstufe II wechseln und dort das Abitur machen kann. Der erfolgreiche Abschluss des grado superior der spezifischen Berufsausbildung berechtigt hingegen zur Aufnahme eines fachverwandten Hochschulstudiums.
Die spezifische Berufsausbildung beider Grade ist in Module unterschiedlicher Länge gegliedert, die theoretischen und praktischen Unterricht sowie Betriebspraktika beinhalten. Die Module umfassen unterschiedliche Berufssparten, etwa Verwaltung und Management; Holz und Möbel, Chemie, Landwirtschaft und Viehzucht etc. Der Unterricht soll ganzheitlich angelegt sein, um den Schülern eine Gesamtvision des Produktionsprozesses, an dem sie beteiligt sein werden, zu vermitteln. Die Lerninhalte sollen regelmäßig von der Regierung überprüft werden, um ihre kontinuierliche Anpassung an die Anforderungen des Arbeitsmarktes zu gewährleisten. Die Leistungskontrolle erfolgt pro Modul, aber der Lehrer sollte bei seiner Beurteilung immer die Gesamtheit der Module eines Ausbildungsganges berücksichtigen. Um die Ausbildung erfolgreich abzuschließen und den jeweiligen Titel zu erwerben (grado medio: Técnico; grado superior: Técnico Superior), muss der Schüler in allen Modulen eine positive Bewertung erzielt haben.
Wer Lehrer im Sekundarbereich (ESO, Bachillerato und Formación Profesional Específica) werden möchte, muss heute ein Hochschulstudium mit der Qualifikation eines graduado (früher licenciado, ingeniero oder arquitecto) abschließen und anschließend einen einjährigen Máster en Educación absolvieren. Dieser Master ersetzt den CAP (Certificado de Aptitud Pedagógica), eine sehr umstrittene, ineffiziente Zusatzausbildung, die zum Lehrerberuf befähigte. Es bleibt zu hoffen, dass es durch den neuen Master gelingt, hier Verbesserungen einzuführen, denn ein Grund für die Bildungsmisere in Spanien bestand bisher in der schlechten Lehrerausbildung. Im Bereich der Formación Profesional Específica werden auch speziell ausgebildete Profesores Técnicos de FP eingesetzt und es besteht die Möglichkeit, auf der Basis von Teilzeitverträgen Spezialisten aus der Arbeitswelt für bestimmte Fächer zu engagieren. Um in den Beamtenstand des staatlich geprüften Lehrers zu gelangen, muss eine oposición al cuerpo de los funcionarios públicos docentes (zentrale Einstellungsprüfung für Beamte) bestanden werden, die für die einzelnen Schulfächer von den Comunidades Autónomas in der Regel im Zweijahresrhythmus ausgeschrieben wird. Nach der bestandenen Prüfung, die aus mehreren schriftlichen und mündlichen Teilen besteht, wird der Anwärter auf eine Planstelle nach einem Probejahr und einem einzigen Unterrichtsbesuch durch den inspector definitiv eingestellt.
Der Grundgedanke der LOGSE war im Sinne einer sozialistischen Bildungspolitik die größtmögliche Chancengleichheit für alle, die mit der 10-jährigen, für alle Schüler gemeinsamen Pflichtschulzeit verwirklicht werden sollte. Die Umsetzung in die Praxis brachte jedoch nicht den gewünschten Erfolg: zu viele Schüler verließen die ESO ohne Abschluss, während andererseits bei denen, die ein Hochschulstudium aufnahmen, ein Rückgang des Bildungsniveaus beklagt wurde. Zudem mehrten sich Klagen über Disziplinprobleme bis hin zum Vandalismus in der ESO – alles Anzeichen dafür, dass dringender Handlungsbedarf bestand.
Zudem war natürlich der von 1996–2004 amtierenden PP-Regierung daran gelegen, eigene bildungspolitische Akzente zu setzen. So wurde unter der Bildungsministerin Pilar del Castillo die Ley Orgánica de Calidad de la Enseñanza (LOCE) erarbeitet und im Dezember 2002 verabschiedet, die die Quote der Schulabbrecher reduzieren und vor allem den Leistungsgedanken wieder stärker in den Mittelpunkt stellen sollte (cultura del esfuerzo). Die vorgesehenen Reformen beruhen auf fünf „Achsen“: Aufwertung von Leistung und Disziplin in der schulischen Ausbildung; effektive Leistungskontrolle bei Schülern, Lehrern und Schulen; Schaffung eines Systems lebenslangen Lernens, das die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Schüler berücksichtigt; Aufwertung der Position der Lehrer durch verbesserte Ausbildung und Arbeitsbedingungen; größere Autonomie der Schulen. Die LOCE beinhaltete keine grundlegenden Reformen des Schulsystems, sondern eher Modifikationen, die auf eine größere Diversifizierung und verstärkte Leistungskontrollen hinauslaufen. So waren innerhalb der ESO zwei (im 3. Jahr) bzw. drei (im 4. Jahr) unterschiedliche Zweige (itinerarios) vorgesehen – naturwissenschaftlich, humanistisch, technologisch –, die die Möglichkeiten einer frühzeitigen Spezialisierung erneut ausweiten würden. Davon versprach man sich eine Steigerung des Leistungsniveaus im gewählten Schwerpunktbereich, der sich positiv auf den weiteren Bildungsweg auswirken sollte. Daneben sollten für die Schüler, die sich den Anforderungen der ESO nicht gewachsen zeigten, alternative Programas de iniciación profesional vorgehalten werden, die in einem erweiterten Zeitrahmen ebenfalls zum Erwerb des Titels Graduado en Educación Secundaria führen würden. Diese Maßnahme, von Kritikern als itinerario basura diffamiert, zielte darauf ab, die hohe Quote der Schulabgänger ohne qualifizierten Abschluss zu reduzieren. Die Befürworter der LOGSE befürchteten durch diese Änderungen eine Verwässerung der comprensividad, des Integrationsgedankens, demzufolge eine möglichst lange, gemeinsame Pflichtschulphase der Garant einer gerechten Förderung sowohl leistungsstarker als auch -schwacher Schüler ist. Auch die weitreichende frühe Spezialisierung wurde als kontraproduktiv für eine Leistungssteigerung der Schüler kritisiert.
Eine weitere wichtige Neuerung der LOCE betraf den Zugang zum Hochschulstudium, der nun in zwei Etappen gegliedert werden sollte: während bisher (nach der LOGSE) der Titel des Bachiller ohne gesonderte Prüfung durch das erfolgreiche Absolvieren der Sekundarstufe II erworben wurde und die Selectividad nur von den Absolventen abzulegen war, die ein Hochschulstudium anstrebten, sah die LOCE eine Prueba General de Bachillerato (PGB, allgemeine als Reválida bezeichnet und dem Zentralabitur vergleichbar) vor. Erst mit dem Bestehen dieser Prüfung sollte der Titel des Bachiller erworben werden. Anschließend hätten die Hochschulen die Möglichkeit, zusätzliche Aufnahmeprüfungen durchzuführen, um ihre Studenten auszuwählen. Dieses Vorhaben, das ebenfalls der Leistungssteigerung dienen sollte, sorgte für massive Proteste von Eltern und Schülern, die in der neuen Prüfung eine unnötige Hürde auf dem Weg zu einem Hochschulstudium sahen.
Sehr kontrovers wurde auch eine Neuerung aufgenommen, die die LOCE in Bezug auf den Religionsunterricht vorsah. Grundlage der Reglements zum Religionsunterricht ist ein Abkommen, das der spanische Staat 1979 mit dem Vatikan geschlossen hat. Darin ist festgeschrieben, dass alle öffentlichen Schulen ihren Schülern katholischen Religionsunterricht anbieten müssen (wobei die Teilnahme für die Schüler freiwillig ist) und dass der Religionsunterricht den Hauptfächern gleichgestellt ist. Die bisherige Umsetzung des Abkommens sah so aus, dass die Schulen von der 1. Primarklasse bis zum 1. Jahr des Bachillerato konfessionellen Unterricht anboten, der auch benotet wurde, dessen Noten aber nicht in den bewerbungsrelevanten Abiturdurchschnitt eingingen und bei der Vergabe von Stipendien unberücksichtigt blieben. Die PP-Regierung beabsichtigte nun mit der LOCE eine Aufwertung des Religionsunterrichts, indem ein neues Wissensgebiet (área) Sociedad, Cultura y Religión kreiert wurde, das zwei Optionen enthielt: eine konfessionelle und eine nicht-konfessionelle, zwischen denen die Schüler sich im Sinne von Wahlpflichtfächern zu entscheiden hätten. Die Noten beider Optionen sollten sowohl für den Abiturdurchschnitt als auch die Versetzung und in geringerem Maße für die Stipendienvergabe berücksichtigt werden.
Da die Umsetzung der LOCE mit dem Schuljahr 2004/05 beginnen sollte, die im März 2004 überraschend gewählte PSOE-Regierung aber sogleich eigene Bildungsreformmaßnahmen angekündigt hat, wurde die Umsetzung zunächst per königliches Dekret (28.5.2004) gestoppt (einige Neuerungen waren zu diesem Zeitpunkt bereits umgesetzt, wie die Nichtversetzung bei ungenügender Leistung in zwei Fächern). Dann präsentierte die neue Erziehungsministerin María Jesús San Segundo ihr Projekt eines neuen Bildungsgesetzes unter dem Titel Una Educación de Calidad para todos y entre todos (zugleich den Qualitätssteigerungs-Gedanken der LOCE und das comprensividad-Prinzip aufgreifend) und lud – auch im Internet – zu einer öffentlichen Debatte darüber ein.
Das neue Gesetz, die Ley Orgánica de Educación (LOE), trat am 3.3.2006 in Kraft und kann als eine Rückkehr zum Geiste der LOGSE interpretiert werden. Zu den strittigen Punkten gehören die Zurücknahme der in der LOCE geplanten Abiturprüfung (es bleibt wie bisher bei einer Zugangsprüfung zum Hochschulstudium) und der weiterhin für die Schulen obligatorische und für die Schüler freiwillige konfessionelle Unterricht. Dessen Benotung zählt weder für die Versetzung noch für die Hochschulzulassung und die Stipendienbewilligung. Ein nicht-konfessionelles Alternativangebot (Atención Educativa Debida) ist zwar vorgesehen, wird in der Praxis aber sehr kulant behandelt. Angesichts der vehementen Proteste seitens der katholischen Kirche, die in diesem Alternativangebot einen Verstoß gegen das Abkommen mit dem Vatikan sah, muss betont werden, dass die LOE den Religionsunterricht nicht abschafft, wie dies von Seiten der Kritiker des Gesetzes fälschlicherweise immer wieder zu hören war. Die Praxis zeigt aber, dass dank des (allerdings nicht überall bereitgestellten) Alternativangebotes in der Bachillerato-Stufe nur weniger als die Hälfte der Schüler sich für den konfessionell gebundenen Unterricht entscheidet. Lediglich zu Beginn der Primarstufe nehmen noch über 80 % der Kinder am katholischen Religionsunterricht teil (eine kleine Minderheit auch am Unterricht anderer Konfessionen bzw. Religionen, mit denen der spanische Staat entsprechende Abkommen geschlossen hat), dann sinkt die Quote von Schuljahr zu Schuljahr. Nur in den von der katholischen Kirche getragenen Privatschulen wird natürlich großer Wert auf die Teilnahme am Religionsunterricht gelegt.
Eine weitere wichtige strittige Neuerung der LOE war die Einführung eines Faches mit dem Titel Educación para la Ciudadanía y los derechos humanos, das Inhalte aus den Bereichen Ethik und Staatsbürgerkunde vereint. Das neue Fach wird sowohl in der Primar- als auch in der Sekundarstufe angeboten und stieß in konservativen Kreisen auf Kritik, weil z.B. der Gebrauch von Verhütungsmitteln oder die Toleranz gegenüber neuen Familienkonzepten wie der Homo-Ehe (Themen, die zum Curriculum des Faches gehören) nicht den Wertvorstellungen katholischer Eltern entsprechen. In den PP-regierten Comunidades Autónomas weigerten sich einige Schulen diesen Unterricht anzubieten, inzwischen sind die Proteste jedoch verstummt. Organisationen wie Amnesty International begrüßten seine Einführung.
Zuletzt sei noch angemerkt, dass der ideologische Streit, den der PP und der PSOE auch in der Erziehungspolitik austragen, in Spanien dazu führt, dass jeder Regierungswechsel ein neues Bildungsgesetz mit sich bringt. Dieser ständige Wechsel wirkt sich nicht positiv auf die Bildungslandschaft aus, wie dies auch die PISA-Studie aus dem Jahr 2009 bezeugt.
Spanien gehört mit Italien, Frankreich und England zu den ersten Ländern im europäischen Kulturkreis, in denen Universitäten – zunächst als „Studium generale“ bezeichnet – gegründet wurden. Die ersten Universitätsgründungen auf spanischem Boden fanden in Palencia (vermutlich 1208 durch Alfonso VIII. und den Bischof Tello Téllez) und Salamanca (1218 durch Alfonso IX.) statt. Während der Universität von Palencia nur eine kurze Lebensdauer beschieden war, gehörte die salmantinische mit den Universitäten von Bologna, Paris und Oxford zu den vier großen Universitäten des Mittelalters. Die folglich älteste der heute existierenden spanischen Universitäten zählt noch immer zu den renommierten Bildungseinrichtungen des Landes.
Die mittelalterliche Studentenuniversität wurde zu Beginn der Neuzeit von einem neuen Typus abgelöst: der Kolleguniversität (Colegio-Universidad). Die prominenteste Gründung war die der Universität von Alcalá de Henares im Jahr 1499 durch den Kardinal Francisco Jiménez de Cisneros, der mit dem expliziten Anspruch antrat, seine dem Gedankengut der Renaissance verpflichtete Einrichtung von der mittelalterlichen Universität abzugrenzen. Insbesondere war ihm daran gelegen, den Elfenbeinturm der Gelehrsamkeit zu verlassen und die Teilhabe der Universität am gesellschaftlichen und politischen Leben zu verstärken – 500 Jahre später immer noch ein Thema der hochschulpolitischen Diskussion. Auch in anderer Hinsicht war Cisneros erstaunlich innovativ: er führte bereits die heute so nachhaltig eingeforderte Evaluation der Lehre ein, und zwar durch Unterrichtshospitationen und Studentenbefragungen. So versuchte er die Qualität des Unterrichts zu optimieren. 1517 wurde in der Universität von Alcalá die erste mehrsprachige Bibel, die Biblia Políglota Complutense, in lateinischer, griechischer, hebräischer und armenischer Sprache veröffentlicht.
Die kulturelle Blüte des Siglo de Oro schloss zunächst auch den Bereich der Universitäten mit ein, die sich zu wahren Zentren des Geisteslebens entwickelten und den Austausch mit Gelehrten anderer europäischer Länder pflegten. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung, um 1600, gab es in Spanien schon 32 Universitäten – eine Zahl, die danach erst Ende des 20. Jahrhunderts wieder erreicht wurde. Aber ebenso wie im Laufe des 17. Jahrhunderts das spanische Weltreich unter den Habsburgern nach und nach zerfiel, erlebten auch die Universitäten eine Phase fortschreitenden Niedergangs. Dazu trug zum einen die Abschottungspolitik der Gegenreformation bei, die den Dialog mit dem Ausland stark behinderte, zum andern aber auch der Zustand der internen Strukturen, die dringend reformbedürftig gewesen wären.
Carlos III., der aufgeklärte Monarch Spaniens schlechthin, führte schließlich eine Universitätsreform durch, deren praktische Auswirkungen jedoch gering blieben. Weder wurden die Naturwissenschaften oder auch Politik, Wirtschaft und Philologie in den universitären Fächerkanon aufgenommen, noch öffneten sich die Universitäten den weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten. In dem Vakuum, das durch die Unzulänglichkeit der Universitäten entstand, wurden zahlreiche andere Institutionen gegründet, die einem progressiven Bildungsanspruch Rechnung trugen: Berufsschulen, technische Fachschulen und private Sprachakademien. Besonders hervorzuheben ist auch die Entstehung zahlreicher Akademien, allen voran der Real Academia Española von 1712. Es folgten 1738 die Real Academia de la Historia und 1768 die Real Academia de Bellas Artes San Carlos. Als staatlich finanzierte Institutionen waren und sind sie Bildungs- und zugleich Forschungseinrichtungen, die sich auf unterschiedliche Disziplinen spezialisieren.
Frischen Wind in die Hochschullandschaft brachte erst ab 1876 die von Giner de los Ríos ins Leben gerufene Institución Libre de Enseñanza (vgl. Kap. VII,1.1), die zunächst als Universität gegründet wurde. Giner legte auch Wert darauf, durch umfangreiche Auslandsstipendien die Mobilität der Studierenden nachdrücklich zu fördern. Im universitären Umfeld wurden im Rahmen dieses Reformprojekts weitere Institutionen gegründet, darunter die Residencia de Estudiantes (1910), in der ein großer Teil der Generación del 27 zusammenfand, und die auf Internationalisierung abzielende Junta para Ampliación de Estudios e Investigaciones Científicas (1907), die von Franco in den Consejo Superior de Investigaciones Científicas (CSIC) überführt wurde; sie ist die größte heute noch bestehende spanische Forschungseinrichtung.
Während in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts José Ortega y Gasset erneut das altbekannte Klagelied über die Unzulänglichkeit der spanischen Universitäten anstimmte, zogen die Hochschulen in den 50er Jahren aus ganz anderen Gründen die Aufmerksamkeit der spanischen Öffentlichkeit und vor allem auch der Obrigkeit auf sich. Denn lange bevor die französischen und deutschen Studierenden ihren Universitäten den „Muff von 1000 Jahren“ austreiben wollten, gab es Aufruhr an Spaniens Hochschulen. Die Studierenden forderten das Recht, ihre Vertreter im staatlichen Studentenverband selbst wählen zu dürfen. In Madrid besetzten Studierende Teile des Campus und es kam zu Ausschreitungen, was eine zeitweise Schließung der Universität und zahlreiche Verhaftungen zur Folge hatte. Ab Mitte der 50er Jahre riss der studentische Widerstand nicht mehr ab. Seine Kritik belegt, dass sich die spanischen Universitäten kaum weiterentwickelt hatten. Wie 200 Jahre vorher richtete sich der Protest gegen die konservative Geisteshaltung, die Dominanz des Katholizismus, die Vetternwirtschaft der Professoren und die rigide Hierarchie des akademischen Betriebs. Ab Mitte der 60er Jahre radikalisierte sich auch in Spanien die Studentenbewegung und entwickelte sich zu einem der Zentren des antifranquistischen Widerstands, was immer drastischere Repressionen seitens des Regimes nach sich zog. Bis zum Tode Francos 1975 befanden sich die Universitäten praktisch im Ausnahmezustand, und es ist nicht zu leugnen, dass die studentische Widerstandsbewegung entscheidend zum Niedergang des franquistischen Systems beitrug.
Neben der politischen Lage hat natürlich auch die wirtschaftliche Entwicklung das Hochschulwesen nachhaltig beeinflusst. So wuchs die Zahl der Universitäten ab den 60er Jahren, der Zeit des spanischen Wirtschaftswunders, stetig an. Waren es in den 50er Jahren ganze 12, so gab es 1970 wieder 18 und Mitte der 70er Jahre schon 23 spanische Universitäten, darunter die 1971 gegründete Fernuniversität UNED (Universidad Nacional de Educación a Distancia). Signifikanter noch ist freilich der Anstieg der Studentenzahlen von 65.000 (1961) auf 400.000 im Jahr 1976. Diese rapide Zunahme erforderte mehr Lehrpersonal, und der Staat reagierte mit der massiven Einstellung sog. PNNs (Profesores no numerarios), Dozenten mit kurzfristigen Zeitverträgen, deren unsichere berufliche und finanzielle Situation häufig dazu führte, dass sie sich den studentischen Protesten anschlossen.
Die Studentenzahlen sind auch im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts explosionsartig angestiegen und erreichten im Studienjahr 1999/2000 mit 1.581.415 Immatrikulierten einen vorläufigen Höhepunkt. Seitdem ist als Auswirkung der seit den 80er Jahren sinkenden Geburtenrate ein kontinuierlicher Rückgang zu beobachten. Im Jahr 2000/01 sank die Quote auf 1.547.331 und fiel damit hinter die von 1997/98 (1.552.372) zurück. 2004/05 waren 1.462.771 Studierende eingeschrieben und im Studienjahr 2009/10 noch 1.089.618. Die dennoch hohen Immatrikulationszahlen belegen einerseits, dass Studieren in Spanien nicht mehr das Privileg einer kleinen Minderheit ist (das zeigt vor allem der hohe prozentuale Anteil der Studierenden an der entsprechenden Altersklasse in der Bevölkerung), weisen andererseits aber auch auf ein neues Problem hin: die masificación der Universitäten, die einen geordneten und effizienten Studienverlauf zunehmend erschwert. So waren z.B. in der (nach der UNED mit um die 150.000 Studierenden) größten spanischen Universität, der Madrider Complutense, 2008/09 immer noch 74.771 Studierende eingeschrieben. Danach folgen Sevilla mit 56.985, Granada, Barcelona, País Vasco und Valencia mit ebenfalls über 50.000 Studierenden. So kann es auch nicht verwundern, dass der Tendenz zur Massenuniversität eine neue Entwicklung gegenübersteht: Es werden nicht nur kontinuierlich neue staatliche Hochschulen gegründet (z.B. 1989 die Universidad Carlos III oder 1996 die Universidad Rey Juan Carlos, beide im Großraum Madrid; 1990 die Universitat Pompeu Fabra in Barcelona), sondern es entstehen auch zunehmend kleine Privatuniversitäten, die zunächst eine große Attraktivität besitzen. 2010 gibt es in Spanien 76 Universitäten (öffentliche und private, die sieben katholischen Hochschulen und die nach der UNED zweite Fernuniversität Universitat Oberta de Catalunya inbegriffen). Die privaten grenzen sich in ihrer Selbstdarstellung explizit von den Masseneinrichtungen ab und heben ihre Überschaubarkeit hervor. So wirbt etwa die Universidad Antonio de Nebrija im Internet damit, „la más pequeña de las grandes universidades españolas“ zu sein. Und der Rektor einer der jüngsten Gründungen, der Universidad Camilo José Cela, betont in Bezug auf seine Hochschule: „rechaza la masificación y apuesta por la selección en todas sus dimensiones“. Den Studierenden werden beste Studienbedingungen und enge Kontakte zur Wirtschaft geboten, wenn sie die internen Aufnahmeverfahren erfolgreich absolvieren und in der privilegierten Lage sind, die beträchtlichen Studiengebühren bezahlen zu können. Dass dieses Angebot kaum angenommen wird, belegt wiederum die Statistik: der Anteil der an Privatuniversitäten Immatrikulierten ist immer noch gering. Er stieg zwar bis ins Jahr 2003/04 an, durch die Wirtschaftskrise wie auch wegen ausbleibenden Erfolgs sind seither jedoch Rückgänge zu verzeichnen.
Abb. 36: Geschlechterspezifische Verteilung nach Studiengängen (in %) (2010)
Der Frauenanteil an der Gesamtzahl der Studierenden liegt seit Jahren bei ca. 53 %(ist also um etwa vier Punkte höher als in der BRD), wobei die Studentinnen bei den Studienabschlüssen sogar noch besser dastehen. So kann man zu Beginn des 21. Jahrhunderts feststellen, dass sich die jahrhundertelange Benachteiligung der Mädchen und Frauen im Bildungswesen im Bereich des Studiums zumindest quantitativ heute nicht mehr nachweisen lässt.
Auch die Kluft zwischen Großstadt und Provinz existiert nicht mehr wie bisher, da auch sehr viele kleinere Städte heute über eine Universität verfügen und die UNED zudem die Möglichkeit des Fernstudiums bietet. Allerdings hat die jüngste Exzellenzinitiative gezeigt, dass mehrheitlich die Universitäten der Großstädte (in Madrid und Barcelona jeweils drei) ein besseres Forschungsniveau vorweisen können, und jetzt wird sich durch zusätzliche Finanzierung der Abstand zu den Hochschulen der kleineren Städte wohl noch vergrößern. Es werden in letzter Zeit immer mehr Stimmen laut, die fordern, einige der Universitäten, die in den 70er Jahren teils aus politischen Gründen, teils wegen des starken Andrangs an Studierenden etwas unsystematisch gegründet wurden, wieder zu schließen. Zu befürchten ist also, dass diese Unterschiede zwischen den wenigen Ballungsgebieten (Madrid und Barcelona) und den ländlichen Gegenden (Castilla y León, Castilla la Mancha) den Weg zurück in eine Zweiklassenhochschullandschaft vorbereiten.
Die europäische Universität entstand als eine selbstverwaltete Institution, die Lehrenden sowie Studierenden einen großen Freiraum bot. Was die Wissensbereiche und Methoden betrifft, waren die mittelalterlichen Universitäten freilich auf das aneignende Studium weniger kanonischer Texte beschränkt. Die geistesgeschichtliche Entwicklung, insbesondere die Aufklärung, machte eine Reform der Universitäten unabdingbar, und so entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland und Frankreich zwei konkurrierende Modelle, die die weitere Entwicklung der europäischen Hochschullandschaft prägen sollten. In Frankreich setzte Napoleon den zentralistischen Gedanken auch bildungspolitisch um und etablierte mit der Université Impériale (1806) und den spezialisierten Grandes Écoles das bis heute nach ihm benannte Hochschulmodell. In Deutschland entstand mit der Gründung der Berliner Universität durch den preußischen Kultusbeamten Wilhelm von Humboldt 1810 ein Gegenmodell. Einem neuhumanistischen Bildungsideal verpflichtet, wollte die Humboldtsche Universität die Persönlichkeit des Studierenden bilden und zu geistiger Reife führen, ohne die unmittelbare gesellschaftliche und politische Verwertbarkeit zur Richtschnur zu erheben.
Das Humboldtsche Modell fand vor allem im deutschsprachigen Raum und z.T. in den USA (in der Graduiertenausbildung) Nachahmer, während die napoleonische Struktur nach Südeuropa, u.a. Spanien, exportiert wurde. Auffällige Unterschiede im universitären Lehrbetrieb zwischen Deutschland und Spanien lassen sich auf diese unterschiedlichen Traditionen zurückführen. Trotz europäischer Annäherung in den letzten Jahren besteht der Hauptunterschied immer noch darin, dass an deutschen Universitäten vor allem monographisch angelegte Seminare angeboten werden, die das selbstständige wissenschaftliche Arbeiten fördern sollen. Das Faktenwissen kann durch dieses System unter Umständen etwas schmal bzw. lückenhaft sein. Die Eigenverantwortung des Studierenden spielt eine größere Rolle als in Spanien, wo immer noch Veranstaltungen im Vorlesungsstil, an denen sich die mitschreibenden Studenten kaum aktiv beteiligen, dominieren. Die jüngste Studienreform (Bachelor) führte zwar auch in Deutschland zu einer verstärkten ‚Verschulung‘ des Studiensystems, aber in Spanien hat sie eine lange Tradition. Die Studiengänge umfassten vor Bologna eine feste Anzahl von Studienjahren (drei bis sechs), und in jedem Studienjahr musste eine Reihe von Pflichtveranstaltungen absolviert werden. Die Vorlesungszeit war und ist in der Regel in cuatrimestres organisiert: von Ende September bis Ende Januar und von Mitte Februar bis Juni. Im Vordergrund des Unterrichts steht die positivistische Wissensvermittlung, deren Erfolg durch Klausuren im Februar bzw. Juni überprüft wird. Eine Nachprüfung im September ist außerdem möglich. Selbstständig verfasste Seminararbeiten, in Deutschland eine wichtige Form des Leistungsnachweises, sind in Spanien immer noch die Ausnahme, auch wenn sich das durch eine neue Dozentengeneration, die in der Regel auch im Ausland studiert oder gar unterrichtet hat, in den nächsten Jahren verändern wird. In Zukunft wird es nicht mehr möglich sein, ohne Auslandserfahrungen eine Professur in Spanien zu bekommen. Auch die stärkere Internationalisierung, die der Bologna-Prozess fordert, wird ihren Teil zu einer Verbesserung der Hochschullandschaft beitragen.
Die Bologna-Erklärung, die 1999 von Ministerinnen und Ministern aus 29 Staaten unterzeichnet wurde, verlieh der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraums den notwendigen Rahmen. In Spanien wurde diese Erklärung erst im Real Decreto vom 29.10.2007 umgesetzt. Spätestens im Studienjahr 2010/11 mussten demnach an allen spanischen Hochschulen die Studiengänge modularisiert werden, allerdings nicht nach dem in Europa mehrheitlich eingeführten Modell von drei Jahren Bachelor (grado) und zwei Jahren Master (3 + 2), sondern in der Variante 4 + 1. Dafür entschied sich die zuständige Ministerin Mercedes Cabrera Calvo-Sotelo aus zwei Gründen: Zum einen kommt diese Struktur der an lateinamerikanischen Universitäten bestehenden entgegen und erleichtert somit Studierenden aus Übersee den Einstieg in das spanische System. Zum anderen verlangte das immer schlechtere Bildungsniveau der Abiturienten nach einem Brückenjahr vor dem eigentlichen Studienbeginn, das nun dem Bachelor als Jahr der asignaturas comunes (eine Art obligatorisches Studium generale) vorgeschoben wird. Im Studienzweig Geisteswissenschaft (rama de humanidades), um nur ein Beispiel zu nennen, müssen die Studierenden im ersten Jahr, egal ob sie Fremdsprachen oder Geschichte studieren, noch einmal Schulfächer wie spanische Sprache und Literatur, Philosophiegeschichte oder europäische Geschichte belegen.
Nach dem Abschluss als Graduado und einem erfolgreichen Masterstudiengang (d.h. 300 erworbenen ECTS-Punkten) können sich die Studenten zur Promotion anmelden. Während dieser letzten drei bis vier Studienjahre müssen jetzt nicht mehr wie früher Pflichtseminare belegt und eine erste wissenschaftliche Arbeit angefertigt werden, sondern in neu strukturierten Doktorandenschulen werden Forschungsaktivitäten angeboten, die die Promotionskandidaten in das wissenschaftliche Arbeiten einführen und bei der Erstellung der Dissertation unterstützen.
Abb. 37: Das Hochschulwesen in Spanien (2011)
Zentrale Punkte der neuen, gesetzlich verankerten Regelung sind außerdem die Qualitätssicherung durch einen gemeinsamen Referenzrahmen, die Verwendung von credit points (ECTS) zur europaweiten Anerkennung von Studienleistungen und -abschlüssen, die Entwicklung gemeinsamer Abschlüsse und das lebenslange Lernen. Die europäische Hochschullandschaft befindet sich somit auf einem neuen Weg, wobei die Ersetzung der alten Modelle von heftigen Diskussionen begleitet wird.
Die spanische Hochschullandschaft umfasst trotz der letzten Veränderungen noch folgende Einrichtungen: Fakultäten (Facultades Universitarias) an den Universitäten, Technische bzw. Polytechnische Hochschulen (Escuelas Técnicas o Politécnicas Superiores) und Fachhochschulen (Escuelas Universitarias und Escuelas Universitarias Politécnicas). Dabei bieten die Facultades die klassischen universitären Studiengänge an. Die Technischen Hochschulen sind entweder als ingenieurwissenschaftliche Fakultäten den Universitäten angegliedert oder fungieren als eigenständige Universidades Politécnicas (in Barcelona, Madrid, Valencia und Cartagena). Die Escuelas Universitarias sind den Universitäten angeschlossen und bieten praxisbezogene Studiengänge an, werden aber immer mehr in die Fakultäten integriert. Ende der 60er Jahre entstanden die sog. Colegios Universitarios (Studienkollegs) zur Entlastung der überfüllten Universitäten. Sie waren meist außerhalb des Universitätsstandorts angesiedelt und boten Studierenden einer Facultad oder Escuela Técnica Superior die Möglichkeit, das Grundstudium (primer ciclo) zu absolvieren. Inzwischen wurden sie in reguläre Universitäten umgewandelt.
Um zu einem Hochschulstudium zugelassen zu werden, muss man in Spanien nicht nur das Bachillerato, also die Sekundarstufe II, erfolgreich absolvieren, sondern zusätzlich eine universitäre Eignungsprüfung ablegen. Diese Prüfung, Pruebas de Aptitud para el Acceso a la Universidad (PAAU), gewöhnlich Selectividad genannt, besteht aus zwei Teilen, von denen einer die Allgemeinbildung und grundsätzliche Studierfähigkeit überprüfen soll, während sich der zweite auf die fachspezifischen Kenntnisse bezieht, die in der gewählten Abiturmodalität erworben werden sollten. Die Hochschulzugangsnote setzt sich aus der Gesamtnote der Prüfung und den Leistungen in der Sekundarstufe II zusammen und stellt ein entscheidendes Auswahlkriterium für den Zugang zur Hochschule dar. Daneben besteht für Personen über 25 Jahre die Möglichkeit, ohne vorherigen höheren Schulabschluss direkt an einer Begabtenprüfung teilzunehmen, deren Bestehen ebenfalls zum Hochschulstudium berechtigt.
Nach Absolvieren der Eingangsprüfung beginnt das Zulassungsverfahren, für das ebenfalls die Universitäten selbst zuständig sind. Viele Studiengänge sind angesichts der enormen Studentenzahlen mit einem universitätsinternen Numerus clausus belegt, daneben gibt es weitere Systeme von Prioritäten, die die Verteilung der Studienplätze regeln. Bisher sahen die staatlichen Richtlinien vor, dass die Bewerber nach Möglichkeit an der Universität studieren sollten, der die Schule zugeordnet war, an der sie das Bachillerato absolvierten. Ab dem Studienjahr 2001/02 wurde mit der Einführung des sog. Distrito abierto begonnen, der es jedem Studierenden in Spanien ermöglichen soll, seine Universität (je nach Verfügbarkeit der Studienplätze) frei zu wählen.
In Spanien werden auch an den öffentlichen Hochschulen relativ hohe Studiengebühren erhoben (je nach Studienfach zwischen 800 und 1200 Euro pro Studienjahr), die alljährlich von den Comunidades Autónomas festgesetzt und im August/September in ihren Gesetzesblättern veröffentlicht werden. Was der einzelne Studierende zu zahlen hat, hängt von der Anzahl der belegten Kurse und der ihnen zugeordneten créditos ab (die Gebühr wird pro crédito berechnet). Dabei sind Studiengänge mit hohem Laboranteil teurer als etwa geisteswissenschaftliche. Um auch weniger finanzkräftigen Bewerbern ein Hochschulstudium zu ermöglichen, bietet das Erziehungsministerium ein Stipendienprogramm an.
Der Modernisierungsprozess der Hochschulen begann in Spanien mit der LRU (Ley Orgánica de Reforma Universitaria), dem Hochschulrahmengesetz von 1983, das der demokratischen Verfassung und den gewandelten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragen sollte. Die LRU, die ab 1987 in die Praxis umgesetzt wurde, hatte die Durchsetzung der Autonomie der Hochschulen und damit der Freiheit von Lehre und Forschung zum Ziel.
Ziel der LRU ist eine Demokratisierung der Hochschulverwaltung, die an die Zweite Republik anknüpft. Das oberste korporative Organ der Universität ist der gewählte Claustro universitario, der zu mindestens 60 % aus Professoren besteht. Die übrigen Sitze werden von gewählten Vertretern der Studierenden und des Verwaltungspersonals besetzt, und zwar nach einem von der jeweiligen Comunidad Autónoma festgelegten Verteilungsschlüssel. Der Claustro ist zuständig für die Statuten der Universität und die Ausarbeitung ihres grundsätzlichen Profils, und er wählt aus dem Kreis der Lehrstuhlinhaber (catedráticos) den Rektor, der dann von der Comunidad Autónoma ernannt wird und dem Claustro vorsteht. Die Position des Rektors ist das höchste personengebundene Amt in der Struktur der Universität. Er steht auch der Junta de Gobierno vor, dem höchsten Verwaltungsgremium der Universität. Weitere Organe sind der von der LRU geschaffene Consejo Social, der eine Schnittstelle zwischen Universität und Gesellschaft bilden soll und zu 60 % aus außeruniversitären Mitgliedern besteht; ferner die Juntas de Facultad bzw. de Escuela, die Leitungsgremien der einzelnen Zentren, denen jeweils ein gewählter Dekan oder Direktor vorsteht. Eine eher fachbezogene als administrative Einheit stellen schließlich die Departamentos dar, in denen einzelne oder verwandte Fachrichtungen, unter Umständen sogar verschiedener Universitäten, zusammengeschlossen sind. Im Prinzip bleibt die Universitätsorganisation, so wie sie die LRU vorsieht, bis heute in Kraft, auch wenn inzwischen durch neue Gesetze Veränderungen vorgenommen worden sind.
Die LRU modifizierte auch die Struktur des universitären Lehrkörpers. Nachdem der Status der profesores no numerarios abgeschafft worden war, waren nun an der Universität einerseits die auf Lebenszeit verbeamteten Professoren, die profesores numerarios (catedráticos und profesores titulares), und andererseits die auf der Basis von Fristverträgen angestellten Dozenten, ayudantes (Hochschulassistenten) und asociados (Spezialisten von außerhalb der Uni oder auch profesores visitantes von anderen Hochschulen), vertreten, wobei die LRU vorsah, dass der Anteil der befristeten Lehrkräfte 20 % nicht übersteigen sollte. Wichtig für den Status der Hochschullehrer war die Neuregelung der Zuordnung: Während vor der LRU die früheren Assistenzprofessoren (profesores agregados und profesores adjuntos) dem catedrático zugeordnet waren, sind die neuen profesores titulares jetzt vom Lehrstuhlinhaber unabhängig. Die Auswahl neuer Hochschullehrer erfolgte durch ein System von hochschulinternen concursos, die sowohl die bisherige Lehr- und Forschungstätigkeit der Kandidaten berücksichtigten als auch ihre Leistung in einem Vortrag mit anschließender Diskussion. Um die dauerhafte Qualität der Hochschullehre und -forschung zu gewährleisten, sah schon die LRU (und das gilt bis heute) vor, dass Hochschulprofessoren auf Antrag alle sechs Jahre evaluiert werden können (und nach positiver Entscheidung eine Gehaltserhöhung erhalten).
Bereits wenige Jahre nach Inkrafttreten der LRU wurden Initiativen zu ihrer Modifizierung auf den Weg gebracht. Das Hauptproblem des Gesetzes lag im Bereich der Personalpolitik, denn die hochschulinternen Auswahlverfahren ohne Beteiligung des Bildungsministeriums begünstigten eine vielfach beklagte akademische endogamia (Inzucht). So war die in Deutschland verpönte Hausberufung in Spanien an der Tagesordnung, da auswärtige Bewerber kaum eine Chance hatten, sich gegen das Netzwerk des candidato de la casa durchzusetzen. Aber der Reformprozess zog sich in die Länge, immer wieder brachten Neubesetzungen des Ministerpostens bzw. Regierungswechsel das Projekt ins Stocken, bis schließlich die PP-Bildungsministerin Pilar del Castillo 2001 ihren Entwurf für ein neues Hochschulrahmengesetz, die Ley Orgánica de Universidades (LOU) vorlegte und damit deutlich über die bisherigen Modifizierungsabsichten hinausging. Dieses Gesetz sollte den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen des beginnenden 21. Jahrhunderts Rechnung tragen und die Qualität der universitären Lehre und Forschung verbessern, um die spanische Universität im entstehenden europäischen Hochschulraum wettbewerbsfähig zu machen. Um diese Qualitätsoffensive umzusetzen, wurde auch eine Neuordnung der Verwaltungs- und Organisationsstrukturen vorgesehen, die eine engere Verzahnung von Universität und Gesellschaft gewährleisten soll. Was den Bereich der Lehre angeht, so sollte vor allem das Lehren und Lernen mit neuen Medien, insbesondere das Virtuelle Klassenzimmer als Alternative zum Präsenzunterricht gefördert werden. Parallel dazu wurde der Ausbau der Angebote im Bereich Lebenslanges Lernen festgelegt, der auch im Bologna-Prozess eine wichtige Rolle spielt. Erklärtes Ziel war ferner, die Mobilität von Studierenden und Lehrenden nicht nur innerhalb Spaniens (durch den distrito abierto, die freie Wahl der Universität), sondern europaweit und international zu erleichtern. Die Forschung, die bisher an spanischen Universitäten gegenüber der stärker gewichteten Lehre eine untergeordnete Rolle spielte, wurde durch die LOU explizit aufgewertet. Ein eigener Titel des Gesetzes etablierte die Forschung als genuine Aufgabe der Universität, die zugleich dafür Sorge zu tragen hat, die Ergebnisse der Forschung so schnell und effizient wie möglich der Gesellschaft (und der Wirtschaft) zugänglich zu machen. Neben diesem Wissenschafts- und Technologietransfer soll die Einbindung der Hochschule in den gesellschaftlichen Kontext auch dadurch verstärkt werden, dass die Kompetenzen der entsprechenden Schnittstelle, des Consejo Social, erweitert werden. Dieser Consejo Social, dem außer dem Rektor, dem Generalsekretär und dem Geschäftsführer der Hochschule ausschließlich außeruniversitäre Mitglieder angehören, wurde durch die LOU mit der Supervision der wirtschaftlichen Aktivitäten und der Leistungsbilanz der Universitäten betraut. Damit sollte die Universität, ohne ihre Autonomie zu verletzen, einer effektiveren gesellschaftlichen Kontrolle unterstellt werden.
Die Qualität der Lehre und Forschung sollte durch die Arbeit einer externen Evaluierungskommission, der zu diesem Zweck 2002 ins Leben gerufenen Agencia Nacional de Evaluación de la Calidad y Acreditación (ANECA), gesichert werden. Die von der ANECA erstellten Rankings waren nicht nur dazu gedacht, den Studierenden eine Orientierungshilfe bei der Wahl ihres Studienganges und ihrer Universität an die Hand zu geben, sondern vor allem auch eine Grundlage für hochschulpolitische Entscheidungen liefern. So sollte durch verstärkten Wettbewerb die Effizienz der Hochschulen erhöht werden. Die ANECA ist seit 2006 eine staatliche und europäisch vernetzte Agentur und hat die Aufgabe, Lehre, Forschung und Hochschulmanagement zu evaluieren. Sie bringt Verbesserungsvorschläge ein und informiert die Öffentlichkeit über die Aktivitäten der Hochschulen. Neue Studienfächer müssen, bevor sie in den Parlamenten der Comunidades Autónomas verabschiedet und von den Universitäten angeboten werden, die Kontrollinstanz der ANECA durchlaufen und positiv begutachtet werden.
Die Autonomie der Universitäten und die Kompetenzen der Comunidades Autónomas im Bereich der Hochschulverwaltung wurden erweitert. Als höchstes Führungsorgan der Universität wurde der Consejo de Gobierno kreiert, dem ein in einem allgemeinen Wahlverfahren gewählter Rektor vorsteht. Dieses Gremium wurde durch einen Consejo de Dirección und eine Junta Consultativa ergänzt. Alle drei an der Führung der Universitäten beteiligten Verwaltungsebenen – Staat, Comunidades Autónomas und die Universitäten (sowohl öffentliche als auch private) selbst – sind im Consejo de Coordinación Universitaria vertreten, der als oberstes Koordinationsorgan hochschulpolitisch relevante Fragen zu diskutieren hat. Diesem Rat gehören alle Universitätsrektoren, die für Hochschulpolitik zuständigen Mitglieder der Regionalregierungen und 21 von der Zentralregierung und dem Parlament bestimmte Mitglieder an. Die Rektoren sind daneben auch in der Hochschulrektorenkonferenz (Conferencia de Rectores de las Universidades Españolas, CRUE) organisiert. Wie ihr deutsches Pendant hat sie eher eine beratende Funktion inne. Sie spricht Empfehlungen aus und fördert die Internationalisierung der spanischen Hochschulen.
Was das Personalwesen angeht, so wurden weitere Modalitäten für Lehrende im Angestelltenverhältnis geschaffen: der Profesor Ayudante Doctor, der Profesor Contratado Doctor und der Profesor Colaborador. Insgesamt dürfen die angestellten Lehrkräfte nicht mehr als 49 % des gesamten wissenschaftlichen Personals einer Universität ausmachen. Eine der umstrittensten Neuerungen war die Einführung eines zentralen Habilitationsverfahrens, das der endogamia Einhalt gebieten und größere Objektivität bei der Einstellung garantieren sollte. Diese Habilitación entspricht allerdings nicht dem deutschen Verfahren, sondern meint eine Prüfung vor einer vom staatlichen Bildungsministerium eingesetzten siebenköpfigen Kommission, deren Bestehen notwendige Voraussetzung für die Einstellung als Catedrático und Profesor titular ist.
Wenn sich auch Studierende und Dozenten einig waren, dass eine Hochschulreform dringend nötig war, so wurde doch die LOU von der Mehrheit nicht als geeignetes Instrument angesehen. Die Einwände der Kritiker richteten sich vor allem gegen die befürchteten Einschnitte in die Autonomie der Hochschulen, insbesondere die deutlich erweiterten Einflussmöglichkeiten der Wirtschaft, gegen die zu erwartende Herausbildung einiger weniger gut dotierter Eliteunis und gegen die Reduzierung der studentischen Mitbestimmungsmöglichkeiten. Ihrem Standpunkt verliehen die Gegner des Gesetzesvorhabens im Herbst und Winter 2001 in zahlreichen Presseartikeln sowie in landesweiten Protestveranstaltungen und Demonstrationen Ausdruck, die in einem „Marsch auf Madrid“ am 1. Dezember gipfelten. Gleichwohl wurde die LOU ohne Berücksichtigung der Änderungsanträge der Opposition und unter Ignoranz der akademischen Kritik am 21.12.2001 in einem 17-stündigen Sitzungsmarathon mit den Stimmen von PP, CiU und CC durchgeboxt.
Nach Inkrafttreten des Gesetzes machten sich drei neuralgische Punkte besonders bemerkbar: Zum einen zeigte sich, dass die Zulassung zum Hochschulstudium erschwert worden war, nachdem die LOU die einzelnen Universitäten befugt hatte, eigene Aufnahmeprüfungen durchzuführen, um ihre Studierenden auszuwählen. Zum andern erwies sich das zentrale Habilitationsverfahren nicht nur als inadäquat in Bezug auf den Personalbedarf der Hochschulen und als ein Instrument unwillkommener staatlicher Intervention in die universitäre Autonomie, sondern auch als unverhältnismäßig kostenaufwendig. Auch der dritte Punkt betrifft die finanzielle Seite der Hochschulpolitik, denn als eine zentrale Schwachstelle der LOU wurde und wird die Tatsache gesehen, dass sie die angestrebte Qualitätsoffensive nicht mit einer gesicherten Verbesserung der finanziellen Ausstattung verknüpfte. Zwar hat Spanien im OECD-Vergleich die Aufwendungen pro Student im Zeitraum von 1995 bis 2001 in signifikanter Weise erhöht (es ist hinter Irland und der Türkei das Land mit der dritthöchsten Steigerung), dennoch reichen die Mittel immer noch bei weitem nicht aus, um allen Studierenden vernünftige Lern- und Forschungsbedingungen zu bieten.
Die PSOE-Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero hat die LOU durch das Gesetz namens Modificación de la Ley Orgánica de Universidades vom 13.4.2007 in verschiedenen Punkten nachgebessert, ohne den Lehrbetrieb wieder durch eine erneute umfassende Reform auf Monate zu behindern. Zum einen wurde die habilitación abgeschafft. Statt des aufwendigen Verfahrens ist nun die ANECA mit der Evaluierung der akademischen Lebensläufe (vom ayudante bis zum catedrático) beauftragt. Diese Aufgabe können auch die regionalen Evaluierungsagenturen, die inzwischen in allen Comunidades Autónomas gegründet wurden, übernehmen. In diesem Fall darf der Anwärter aber nur auf eine Stelle an einer Universität der betreffenden Region berufen werden. Nach einer positiven Evaluierung kann sich der Kandidat auf alle ausgeschriebenen Stellen bewerben und muss sich anschließend einem internen Prüfungsverfahren (concurso) unterziehen. Der externe Evaluationsfilter wird in Zukunft die oben erwähnte Praxis der endogamia zumindest erschweren.
Das neue Gesetz zeigt sich auch bezüglich der Universitätsautonomie flexibler. Die Mitglieder des Claustro können z.B. festlegen, ob sie den Rektor in direkter Wahl selbst bestimmen oder ob dies unter Mitwirkung aller Mitglieder der Hochschule geschieht, wie es seit 2008 schon an verschiedenen Universitäten praktiziert wird.
Natürlich haben auch in Spanien die neuen Medien wesentliche Veränderungen in der Arbeitsweise und den Kommunikationsformen der Hochschulen bewirkt. Das betrifft nicht nur die Fernuniversitäten UNED und Universitat Oberta de Catalunya, sondern auch die Präsenzuniversitäten, die sich alle mehr oder weniger aufwendig im Internet präsentieren. Ein spezielles akademisches Informationssystem, RedIRIS, wurde eigens für die Bedürfnisse von Hochschulen und Forschungsinstituten geschaffen. Jede Universität unterhält einen Campus Virtual, in dem praktisch für alle Veranstaltungen Zusatzmaterial zur Verfügung gestellt werden kann. Auch die oben erwähnten Exzellenzprogramme und eine immer stärker zu Tage tretende Internationalisierung werden in Zukunft vielleicht mithelfen, die spanischen Universitäten auf den internationalen Rankings sichtbar zu machen. Bisher gehören sie noch zu den unscheinbarsten in Europa überhaupt.