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Der Hexengarten hatte noch nie so herausgeputzt ausgesehen. Katharina war kurz zum Stammtischmontag geradelt, um die letzte Reihe Räucherfisch vorbeizubringen, bevor er ungenießbar wurde, und als sie wiederkam, hatte Eli die Forsythien vor der Haustür auf Hüfthöhe gekürzt und die Holunderbüsche gekappt. Die reifen Dolden hingen noch an den Ästen, die in drei riesigen Schnitthaufen eine Mauer durch den Garten bis zum Bootssteg zogen.

»Jetzt kann hier alles wieder mehr atmen!«, rief Eli und breitete die Arme aus, als Katharina mit dem Rad in die Einfahrt bog. Sie hockte mit einem Brecheisen vor den Gehwegplatten aus der Fabrik und hebelte die Betonquadrate aus dem Rasen. Normalerweise lief Eli um diese Jahreszeit mit der alten Apfelkiepe von Katharinas Vater durch den Holunder, zählte die zurückgelassenen Vogelnester und nahm die Dolden ab, die sie im Frühjahr nach der Blütenernte extra stehengelassen hatte, damit genügend Beeren zum Einkochen übrigblieben. Der Saft hinterließ einen schwarzroten Film auf dem Flaschenglas und ein pelziges Gefühl auf der Zunge. Die älteren Imbissgäste mischten ihn mit Selter, die jüngeren tranken ihn pur, bis sich ihre Zähne blau färbten.

»Heute kommen drei Interessenten. Morgen zwei«, sagte Eli und berichtete, dass der Holz-Giesecke aus der Nachbarbucht für sein Häuschen einen fünfstelligen Verkaufspreis erzielt hatte, nachdem der gesamte Garten überholt worden war. Auch die Mertens von nebenan hätten inzwischen so gut wie verkauft und würden schon im Herbst wegziehen. Allein die Anzahlung sei so hoch gewesen, dass sie einen Makler aus Stendal beauftragt hätten, sich für sie in Spanien nach einer Finca umzusehen. Das Fischerhaus besaß eine Etage mehr, eine richtige Terrasse und war unterkellert. Wenn jetzt noch anstelle der Wegplatten aus dem Werk Natursteine aus dem Warenprospekt des neueröffneten Baumarkts dazukämen, könne man mit einer sechsstelligen Summe rechnen. Katharinas Hand wanderte Richtung Magen, und auf dem Weg zum Räucherhaus stolperte sie über die tiefen Rillen, die Eli zwischen Steg und Terrasse gehebelt hatte.

Der Imbiss brauche einen Anstrich, hatte Eli gestern Abend gemeint und mit Blick auf den Prospekt festgestellt, dass die Wetterschutzfarben beim Schrauben-Hiller im Vergleich zum Baumarkt unverschämt teuer waren. Ein modernes Hellblau oder dieses Zitronengelb, in dem die Verwaltung das Gemeindezentrum hatte streichen lassen. Je mehr man jetzt investiere, desto profitabler, schwärmte Eli über einem Glas Rotwein aus dem Sortiment der neuen Kaufhalle und Katharina zuckte zusammen, weil sie sich an den Geschmack von eingelegten Oliven nicht gewöhnen konnte und Hiller ihr vor seinem Laden sechs Eimer Farbe aufgeschwatzt hatte. Am Ende zähle das Gesamtpaket, hatte ein anderer Schiefhals Eli erklärt, der sich auf dem Grundstück der Mertens um den Dachausbau kümmerte. Vor einer Woche war er mit seinem Telefon am Ohr den Hexengarten abgelaufen und hatte ihr die gleichen Flöhe in den Kopf gesetzt wie den Nachbarn. Den Imbiss brauche kein Mensch, aber er mache sich gut als Schuppen für Gartengeräte und Freizeitmöbel. Es sei denn, man behalte die beiden Räucheröfen und setze das Motorboot samt Reusen und Angelvorrichtungen mit in den Kaufvertrag.

»Abenteuer verkaufen sich gerade besser als Häuser«, hatte der Schiefhals gemeint.

Die Leute, die jetzt in den Ort kamen, suchten nach Angeboten, hatte Eli den Schiefhals weiterzitiert. Immer wieder erklärte sie, dass man es mit einer Win-win-Situation zu tun hätte, weil der Hexengarten nichts mehr abwarf, und Katharina fragte sich, seit wann dieser dafür bestraft werden sollte.

Sie nahm die Kiepe vom Haken und glättete die breiten Gurte auf ihren Schultern. Das Gewicht des Weidenkorbs gab ihr Halt, das Geflecht knisterte etwas uneinsichtiger als früher. Ihr Vater hatte immer gesagt, dass in jeder Kiepe eine Bauernseele wohnte, und je zufriedener diese war, desto fetter fiel die Ernte aus. Er hatte schon am Knistern hören können, wie oft sich der Korb an einem Tag füllen würde, und meistens hatte er richtig gelegen. Wenn Nebel zu erwarten war, stellte der Vater zu Waltrauts Ärger den Bimmelwecker besonders früh, damit die Körbe die Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen konnten. Nach der letzten Ernte im November hatte sich Katharina immer größte Mühe gegeben, die Bauernseelen bei Laune zu halten. Sie hatte die Kiepen nacheinander in Brunnenwasser getaucht und war mit der Wurzelbürste behutsam die Flechtreihen von oben bis unten abgegangen. War ein Apfeljahr schlecht, schob Katharina es auf die beleidigten Seelen der Kiepen und gab sich im nächsten Winter noch mehr Mühe bei der Behandlung mit der Bürste. Gespannt wartete sie auf die Klaräpfel, die schon Ende Juli gepflückt werden konnten, obwohl sie wegen ihrer grünlich gelben Schale immer etwas unreif aussahen. Trugen die Bäume so gut, dass sich selbst die kurzen Äste zum Boden neigten, hatte sie alles richtig gemacht. Die Sorte stammte aus Lettland und war beim Vater nicht so beliebt, weil sie nicht länger als drei Wochen liegen konnte. Anstatt in die Presse wanderte sie in den Heißstampfer und dann als Apfelmus in Gläser für den Markt. Nur als dem Stampfer in einem Jahr Reparaturteile fehlten, gab es Saft aus den unförmigen Früchten, und Katharina erinnerte sich bis heute an die schlechte Stimmung in der Hofküche, weil jeder Baum trotz der zufriedenen Bauernseelen nur zehn statt der üblichen vierzig Flaschen hergab.

Kurz bevor Katharina zu Eli in den Hexengarten zog, suchte sie im Keller nach der Kiepe, die ihr Vater den Genossen aus Sentimentalität vorenthalten hatte. Damit er sie nicht jedes Mal sehen musste, wenn er nach unten zu den Getränkekisten stieg, hatte er sie in der hintersten Ecke zwischen Hausrat und Aussteuerkisten versteckt. Das in der Luft hängende Ostseesalz hatte die Farbe ausgeblichen und die Weidenäste spröde werden lassen. Die Bauernseele ließ den Korb nicht knistern, sondern brechen, und es brauchte drei altmärkische Nebeltage, bis sie zu Schuster Küstrin gebracht werden konnte, ohne dabei zwischen den Fingern zu zerbröseln. In dem Herbst, der auf ihren Einzug folgte, feierte Katharina mit Eli nicht nur die Aufnahme der Altmark in die Vereinten Nationen, sondern auch hochzufriedene Bauernseelen. Jeder Apfelbaum im Hexengarten kam auf mehr als sieben Kisten Saft und besonders gut trugen die Gelben Köstlichen.

»Dich hätte ich fast vergessen«, stöhnte Eli über einer Wegplatte, die sich dem Brecheisen widersetzte, und Katharina wusste nicht, ob der Betonquader, die Apfelkiepe oder sie selbst gemeint war. »Kannst du die Spinnen aus dem Boot werfen?«

»Willst du heute doch noch mal in die Buhnen?«

»Das Boot muss gut aussehen. Einer der Interessenten hat einen Angelschein für die Gegend, und wir können ihm ein Gesamtpaket bieten.«

Katharinas angeborene Sanftmut verbat es ihr, Eli den Erntekorb vor die Füße zu schleudern, aber sie warf mehr als eine Frage in den Raum.

»Seit wann braucht man einen Angelschein? Was ist mit den Beeren?«

Eli wuchtete die Wegplatte um und beugte sich über das Brecheisen zu ihr. »Hat dir der Saft wirklich jemals geschmeckt?«

Katharina wollte zurückfragen, seit wann er ihrer Freundin nicht mehr schmeckte, aber heftete stattdessen ihren Blick auf die Asseln, die sich unter dem plötzlichen Sonneneinfall krümmten und fluchtartig ihr Zuhause in Richtung der Schnitthaufen verließen.

Die ersten Bewerber parkten ihren Wagen an der Einbiegung, von der aus der Weg Richtung Auffahrt abzweigte. Katharina sah vom Dachbodenfenster, wie sich das ältere Paar langsam dem Grundstück näherte und immer wieder auf dem Weg stehenblieb, um über etwas zu beratschlagen, das sich zwischen dem Schotter und dem verbliebenen Baumbestand versteckte. Der Mann hielt die Hände auf dem Rücken verschränkt und nickte, wenn seine Frau etwas sagte und mit breiten Gesten untermalte. Ihre Nägel hatten die Farbe des Löschwagens der Freiwilligen Feuerwehr, man hätte sie nicht mal an einem altmärkischen Nebeltag übersehen können.

Als Katharina die Treppe langsam nach unten stieg, hatte die Führung durch das Fischerhaus noch nicht begonnen, und das Paar unterhielt sich mit Eli in der Stube an einem der runden Stehtische, die zum Imbiss gehörten. Ihre Freundin hatte die italienischen Häppchen in kleinen Schälchen angerichtet und Sekt in einem Zylinder kaltgestellt. Der Mann nickte Katharina zu und lobte den Wasserblick, den es wegen der fehlenden Holunderbüsche jetzt auch im unteren Stockwerk gab. Seine Frau spuckte einen Olivenkern in ein Taschentuch, das die türkise Farbe ihres Lidstrichs besaß. Sie schien eine Krankheit zu haben, bei der sich der Kopf unkontrolliert nach allen Seiten bewegte, sodass man nicht sagen konnte, ob sie ihrem Gatten recht gab oder nicht. Bei den Menschen von drüben konnte man sich ohnehin nie sicher sein, ob sie Ja oder Nein meinten. Was Katharina verwunderte, war der Aufwand, den das Ehepaar betrieb. Vielleicht hatten sie noch fünfzehn Jahre, bevor ihnen der Hexengarten über den Wackelkopf wachsen würde und sie das Grundstück wieder verkaufen oder vererben müssten.

»Das Haus ist seit über hundert Jahren in Familienbesitz und Zeugnis der alten Hanse. Das kann man gut an den Stufengiebeln erkennen«, erklärte Eli und klang dabei wie eine Museumsführerin.

»Auch an den Backsteinen«, ergänzte der Mann, »das sieht man ja rund um Tangermünde überall.«

»Und Sie sind Schwestern, ja?«, wandte sich die Frau an Katharina, die Eli einen hilfesuchenden Blick zuwarf und sich wie vereinbart ins Ohrläppchen kniff. Sie hatten das Zeichen abgesprochen, um unangenehmen Bewerberfragen mit einer Flasche Rotkäppchen zuvorzukommen.

Eli schoss den Plastikkorken knapp an der Frau vorbei und kicherte. »Huch, entschuldigen Sie! Frau Fuchs kommt ursprünglich nicht von hier.« Der Mann winkte ab, weil er noch fahren müsse, und seine Frau verzog beim ersten Schluck den Mund, aber vielleicht lag das auch an ihrer Krankheit.

Das zweite Paar war jünger und im Besitz des Angelscheins, von dem Eli erzählt hatte, aber interessierte sich nicht für die Gotik der Hanse oder das eingewebte Boot, sondern ausschließlich für die große Rasenfläche im Garten. Die junge Frau war auch blond und lief mit einem ausgeklappten Zollstock auf und ab, während der Mann versuchte, den Kaufpreis zu drücken, und Eli immer wieder Sekt nachschenkte.

»Der Pool passt genau, wenn wir hier die Beete wegnehmen!«, rief die Frau und zeigte mit dem Zollstock auf das Spalier, das Katharina selbst geplant und zugesägt hatte.

»Das würde ich mir überlegen!«, rief Katharina zurück. »Das ist das Beste, wenn man ordentlich einmachen will!«

Die Blonde überlegte nicht und schlenderte zurück zu ihrem Mann, der Eli immer noch die Gründe nannte, warum der Grundstückspreis zu hoch angesetzt war. Die Hanglage sei nicht optimal und die Sonne würde aus der falschen Richtung scheinen. Hinzu kämen die Kosten für die Renovierungsarbeiten im Haus, Abriss und Entsorgung der Fischbude, die Befestigung des Uferbodens und den Ausbau des Stegs, damit die gerade noch in Hamburg liegende Jolle genug Platz habe.

»Aber wenn Sie sowieso angeln, dann können Sie doch die Öfen und alles behalten?«, warf Katharina ein und spürte, wie sich ihr Magen meldete.

»Um Himmels willen«, antwortete die Frau. »Das ist nur ein Hobby. Will man doch nicht essen, was einem hier an den Haken geht.«

Am Abend stand Katharina in der Küche und kochte aus den letzten Holunderbeeren Saft, den sie nach dem Abseihen mit Vanillezucker und Rum zu einem Likör ansetzte. Zwei Gläser versuchte sie den Magenschmerzen entgegenzuhalten, einen dritten Schluck aus der Flasche den Schiefhälsen und Wackelköpfen.

Eli hatte gelacht, als das junge Paar in seinem Cabrio weiter südlich Richtung Barby zu einer anderen Besichtigung aufgebrochen war, und hatte gesagt: »Na, hoffentlich scheint dort die Sonne richtiger.«

Aber in Eli hatte sich der Plan, den Hexengarten zu verkaufen, unwiderruflich festgesetzt. Dem dritten Interessenten erläuterte sie sogar ungefragt, wie man den abfallenden Teil des Gartens mit Bauschutt vom Kontor und Muttererde mühelos begradigen könnte, obwohl der Hang beim letzten Hochwasser verhindert hatte, dass die Elbe bis zur Veranda stieg.

»Ich brauche jetzt auch was davon«, stöhnte Eli und griff nach der noch lauwarmen Flasche. »So kann man’s trinken.«

Katharina füllte die Oliven, Perlzwiebeln und Kapernbeeren zurück in ihre Gläser und wusch die öligen Schälchen aus.

»Hast du es dir einfacher vorgestellt?«

»Außer Italien habe ich mir gar nichts vorgestellt.«

»Ich meine, wollen wir wirklich wegziehen?«

Eli stellte ihr Glas hart auf die Tischplatte. »Was willst du denn noch hier? Das Werk ist dicht, die Kleine ist groß und du – wirst allmählich alt.«

Ein Taxi fuhr langsam die Auffahrt zum Fischerhaus hinauf und blieb mit laufendem Motor hinter Elis Lada stehen.

»Nicht noch so eine«, murmelte Katharina und beobachtete, wie Eli draußen mit den Händen wedelte, damit die blonde Frau zurück in den Wagen stieg. Auch sie trug ihr Haar wie die englische Prinzessin und einen Faltenrock, der ihre von hochhackigen Schuhen getragenen Beine endlos wirken ließ. Sonnenbrille und Hut wie die Hochnäsigen in Monaco.

Als Katharina auf die Einfahrt trat, reagierte ihr Kümmerfuß schneller als sie selbst, und sie bekam gerade so den Seitenspiegel des Ladas zu fassen.

»Hallo, Katinka. Bist ja immer noch so«, sagte Waltraut und warf die Wagentür zu.