Glyn Johns hat die halbe Nacht durchgearbeitet, und sowie die Beatles alle da sind (Billy kommt an diesem Sonnabend gar nicht), spielt er ihnen das Ergebnis vor: Get Back und Schnipsel aus I’ve Got A Feeling und Help! (Aufnahmen vom 23. Januar); Teddy Boy und Two Of Us (vom 24.); Dig A Pony und I’ve Got A Feeling (vom 22.). Die Beatles sind sehr zufrieden mit den Aufnahmen, wenn auch vielleicht nicht ganz so enthusiastisch wie Glyn Johns, der meint, sie sollten samt Dialogfetzen, Gelächter und Fehlstarts ohne weitere Bearbeitung sofort veröffentlicht werden.
Während sie ins Studio gehen, schildert George seine Probleme, sich einen klobigen Moog-Synthesizer liefern zu lassen. John spielt Gitarrenriffs, woraus sich erst eine lockere Improvisation (1:01), dann (unter Beteiligung Ringos) eine Jamfassung von I’VE GOT A FEELING (1:29) entwickelt. Nach einer weiteren Gitarre-Schlagzeug-Improvisation (1:13) und einem ebenfalls von John und Ringo gespielten Blues (0:17) fragt Paul: „Sollen wir die Middle Eight von Two Of Us machen?“ Da niemand etwas sagt, antwortet Paul sich selbst: „Ja.“ John spielt aber erst einmal perlende Gitarrenakkorde (0:54) in der Art von Julia, initiiert dann eine kurze gemeinschaftliche Rock ’n’ Roll-Jam (0:26), auf die Paul an der Akustikgitarre mit ANOTHER DAY (0:39) antwortet. Die Instrumente werden gestimmt, dann spielen sie im Stop-and-Go-Verfahren eine ganze Weile Passagen aus TWO OF US (20:37), vor allem die Middle Eight, die Paul gerne noch weiter ausfeilen möchte. Um keinen Überdruss aufkommen zu lassen, singen sie den Text dabei mal mit verstellten Stimmen, mal in falscher Tonlage, à la Dylan oder in diversen Dialekten. Trotz (oder vielleicht auch wegen) dieser Albernheiten wird das Zusammenspiel zusehends kompakter und inspirierter. Als die Probe ausfranst, erwähnt Paul, er habe die Filmaufnahmen von ihrem Ausflug zum Maharishi nach Indien zusammengeschnitten. John und er lästern, es sei wie ein dämlicher Schulausflug gewesen; George jedoch (der währenddessen immer wieder Fragmente eines unidentifizierten Gitarrenstücks in Neil-Young-Manier spielt) entgegnet mit dem Vorschlag, sie sollten sich öfter auf diese Weise zurückziehen, um dem permanenten Starrummel etwas entgegensetzen und zu sich selbst finden zu können. Paul ist skeptisch, und John kommentiert den Vorschlag satirisch, indem er eine gemeinschaftliche Kurzdarbietung von ACT NATURALLY (0:12) initiiert.
Die Stop-and-Go-Arbeit an der Middle Eight von TWO OF US (10:58) wird fortgesetzt, wobei sie jetzt vornehmlich am Harmoniegesang arbeiten, mit dem sie aber nicht weiterkommen. Paul meint, ohne Billy könnten sie an den anderen Stücken auch nicht ernsthaft weiterarbeitn. George scheint desorientiert, wie es überhaupt weitergehen soll: „Sieht es so aus, dass wir alle Nummern bis Dienstag aufnehmen, wenn Glyn abreist?“ John: „Ich würde sagen, wir versuchen sie alle für die Show am Mittwoch auf die Reihe zu kriegen und dann da aufzunehmen.“ Glyn korrigiert, er fahre erst am Donnerstag in die Flitterwochen. George: „Also versuchen wir, alles am Mittwochabend in der Show aufzunehmen?“ John: „Sagen wir mal, wir schaffen acht oder neun – dann müssen wir anschließend hierher zurückkommen, bis wir vierzehn Songs im Kasten haben.“ Glyn Johns sieht allerdings Schwierigkeiten, eine große Anzahl Songs in einer einzigen Show aufzunehmen, weil er für jeden einzelnen die Aussteuerung vorher genau durchprobieren müsse – hier im Studio gehe das, aber nicht bei einem unvorbereiteten Liveauftritt. John: „Aber vorausgesetzt, dass wir diese LP sowieso als ein durchgängiges Ganzes vor laufender Kamera aufnehmen wollen – was wir vorhatten, war eine LP, die nie abbricht ...“ Glyn Johns ist skeptisch. John: „Dann versuchen wir es am Mittwoch, und wenn wir da nicht alles hinkriegen, machen wir den Rest am Donnerstag.“ Vor Publikum will er im Stehen spielen, sieht aber wenig Sinn drin, hier im Studio für die Aufnahmen aufzustehen.
Zu Beginn der Januar-Sessions eher lethargisch wirkend, scheint John nun, da sie dem Ende entgegengehen, die Initiative ergreifen zu wollen; während er Riffs aus I’ve Got A Feeling nudelt, überlegt er laut, ob sie nicht zwei Sets spielen sollten, einen akustischen und einen elektrischen. Paul diskutiert mit Lindsay-Hogg Beleuchtungsprobleme, und John und George amüsieren sich unterdessen kurz mit NASHVILLE CATS (0:31) von dne Lovin’ Spoonful. Aber auch in die Beleuchtungsdiskussion schaltet John sich ein – ihm missfallen farbige Scheinwerfer; genau wie Paul möchte er die Beatles auch auf der Bühne einfach nur hell ausgeleuchtet haben. Paul und Lindsay-Hogg streiten sich über das Filmmaterial; Michael behauptet, die von Paul gewünschte Videoausrüstung sei nicht zu beschaffen, was Paul bezweifelt. George spielt und singt währenddessen ON THE ROAD AGAIN (1:45), dann schaltet er sich mit dem Vorschlag ein, man könne doch einfach das 16-Millimeter-Filmmaterial auf 35 Millimeter vergrößern. Paul hält das nicht für machbar: „Wenn wir einen Kinofilm machen, sollte er in 70 Millimeter gedreht werden. Wir sollten die beste Qualität anstreben.“ John entgegnet, bei seinen Kunstfilmen Smile und Two Virgins habe er mit der Vergrößerungstechnik gute Ergebnisse erzielt, doch Paul macht klar, dass ihm ein derartiges Undergroundniveau für ihr Vorhaben nicht professionell genug ist. Hintergrund dieser Diskussion ist ein am Vortag in der Mittagspause gefällter Beschluss, ihren Film nicht fürs Fernsehen, sondern als Kinofilm herzustellen und so gleichzeitig ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber United Artists zu erfüllen.
John teilt seine ungewohnt realistische Einsicht mit, dass die Idee der „Riesenshow“, mit der die Filmdokumentation eigentlich enden sollte, tot sei; Paul fragt stotternd, wie ihr Film denn dann enden solle, und bringt die Situation mit der derzeitigen Lage von Apple in Verbindung: „Was stimmt da bloß nicht?“ John: „Zu viele Beatles!“ Lindsay-Hogg meint, dann werde es eben eine Dokumentation über die Entstehung einer neuen Platte. John: „Die ursprüngliche Idee war eine Liveshow; dann eine Show plus Dokumentation; und dann hat sich die Show in Luft aufgelöst.“ Paul klingt ein bisschen gereizt, als er schließlich sagt: „Ich habe einfach so das Gefühl ... es ist schon in Ordnung, dann machen wir halt nur wieder eine Platte, aber ursprünglich wollte ich die neuen Songs in einen veränderten Rahmen bringen, mal was anderes damit anstellen, um uns zu stimulieren.“ John: „Aber das ist genau die Geschichte mit der großen Sache – keiner von uns will wirklich auf der Bühne stehen oder eine Fernsehshow machen. Das ist der Punkt – keiner will raus. Und wenn du da raus willst, musst du dir halt jemanden suchen, der das mitmacht.“ George, der die ganze Zeit Riffs aus einer nicht zu identifizierenden Nummer gespielt und am Ende auch dazu gesungen hat, mischt sich nun ein, indem er beklagt, wieviel Zeit sie mit ihrem ungeliebten Projekt verschwendet hätten: „Wir hätten die Nummern lieber besser ausarbeiten und richtig gute Aufnahmen draus machen sollen.“ Als John zu antworten beginnt, flüchtet George sich rasch wieder in seine Gitarrenakkorde. John äußert Verständnis für Pauls Probleme: „Es hat sich alles zu etwas anderem entwickelt als dem, was Paul wollte. Es war ursprünglich sein Ding, aber dann ist ein Kompromiss daraus geworden und schließlich eher das, was wir wollten. Das ist alles.“ Paul: „Ja; und das ist schon in Ordnung.“ John: „Das ist schon in Ordnung, aber ich meine, das ist das, was dir in Wahrheit auf den Zeiger geht, du hast das mit der Bühnennummer nicht durchgekriegt.“ Paul: „Das ist doch ulkig, wenn man sich klarmacht, sobald das hier vorbei ist, steckst du irgendwo in einem schwarzen Sack – in der Albert Hall, weißt du, und machst ’ne Liveshow!“
Das können John und Yoko nicht auf sich sitzen lassen. Yoko will antworten, aber John kommt ihr zuvor: „Ich fänd’s toll, auf der Bühne zu spielen, weißt du, wenn alles in Ordnung wäre, kein Rumgemache, und wir einfach auf der Bühne wären. Darum hab ich mich zur Fernsehshow bereiterklärt. Ich spiele gern, und darum mach ich Sachen mit, ich meine, wenn wir das alle wollen.“ Paul: „Ja, ich weiß, so sieht’s nicht aus, es ist bloß wie ein Mehrheitsentscheid.“ John: „Ich will nicht wieder sozusagen auf Tour gehen.“ Paul: „Ich hab so ein Gefühl, als wären wir auf Tour. Wir sind auf Tour, nur eben im Studio. Wir kleben an der immergleichen Umgebung. Wir versuchen nie, auszubrechen.“ John: „Doch, tun wir!“ George: „Dann bricht man aus dem einen aus und gerät in was anderes und will da auch wieder ausbrechen!“ Aber gleich darauf beeilt sich George, Wasser statt Öl ins Feuer zu gießen: „Das hier ist der netteste Ort, an dem ich seit langem gewesen bin, dieses Studio. Wir spielen hier mehr, als wir je gespielt haben, jeden Tag, und mir geht’s gut dabei, und es ist ein Gefühl, dass man loslassen kann. Wenn wir auf Tour gehen, geraten wir wieder irgendwo rein. Ich möchte wirklich einfach spielen, und das kann man besser, wenn nicht noch andere Sachen dazukommen. Das hier ist jetzt gar nicht so schlecht; wäre natürlich noch einfacher ohne die ganzen Mikrofone und Kameras.“ Und mit diesen für seine Verhältnisse recht optimistischen Worten geht George wieder dazu über, ein unidentifiziertes Stück (1:01) zu spielen, das sehr nach einer Eigenkomposition oder Improvisation klingt.
„Es läuft jetzt eigentlich ganz gut“, gibt Paul zu, und auch Yoko pflichtet bei: „Vielleicht sieht nächste Woche alles noch viel besser aus.“ Paul: „Alles, was ich will, ist, dass ich Spaß dabei hab, und nicht, dass unbedingt alles so läuft, wie ich es anfangs geplant hab.“ George greift die Formulierung sofort auf und spielt und singt Dylans ALL I REALLY WANT TO DO (0:48). Das Gespräch wendet sich nun wieder Fragen der technischen Ausrüstung zu; George und John spielen einzelne Riffs und Akkordfolgen, aus denen sich schließlich eine von John geführte und gesungene, schroff fetzende Heavy-Rock-Version von I LOST MY LITTLE GIRL (9:12) entwickelt – angeblich der früheste Song, den Paul je geschrieben hat, hier allerdings dargeboten mit Textpassagen („the police had taken her away due to her inconvenience, something to do about interstate nude“), die sicherlich spontan von John eingefügt werden.
Auf Pauls Anregung folgt eine passable Komplettprobe von TWO OF US (3:36). Paul will von Glyn Johns wissen: „Wie war die Middle Eight?“ Dem hat sie gut gefallen, aber Paul ist aus irgendeinem Grund unzufrieden, vor allem mit dem Harmoniegesang, und so wird eine halbe Stunde konzentriert an dem Song, der eigentlich am Vortag schon hinreichend perfektioniert wurde, weitergeprobt. Neben diversen Detailversuchen und Fehlanläufen entsteht ein weiteres ordentliches Komplettdurchspiel von TWO OF US (3:22), das auf Johns Bitte mitgeschnitten wird, aber gesanglich unsauber ausfällt. Auf weitere Teilproben folgt ein von Paul und John sehr animiert vorgetragenes Duett des Hits BYE BYE LOVE (0:49) der Everly Brothers und ein von John als „Four of us“ angesagter fast perfekter Take von TWO OF US (3:40). George, der sich kurz mit William Bells EVERYBODY LOVES A WINNER (1:14) amüsiert, schlägt vor, die Bänder abzuhören, also gehen sie in den Kontrollraum.
Als erstes spielt Glyn Johns ihnen zweimal den letzten Take von Two Of Us vor, der allen ausnehmend gut gefällt. George bittet Glyn Johns, noch einmal die Bänder abzuspielen, die sie schon am Morgen gehört haben, und als das geschehen ist, erklärt er schwärmerisch, die Bänder hörten sich an, als seien das gar nicht die Beatles, die da spielten, sondern eine andere Band – das ist als Kompliment gemeint. In bester Stimmung ziehen sie alle zum Mittagessen los (John hat sich für die Pause noch auf eine Stunde mit einem unbekannten Gesprächspartner verabredet).
Nach der Pause kehren die Beatles zu einem Song zurück, den sie vor über zwei Wochen zuletzt geprobt haben, und es ist endlich wieder ein Stück von George – weit über zwei Stunden beschäftigen sie sich jetzt ausschließlich mit FOR YOU BLUE. Nachdem George und John (der dafür sogar Yoko ignoriert, die auf ihn einredet) ihre Instrumente gestimmt haben, beginnt George das Riff zu spielen, und John versucht, dazu eine Begleitung zu entwickeln – und zwar seltsamerweise im Hawaii-Stil auf einer akustischen Slidegitarre, was zunächst gar nicht schlecht klingt. Bei einem ersten Komplettdurchspiel von FOR YOU BLUE (2:22) steigt Ringo mit dem Tamburin ein; dann folgen Teilversuche, bei denen Paul Klavier spielt, was jedoch zunächst nicht sonderlich passt, und auch Johns Slidespiel wird hörbar schlechter. George möchte gern im Stehen spielen und prökelt eine Weilche an seinen Mikrofonen herum, während die Kollegen instrumental weiterspielen. Als Endlosschleife mit gelegentlichen Stop-and-Go-Unterbrechungen geht die Probe weiter. George wünscht sich von John ein Zwölftaktsolo, doch John erklärt, komplizierte Dinge könne er nicht spielen (sein Slidespiel wirkt wie eine Bestätigung dieser Aussage).
Nachdem sie nun eine knappe halbe Stunde fast ohne Pause drauflosgespielt haben, erklärt George seinen Kollegen, wie überhaupt die Struktur des Stücks aussieht und an welchen Stellen Breaks vorgesehen sind. Nachdem das geklärt ist, wird FOR YOU BLUE (2:01) einmal komplett geprobt; George singt sehr gut, doch Johns Slidespiel bleibt miserabel. George erklärt, was er sich bei dem Song gedacht hat: „Wisst ihr, das ist wie bei diesen alten Dingern, wo der Typ mit der Gitarre ins Studio kommt und sie einfach mehrere Takes hintereinander drauflosspielen, wie’s ihnen in den Sinn kommt. Da ist nichts Professionelles dabei. Für mich ist dies Ding von den alten Typen beeinflusst, bei denen gar nichts professionell war. Also wirklich sowas wie ein ‚One Take Wonder’.“ Und so will George den ersten Take von FOR YOU BLUE (2:16) verstanden wissen, der jetzt entsteht – eine lockere, halbwegs hörbare Darbietung (sie wird Jahrzehnte später auf Anthology 3 veröffentlicht). Die nächste Probe wird von Glyn Johns unterbrochen, weil er noch nicht aufnahmebereit ist; George nutzt die Gelegenheit, sich von Paul ein Boogie-Woogie-Solo zu wünschen, doch dazu sieht sich Paul nicht imstande. Es folgt nach mehreren Fehlstarts Take 2 von FOR YOU BLUE (2:26), bei dem aber John und Paul ihre Soli verhauen. Das Klavier gefällt George einfach nicht, und er fragt Glyn Johns nach einer Idee, wie man erreichen könne, dass es wie ein Honky-Tonk-Piano klint.
Im Kontrollraum werden die beiden Takes abgehört und kurz alternative Instrumentierungen diskutiert. John meint, sie sollten es alles in Mono zusammenmischen, und George erwähnt nochmals, wie schön es wäre, den Song ohne große Proben schnell einzuspielen – aber dieser Zeitpunkt ist schon vorbei. So probieren sie erst einmal wieder eine ganze Weile im Stop-and-Go-Verfahren instrumental an dem Stück herum, Paul nun am Klavier in einer höheren Tonlage, was tatsächlich besser passt. Schließlich wird auf Anweisung von John ein dritter Take von FOR YOU BLUE (2:42) mitgeschnitten, der zwar unbrauchbar ist, weil George über Pauls Klaviersolo singt, doch das Stück beginnt unüberhörbar zu leben. Zwischen Fehlstarts und Teilversuchen entstehen zwei weitere Takes von FOR YOU BLUE (2:28/3:11); George mag den Klang des ersten; für den zweiten wird Papier ins Klavier gestopft, um den Klang zu dämpfen.
John braucht nun offenbar Abwechslung; er spielt und singt eine kurze Bluesimprovisation (0:33), die er als „Sorry I Left You Bleeding, take one“ ansagt. Dann ist er wie die anderen bereit zu Take 6, 7 und 8 von FOR YOU BLUE (2:27/2:22/2:27). Gut die Hälfte von Take 6 wird im Film Let It Be verwendet, doch eindeutig der beste ist Take 7, den Glyn Johns später abmischt und für die unveröffentlichte LP Get Back auswählt (auf die LP Let It Be kommt er ebenfalls, allerdings mit neu hinzugemischter Gesangsspur). Die Beatles hören beide Takes im Kontrollraum ab, befinden Take 7 für nahezu perfekt, spielen anschließend aber (neben unvollständigen und abgebrochenen Versuchen) auch noch die vollständigen Takes 9, 11 und 12 (2:27/2:28/2:30) ein, und zwar vor allem, damit Lindsay-Hogg mehr Filmaufnahmen zur Auswahl hat (Teile von Take 9 werden dann tatsächlich in den Film Let It Be einmontiert). George Martin ist der Meinung, Take 12 sei der „geschliffenste“ von allen, doch beim mehrmaligen vergleichenden Abhören im Kontrollraum halten alle anderen an Take 7 fest – George findet: „Der hat Feeling!“ George Martins Vorschlag, aus beiden Takes die besten Passagen zusammenzuschneiden (was ein krasser Verstoß gegen ihr Liveprinzip wäre), wird ignoriert. Auffällig bei der Diskussion über die verschiedenen Takes ist, wie aufgeschlossen, interessiert und betont freundlich John und Paul sich beteiligen. George, offensichtlich zufrieden mit dem, was erreicht wurde, trällert zwei Zeilen aus dem Folksong TAKE THIS HAMMER (0:08), dann wird nochmals Take 7 abgehören, und zum Abschluss der Arbeit an Georges Song gönnen sich die Beatles noch eine kurze, sehr bluesige Jamfassung von FOR YOU BLUE (0:53).
George fragt Paul, ob sie jetzt nicht mit Let It Be weitermachen sollten, dem Stück, das sie (wie For You Blue) am 9. Januar zuletzt geprobt haben. Paul ist einverstanden, obwohl Billy, der daei eigentlich mitspielen soll, nicht da ist: „Ich hab’s ihm schon vorgespielt, er wird sich dann schnell reinfinden.“ John fragt: „Haben wir’s schon geprobt? Ich erinnere mich nicht, es gespielt zu haben, und wenn ja, welches Instrument.“ Dann fügt er noch lachend an: „Ich werde in dieser Gruppe sowas wie Brian Jones, wisst ihr!“ Paul spielt erst einmal das Intro, dann schnappt sich John den Bass und handhabt ihn so stümperhaft, dass die anschließende Komplettprobe von LET IT BE (2:15+) absolut grauenhaft klingt. Unverkennbar braucht das Stück noch eine Menge Probenarbeit, und so wird der Rest des Arbeitstages – etwa zwei Stunden – fast ausschließlich darauf verwandt. Zunächst wird es eine halbe Stunde lang als Endlosschleife fast ohne Pausen durchgespielt, wobei es allmählich etwas erträglicher wird. Ringos anfangs übertrieben lässige Beteiligung trägt dazu bei, dass der Song schläfriger als nötig klingt, weshalb Paul, nachdem er die Akkorde angesagt hat, einige Veränderungen am Trommelspiel vorschlägt; außerdem wünscht er sich Hintergrundgesang. Selbst Yoko hat einen Moment lang mitgesungen, und John probiert einen Falsettgesang. George fragt: „Spielen wir’s so, wie wir’s in Twickenham geprobt haben?“ Paul: „Weiß nicht – kann mich nicht mehr erinnern, wie das war.“
Ein Komplettdurchgang durch LET IT BE (2:33) lässt die Struktur des Songs erkennen, dann folgen weitere zerfasernde Stop-and-Go-Proben. Zur Entspannung improvisiert Paul einen Songschnipsel über „Crazy Feet“ (0:25) und eine verträumte Pianoversion von PLEASE PLEASE ME (0:32), bevor sei einen ersten richtigen Take von LET IT BE (1:15+) aufnehmen, gefolgt von weiteren Teilversuchen. Für den Moment ist die Luft raus, sie machen eine kurze Teepause, nur John spielt für sich Riffs und Akkorde, woraus sich eine Instrumentalimprovisation (4:20) ähnlich derjenigen vom Vormittag entwickelt, und dann sein unveröffentlichtes MEAN MR. MUSTARD (2:03). Während Paul und Ringo noch plaudern, vertreiben John und George sich die Zeit mit einer Duofassung von LET IT BE (7:29), die von John sehr engagiert gesungen wird. Als er sich ausklinkt, macht George allein weiter und singt zu eigener Begleitung TRACKS OF MY TEARS (3:44) von Smokey Robinson, dann, mit Ringos Unterstützung, PIECE OF MY HEART (0:29) von Janis Joplin, LITTLE YELLOW PILLS (1:47) von Jackie Lomax und schließlich Bobby Darins EARLY IN THE MORNING (0:14). Währenddessen hat Paul wieder angefangen, seinen eigenen Song zu spielen und auch zu singen, wohl um die anderen zur Arbeit zu rufen: mit einem Komplettdurchspiel von LET IT BE (0:59+) beginnen sie wieder ernsthaft zu arbeiten. John misslingt das allerdings, scherzhaft warnt er Paul: „Du hast noch fünf Minuten, bevor ich mit Boogie-Woogie anfange.“ Paul antwortet darauf mit einer verlangsamten, den Text verulkenden Version von LET IT BE (4:01), an der sich die Kollegen nur zögernd beteiligen; John agiert unverhohlen parodistisch und meint am Ende: „Bloody Mary comes to me!“
George flüchtet sich in seinen Song WINDOW, WINDOW (1:30), bald trommelt Ringo mit, und dann beteiligt sich auch Paul, allerdings mit albern überzogenen Gesangseinlagen, die vermuten lassen, dass bei der Teepause noch andere Substanzen eingenommen wurden. „Okay, ihr Glotzer, wir müssen jetzt wieder ran; auf geht’s, Jungs, reißt euch zusammen“, proklamiert Paul schließlich. John fragt: „Sprichst du mit mir?“ George setzt diese Frage um in eine weitere Darbietung von Chuck Berrys I’M TALKING ABOUT YOU (0:47), an der sich vor allem John beherzt beteiligt. Paul unterbricht sie: „Los jetzt – zurück zur Schinderei!“ John antwortet mit einem spaßig überzogenen Ausbruch, bei dem schwer zu entscheiden ist, wieviel Ernst dahinter steckt: „Du bist der, der’s dazu macht; du bist der, der’s scheiß dazu macht!“ Paul: „Die wahre Bedeutung von Weihnachten!“ So raffen sie sich zu einem Probenversuch von LET IT BE (1:12) auf, der vorzeitig abbricht. Paul albert herum, John droht ebenso albern, ihn bei Apple rauszuwerfen; in dieser Stimmung wird der nächste Versuch ein Fehlstart, und Paul lockert sich die Finger mit zwei Instrumentalimprovisationen (0:16/0:10). Der nächste Versuch mit LET IT BE (3:23) ist zwar komplett, aber sehr dahingeschludert. George fragt dennoch, ob sie sich das Band anhören sollen; es ist aber gar keine Aufnahme mitgeschnitten worden, weshalb Paul Glyn Johns anweist, das Bandgerät anzuschmeißen, und so entsteht ein Take von LET IT BE (3:45), der zwar auch nur mäßig gerät (John spielt zeitweilig auf dem Rücken liegend, den Kopf in Yokos Schoß gebettet), aber als bester Take dieses Tages in einer noch fernen Zukunft auf Anthology 3 landen wird.
Im Kontrollraum wird die Aufnahme abgehört, auf Georges Bitte sogar zweimal; John, der es offenbar nicht mehr aushält, singt am Ende HEY JUDE (0:12) dazwischen, worauf George mit einer Zeile aus I SHOULD HAVE KNOWN BETTER (0:03) antwortet. Alle kichen und glucksen, sogar Yoko. Zurück im Studio will auch Paul seinen Spaß haben und klimpert eine instrumentale Highspeedversion von MARTHA MY DEAR (1:06). Dann kehren sie zu seiner Ballade zurück; inmitten improvisierter Fingerübungen und absaufender Versuche entsteht ein kompletter Take von LET IT BE (3:58), bei dem Paul aber erschöpft klingt und John und Ringo schon vor dem Ende aussteigen. Paul merkt plötzlich: „Es ist schon spät!“ John schaut auf die Uhr und intoniert, was er sieht, als Rock ’n’ Roll-Improvisation: „Well, it’s eight o’clock and the joint is rockin’“ (0:05). John analysiert die Struktur von Let It Be, doch Paul unterbricht ihn: „Können wir das morgen fortsetzen? Ich bin ein bisschen müde. Hast du was dagegen, wenn wir jetzt aufhören?“ Als Antwort parodiert John Pauls bisherige Haltung: „Ich versuch bloß, die Gruppe bei der Arbeit zu halten!“ Aber auch Paul kann fremde Rollen spielen: „Ich bin dafür, die Bürostunden einzuhalten!“ George stimmt zur Abwechslung LOVE STORY (0:38) an, einen Song von Randy Newman, über dessen Debüt-LP sich alle positiv äußern. Unter Johns Führung werden noch eben die Duane-Eddy-Nummern CANNONBALL (0:23) und SHAZAM! (0:16) sowie Johnny Duncans LAST TRAIN TO SAN FERNANDO (0:38) runtergenudelt, dann verabschiedet sich Paul.
„Kommen wir morgen wieder her?“ fragt George und stimmt einen bisher ungehörten eigenen Song an, ISN’T IT A PITY (2:11). John versucht eine Begleitung und fragt anschließend, was das sei. George: „Das hab ich vor ungefähr drei Jahren geschrieben und dir damals vorgespielt.“ John: „Hat mich wohl nicht beeindruckt.“ Und damit endet der Arbeitstag.
Ein Arbeitstag, an dem hauptsächlich an drei Stücken gearbeitet wurde. Die morgendlichen Versuche, Two Of Us zu verbessern, sind weitgehend erfolglos gebleiben; ohnehin ist unklar, was damit bezweckt wird, da der Song am Vortag schon perfektioniert wurde. Die ausgedehnten Proben von Let It Be am Ende des Tages wiederum leiden unter der Müdigkeit, vielleicht auch unter einem gewissen Überdruss, und haben lediglich den Erfolg, dass alle nun umfassend mit der Struktur des Songs vertraut sind. Als eigentlicher Erfolg des Tages bleibt die ungewohnt konzentrierte Arbeit an For You Blue, einem Song, der praktisch von Null auf ein so gutes Niveau gebracht wird, dass eine oder zwei zur Veröffentlichung taugliche Aufnahmen dabei abfallen. Dass es sich dabei um ein Stück von George handelt, dem sich auch Paul und John mit ungewohnter Akribie widmen, ist wohl kein Zufall, sondern zeigt, dass die Lektion von Georges Ausstieg durchaus verstanden worden ist. Überhaupt sind Stimmung und Arbeitshaltung insgesamt gut, wenn auch Paul anlässlich der kurz aufflammenden Grundsatzdiskussion ein gewisses Maß an Resignation darüber anzumerken ist, dass sich das, was er mit diesen Sessions eigentlich erreichen wollte, nicht umsetzen lässt.